„Es gibt keine Willkommenskultur in Deutschland“Darum öffnet Mama Afrika in Berlin ihre Türen umso weiter

Mama Africa

Foto: Märkisches Viertel Berlin von mr172 via photopin cc

Ihr Büro in der Hochhaussiedlung Märkisches Viertel ist winzig, aber es ist ein wichtiger Anlaufpunkt für Migranten, die Hilfe brauchen. Afrikanerinnen zum Beispiel oder Familien mit türkischen oder arabischen Wurzeln. Hadja Kaba ist für sie so eine Art Erste-Hilfe-Station. Die 59-Jährige hat selbst erlebt, wie es ist, in Deutschland nicht willkommen zu sein. Die Frau aus Afrika will, dass sich das ändert. Monika Herrmann hat sie von ihrem Leben in Deutschland erzählt.

Ich bin im westafrikanischen Guinea aufgewachsen. Nach dem Abitur hab ich erstmal in der Hauptstadt Conakry studiert. Mein Mann und ich gingen dann nach Frankreich. Ich habe dort Sozialarbeit studiert. Wir Afrikanerinnen folgen ja immer unseren Männern. Als meiner dann 1985 nach Berlin ging, um Deutsch zu lernen, bin ich natürlich mit ihm mit. Wir hatten damals schon zwei Kinder und ich habe erstmal gearbeitet. Ich hatte keine Ahnung, wie das in Deutschland mit den Behörden so geht, welche Hilfen es gibt, zum Beispiel vom Sozialamt. Ich konnte die Sprache nicht und wusste gar nichts. Das war sehr kompliziert für die Familie.

Unsere erste Berliner Wohnung bestand aus einem Zimmer für vier Personen. Eine schlimme Zeit. Ich versuchte Deutsch zu lernen, aber ich musste auch Geld verdienen. Lernen und Arbeiten – das ging nicht gut. Der Sprachkurs blieb erst mal auf der Strecke, weil die Familie immer vorging. Ich hatte damals auch wenig Kontakt zu anderen afrikanischen Familien. Jeder hatte irgendwie mit seinen eigenen Problemen zu tun. Es gab so gut wie keine Informationen darüber, welche Hilfen es für Migranten gibt.

„In der afrikanischen Tradition ist es so: Kinder bleiben bei den Eltern, bis sie heiraten. In Afrika ist das eigentlich kein Problem, in Deutschland schon.“

Hadja Final

Hadja Kaba

Das ist heute nur wenig besser. Eine Schwelle ist natürlich immer die Sprache. Wer nicht Deutsch spricht, kann keine Hilfe erwarten. Das ist ja auch der Grund, warum ich vor 14 Jahren „Mama Afrika“ gegründet habe. Unser Verein will vor allem Familien begleiten, beraten und helfen. Viele Afrikaner in Berlin leben sehr isoliert, sie wissen nichts von Jugendämtern, Schulen, Kitas, Sozialberatungen usw. Das betrifft natürlich auch andere Migranten, die neu in der Stadt sind. Wenn sie dann hier bei mir sitzen und von ihren Problemen berichten, kann ich ihnen Adressen und Tipps geben, wo sie Hilfe bekommen. Manchmal begleite ich sie zum Job-Center oder zur Ausländerbehörde, weil sie dort Formulare ausfüllen müssen, die sie nicht verstehen. Es geht um Fragen zum Asyl, zum Aufenthaltsrecht, um eine Wohnung vielleicht oder einen Job.

Oft geht es hier in diesem Büro auch um familiäre Konflikte, zum Beispiel wenn erwachsene Kinder nicht mehr bei ihren Eltern wohnen wollen und eine eigene Wohnung suchen. In der afrikanischen Tradition ist es so: Kinder bleiben bei den Eltern, bis sie heiraten. In Afrika ist das eigentlich kein Problem, in Deutschland schon. Die heranwachsenden Jugendlichen haben die deutsche Familienkultur kennen gelernt und wollen so leben wie ihre Freunde. Ich versuche, den Eltern, insbesondere den Mamas, klar zu machen, dass sie die Kinder gehen lassen sollen. Warum? Ich sage, die erwachsenen Kinder versuchen, sich in der deutschen Kultur zurechtzufinden. Das ist doch gut, schließlich wollen sie hier leben. Lasst sie ihre eigenen Wege gehen. Ich sehe es an meinen vier Kindern: Sie tun es auch, ohne dass sie sich von mir entfernt haben. Und ich lasse sie gehen.

Diese Freiheit, denke ich, muss es in den Familien geben. Das versuche ich im Gespräch mit verzweifelten Eltern zu vermitteln. Ich erzähle dann von meiner Tochter: Ich habe sie bei der Suche nach einer eigenen Wohnung unterstützt. Sie fand auch eine. Aber nach zwei Jahren sagte sie: „Es ist so langweilig allein.“ Jetzt wohnt sie wieder bei mir, weil sie es einfach so wollte. Also kein Druck, keine Vorschriften, sondern Freiheit und Liebe.

Hopfen und Malz

Foto: deutsche Kneipe im Märkischen Viertel von judith74 via photopin cc

„Es gibt keine Willkommenskultur, oder nur ganz selten.“

Ich werde immer wieder gefragt, wie das denn klappt mit der Integration. Dieses Wort ist ja für Deutsche sehr wichtig. Weil sie sagen: Nun seid ihr hier bei uns und jetzt passt euch bitte an. Integration ist aber eine Sache, die von beiden Seiten kommen muss. Auch die deutsche Bevölkerung muss ihre Türen für Zuwanderer öffnen. Ich finde, es gibt keine Willkommenskultur, oder nur ganz selten. Es gibt doch nur eine Welt, auf der wir alle gemeinsam leben.

Wir Afrikaner, aber auch alle anderen Migranten, vermissen den Respekt, die Gleichbehandlung, die Freiheit, so leben zu können, wie wir es wollen und gewohnt sind. Mama Afrika tritt für diese Rechte von Zuwanderern ein. Mir geht es vor allem um die Frauen. Viele sind mit ihren kleinen Kindern allein zu Hause, sie leben ziemlich isoliert. Es kommen übrigens auch Frauen von Diplomaten. Während ihre Männer hoch dotierte Jobs haben, sitzen die Frauen zu Hause. Sie bekommen keine Arbeitserlaubnis. In unseren Kursen erzählen sie auch von ihrer Einsamkeit. Wir haben einen Nähkurs hier im Haus. Da lernen die Frauen nicht nur Nähen, sondern sie lernen sich kennen, reden miteinander über ihre Sorgen und geben Informationen weiter. Genauso läuft es in unserem Kochkurs. Unterschiedliche Menschen aus verschiedenen Kulturen haben eine gemeinsame Plattform. Ein sehr niederschwelliges Angebot, aber sehr effizient.

Wir reden natürlich auch über das Thema Beschneidung von Frauen. Ein großes Tabuthema in afrikanischen Familien übrigens. In den Heimatländern der Afrikaner genauso wie hier in Deutschland. Ich selbst bin als siebenjähriges Mädchen beschnitten worden und ich war stolz darauf. Diese Tradition der weiblichen Beschneidung gibt es in vielen afrikanischen Staaten seit 5.000 Jahren. Es ist ein Kulturgut, das niemand so leicht abschaffen kann. In 28 afrikanischen Staaten werden Mädchen und Frauen beschnitten, der Norden und der Süden des Kontinents kennen weibliche Beschneidung praktisch nicht.

„Das eigentliche Problem ist die betroffene Frau selbst. Das Schweigen und Verschweigen muss endlich aufhören.“

Mama Afrika kümmert sich um die Frauen in Berlin, die mit den entsprechenden Problemen kommen und endlich darüber reden wollen. Ich selbst berate die Frauen, was sie tun können: vielleicht eine Operation, vielleicht ein Gespräch mit der Familie, mit dem Mann, mit einem Arzt. Was ich immer erfahre: Das eigentliche Problem ist die betroffene Frau selbst. Das Schweigen und Verschweigen muss endlich aufhören. Ich selbst habe dieses Tabu gebrochen, indem ich von meiner Beschneidung erzähle. Ich halte Vorträge in Deutschland, aber auch in Afrika. Aber ich will diese Klitoris-Beschneidung nicht einfach verbieten, weil das auch gar nicht geht. Es ist ein kulturelles Ritual, das für die Frauen zu ihrem Leben gehört. Ich sage ihnen: Es gibt viele Risiken nach Beschneidungen. Frauen können bei der Geburt ihrer Kinder sterben, ihre Babys auch. Darüber denken die Familien dann nach und sagen vielleicht: Na, dann lieber keine Beschneidung. Vielleicht. Es ist ein langer Weg, den wir da gehen müssen.

In Berlin gibt es jetzt ein Krankenhaus, in dem beschnittene Frauen aus Afrika beraten und medizinisch behandelt werden, falls sie das wollen. Ich finde das wunderbar und wir haben Kontakt zu den Ärzten. Unser Verein ist in Berlin mittlerweile zu einem Ort geworden, an dem Frauen und auch Männer sich trauen, ihre Probleme – egal welche – öffentlich zu machen. Hier im Norden Berlins, im Märkischen Viertel, leben leben viele Migranten. Was ich jedoch beobachte ist, dass jede kulturelle Gruppe für sich lebt. Es gibt kaum Kontakte zwischen eingewanderten Türken, Arabern und Afrikanern. Das muss sich ändern, deshalb macht Mama Afrika ihre Türen weit auf.

www.mama-afrika.org

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