Das Filter präsentiert: Heroines of SoundElektronik-Festival im Radialsystem Berlin

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Mieko Suzuki

Dass die Geschichte der elektronischen Musik reicher ist und länger zurückreicht als Disco, Chicago und Detroit, wird im allwochenendlichen Party-Gerave gerne ausgeblendet. Vollkommen okay. Überhaupt nicht okay ist es jedoch zu vergessen, dass diese Geschichte nicht nur von Männern, sondern auch von vielen Frauen entscheidend geprägt und vorangetrieben wurde. Damals wie heute. Genau diese Frauen stehen im Mittelpunkt des Festivals „Heroines Of Sound“, das im Berliner Radialsystem drei Tage lang die Werke von über 30 Künstlerinnen aus zwölf vorstellt. Ihre elektronischen Kompositionen – so der Festival-Auftrag – sollen einem größeren Publikum vorgestellt werden. Dabei geht es vor allem um einen Brückenschlag zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen Historizität und aktuellen Strömungen der zeitgenössischen Musik.

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Sound ist schwer zu begreifen. Zusammenhänge, Einflüsse und Referenzen sind flüchtig, vergänglich und werden oft nur mit Sampling für die Ewigkeit archiviert. Aber wo wäre die elektronische Musik heute, wenn in den 50er- und 60er-Jahren nicht Frauen wie Daphne Oram oder Delia Derbyshire im „Radiophonic Workshop“ der BBC ihre eigenen Instrumente gebaut, sich in Tonband-Schleifen verheddert und einen Sound geprägt hätten, der weit über Titelmelodien für Science-Fiction-Hörspiele hinaus zu einem grundlegend neuen Musikverständnis beigetragen hätten? Auch um diese Frauen, die die Elektronik so als akzeptierte Form der Musik etabliert haben, wird es am kommenden Wochenende gehen.

Neben zahlreichen Konzerten und Klanginstallationen wird an zwei Tagen auf einem Symposium nicht nur darüber diskutiert, wie Musik klingen kann und faktisch klingt, sondern auch, wie sich die Rezeptionsästhetik gewandelt hat, welche Rolle Elektronik überhaupt spielt und welchen Einfluss Komponistinnen und ihre Werke darauf haben können. Wie steht es um die vereinende Kraft der elektronischen Musik? Spielen Geschlechter überhaupt noch eine Rolle? Ist die kulturelle Praxis nicht viel wichtiger als das Werk an sich?

Verena Dauerer hat mit Mo Loschelder, eine der künstlerischen Leiterinnen des Festivals, über das Programm gesprochen.

Mo Loscheder NEU

Mo Loschelder

Mo, welche Vorgeschichte hat das Festival?
Bettina Wackernagel (die zweite künstlerische Leiterin, d. Red.) kam bereits im Frühjahr 2014 auf mich zu, ursprünglich in meiner Funktion als Bookerin von Electric Indigo. Seitdem sind wir beide damit beschäftigt, Frauen aus der elektronischen Musikszene auf einer Festival-Plattform aus den unterschiedlichen Bereichen zusammenzubringen, in denen wir beide jeweils tätig sind. Bettina arbeitet für die Berliner Gesellschaft für Neue Musik, ich bin seit 1992 vorwiegend in der Berliner Clubszene aktiv und habe 2009 eine Booking-Agentur, Media Loca, gegründet.

Das Programm ist sehr vielfältig. Gibt es einen roten Faden?
Alle Musikerinnen sind bereits etabliert und arbeiten in den unterschiedlichsten musikalischen Bereichen. Beispiele dafür sind Kirsten Reese. Sie hat Flöte, elektronische Musik und Komposition studiert, zwischenzeitlich in Hamburg zeitgenössische Musik, Gender und Internet/Neue Medien gelehrt und arbeitet jetzt vorwiegend mit Landschaftsklangkunst. Oder auch Electric Indigo, seit Jahrzehnten international bekannt als Techno-DJ. Sie hat im Jahr 1998 die Plattform female:pressure gegründet, auf der sich Frauen aus dem elektronischen Musikbereich vernetzen, sei es als DJ, Produzentin, Grafikerin oder Agentin. Beim Festival wird sie ein konzeptuelles und sehr abstraktes Live-Set spielen: „109.47 degrees“ ist benannt nach dem Tetraeder-Winkel an den Knoten zwischen Schaumblasen.

Das Programm reicht von Klanginstallationen über filmische Portraits, elektroakustische wie elektronische Kompositionen hin zu Diskussions-Panels. Es besticht durch seine ganzheitliche Herangehensweise. Was waren eure Auswahlkriterien?
Die Auswahlkriterien waren hart, denn es gibt so unglaublich viele Komponistinnen, Künstlerinnen und Theoretikerinnen. Mit unserer Auswahl mussten wir uns aber dem Drei-Tages-Programm anpassen. Andererseits war natürlich der musikalische Fluss für uns ein Kriterium, sodass jeder Konzertabend sowohl konzeptuell als auch sinnlich abgerundet ist. Mit dem Radialsystem haben wir einen zudem sehr vielfältigen Veranstaltungsort ausgewählt, der es uns erlaubt, ganz unterschiedliche Situationen einzubauen. Im Außenbereich wird eine Klanginstallation von Jutta Ravenna mit dem Titel „Pulsating Patio“ zu erleben sein, in der sie zwei spezielle Berliner Orte zusammenbringt – das Schöneberger Pallasseum und das Radialsystem. Am Sonntag wird im Laufe des Abends gleich drei Mal eine Komposition von Joanna Bailie durch das dänische Ensemble Scenatet aufgeführt. Das findet oben im Studio C statt, in dem maximal 150 Personen Platz finden.

Deine persönlichen Highlights?
Ich bin besonders gespannt auf das Konzert von Nic Endo am Samstagabend. Als Frontfrau war sie diejenige, die den Noise bei Atari Teenage Riot eingebracht hat. Daneben hat sie immer wieder auch von der Presse vielbeachtete Soloalben veröffentlicht. Jetzt endlich konnte ich sie als Solo-Act auf die Bühne holen.

Heroines Of Sound
vom 10. bis 12. Juli
Berlin, Radialsystem
u.a. mit: AGF, Gudrun Gut, Electric Indigo, Nic Endo, Mieko Suzuki, das volle Programm gibt es hier.

Das Filter verlost Freikarten für das Festival: 1 x 2 Tickets für den Freitag und 1 x 2 Tickets für den Samstag. Einsendeschluss: 9. Juli, 14 Uhr. Mail an uns genügt.

AGF

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Nic Endo

Nic Endo

Electric Indigo

Electric Indigo

Kyoka

Kyoka

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