Wozu KI?Buchrezension: Künstliche Intelligenz und der Sinn des Lebens

Precht

Was kann KI für den Menschen leisten? Bislang und mit den bisherigen Denkansätzen ergibt sich da nicht sehr viel, findet der Philosoph Richard David Precht. Warum nicht, das führt er plausibel aus. Wie es anders sein könnte, dazu sagt er allerdings recht wenig.

„Künstliche Intelligenz und der Sinn des Lebens“ hat Richard David Precht sein neues Buch genannt. Die Konjunktion und in diesem Namen ist schon gut gewählt – irgendwie verbinden sich da zwei Teile, aber wie genau, ist wesentlich weniger präzise definiert als beispielsweise ein „oder“, ein „für“ oder ein „gegen“. Und genau um diesen Zwiespalt zwischen Verbindung und Nicht-Vermittlung geht es dem Philosophen in seinem Essay: Künstliche Intelligenz, so Precht, soll irgendwie für den Menschen da sein, irgendwie hängen die beiden zusammen. Aber KI geht in ihrer bisherigen Form, genauer: in der Weise, wie ihre Weiterentwicklung gedacht wird, am Menschen vorbei. Es fehlt Precht die Sinndimension: Wohin soll uns KI bringen? Wozu streben wir nach immer „intelligenterer“ Technik? (Dass das „I“ in „artificial intelligence“ viel besser mit „Information“ als mit „Intelligenz“ übersetzt werden sollte, darauf weist auch unser Autor Timo Daum hin).

Das Kernproblem für Precht besteht darin, dass die sogenannten Vordenker der KI – Trans- und Posthumanisten – an den eigentlichen Problemen der Menschen kaum Interesse zeigen. Man könnte auch sagen: Sie kennen diese Probleme womöglich gar nicht. Es (be)trifft ihre Lebenswelt nicht. Ray Kurzweil, Autor, Futurist und gutbezahlter Vortragsredner, an dessen KI-Zukunftsphantasien sich Precht abarbeitet, soll täglich bis zu 250 Tabletten mit Nahrungsergänzungsmitteln schlucken, weil er möglichst ewig leben will. Das ist seltsam, aber gut, es ist seine Privatsache. Doch dass er zudem „Director of Engineering“ bei Google ist, disqualifiziert ihn quasi von vorne herein als einordnenden, unabhängigen Ansprechpartner, wenn es um die Frage geht: Wozu KI? Da hat jemand, der auf der Payroll von „don't be evil“, da wird das Böse, wie Precht auch anmerkt, im Namen schon mitgedacht, ein ganz anderes Agenda-Setting.

Precht blickt deswegen weiter zurück, fährt unter anderem Kierkegaard und Kant auf, um seine These zu untermauern: Es muss einen Sinn geben, eine echte Vision, wenn der Mensch Maschinen erschafft, die ihn ergänzen, keineswegs aber ersetzen sollen. Was – ersetzen und „erlösen“ – eventuell das Ziel derjenigen KI-Jünger ist, die Precht zurecht „Zyniker“ nennt. Doch nun wird es kompliziert: Was ist denn Sinn? Precht sagt: Das ist immer subjektiv und individuell. Was ist ein Mensch? Precht sagt: „Der Mensch“ eine Metapher, und die lässt sich technisch nicht überwinden. Was ist Moral? Nicht nur eine Formulierung, sondern immer auch der Akt ethisch-moralischen Handelns. Und diesen Akt können programmierte bzw. selbstprogrammierte Maschinen nicht vollziehen, denn sie verstehen gar nicht, womit sie es zu tun haben – was ein Mensch ist, „wissen“ sie schlichtweg nicht. Weder, was ein Organismus namens Mensch ist, noch das Konzept „Mensch“. Maschinen sind nie intelligent. Maschinen können Menschen wohl beim Go-Spielen bezwingen, sie wissen indes nicht, was Go ist. Auch Projekte wie ai for people, die versuchen, eine Ethik Mensch-Maschine zu entwickeln, findet er kompliziert, schwierig, nicht zielführend: Deren Grundprinzipien wie Nichtnachteiligkeit bzw. Vorteilhaftigkeit (für den Menschen), Gerechtigkeit, Erklärbarkeit – wohlfeil. Wer beurteilt, was nichtnachteilig ist? Nach welchen Prinzipien?

Precht im Gespräch mit Thilo Jung von „Jung & Naiv“

Precht hat sich eingenordet: KI hat für ihn in seiner jetzigen Form, von einigen Bereichen der Wirtschaft wie z.B. logistische Aufgaben oder medizinische Spezialanwendungen, dem Menschen kaum etwas zu bieten. Autonomes Fahren: Davon sei er früher ein Anhänger gewesen, sagte er kürzlich im übrigens hörenswerten, munteren Gespräch bei „Jung und Naiv“ – Jetzt ist für ihn klar, dass es das falsche Konzept ist (wiederum abgesehen von einigen Ausnahmen wie LKW-Logistik auf der Strecke). Die schon oft diskutierten, von der KI zu treffenden „Entscheidungen“ (ethischen Programmierungen), also die Oma überfahren oder das leukämiekranke Kind – Sie führen für ihn zu nichts, da braucht es aus seiner Sicht andere Regeln. Besser noch ein ganz anderes Mobilitätskonzept, das dem Auto zumindest in der Stadt auf Nimmerwiedersehen sagt. Autonom sei das Fahren ja eh nicht, sondern hetoronom, und deswegen kein Fahren. Interessanter Punkt: Kann man sich vorstellen, dass die innenstädtischen Besitzer von Geländewagen und anderen Kraft-Fahrzeugen sich wirklich fahren lassen wollen?

Auch die so genannten „autonomen Waffen“ sind eine Sackgasse: Sie „kürzen die Dimension des Humanen und der Würde aus der Moral heraus“, so Precht. Nein, KI müsse sich in den Dienst des Menschen stellen. Nachhaltig nützlich sein muss sie. Bei der Transformation unserer Wirtschaft/Gesellschaft helfen, damit wir das wahre Problem – die Gefahr, ob des Klimawandels langsam zu verbrennen – angehen können. Precht hat das Herz schon am rechten Fleck, ohne sich politisch einordnen zu wollen (weder dem Liberalismus noch der Linken spricht er KI-Kompetenz zu) ist er ganz Humanist. Das ist schön. Doch seine Frage „wozu KI“ beantwortet er nicht wirklich. Um für „den Menschen“ und seine drängenden Probleme da zu sein – fair enough. Aber wie? Aber wie könnte das aussehen? Zumal in einer Welt, in der, da hat er völlig recht, nicht Mensch und Maschine, sondern vor allem Mensch und Tier immer näher zusammen rücken? Wie sieht eine KI der Konvivialität aus? Gibt es dafür Beispiele, Ansätze, Ideen – eine Philosophie? Vielleicht dann ja in einem neuen Buch.

Richard David Prechts „Künstliche Intelligenz und der Sinn des Lebens – ein Essay“ ist bei Goldmann erschienen und kostet 20 Euro. Es gibt auch ein Hörbuch.

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