Die Dinge beim Namen nennen: Misogyner ExtremismusWarum Elliot Rodgers Attentat mehr als die geisteskranke Ausnahme ist

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Elliot Rodger muss man niemandem mehr vorstellen. Wie schon die Zarnajew-Brüder, die im vergangenen Jahr für das Attentat in Boston verantwortlich waren, bei dem drei Menschen ums Leben kamen und 250 weitere verletzt wurden, hat es der verstorbene 22-Jährige, der am letzten Freitag im kalifornischen Isla Vista sechs Menschen ermordete und 13 weitere verletzte, zu einiger Berühmtheit gebracht. Das letzte Video, das der 22-Jährige auf seinem YouTube-Kanal veröffentlichte zählt mittlerweile 2 Millionen Klicks, das Internet ist mit einem Foto von ihm in seinem BMW im Sonnenuntergang gepflastert und diskutiert geschmackloserweise über die Attraktivität des Amerikaners; unzählige Webseiten zitierten sowohl besagtes Video, dem das Bild entstammt, als auch das 140-seitige Manifest, das Rodger hinterließ. Ein Kommentar von Bianca Heuser.

Die Beschäftigung mit dem Aussehen Rodgers hängt eng zusammen mit der perversen Faszination, mit der die Öffentlichkeit besagtes Manifest und Video betrachtet. Beide Quellen kündigen seinen Amoklauf an und legen dessen Motiv offen: Rodgers hat aus Misogynie getötet. Er kann gefühlt endlos die Ungerechtigkeiten lamentieren, die ihm vom anderen Geschlecht widerfahren sind. Mit 22 Jahren ist er immer noch Jungfrau, während seine Mitbewohner, die er nebenbei rassistisch beleidigt, ein zumindest im Vergleich erfolgreiches Liebesleben führen. Jeden Tag sieht er Frauen in der Gesellschaft von Männern, die sich seiner Meinung nach nicht ansatzweise mit seinem Alpha-Selbst vergleichen lassen. Er fragt sich, warum ihn bisher niemand als Partner in Betracht gezogen hat und befindet, dass es auf gar keinen Fall etwas mit seinem Aussehen zu tun haben und eigentlich auch sonst nicht an ihm liegen kann. Er fragt sich, warum sein Umfeld nicht das Bild, das er von sich hat, widerspiegelt. Es soll für die endlosen Zurückweisungen und seine Einsamkeit büßen. Die Schlussfolgerung: Sein Attentat.

Die Sprache, derer Rodger sich bedient, kann in so ziemlich allen Online-Foren für Männerrechte wiedergefunden werden und vermittelt eine ebenso klare Idee von seinem Frauenbild wie die Ideen, die er so formuliert: Frauen sind für ihn (sowie die Mitglieder der Seduction- und Pick-Up-Artist-Gemeinschaft) nichts weiter als „Targets“, Zielscheiben für ihre Avancen, für die Männer mit Zuneigung, Respekt und natürlich Sex zu entlohnen sind. In diesem Weltbild sind Frauen keine Menschen, sondern Ware, auf die Männer Anspruch haben. Frauen schulden es Männern, sich ihnen hinzugeben. Und wenn sie sich ihnen verweigern, wälzen diese Männer ihre Frustration auf sie ab, machen sie für ihr Elend verantwortlich und schwören im Extremfall wie Rodger Vergeltung.

Unter anderem weil Rodger ein weißer Amerikaner war, wurden Statements zur misogynen Natur seines Attentats, die Frauen über Kanäle wie Twitter und ihre Blogs veröffentlichten, sogleich mit dem beliebten Einwand abgewehrt, dass „nicht alle Männer“ so wären; Rodger war offensichtlich verrückt! Im Vergleich geht man bei Attentaten von Afroamerikanern gern von Bandenkriminalität aus, handelt es sich bei denen arabischen Ursprungs um Terrorismus, hispanische Attentäter haben mit illegaler Migration zu tun – aber für weiße Männer gibt es kein solches Vorurteil. Eine Tat, die so offensichtlich ideologisch motiviert ist, wird darum als Einzelfall abgetan, zur Ausnahme erklärt statt zu einem extremistischen Auswuchs als Konsequenz systematischer Diskriminierung, in diesem Fall der von Frauen.

In diesem Sinne erzählt die ursprüngliche Berichterstattung über Rodgers Amoklauf genauso von dem tief in unserer Gesellschaft verankerten Rassismus wie von ihrem systematischen Frauenhass. Warum ist ein weißer, männlicher, heterosexueller Attentäter automatisch ein durchgeknallter Querschläger statt Repräsentant der Gefahr, die von einer zutiefst gruppenbezogen-menschenfeindlichen Gesellschaft ausgeht? Und warum sträuben wir uns so sehr, Gewalt gegen Frauen als die Konsequenz einer misogynen Gesellschaft zu sehen, statt als unglückliche private Schicksale?

Unter dem Hashtag #YesAllWomen trugen Millionen Twitter-Nutzerinnen seit letztem Freitag als Reaktion auf die realitätsverzerrende Berichterstattung über Rodgers Amoklauf in den Mainstream-Medien Geschichten von frauenfeindlich motivierter Gewalt zusammen. Die schiere Menge der geteilten Erlebnisse beweist erneut, dass systematische Gewalt gegen Frauen tief in dem Patriarchat, in dem wir leben, verankert ist und jede Frau mindestens eine Geschichte zu der Sammlung beizutragen hat, wenn sie sich denn der Zustände bewusst ist. Man stumpft auch ab mit der Zeit.

Bis die hier begonnene Diskussion von dem populären Zwischenruf „Not All Men!“ unterbrochen wurde, war es natürlich nur eine Frage der Zeit. Mit diesem Einwand versuchen sich so viele mit ihrem Geschlecht überidentifizierte Männer aus der Affäre zu ziehen, dass diese unverschämte Manifestation männlicher Selbstbezogenheit inzwischen sogar ihr eigenes Meme inspiriert hat. Wie sonst lässt es sich auch mit Männern umgehen, deren Reaktion auf die Konfrontation mit Gewalt gegen Frauen zuerst ist, „Imagekorrektur“ zu betreiben, statt sich in Empathie zu üben? Wen auch immer dieser Impuls plagt, der ist Teil des Problems. Er entspringt demselben Denken, das Frauen empfiehlt, gewisse Straßen zu meiden, oder weniger freizügige Kleidung zu tragen um sich vor sexueller und frauenfeindlicher Gewalt zu schützen. Das Ziel dieser perfiden Einschüchterung ist – bewusst oder unbewusst – Frauen devot, sogar gehorsam zu halten. Zudem implizieren beide Verhaltensmuster totale Resignation bis hin zur Unwilligkeit etwas an den derzeitigen Zuständen zu ändern. Dabei gilt es sich doch zu erinnern: Frauenfeindliche Gewalt und Misogynie muss nicht unausweichlicher Alltag bleiben. Man darf sich nur nicht damit abfinden oder versuchen, sie als geisteskranke Ausnahme zu entschuldigen. Misogynie darf nicht als Bestandteil des Alltags von Frauen weltweit toleriert werden. Zu hoffen, dass Rodgers Hassverbrechen eine substanzielle Diskussion herleiten erscheint problematisch, aber schlimmer wäre, wenn wieder einmal nichts passiert.

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