B.S. Ich liebe dichBuchrezension: „Bullshit Jobs“

bullshit jobs

Fast 40 Prozent der Berufstätigen sagen: Mein Job macht keinen Sinn. Er ist völlig egal. Was bedeutet das für das Individuum und die Gesellschaft? Woher kommt das und wie ließe sich das ändern? David Graeber versucht, diesen Fragen nachzugehen. Und präsentiert uns jede Menge Beispiele für beruflichen Blödsinn.

Zu den auffälligsten Merkmalen unserer Kultur gehört die Tatsache, dass es so viel Bullshit gibt.“

Harry G. Frankfurt, Bullshit

Frankfurts Büchlein, im englischen Original 1986 erschienen und – warum eigentlich – erst 2005 ins Deutsche übersetzt, ist ein Klassiker. Warum gibt es eigentlich so viel Bullshit? Was ist Bullshit eigentlich? Und warum tun wir nicht alle mehr dagegen? Von Augustinus bis Wittgenstein fährt Frankfurt große Philosophen auf, um der Spur von Inhaltsleere, Nichtsinn und Co. zu folgen.

Geht es bei ihm vor allem um Bullshit-Gerede, geht es bei einem neuen Buch zum Thema um die Arbeitswelt: „Bullshit Jobs“ von David Graeber untersucht, wie es dazu kommen konnte, dass es heute, möglicherweise mehr denn je zuvor, so viele berufliche Tätigkeiten gibt, die völlig entbehrlich und sinnbefreit sind. Und zwar, das ist das Entscheidende in Graebers Ansatz, auch und vor allem aus Sicht derjenigen, die diese Jobs ausführen. 30 bis 40 Prozent der Menschen finden: Mein Job ist Bullshit. Das ergaben verschiedene Umfragen, die nach Graebers gehyptem Essay durchgeführt wurden. Was den Anthropologen dazu veranlasste, ausgestattet mit reichlich Vorschuss eines Verlags, der Sache tiefer auf den Grund zu gehen: Wie kann es sein, dass so viele Menschen in einer Zeit und Gesellschaft, in der sinnlose Tätigkeiten eigentlich entweder abgeschafft oder den Maschinen zugeteilt werden könnten, genau diesen Dingen nachgehen, von neun bis fünf oder länger in Büros sitzen und währenddessen #boredatwork ihre Zeit in sozialen Netzwerken verplempern oder Meetings absitzen? Wieso lassen wir diese „Narbe auf unserer Kollektivseele“, wie Graeber es fast poetisch nennt, sich immer weiter entzünden und eitern?

Der entscheidende turn für Graeber begann im Zeitalter der Industrialisierung, als nicht mehr Arbeit, sondern Arbeitszeit zum Bemessungskriterium wurde: Nicht das Werk, das Produkt, die – so nennen es hippe Agenturen heuer – Ergebnisorientierung, wie sie in mittelalterlichen Gilden noch galt, steht seitdem im Vordergrund, sondern die Zeit, die man mit dem Arbeiten zu verbringen hat. Zeit die, muss man sich immer wieder vor Augen führen, unserem Leben entnommen wird. Da kann noch so viel über Vier-Stunden-Arbeitswochen geschrieben werden, Fakt ist: Es wird immer noch lange gearbeitet. Wir müssten mal damit aufhören wollen.

Bullshit-Binnendifferenzierung

Bullshit ist nicht gleich Bullshit. Graeber – und das ist eine Stärke des Buchs – trifft fünf Unterscheidungen: flunkies machen Vorgesetzte wichtig, zum Beispiel Rezeptionisten (man hört oft einen raschen Mausklick, wenn man auf sie zutritt), goons sind Lobbyisten, PR-Menschen oder Telemarketer, duct tapers beruhigen z.B. Passagiere beruhigen, deren Gepäck nicht angekommen ist, oder bespielen den Twitter-Account der BVG, box tickers sind z.B. Mitarbeiterzeitschrift-Redakteure oder Freizeitkoordinatoren in Unternehmen und task makers, das ist das mittlere Management, das zusätzlich Arbeit produziert. Am Beispiel der Filmbranche, in denen Vice Executive Managers ganze Narrationen verwässern, um irgendetwas zu tun, im Buch grandios dargestellt.

Eine weitere Stärke von Graebers Buch liegt in den Beispielen. Er hatte dazu aufgerufen, ihm Beschreibungen von Bullshit-Jobs zukommen zu lassen, viele schienen darauf nur gewartet zu haben. So der ambitionierte Uni-Absolvent, der das interne Kommunikations-System einer mehrfilialigen, untereinander konkurrierenden Designagentur betreut, dessen Inhalte nur dem Zweck dienen, zu sagen: Wir stehen ja im Austausch. Er bleibt weg, kommt betrunken zur Arbeit, macht MDMA-Dienstreisen, no one cares. Er will kündigen, erhält mehr Geld, damit er bleibt. Bis es einfach nicht mehr geht.

Es ist fast zum Schreien komisch beschrieben und doch todtraurig. Stress aus Langeweile, Depression aus Nichtsnutzigkeit, Boreout-Syndrom, Selbstgespräche, Dialoge mit Gott – was Graeber aus den Zusendungen zitiert, beschreibt nicht weniger als eine Zivilisationskrankheit. Die nicht nur die Individuen krank macht, sondern auch Werte killt. Investment-Menschen geben hier offen zu, nicht zu verstehen, warum sie welche Knöpfe drücken, warum sie Bullshit-Reports an die Vorgesetzten weitergeben, die genauso wenig verstehen … „shit mindfully“ heißt es an einer Stelle, ist das nicht schön? FIRE (finance, insurance, real estate) ist Graeber nach der Sektor, der lieber heute als morgen eingestampft gehört. Und tatsächlich: Während der Lektüre fragt man sich, warum das nicht alles implodiert. Warum werden ausgerechnet die Jobs, die wirklich Sinn machen, so bullshittig bezahlt, während die gut bezahlten gemeinschaftlichen Wert zerstören? Es scheint alles keinen Sinn zu machen.

Warum keine Implosion? Wieso die ständige Reproduktion?

Fragen, auf die auch Graeber keine Antwort hat. „Es ist ein Buch über ein Problem, nicht über eine Lösung“, sagt er an einer Stelle ganz offen. Fair enough. Er setzt dennoch Lösungen an und schlägt dabei, keine Überraschung, das Bedingungslose Grundeinkommen vor. Er hätte es vielleicht nicht tun sollen. Nicht, dass man darüber nicht herzhaft diskutieren könnte, doch Graebers Ausführungen dazu bleiben blass. Dieser Teil zieht sich, hat die Anmutung eines Pflichtteils. Allein dieser Gedanke ist cool: Wenn schon jetzt rund 40 Prozent sagen, ich betreibe Bullshit, warum dann nicht doch mal das BGE und eine freie Gesellschaft betatesten, auch wenn dann vielleicht 20, 30 Prozent Dinge machen, die es jetzt vielleicht auch nicht im engeren Sinne braucht, noch mehr Literaten, noch mehr freie Kunst, gar nichts tun? Das würde, findet Graeber, die Volkswirtschaft schon verkraften. Schlimmer kann's nicht werden. Und das wohl berühmteste Bullshit-Beispiel – der spanische Mitarbeiter der Wasserverwaltung, der sechs Jahre dem Dienst fernblieb und sich in die Philosophie vertiefte, lässt sich fast als sinnvoller Ausweg lesen: Wenn dich die Technik ersetzt, dann werde doch Spinoza-Experte!

Gerne mehr hätte der Autor hingegen recherchieren und schreiben können, warum die Subjekte den Bullshit Tag für Tag auf Neue reproduzieren. Auch hier ist er, das merkt man, selbst nicht ganz sicher, womit wir es eigentlich zu tun haben: Ist das noch Kapitalismus? Ist es nur noch Überbau? Oder etwas ganz anderes? Er trifft nicht wirklich eine Unterscheidung zwischen angestellter und selbstständiger Tätigkeit, dabei wäre es spannend zu analysieren, ob Letztere weniger bullshitanfällig ist (aus eigener Erfahrung würde ich sagen: jein). Und: Alles, was beschrieben wird, ist first world bullshit. Dass es ganze Arbeitswelten in Schwellen- und Entwicklungsländern gibt, die sinnfreie Arbeit – zum Beispiel genanntes Telemarketing und andere „Services“ – für die so genannte erste Welt durchführen, um eigene Existenzen zu sichern, ist ein Stück des Bullshit-Kuchens, das Graeber nicht auf den Tortenheber nimmt.

David Graeber, Bullshit Jobs, ist bei Klett-Cotta erschienen und kostet 26 Euro. Im englischen Original auch als Audibook verfügbar.

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