Serienkritik: Slow Horses (AppleTV+)Kaputte Agent:innen in ihrem daily business

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Gary Oldham als Jackson Lamb – Chef der Slow Horses in „Slough House“ | Alle Fotos: Apple

Wie arbeitet der britische Geheimdienst? Ein Mythos, der in zahlreichen Romanen und TV-Adaptionen immer wieder verarbeitet wurde. Die Romane von Mick Herron beleuchten die kaputte Seite der Spies. Es wurde Zeit, dass das verfilmt wurde: Die Serie „Slow Horses“ gießt den Debütroman des Autors in eine spannende Serie.

Zwischen 2002 und 2011 produzierte die BBC insgesamt zehn Staffeln der Agenten-Serie „Spooks“. Eine meiner absoluten Lieblings-Serien. Ich mag UK und die Tradition der Geheimdienst-Literatur (Le Carré, na klar, aber auch Oliver Harris und nicht zuletzt auch Mick Herron). An „Spooks“ schätze ich heute besonders – im Hier und Jetzt – die ungeplante Weitsicht, Russland erneut als Widersacher zu identifizieren. Nach ein paar Staffeln der Unentschiedenheit und des wirklich rudimentären Storytellings entwickelte sich die Serie Schritt für Schritt zum Fenster in die Zukunft, in die heutige Realität. Stetige und immer begleitende Konstante: das Scheitern der Akteur:innen. Der permanente Druck der tagtäglichen Arbeit, der Spagat zwischen Privatem und Beruflichen – all das sind Dinge, die ich praktisch ausschließlich mit den „internationalen“ Geheimdiensten assoziiere. Natürlich habe ich keinerlei Sympathie mit diesen klandestinen Operator:innen. Geheimdienste – ob im In- oder Ausland – gehören meiner Überzeugung nach abgeschafft. Und doch hege ich eine gewisse Sympathie für die fiktionalen Adaptionen der „security services“. Warum? Als Zuschauende oder Lesende sind wir konstant hin- und hergerissen zwischen den System-unterstützenden forces, der gleichzeitigen Angewidertheit demokratischer Individuuen ob dieser Zustände und einer gleichzeitigen, wenn auch sehr schwammigen Unterstützung des Guten.

Slow Horses 02

Das sind die ungefähren Gegebenheiten, mit denen Slow Horses startet. Die „Slow Horses“ sind die Besatzung im Slough House, einem Stützpunkt des MI5, die weitab vom HQ ihre Arbeit verrichten. So marode das Interieur des Stützpunktes, so zerstört sind auch ihre Lebensläufe. Hier arbeiten Agent:innen, die nichts mehr auf die Reihe bekommen bzw. im Sinne der Verwaltung nie etwas auf die Reihe bekommen haben. Brillant in Szene gesetzt von James Hawes und noch brillanter besetzt mit Gary Oldham als Chef der Abteilung, Jack Lowden als Rebell im Untergang, Kristin Scott Thomas als Kanal zum „eigentlichen“ MI5, entwickelt sich Schritt für Schritt – Episode für Episode – eine fast schon normale Geschichte in Zeiten, in denen der Terrorismus allgegenwärtig scheint. Britische Nazis entführen einen vermeintlich muslimischen Engländer, um ein Zeichen zu setzen. Ihre Terrorvisionen sind genauso lädiert wie ihre persönlichen Lebensumstände. Der eine ist Hardcore, die anderen versoffen, alle komplett inakzeptabel, der einer oder andere (ja, es sind alles Männer) dann aber doch irgendwie nachvollziehbar in ihrer britischen Sozialisation. Trotz aller Dummheit und Verachtungswürdigkeit, die man ihnen entgegen bringen muss. Sozialer Abstieg – oder das dazu passende Desinteresse – kommt nicht von ungefähr. Aber die Gesellschaft schaut nicht hin.

So treffen kaputte Agent:innen auf kaputte Terroristen. Wie das ausgeht? Irgendwie klar, dann aber auch wieder nicht. Die Verstrickungen sind komplex und ebnen den Weg für die zweite Staffel. Die ist bereits bestellt. Es freut mich persönlich, dass diese Reihe weitergeht. Ob das inhaltlich passt? Abwarten. Mit seinen Originals hat Apple jedoch bislang Fingerspitzengefühl bewiesen. Weniger ist mehr. Das mag sich nicht rechnen, aber doch auszahlen. „Slow Horses“ zeigt gleich mehrere Dinge: Engagement in Europa mit europäischen Themen und Gegebenheiten, tiefes Storytelling und beschwipste Action – so funktioniert London halt.

Slow Horses
UK, 2020-2022
Regie: James Hawes

Die Serie läuft auf AppleTV+.

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