This Is So Contemporary! Das Filter guckt Kunst# 7: Marianna Simnetts „Faint With Light“ – JSC, Berlin

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Installation view, A FIRE IN MY BELLY, JSC Berlin 2021. Foto: Alwin Lay

Die Britin Marianna Simnett bringt in ihrer Kunst sich, ihren Körper und das Publikum bis an die Grenzen. Zwischen Installation, Sound und Raum geht es um die Gesamtwirkung und die Konsequenzen. Aktuell in der Berliner JSC zu sehen: „Faint With Light“.

Der Raum ist dunkel, die Kellerwände sind schwarz angemalt. Von Fenstern mal ganz zu schweigen. Gequältes Stöhnen, schnelles Luftschnappen ist zu hören. Ich stehe auf schwarzem Teppich. Dann blitzen sechs Meter lange, horizontal angelegte LEDs an der gegenüberliegenden Wand auf – 51 an der Zahl. Eine aufgeladene Spannung, ohne zu wissen, was vor sich geht. Fast schon voyeuristisch bleibe ich im Raum.

Danach erfahre ich im Begleittext mehr über das Konzept der Künstlerin Marianna Simnett, das bei mir jedenfalls anschlug. Können wir Schmerzen und Strapazen anderer gefühlsmäßig in gleicher Intensität erleben? Wieviel kann man davon ertragen?

Grenzwertig, was sie macht, aber absolut legitim: Simnett hat zunächst den Ton aufgezeichnet. Dabei hat sie, im Beisein eines Arztes, wiederholt hyperventiliert – ja, richtig gelesen. Sie kniete sich hin, umklammerte ihren Oberkörper, schränkte so ihre Atmung durch kurze, tiefe Luftzüge ein, stand ab einem gewissen Zeitpunkt abrupt auf und atmete aus, woraufhin sie das Bewusstsein verlor. Danach wurden die Audioaufnahmen auf die LEDs adaptiert: eine im Loop laufende, synchron abgestimmte Installation.

This Is So Contemporary 7 Mariann Simnett Faint With Light

Viewers at Zabludowicz Collection, London 2018, Courtesy of the artist

Eine bewusste Grenzerfahrung für die Künstlerin, aber nicht der Erfahrung wegen: „The work is about the viewer in the end,“ sagt die Britin über ihre Arbeit „Faint With Light“ (2016) und spricht im universellen Sinne an, wie empathisch wir sind. Oder auch nicht. Das eigene Bewusstloswerden in Licht und Ton zu übersetzen, das ginge auch gar nicht, ergänzt sie. Und so steht man auf diesem weichen, schwarzen Teppich und möchte am liebsten seine Schuhe ausziehen. Ein Spiel mit zwei elementare Farben, die gegensätzlicher nicht sein können. Eine immersive Situation, bei der es klick macht. Oder halt nicht.

Simnetts Arbeit ist Teil der Gruppenausstellung „A Fire In My Belly“ im ehemaligen tschechischen Kulturinstitut – heute Heimat der Julia Stoschek Collection. Gezeigt werden Videoarbeiten, Malereien und Skulpturen von über 30 Künstler*innen verschiedener Generationen, in denen Gewalt- und Verlusterfahrungen inszeniert, erlebt und verarbeitet werden. Viel wird an diesem Ort wohl nicht mehr passieren, denn Sammlerin Stoschek verlässt die Leipziger Straße Ende 2022 – und Berlin wird damit definitiv um einen der spannendsten Ausstellungsorte ärmer.

Marianna Simnett

Marianna Simnett. Foto aus dem Archiv der Künstlerin

Zur Person:

Simnett wurde 1986 in England geboren und hat einen Master in Bildender Kunst absolviert. Sie arbeitet mit den Medien Video, Installation, Performance, Skulptur, Musik und Zeichnungen.

Darin erforscht sie, grob gesagt, den Körper (äußerlich wie innerlich) als Ort der Transformation. Dazu setzt sie zum Teil ihren eigenen Körper Schmerzen und Extremen aus. Aber nicht nur als Grenzerfahrung per se. So ist in „The Needle and the Larynx“ (2016) zu sehen, wie sie für eine tiefere Stimmlage Botox in den Hals injiziert bekommt, um sich Fragen zu den Themen Natur, Geschlecht, oder Künstlichkeit zu stellen. Teils produziert sie ihre Arbeiten auch mit Laiendarsteller*innen, um medizinische, technologische und pharmakologische Eingriffe in den menschlichen, wie den tierischen Körper und die damit verbundenen ökonomischen, sozialen und Verhältnisse und Kontrollmechanismen zu hinterfragen. Der Körper und das Geschlecht des Menschen als heiß umkämpftes Terrain, das ständig neu vermessen und verhandelt wird – ein aktueller Ansatz, und spannend dazu.

Zur Ausstellung:

„A Fire In My Belly“, Julia Stoschek Collection, Leipziger Straße 60, 10117 Berlin

Die Ausstellung läuft noch bis zum 12. Dezember 2021, der Zugang erfolgt aktuell gemäß der geltenden Hygiene- und Abstandsregeln.

Öffnungszeiten:
Samstag und Sonntag, 12 bis 18 Uhr

Eintritt: 5 €.

Vernissagen, Pop-Up-Galerien, Art Weeks hier, Art Happenings da. Berlin hat ein Übermaß an Kunst-Events und Ausstellungen. Die Kolumne „This Is So Contemporary!“ nimmt in jeder Folge nur eine Ausstellung in den Blick – genauer gesagt um ein ausgewähltes Kunstwerk: Welche aktuelle Brisanz steckt in der Installation? Was ist die Essenz dahinter? Es wird gespoilt und geteast, allerdings ohne fachliche Hemmschwellen, Status und elitäre Kunstdiskurse. Dafür in aller Kürze und direkt.

KonzerterinnerungenErasure & I Start Counting – Berlin, Metropol, 26. April 1987

Pageturner – Literatur im August 2021William M. Brandon III , Sjón, Simon Jiminez