Wo bleibt das Arschloch?Filmkritik: „Enfant Terrible“ von Oskar Roehler

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Alle Fotos: © Bavaria Filmproduktion

In seinem Fassbinder-Biopic belässt Oskar Roehler es dabei, den Regisseur als Kunstfigur zu inszenieren. Das ist voraussehbar, privatistisch und vor allem apolitisch. So wird „Enfant Terrible“ weder den eigenen Ansprüchen noch Fassbinders Bedeutung für das deutsche Kino gerecht.

Das Leben ein einziger Film, das private Heim eine große theatrale Bühne und die ewig gesuchte Liebe nur die kurze Abwesenheit von Einsamkeit. Was nach der eher mageren Zusammenfassung des gut genährten Fassbinder-Mythos klingt, soll Oskar Roehler für sein zweistündiges Biopic über den wohl wichtigsten Regisseur des Neuen Deutschen Films reichen.

Darin spielt ein Über-Fünfzigjähriger einen, der nicht älter als siebenunddreißig wurde. Es geht also zweifellos nicht um Realismus. Aber das, so ist der Film überzeugt, war ja auch nicht Fassbinders Thema. Doch darin irrt er. Zwar machten Fassbinders Filme ganz sicher nicht auf Realismus, wenn in Händler der vier Jahreszeiten falsche Tränen von Irm Hermanns Wange kullerten oder in Lola die artifizielle Lichtsetzung Armin Mueller-Stahls blaue Augen überbetonten. Sie sollten jedoch eine Wirklichkeit wahrnehmbar machen, der es nur durch Fassbinders Filme gelang, überhaupt nach außen zu dringen, Gehör zu finden in einem bemerkenswert tauben Deutschland. Doch welche Wirklichkeit soll in Enfant Terrible wahrnehmbar werden?

Stumme Kulissen

Fassbinders Filme zielten immer wieder auf Deutschland und begnügten sich dabei nicht mit der Nachkriegszeit. Nein, Fassbinder ging es um mehr. Über seine Filme hinweg insistierte er auf jene Verbindungen zwischen wilhelminischem Kaiserreich, Weimarer Republik, Hitler-Deutschland und der BRD, die sich niemand mehr wirklich eingestehen wollte. Doch davon will Roehler nichts wissen. Er sieht in Fassbinder nur den privaten Chronisten einer großen, melodramatischen Suche nach unerfüllter Liebe, die dieser in ewiger Film-Arbeit ertränkte. Und eben nicht den Fassbinder, der als Chronist genau dann zur Stelle war, als Deutschland Filme nötig hatte, um sich selbst zu finden, wie es Thomas Elsaesser einmal so wunderbar formuliert hat. Bei Roehler fehlt also der scharfsinnige Fassbinder, der entlarvende Fassbinder, der das biedere Bürgertum sezierte wie kaum ein anderer.

Wenn also Roehler Fassbinder als mediales Gedächtnis, als Ressource einsetzt, um sein Biopic Fassbinder-look-alike zu machen, vergisst oder ignoriert er, dass Fassbinder selbst immer schon ein mediales Gedächtnis anzapfte, um aus Schmerz etwas zu formen, was über die biedere, kleinbürgerliche Ehepaargeschichte hinausgehen sollte, von der er uns da erzählte. Das sind die Douglas-Sirk-Melodramen, die deutschen Schlager, die Goebbels-Filme, die französischen Gangster-Films und so weiter. Roehler lässt das gelegentlich als süffisante Bonbons für die Kenner miteinfließen, nimmt aber diese mediale Verschränkung und ihre politische Wirkung nicht allzu ernst, weil es ihm dann doch nur um die ausdauernd inszenierte, theatrale Übertreibung und um den Verfremdungseffekt seiner gemalten Kulissen auf großer Bühne geht. Das ist zweifellos ironisch. Denn das, was eigentlich über Fassbinders Deutschland und Deutschlands Fassbinder zu sagen wäre, wird so zur Kulisse im Hintergrund degradiert wie die stumme Marlene in Die bitteren Tränen der Petra von Kant.

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Handwerklich gut, künstlerisch harmlos

Wir sehen Fassbinder also wie er abseits steht: weißes Hemd, schwarze Lederjacke, den Kopf gesenkt, eine Zigarette im Mund, die rechte Hand am Feuerzeug. Die Ikonisierung stimmt und das Re-Enactment ist gelungen. Doch nicht nur das. Auch das Setting soll nach Fassbinder riechen. Artifizielle Lichtsetzung, vorzugsweise blau und rot, sollen den Anti-Realismus, ja das Melodramatische seiner Filme imitieren. Der Sinn dahinter ist zu offensichtlich: Das ist ein Fassbinder-Biopic, mit den ästhetischen Mitteln der Fassbinder-Filme erzählt. Doch auch hier ist Roehler halbherzig bis mutlos. Denn die eigentliche Szenenauflösung fällt abseits der Kopie auffällig bieder bis konventionell aus, die Bühne bleibt stur theatral, wird also von keinen Ballhaus-Zooms zerstochen oder durch intradiegetische Rahmungen zerschnitten. Nein, diese vielen aneinandergereihten Szenen bilden kein hübsches Fassbinder-Gefängnis, sondern Theater-chic, in dem Gäste ihre Auftritte abfeiern. Wenn es traurig wird, gibt es sogar Klaviermusik.

In diesem Fassbinder-Universum existiert folglich auch keine Außenwelt und das ist nicht nur grob fahrlässig, es ist zutiefst privatistisch. Zu behaupten, Fassbinder wäre ein Arschloch, der seine Mitmenschen ausbeutet, sie in den Selbstmord treibt, das N-Wort sagt, kokst, Cuba Libre säuft und den ganzen Tag nur herumflucht, mag ja stimmen, doch reicht ein solch mageres Konzept für über zwei Stunden? Warum werden Jahreszahlen und Orte eingeblendet, wenn sie keine Relevanz innerhalb dieser ansonst so ahistorischen Biographie haben, die höchstens über einen Fernseher einblendet, dass es da ja auch Zeitgeschichte gab, die Fassbinders Biographie eben nicht nur kreuzte? Warum wird die gesamte RAF-Episode, all das Filmemachen statt Bombenwerfen, auf ein handwerklich gutes, aber künstlerisch harmloses Re-Enactment der Fassbinder-Episode aus Deutschland im Herbst reduziert?

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Sicher, Fassbinder war einer, der seine linken Pappenheimer genauso gut kannte wie die rechtskonservative Presse, die erst nach seinem plötzlichen Tod so tat, als hätten sie es hier mit einem großen Künstler zu tun gehabt. Er war also einer, der sich aus der Politik heraushalten wollte, der sich nicht festlegen wollte, der aber in seinem Tun und Schaffen dezidiert und hochgradig politisch war. Wo aber ist das alles in diesem filmischen Rausch, der einzig von einer überbohrenden Darstellung von Oliver Masucci lebt? Wo sind die eigentlichen Widerhaken, an denen sich diese Biographie aufhängen müsste, weil man sie nicht mit Suff, Drogen und Liebessucht wegerklären könnte – wie zum Beispiel die Antisemitismus-Vorwürfe, die Fassbinder nachweislich hart getroffen haben? So wie geschehen, macht es sich Roehler zu einfach. Er ist zu selbstvergnügt, vielleicht auch zu berauscht von diesem einen ganz tollen Einfall, Fassbinders Leben und Werk ästhetisch bis zur Unkenntlichkeit zu verschmelzen, um damit vom Publikum ein billiges Oh und Ah zu erhalten. Stattdessen hätte er ruhig einmal einen Satz seines Hauptprotagonisten ernst nehmen können: „Ich provoziere gerne, sonst bewegt sich ja nichts.“ Doch Roehler will ganz sicher kein Arschloch sein. Und so bewegt sich in seinem Film auch nichts.

Enfant Terrible
D 2020
Regie: Oskar Roehler
Drehbuch: Klaus Richter
Darsteller: Oliver Masucci, Katja Riemann, Hary Prinz, Erdal Yıldız, Désirée Nick, Eva Mattes, Alexander Scheer u.a.
Kamera: Carl-Friedrich Koschnick
Schnitt: Hansjörg Weißbrich
Musik: Martin Todsharow
Laufzeit: 135 min
ab dem 1.10.2020 im Kino

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