„Klarheit im Club ist eine gute Sache“15 Jahre Watergate: Interview mit Steffen „Stoffel“ Hack

Steffen Hack Stoffel Watergate Berlin Lead

Das Watergate in Berlin hat mittlerweile 15 Jahre auf dem Deckel. Damit dürfte der Laden direkt an der Oberbaumbrücke der älteste an einer Location bestehende Techno-Club Berlins sein, auch wenn Tresor und der Berghain-Vorläufer Ostgut historisch eher da waren. Die Immobilie an der Spree wurde in diesem Jahr an einen Investor verkauft, trotz eines gemeinsamen Angebots der Mietparteien. Die Folge: Verdopplung der Miete. Benedikt Bentler hat Watergate-Chef Steffen Hack, von allen nur „Stoffel“ genannt, zum Gespräch getroffen. Und Stoffel hat erzählt: von gescheiterten Projekten, späteren und ungeahnten Erfolgen, von Gentrifizierung und Spekulation, nicht nur im Bezug auf den eigenen Club.

Erzähl doch ein bisschen was zur Vorgeschichte, wie kam es zum Watergate?
Ich hab immer irgendwas mit Musik gemacht. Ich habe Schlagzeug in einer Punkband gespielt, dann den Plattenladen Core Tex Records auf der Oranienstraße betrieben. Geld hat man sowieso nicht verdient, das lief alles im Kollektiv. Irgendwann kam die Idee auf, einen Club zu machen. Dann haben wir in Mitte nach einer Location gesucht und den „Toaster“ eröffnet. Zwei bis drei Jahre habe ich bei dem Laden mitgemacht – und meine Liebe zu Drum and Bass entdeckt. Wir haben dort eher so Street-Mucke gemacht, sind nicht auf dieser Gay-Welle rumgerutscht. House war ja sehr gay damals. Mir persönlich erschien das aber nicht sonderlich revolutionär oder progressiv, obwohl die Musik ja neu war. Mir war das zu fluffig und harmonisch. Und es kam mir vor, als würden die Leute zu House ausgehen, um jemanden zum Vögeln zu finden und Pärchentanz zu zelebrieren. Aber ich wollte ja den Staat stürzen. Das ging nicht mit House nicht. Deshalb musste ich Punk oder Drum and Bass machen. Aus dem Toaster ist dann die Veranstaltungsreihe Hard:Edged samt Label entstanden, womit wir zufällig Zeitgeist waren und in allen Lifestyle-Gazetten standen. Der Club WMF ist auf uns zugekommen und hat gefragt, ob wir nicht den Freitag bespielen wollen. Das haben wir ein paar Jahre gemacht, dann war Drum and Bass wieder komplett in der Nische und auf den Partys liefen nur Männer rum. Es ging nur noch um lauter, härter, bassiger.

MC mit Sonnenbrille, DJ mit Ohrstöpseln, dann wurde drei Stunden durchgehämmert. Auf dem Floor hat es aber niemand solange ausgehalten und am Ende hieß es dann: „Yeah, we killed the Dancefloor.“ Der nachhaltige Erfolg blieb aus und die Basis, die dir unabhängiges Agieren ermöglicht, ließ sich gar nicht erst aufbauen. Ich stehe nicht auf Abhängigkeit, ich will agieren und entwickeln. Meine sozialistische Drum-and-Bass-Planung ging also daneben (lacht).

Wir haben uns dann überlegt, wie es weiter gehen könnte: Entweder hängen wir das Konzept komplett an den Nagel oder wir machen einen eigenen Club. Im Jahr 2000 konnte man sowas noch denken.

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Tom, einer Macher vom WMF, hat für uns den Locationscout gemacht und diesen Laden gefunden. Das WMF ist ja sechs oder sieben Mal umgezogen und er hat sich um die Suche gekümmert. Und weil ich ja auch eine faule Sau bin, meinte ich zu ihm: Hör mal Kollege, suchste ne Location für mich? Kriegste auch ein bisschen was. Jetzt sind wir immer noch hier.

Wie wurde aus Drum and Bass schließlich Techno?
Wir hatten am Anfang ein Programm für drei Tage. Jedem der einen Club aufmacht würde ich davon abraten, wenn Mietzins und Kosten es zulassen. Erstmal einen oder zwei Tage etablieren, dann weitergucken. Am Samstag hatten wir einen Deep-House-Abend mit Dixon als Resident. Der hat fast ein Jahr den Samstag bespielt. Sein Sound klang damals aber auch noch so deep, dass das auch ziemlich am Publikum vorbeiging (lacht). Wir waren ja in der Findungsphase, die Miete war günstig, man konnte Sachen ausprobieren. Und wir haben daran geglaubt, dass es irgendwann klappt. Bis eine Erkenntnis kommt, kann es ja dauern, of passiert es nie.

Die Spezies Mensch ist ja rückblickend ziemlich erkenntnislos.

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Am Freitag haben wir unsere Hard:Edged-Geschichte gemacht und am Donnerstag ging es Richtung HipHop. Wir waren also eher ein Venue, die jeden Tag einzeln bewerben musste. Das machte es schwierig, ein Stammpublikum aufzubauen. Dann bekamen wir irgendwann die Anfrage vom Musikmagazin Groove. Wie Sven Väth früher sagte: dem Thomas Koch sein Fanzine (lacht). Wir haben denen gute Konditionen gegeben und in der Nacht haben Ricardo Villalobos, Richie Hawtin, Sven Väth, 2Raumwohnung und was weiß ich wer noch gespielt – ein heute unvorstellbares Lineup. Das Publikum, die Stimmung – der Abend war die Initialzündung. In der Woche darauf wusste ich: Das ist der Weg, wir machen nichts anderes mehr. Ein Jahr hat es dann noch gedauert, bis der Drum-and-Bass-Abend sein Ende fand.

Ich habe damals erst so richtig verstanden, dass man als Club nur dann ein bestimmtes Image und eine dementsprechende Anziehungskraft entwickeln kann, wenn man für eine Sache steht. Und zwar ausschließlich für eine Sache.

Als wir alle das kapiert hatten, kam auch der Erfolg. Und damit arbeitet es sich nun mal sehr sehr schön. Auch wenn man nicht 1000-prozentig hinter dem Produkt steht, macht Erfolg schon vieles wett. Und die Leute, die mitarbeiten, gehen auch gerne mit – und bleiben.

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Welche Rolle spielen Ausstattung, Gestaltung, Sound & Licht?
Ich bin ja Schüler des WMF, meine Zeit als Veranstalter dort war meine Lehre, sag ich immer. Die waren diesbezüglich ähnlich aufgestellt. Minimalistisch, sauber und klar. Klarheit im Club ist aus meiner Perspektive eine gute Sache. Musik und Leute bringen die Bewegung, dann muss nicht überall noch Firlefanz rumhängen. Und ich wollte weg von diesem Diskotheken-Ding mit Moving Lights und Hängelampen. Ich wollte alles so eingebaut haben, dass es in der Gesamtarchitektur verschwindet, mit ihr eins wird. Der Architekt hat das dann auch gut umgesetzt.

Die Lichtanlage ging um die Welt.
Das war der Jackpot. Am Anfang hatten wir oben eine Zwischendecke und die PARs darin versenkt. Das war quasi der Vorläufer der jetzigen Lichtanlage, die Billig-Version. Der obere Raum ist in der Erstgestaltung nicht richtig durchdefiniert worden und hat auch nie so gut funktioniert. Damals sind uns in der Planung Geld und Ideen ausgegangen. Aber eigentlich war es gut, nicht alles fix und fertig zu haben. So hatten wir einen Ansatzpunkt, um die Räumlichkeiten weiterzuentwickeln. Wir haben ja nicht die Möglichkeit uns zu erweitern. Zwei Jahre nach der Eröffnung kam die Terrasse, noch einmal zwei Jahre später haben wir den oberen Floor verändert. Die Architekten hatten dann die Idee, Tresen und DJ-Booth über ein Lichtband zu verbinden. Ich hatte das so noch nie gesehen und fand es total stimmig. Dann bin ich zu den Leuten von Room Division – die saßen damals schräg gegenüber auf der anderen Spreeseite – und die haben mir gezeigt, wie das aussehen könnte. Es stand schnell fest, dass rohes LED-Licht scheiße aussieht, aber wir haben Gaze drunter gehängt und dadurch eine ganz andere Lichtstruktur geschaffen.

Wir hatten natürlich keine Ahnung, dass diese Anlage solche Wellen schlagen würde.

20180117_Watergate Lichtband

Watergate ist ja nicht nur Club, sondern auch Label und Künstler-Agentur. Warum und wieso?
Vinyl und Musikverkäufe allgemein waren damals ja tot, alles ging nur noch über Auftritte. Wir hatten ja auch mit Hard:Edged ein Plattenlabel – und haben ordentlich Miese gemacht. Aber irgendwann lief der Laden hier recht gut und ich hab dann gesagt: Wir machen doch ein Label. Lass uns mal eine Compilation zusammenstellen mit Künstlern, die uns nahestehen. Das war auch ein günstiges Marketingtool und hat die Beziehung zwischen Club und Künstlern gestärkt. Außerdem konnte man Inhalte darauf aufbauen, Touren zum Beispiel oder Record-Release-Partys.

Aber die Compilation wird es nicht mehr allzu lange geben, keiner hat mehr einen CD-Player.

Als das Techno-Business globaler wurde, kam die Agency. Ich hab den Club als eine Art Trainingsplatz für DJs gesehen. Berlin ist ja eh eine Art DJ-Schule, im besten Falle wirst du danach nach Ibiza geschickt – auf die Uni (lacht). Aber wenn wir schon die Leute ausbilden, dann lass uns sie auch an uns binden. Dann bleibt auch was bei uns hängen. Ursprünglich waren wir ja alle sozialistisch eingestellt, es war egal wer spielt. Aber die einstige Philosophie „no gods, no masters, no heros“ hat sich dann aufgelöst. Es wurde doch wichtig, wer auflegt. Und auch wer kommt und tanzt. Es hat sich diese Wertestruktur etabliert, aus der wir alle kommen, die wir eigentlich verlassen wollten, die uns dann aber doch wieder eingeholt hat – ohne, dass wir es richtig gemerkt haben.

Lass uns über die Mieterhöhung sprechen.
Jap.

Verdopplung.
Jap.

Das Watergate ist möglicherweise der erste Club, dem eine Verdopplung der Miete nicht das Genick bricht. Was bedeutet das für euch? Habt ihr so viel Geld verdient, dass ihr einfach weitermachen könnt wie bisher?

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Ich fang mal mit den Umständen an. Dass man in Deutschland ein Gewerbe gründet, eine Location sucht, sich dort einmietet, und irgendwann feststellt, dass man überhaupt keine Bestands- und dadurch Planungssicherheit hat, ist eine unsägliche Situation. Wir brauchen Bestandsschutz oder eine Obergrenze. Wir sind zwei Firmen hier im Haus. Wir haben uns zusammengesetzt und unsere Hausbank, die Sparkasse, dazu geholt. Und wir hätten den Kauf dieses Hauses stemmen können. Dann kam ein Investor dazwischen und wir haben den Zuschlag nicht bekommen. Jetzt kauft einer, der mehr Geld hat als wir, dieses Haus zu einem wahrscheinlich horrenden Preis und setzt die Mieter im Haus so unter Druck, dass eine Existenzbedrohung für zwei Firmen entsteht.

Das ist so unsozial, geradezu absurd. So wird der Mittelstand vernichtet. Investoren eignen sich die Immobilie an und bestimmen dann auch noch, wie viel wir bezahlen müssen, um bleiben zu dürfen, obwohl wir den Standort entwickelt haben. Ich weiß nicht, wie man mir glaubhaft erklären könnte, dass das eine richtige Entwicklung ist. Das passiert hier überall. Es geht nicht ums Watergate. Es geht um uns alle, aber das verstehen die Leute nicht. Für viele bin ich ja schon der Feind, der Kapitalist. Was soll man da machen?
Wir haben uns natürlich überlegt, was wir nun tun können. Nochmal so eine Location im Zentrum Berlins zu finden, ist wohl ziemlich unmöglich, vor allem bei der Lage. Ein Umzug würde locker eine Million kosten. Dabei musst du dein Team halten, die Mitarbeiter haben Familien und es gibt Kredite, die abbezahlt werden müssen.

Wie viele Leute arbeiten hier?
Wir haben 15 feste Mitarbeiter, vierzig versicherungspflichtig Angestellte und mit allen Tresen- und Springerkräften kommen wir auf 80 bis 90 Leute. Aber insbesondere gegenüber den 15 Mitarbeitern habe ich doch eine Verantwortung, schließlich haben wir alle voneinander profitiert und tun es immer noch.
Wir sind aus einer Situation gekommen, in der die Miete sehr günstig war. Wir haben ein bisschen mehr als zehn Euro pro Quadratmeter bezahlt, sind mit der Staffel jetzt bei über zwanzig Euro. Im Vergleich zur Umgebungsmiete ist das aber Standard, manche zahlen viel mehr. Aber es macht doch keinen Sinn, in einer Stadt, in der die Löhne seit zehn Jahren eingefroren sind, die Mietpreise derart zu erhöhen. Da wird das Spiel ohne den Bürger gemacht, der dann Grundsicherung beantragen darf. Was der Staat mehr verdient, haut er dann für Sozialleistungen wieder raus. Wir können die Umweltgesetze in den Städten nicht einhalten. Und was machen wir? Wir vertreiben die arbeitende Bevölkerung aus der Stadt und machen aus den Menschen, die vor Ort einen Arbeitsplatz haben, Pendler. Alles wird noch schlimmer.

Ich bin was diese Thema angeht schon fast fatalistisch, aber mir ist das wichtig. Auch wenn es wohl keinen Unterschied macht, ob ich darüber rede oder hier direkt ins Wasser springe. Vor zwei Tagen war in der Köpenicker Straße ein Polizeieinsatz wegen Lärmbelästigung. Und die kommen mit 150 Leuten und führen sich auf, als hätten sich bewaffnete Faschisten in dem Haus verschanzt. Es wird echt ungemütlich.

Zurück zu uns: Wir können die Preise nicht erhöhen, wir sind im Berliner Vergleich schon am oberen Rand. Für die Touristen ist es relativ egal, die finden das immer noch günstig. Aber wir wollen ja Berliner im Club haben und müssen uns dementsprechend verhalten. Wir hatten jetzt im Sommer auch den Dienstag einige Male geöffnet. Aber jetzt geht’s mit vier Abenden weiter: Mittwoch, Donnerstag, Freitag, Samstag. Wir können nur noch mehr Veranstaltungen machen, eine andere Möglichkeit haben wir nicht. Darüber sind wir nicht glücklich, denn mehr Veranstaltungen bedeuten nicht mehr Qualität oder mehr Inhalt.

Dieses Interview erschien ursprünglich im disco-magazin Ausgabe 06/2017.

20180117_Watergate Steffen Stoffel Hack Berlin by Benedikt Bentler

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