Musik-HörspieleUPDATE: Cookie Mueller, Western, Polit-Chaos und japanische Gaming-Kultur

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Unserer Redakteur hat weder Netflix noch Prime – Hörspiele sind das Substitut seiner Wahl zur abendlichen Berieselung. Auswahl gibt's genug. Der öffentliche Rundfunk liefert täglich neues Material. Für DAS FILTER hat er die Audiothek der ARD nach einer ganz bestimmten Gattung durchforstet: Musik-Hörspiele.

Es ist mir gänzlich unverständlich, wie sich nach mindestens acht Stunden Bildschirmarbeit auch am Abend noch das blaue Licht des Screens auf der Netzhaut ertragen lässt. Die Monatsstunden meines Film- und Serienkonsums lassen sich meist an fünf Fingern abzählen, gelegentlich braucht's zwei Hände – und ein Prime-Abo für eine neue Staffel Mister Robot. Auf spannende Geschichten, originelle Fiktion und gute Reportagen verzichte ich zur abendlichen Unterhaltung trotzdem nicht. Dem Abonnement aller Hörspiel-Kanäle der ARD und seiner föderalen Subsender sei Dank, mittlerweile ergänzt um den – „Grüezi mitenand“ – SRF (Geheimtipp: SRF Krimi-Podcast). Der in der ARD-Audiothek abspiel- und herunterladbare Hörspiel-Pool ist inhaltlich und formal diverser als jedes algorithmisch-personalisiert verengte Eingangsportal von Netflix oder Prime. Allein deshalb lohnt sich der Blick. Explizit musikalischer Content ist zwar auch in dieser Welt die Ausnahme, es herrscht aber auch nicht gerade ein Mangel. Ach ja: Die xte und über-xte Doku zur Entstehung von Techno im Berlin der 90er wurde hier bewusst ausgelassen, keine Hinweise erforderlich. Abseits dessen sind ergänzende Empfehlungen aber ausdrücklich erwünscht. Viel Spaß!

Cookie Müller war Schauspielerin, Autorin, Dreamlanderin, Mode-Ikone, Fotomodel. Wer war Cookie Müller? Ich wusste es bis dato nicht. Diese Hörspiel-Biographie über die „Underground Pop-Ikone“ erzählt ihre Lebensgeschichte. Und auch wenn die Jahre 1949-1989 hier auf eine Stunde komprimiert werden, erscheint das alles andere als oberflächlich. Das liegt zum einen an der Erzählung aus der Ich-Perspektive, nicht zu letzt aber auch an den elektronischen Beats, die – zum Teil um zusätzlichen Sprechtext ergänzt – für ein unglaubliches Tempo und inhaltliche Verdichtung sorgen. Sie bringen die ständigen Turbulenzen zur Geltung, die das Leben von Cookie Müller zwischen Dreamland-Filmproduktionen, Hippie-Trips und Elektroschock-Therapie in der Psychatrie prägten. Sie starb mit nur 40 Jahren an den Folgen ihrer AIDS-Erkrankung.

"Zum Glück", schrieb sie kurz vor ihrem Tod, "bin ich nicht die erste, die euch sagt, dass sie niemals sterben wird. Du verlierst einfach nur deinen Körper. Du bist noch dieselbe, nur dass du dir keine Sorgen wegen der Miete oder den Hypotheken mehr machen musst, oder wegen modischer Kleider. Du bist befreit von sexuellen Obsessionen. Du bist nicht mehr drogenabhängig. Du brauchst keinen Alkohol. Du musst dir keine Sorgen über Cellulitis oder Zigaretten oder Krebs oder AIDS oder Geschlechtskrankheiten machen. Du bist frei."

Von Michael Farin / Regie: Michael Farin und Zeitblom / WDR 2013 / Länge: 53’23

‘Schland of Confusion – Back to No Future!

In diesem Hörspiel dominiert das Polit-Chaos. Sarah und Claudia von der Band „Schlitz“ sitzen im Radiostudio zwecks Interview. Sie sind (Schul-)Kinder der 80er und identifizieren in den aktuellen politischen Gegebenheiten historische Parallelen. Eine „Super Zeit“ sei es gewesen damals. „Wenn man zum Beispiel was ausgefressen hatte, dann konnte man sich immer damit rausreden, mit diesem Spruch: Ich hatte einfach nur Angst.“ Das ist der Auftakt zu diesem temporeichen Musikhörspiel, das sich am gegenwärtigen Polit-Chaos in Form von Mitschnitten aus Radio und TV, den Kommentaren der fiktiven Bandmitglieder und deren Mixtapes entlang hangelt. Manche Szene ist pures Gold: „Seid ihr die Demo, die Gegendemo – oder eine eigene Demo?“
Das Hörspiel kommt vom „postdramatischen“ Theater- und Performance-Kollektiv Andcompany & Co., das 2003 von Alexander Karschnia, Nicola Nord und Sascha Sulimma gegründet wurde.

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Die drei Köpfe des Kollektivs (Bild: I. Helen Jilavu, Quelle: Andcompany&Co. Facebook

Ist sie zurück, die German Angst? Die Performer von andcompany&Co. schließen die aktuelle gesellschaftliche Paranoia mit Weltuntergangsszenarien der 80er-Jahre kurz. Resultat: Ein Katastrophen-Musical mit kathartischem Effekt.

Von andcompanyandCo. / WDR 2016 / Regie: Regie: Nicola Nord und Sascha Sulimma / Länge: 48’43

Die Pachinko-Halle als Klangkomposition

Udo Moll ist Trompeter, Komponist, Jazz-Musiker & Improvisator – macht vor allem elektronische Musik und World Music. Allerdings hat er auch zweifellos ein Faible für Japanische Gaming-Kultur.

Seine Liveperformance „Shakespeare Zombination“ hatte 2018 in Kyoto Premiere. Udo Moll spielt Modular-Synthesizer, die Videoprojektion reagiert auf den Sound. Das Sujet in Bild und Ton: alte japanische Videospiele für Nintendo und SEGA, dazu Text aus Shakespeares „The Tempest“. Nun hat er sich wieder dem Thema Gaming angenommen, genauer: der Pachinko-Halle. Klassische Automaten-Casinos, wie wir sie kennen, sind in Japan nicht erlaubt. Die Pachinko-Halle ist eine Art Pendant, die Automaten ähneln einer vertikalen Version des Flipper-Automats. (Ich war noch nie in Japan und lasse mich da gerne korrigieren. Hier steht, was eine rudimentäre Recherche vermittelt.) Eins wird in diesem um Sprechtext ergänzten Hörspiel klar: Es geht ziemlich noisy zu.

Das Hörstück „Otaku Nation“ führt durch die Klangwelten von Pachinko und Arcade- Gamingkultur mit Abstechern zum Nō-Theater, zur Shinto-Mythologie, Yakuza und zu KI-gestützter Sprachsynthese.

Otaku Nation - Klangkomposition über Pachinko und japanische Gaming-Kultur

Von Udo Moll / Altsaxophon und Bassklarinette: Frank Gratkowski, Tsugaru-Shamisen: Josh Chuang, Gitarre: Julien Desprez, Modular-Synthesizer: Udo Moll, Sprecherin: Michaela Ehinger / Deutschlandfunk Kultur/SWR 2020 / Länge: 50'04

Western, Hörspiel, Musik

Pferde stehlen, rauchende Colts, Poker spielen, Whiskey trinken, harte Jungs und schöne Frauen – die Klischees des Westerns sind so altbekannt wie ausgedient. Dieses Hörspiel jedoch schafft es, sich an genau diesen Klischees abzuarbeiten, sie aber zu twisten, zu ergänzen, anders zu drehen. Da wettet der Protagonist in der gerade erst entstehenden Stadt gegen die Besitzerin des immer vollen Saloons (mit Bordell im Obergeschoss), dass ihre Lokalität keineswegs unabbdingbar sei. Sein Badehaus würd’ es beweisen. Die Besitzerin des Saloons reagiert prompt und lädt die Frauen ins bisherige Männerdomizil – Eintritt nur mit Rock. Der Protagonist kommt vorbei – im Rock – um sie zu treffen. Klar. Und klar gibt’s den Showdown am Ende.

western hoerspiel wdr

Cover: WDR

Der Wilde Westen ist ein schillerndes Klischee. Céline Minard erzählt von Menschen auf der Suche nach Heimat und einem neuen Leben. Sie alle steuern zu auf die noch namenlose Stadt, die gerade erst entsteht.
Ein musikalisches, radiophones und humorvolles Western-Gemälde, das den heldenhaften Nihilismus des New-Hollywood-Cinemas und die ironische Brechung des Spaghettiwesterns zitiert. Mit Helden und Schurken und Showdown und allem, was ein richtiger Western so braucht.

Von Céline Minard / Wittmann/zeitblom / WDR 2015 / Länge: 53’59

thomas meinecke move d work

Move D und Thomas Meinecke

Schriftsteller, Journalist und Musiker Thomas Meinecke und Move D, zweifellos ein Liebling unserer Redaktion, sind alte Hasen im Hörspiel-Business. Seit 1998 gehen die beiden regelmäßig ins Studio und bringen Klang und Wort zusammen. Meist werden dabei literarische Werke von Meinecke vertont und elektronisch untermalt. 2010 veröffentlichten die beiden mit „Work“ eine Konzept-Platte, die House und O-Töne von Menschen des New Yorker Nachtlebens kombiniert und die weit über die Welt der Hörspiel-Nerds hinaus bekannt wurde.

Underground House Music | „WORK“ von Thomas Meinecke und Move D

Mit Eric D. Clark, Thomas Meinecke, Move D / Komposition und Realisation: Move D / Thomas Meinecke / BR 2009 / Länge 51'39

on the map move d thomas meinecke

Sonisches Ermessen. Anhand diverser Ortschaften setzen sich der Schriftsteller/Musiker Thomas Meinecke und der Musiker/Produzent David Moufang in „On the map“ mit Ballungen sowie Verschiebungen, auch dem Verschwinden kultureller und politischer Bedeutungen auseinander.

Thomas Meinecke & Move D: On the map

Text und Musik: Thomas Meinecke/Move D / Realisation: Thomas Meinecke/Move D / BR 2015 / Länge: 53'58

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Justin Timberlake und Shakira sind Lookalikes. Auf verschiedene Weisen betonen sie ihre Ähnlichkeit mit diesen berühmten Namensträgern und versuchen daraus ein Geschäft zu machen. Ein Hörspiel um (sexuelle) Identität und das Phänomen des Doppelgängertums.

Thomas Meinecke & Move D: Lookalikes

Mit Thomas Meinecke / Komposition und Realisation: Thomas Meinecke/Move D / BR 2011 / Länge 62'35

Karol arbeitet als Flugbegleiter. In seiner Freizeit widmet er sich mit Vorliebe Resignifizierungen in der Musik: Wenn leichtverständlicher Swing zu schwierigem Be-Bop umkodiert wird oder Disco als House Music erneut in den sexuell andersdenkenden Underground abtaucht.

Thomas Meinecke & Move D: Flugbegleiter

Mit Thomas Meinecke / Komposition: Move D / Realisation: Thomas Meinecke/Move D / BR 2004 / Länge: 77'42

Gibt es überhaupt eine Art von Sprache, die nicht in ständigen Ein- bzw. Ausschlussverfahren Identität konstruiert? Als textliches und visuelles Ausgangsmaterial für die Künstler dienen die Protokolle eines Schriftstellertreffens aus dem Jahr 1964 im Literarischen Colloquium Westberlin (Prosaschreiben), bei dem sich sechzehn jüngere Autoren mit arrivierteren, älteren Autoren darüber austauschten, welche erzählenden Formen ihnen als aktuell bzw. noch praktikabel erschienen.

Thomas Meinecke, Michaela Melián & Move D: Konvent

Text: Thomas Meinecke / Komposition: David Moufang / Bilder und Projektionen: Michaela Melián / BR/intermedium 2 2002 / Länge: 29'31

move d thomas meinecke übersetzungen flugbegleiter

In einem Studio des BR in München sang Thomas Meinecke das deutsche und englische/amerikanische Alphabet in allen zwölf Tönen der Tonleiter und nahm diese Aufnahme mit nach Heidelberg, wo in David Moufangs Studio Wörter und Töne, ohne Einsatz eines Mikrophons für die Stimme zusammengesetzt wurden. Zehn sehr verspielte, clubtaugliche Tracks sind auf diese Weise entstanden, eher ein Album als ein Wörterbuch. Ausgezeichnet mit dem Karl-Sczuka-Preis 2008 für Hörspiel als Radiokunst.

Thomas Meinecke & Move D: Übersetzungen/Translations

Komposition und Realisation: Thomas Meinecke, Move D / BR 2007 / Länge: 52'18

Rap als Hörspiel

Credibil Nie wieder Bahnhof Cover

Credibil, Coverbild von Damaris Moog

HipHop und Hörspiel, auch das geht zusammen. Erol Peker, bekannt als Credibil, hat 2018 für den WDR bzw. 1Live ein Rap-Hörspiel produziert. Initiiert wurde das Projekt von der Rundfunkanstalt, nachdem man dort das Album „Renæssance“ des Frankfurters gehört hatte. Die Hauptrolle spricht Schauspieler und Comedian Halid Rizvanovic; mitgewirkt haben Freunde von Credibil, u.a. die Musiker Frustra und Ahzumjot. Rap-Verse und Dialoge im wunderbar melancholischen Wechselspiel.

Frank ist Taxifahrer in Frankfurt am Main. Jede Nacht kutscht der unterschiedlichste Charaktere durch die Straßenzüge am Boden der Skyline. Banker, Prostituierte, Gangster, manche zugedröhnt, die Wenigsten bei klarem Verstand, niemand im Reinen mit sich und der Welt.

„Nie wieder Bahnhof“ - Ein Rap-Hörspiel von und mit Credibil

Von Credibil / WDR 2018 / Länge: 49'49

In diesem Jahr wäre der Dichter Johann Christian Friedrich Hölderlin 250 Jahre alt geworden. Der öffentliche Rundfunk nimmt das zum Anlass, jede Menge Content rund um die Gedichte und das Leben des bekannten Lyrikers zu produzieren. Dazu gehören auch mehrere Hörspiele, in denen die Verse aus ganz unterschiedlichen Richtungen neu vertont, kontextualisiert und interpretiert werden. Mal als Krimi, mal als klanglicher Nachbau. Auch eine zum Teil eingerappte Vertonung von Gedichten und Briefen ist dabei, eingebettet in die Geschichte einer Abschiebung. Mit der Stimme des Frankfurters Uchenna van Capellenveen alias Megaloh.

Ein Rapper wählt in der mündlichen Prüfung im „Deutsch-Test für Zuwanderer“ Hölderlins Gedichte. Kann er so seine Abschiebung verhindern? Briefzitate und Rap-Zeilen vermischen sich in diesem Hörspiel zu einem ganz neuen Bild von Hölderlins Werk und seiner Sprache.

„Hölderlin. Geschichte einer Abschiebung“ von Klaus Buhlert

Mit Jens Harzer, Bibiana Beglau, Felix Goeser und Uchenna van Capellenveen / Musik und Regie: Klaus Buhlert / BR 2018 / Länge: 45'46

Michaela Melián

Thomas Meinecke ist nicht das einzige ehemalige F.S.K.-Bandmitglied, das heute die Hörspiel-Welt mit musikalischen Produktionen bereichert. Michaela Melián tut das ebenso. Die beiden sind verheiratet. Den Kern von Meliáns Produktionen bilden oft Texte und/oder (O-)Ton-Fragmente mit konkretem historischem Bezug, die dann mit eigenen Kompositionen untermalt bzw. mit musikalischen Assoziationen angereichert werden. Ihre Audiografie ist lang, unzählige Male wurden ihre Produktionen ausgezeichnet. Persönliche Highlights:

Musikalische Umerziehung

Nach Ende des Zweiten Weltkriegs starteten die Alliierten ein gigantisches Bildungsprogramm zur Umerziehung der Deutschen. In dessen Rahmen wurde am 12. Juli 1948 auch das Amerikahaus in München im ehemaligen Führerbau an der Arcisstraße eröffnet, 1957 zog man um in den Neubau am Karolinenplatz. Dort gab es Ausstellungsflächen, einen Konzertsaal, Unterrichtsräume und eine großzügig ausgestattete Bibliothek für Zeitschriften, Bücher, Filme und Schallplatten. 1997 wurde das Amerikahaus geschlossen, das Inventar größtenteils zurück in die USA verschifft. Im Keller hatte man allerdings einige Kartons stehen lassen, darin: 1630 LPs aus der ehemaligen Leihbibliothek. Im Hörspiel von Michaela Melián werden sie aufgelegt.

Das Amerikahaus München wurde 1948 gegründet, um die deutsche Nachkriegsbevölkerung mit Kultur zu demokratisieren, u.a. mit Schallplatten. Meliáns neues Hörspielprojekt macht die vergessene Musik der Re-Education-Ära wieder hörbar.

„Music from a Frontier Town“ von Michaela Melián

Mit Juno Meinecke / Komposition und Realisation: Michaela Melián / BR Hörspiel/Dokumentation/Medienkunst in Zusammenarbeit mit Public Art Munich 2018 / Länge: 52'48

Memory Loops- Tonspuren zu Orten des NS-Terrors in München 1933-1945

Ausgangspunkt dieser Produktion sind Transkriptionen historischer und aktueller O-Töne von Zeitzeugen und NS-Opfern. Für Memory Loops wurden sie von unterschiedlichen Darstellern eingesprochen, musikalisch untermalt und anhand der konkreten Geschehensorte in München als Collage angeordnet. Ein gigantisches Projekt, das niemanden kalt lässt und zurecht als Hörspiel des Jahres 2010 und 2012 mit dem Grimme Online Award Spezial ausgezeichnet wurde.

1) Die Erzählungen zweier Brüder führen durch diese Erinnerungsschleife. Ihre Eltern engagierten sich in einer kommunistischen Organisation, die Mutter war Jüdin: Die Repressionen gegen die Familie ließen nicht lange auf sich warten. Herzog-Max-Straße, Herzog-Rudolf-Straße, Antonienstraße, Knorrstraße.

Teil 1/5

Länge: 56'21

2) Zwei jüdische Münchner erzählen aus ihrer Kindheit. Wie ihre Ausgrenzung begann, von ihrem Vater, dessen Foto in unseren Geschichtsbüchern abgebildet ist und ihrem Leben in England. Zwei jüdische Münchner erzählen aus ihrer Kindheit. Prinzregentenplatz, Lindwurmstraße, Hauptbahnhof, Odeonsplatz.

Teil 2/5

Länge: 56'14

3) Die NS-Ideologie entschied, ob ein Mensch „lebensunwert“ war und als Schädling galt und damit auf gleicher Stufe mit Wanzen oder Flöhen stand. Ettstraße, Maistraße, Haar, Hackerbrücke.

Teil 3/5

Länge: 56'37

4) In diesem Memory Loop bündeln sich vielfältigste historische Materialien zu einer Stimmencollage, die den Situationen an Orten der Bildung, Kunst und Presse in der NS-Zeit nachspüren. Gärtnerplatz, Marsstraße, Promenadeplatz Prinzregentenstraße.
Teil 4/5

Länge: 57'07

5) In dieser Stimmencollage kommt der politische Widerstand zu Wort. Pestalozzistraße, Ettstraße, Brienner Straße, Mariannenbrücke.

Teil 5/5

Länge: 58'14

Bonus:

Neue Formen des Gedenkens: Das Audiokunstwerk Memory Loops mit Michaela Melián.

Michaela Melián im Gespräch mit Ania Mauruschat

Länge: 48'28

Varia Vision – Multimedia-Kunst von 1965

Bei der Internationalen Verkehrsausstellung 1965 in München wurde eine Installation namens „Varia-Vision – Unendliche Fahrt“ gezeigt. Sie gilt als erste Multi-Media-Rauminstallation in Deutschland. Die Texte kamen von Alexander Kluge, das filmische Material von Edgar Reitz, die Musik von Josel Fanton Riedl. Die beiden Letzteren unterrichteten damals an der Hochschule für Gestaltung, wo es eines der ersten elektronischen Tonstudios in Deutschland gab, das heute im Deutschen Museum in München steht. Die Installation war elektronisch gesteuert, auf 16 Leinwänden wurden Farb- und Schwarz-Weiß-Film kombiniert, dazu Texte zum Thema Reisen und Musik. Michaela Melián hat die verschollene Arbeit zum Ausgangspunkt von „Speicher“ gemacht. Mit noch erhaltenen Fragmenten der Originaltexte und Musik, die sie im originalen „Siemens-Studio für elektronische Musik“ im Deutschen Museum in München aufgenommen hat.

Michaela Melián: Speicher

Mit Stefan Merki, Hans Kremer, Peter Brombacher, Christos Davidopoulos, Chris Dercon, Laura Maire / Komposition: Michaela Melián/Carl Oesterhelt / Realisation: Michaela Melián / BR in Zusammenarbeit mit den Münchner Kammerspielen 2008 / Länge: 53'01

Die galaktische Suche nach dem Studio für Elektronische Musik

Reportage, Komödie, Science Fiction und elektronische Musik. Dieses Hörspiel ist alles zusammen und gehört ohne jeden Zweifel zu meinen All-Time-Favourites. Das WDR-Studio für Elektronische Musik in Köln gilt als weltweit erstes Tonstudio seiner Art. Gegründet wurde es am 18. Oktober 1951, nachdem der damalige Intendant Hanns Hartmann die Genehmigung erteilte. Hier entstand unter Führung von Karlheinz Stockhausen ab 1953 die Avantgarde der modernen Musik. Was man bislang nicht wusste: Die Elektronische Musik sorgte auch unter Wissenschaftlern auf dem Planeten Sirius für Furore. Also unternahmen sie eine Expedition zur Erde, um den Wurzeln der Loops, Bleeps und Sinustöne auf den Grund zu gehen, den Ort der Entstehung zu finden. Sie werden nicht nur fündig, die Protagonisten jener Zeit zeigen ihnen auch die Räumlichkeiten, machen sie mit dem Instrumentarium und seinen musikalischen Möglichkeiten vertraut. Ein phänomenales Hörspiel:

Sirius FM - Expedition an den Bandtellerrand

Von Ulrich Bassenge und Philip Stegers / WDR 2017 / Länge: 53'13

Pop & Rock aus Hamburg-Bad-Salzuflen

Bad Salzuflen. Eine 55.000-Einwohner-Stadt in Ostwestfalen-Lippe, aber irgendwie auch ein Stadtteil von Hamburg. Denn die ersten, berühmten Bands und Songs der Hamburger Schule hätte es ohne Bad Salzuflen wohl in dieser Form nicht gegeben. Die Sterne, Blumfeld, Jetzt!, Bernd Begemann – sie haben ihre Wurzeln in jenem Kaff bei Bielefeld. Direkt dorthin führt dann auch das erste Hörstück, eine Suche nach den Ursprüngen. Im zweiten geht's auf Tour mit dem gerade genannten Bernd Begemann, dessen Name zwar nicht den Charts stattfindet, der aber unfassbar viele, sehr sehr lange Alben aufgenommen hat und keine Woche ohne Auftritt hinter sich bringt. Er war es übrigens, der sich als erster von den Szenekumpels in Bad Salzuflen verabschiedete, nach Hamburg zog und der popkulturell folgenreichen Städteverbindung den Weg ebnete.

Von Heiko Behr und Christian Möller / Regie: Susanne Krings / WDR 2012 / Länge: 53'13

Von Sascha Wundes / WDR 2020 / Länge: 50'49

Stimme, Poesie, Perfomance

Leo Hofmann ist Komponist, Performer, Sound Artist mit gigantischem Output. Sein Hörspiel „Lala means I Love Lala“ setzt intensiv sich mit der Stimme, ihrer Kraft und ihren Möglichkeiten auseinander. Mit und ohne Processing, ein Musikexperiment.

Schluss mit Äußerlichkeiten! Die Stimme ist der Schlüssel zur Seele. In wessen Herz kannst du eindringen?

Lala means I Love Lala – Über die Unwiderstehlichkeit der Stimme

Von Leo Hofmann / WDR 2018 / Länge: 26'30

hans unstern diven premix

Wer ist Hans Unstern? Mal mehr, mal weniger, mal so, mal so, aber immer speziell – das trifft es wohl am ehesten, wenn auch nicht wirklich. Am 24. April erscheint das neue Album „Diven“ des/der Musiker/s, Lyriker/s und Performance-Artists. Doch einen Premix gibt's schon seit 2017 in Gestalt eines Hörspiels. Das ist queer, manchmal verwirrend, ab und zu komisch, ständig musikalisch, meist intelligent und großartig betextet:

„Artikel 4, Paragraph 1: Natürliche Monstrosität. Der Dildo ist der Natur nicht treu. Der Dildo ist ein Alien. Der Dildo richtet den Penis gegen sich selbst. Er wird als natürlich gedacht, als Präsenz, und ist in dieser Hinsicht sich selbst genügsam.“

Die musikalisch-poetische Performance eines queeren Pop-Künstlers und ein Spiel mit Erforschung von nicht-normierten Genderidentitäten.

Diven [premix]

Von Hans Unstern / NDR 2017 / Länge: 52:17

Andreas Ammer & Martin Gretschmann

Schriftsteller, TV- & Hörspielproduzent Andreas Ammer und Martin Gretschmann haben schon zahlreiche Hörspiele produziert. Und mit letzterem findet ein weiterer Filter-Liebling seinen Weg in diese Liste: The Notwist, Console, Acid Pauli – unter diesen Namen kennen wir Gretschmann und dank dieser Namen erreicht man Weimar von Das Filter aus ganz ohne Umstieg. Aber „Have you ever heard of Wilhelm Reich?“ Das ist der Titel des musikalischen Hörspiels, dass die beiden 2009 für den Bayerischen Rundfunk produziert haben. Wilhelm Reich war ein ziemlich interessanter, wenn auch wohl eher spezieller Charakter. Wer sich nicht gänzlich überraschen lassen möchte, dem sei ein kurze Bio nicht vorenthalten. Zum Hörspiel gibt's auch einen Film.

Wilhelm Reich war angesehener Schüler Freuds und mit jungen Jahren eine Ausnahmeerscheinung im offiziellen Kreis der Psychoanalytiker. Irgendwann nicht mehr, es gab wohl Streit. Als Hitler 1933 die Macht übernahm, ging Reich ins Exil. Erst nach Oslo, dann in die USA. Zu dem Zeitpunkt hatte seine Forschung bereits eine andere Richtung eingeschlagen: Reich glaubte eine Bionkultur entdeckt zu haben, was schließlich in der transdiszplinären Pseudowissenschaft der „Orgonomie“ mündete. Sogar Albert Einstein testete den Orgonakkumulator von Reich, ein Gerät das jene Energie sichtbar machen sollte. Das Einstein sich damit überhaupt auseinandersetzte, genügte Reich als Ansporn und Bestätigung, ganz gleich, dass Einstein ihm per Brief erklärte, er säße einer Illusion auf. Reichs Lehre wurde später verboten, genau wie der zahlreich zur Behandlung eingesetzte Akkumulator. War halt Quatsch. Zumal Reich den eigenen Angaben nach auch längst ein Ufo mit Orgonantrieb gesichtet und mit seinem „Cloudbuster“ Regen erzeugt hatte. Ein abgedrehter Typ, doch nichtsdestotrotz und zweifellos ein wissenschaftlich interdisziplinäres Multitalent. Er starb in 1957 in Haft. Noch heute glauben manche Leute an die Orgonomie – wie das eben so ist, mit der Pseudowissenschaft.

Am Ende glaubte er, der Schüler von Freud und Freund von Einstein, ein Abkömmling einer himmlischen Rasse zu sein. Da hatte Wilhelm Reich bereits alle Probleme der Menschheit gelöst. In Andenken an das Universalgenie Wilhelm Reich haben Andreas Ammer & Console aus geheimen Akten des FBI, aus der öffentlichen Geschichte der Pop-Musik und aus anderen obskuren Archiven erbitterte Tracks erschaffen.

"Have You Ever Heard Of Wilhelm Reich?" von Andreas Ammer & Console

Mit Stefan Kastner, Marcus Calvin, Judith Huber, Eva Löbau / Komposition und Realisation: Andreas Ammer/Martin Gretschmann / BR 2009 / Länge: 57'43

Weltraumdokumentarmusik

Am 28. Januar 1986 sollte die Raumfähre Challenger zum zehnten Mal gen Weltraum starten. Sie explodierte 73 Sekunden nach dem Start in 15km Höhe. Bei ihrem letzten erfolgreichen Flug ein Jahr zuvor war der deutsche Astronaut Reinhard Furrer an Bord. Er hatte ein privates Tonbandgerät dabei, mit dem er äußerst detailliert seine Eindrücke aufnahm. Ammer und Gretschmann haben daraus ein Hörspiel gemacht, oder vielmehr: Furrers Schilderungen zu Songs. Ziemlich gut.

Spaceman 85 (Youtube-Link )

Von Andreas Ammer/Axel Fischer/Reinhard Furrer/Martin Gretschmann / Mit Axel Fischer, Miriam Osterrieder und Reinhard Furrer / Komposition: Ammer & Console / Realisation: Ammer & Console / WDR 2005 / Länge: 51'08

Mix der Woche: Questlove spielt Bill WithersHipHop-Legende ehrt großen Soul-Künstler

Heimkino: InceptionDeep Cinema