Je direkter, desto fairer„Green Farmer“, der Internet-Hofladen fürs Ruhrgebiet
29.6.2016 • Leben & Stil – Text und Fotos: Jan-Peter WulfAls Stadtmensch kennt man seinen Bauern ja eher selten persönlich oder weiß genau, wo seine Lebensmittel herkommen. Und mit dem Auto zu den Höfen fahren, um sich Milch, Eier, Gemüse und Co. zu kaufen, ist erstens aufwändig und zweitens auch nicht gerade ein ökologischer Bringer. Den Wunsch nach regionalen Produkten und die bequeme Möglichkeit des Bezugs bringt ein neues Startup zusammen, das seine Bauern fair bezahlt. Auch deswegen, weil die Gründer selbst Bauern sind. Jan-Peter Wulf ist nach Bottrop gefahren, denn dort ist der Sitz der „Green Farmer“.
„Dat is warm heute, hömma. Sonne Hitze kenn ich nich mal aus Dubai. Und da komm ich her!“, sagt die nette Frau auf dem Weg zur Bushaltestelle zu uns. Dass man hier im Pott von Wildfremden so angesprochen wird: völlig normal, es macht den Charme dieser Region aus. Dafür muss man sich ein bisschen Zeit nehmen. Dreißig Jahre sei sie schon hier, erfahren wir, manchmal könne sie es selbst kaum glauben, aus den Emiraten ausgerechnet hier gelandet zu sein. „In Bottrop!“, sagt sie lachend. Und berichtet, dass man sie damals – da war Dubai noch unbekanntes Terrain – gefragt habe, ob sie dort Ziegen im Hause halten würden.
Zufällig sind wir wegen Ziegen und ihrem Käse heute hier in B-O-T-T-R-O-P. Und wegen anderer landwirtschaftlicher Erzeugnisse, deren Herkunft man nicht hier in der Gegend vermuten würde – jedenfalls dann nicht, wenn man die Gegend nicht kennt und immer noch denkt, es würde überall nur Kohlenstaub durch die Luft flirren und jedermann vom Ruße geschwärzt durch die Straßen laufen. Wer das Ruhrgebiet kennt, der weiß, wie ländlich dieser Ballungsraum eigentlich ist. Bauernhöfe gibt es hier fast überall, schmucke westfälische Altbauten auf grünen Wiesen vor der Silhouette hoher Schornsteine, Felder und Äcker zwischen Autobahnen und Überlandleitungen. Die Bergleute hatten früher oft eigene Nutztiere wie Schweine oder Hühner im Garten: Microfarming vor dem Strukturwandel. Doch das ist lang her, der Bergbau ist so gut wie weg. In Bottrop gibt es eine der letzten aktiven, hochsubventionierten Zechen, 2018 ist auch dort Schicht im Schacht.
Wir sind verabredet mit Christoph Hüsing. Er holt uns mit seinem Auto am Bottroper Bahnhof ab, mit einem Mercedes-Benz E 200, Baujahr 1996. Eine satte Viertelmillion hat das gute Stück auf dem Tacho. „100.000 Kilometer läuft der locker noch“, sagt der junge Mann. Los geht‘s, Fenster runter, denn es brezelt. Und eine hochmoderne Klimaanlage wie die Edelproll-Geschosse von Brabus, Bottrops feuchtem Traum aller Tuning-Fans (wir fahren eben dran vorbei) hat Hüsings „Bauern-Benz“ natürlich nicht. Hüsing ist Bauer (sowie studierter Lebensmittelwissenschaftler) und hat den elterlichen Betrieb in der Nähe von Cloppenburg in Niedersachsen übernommen. Eine Hälfte der Woche verbringt er im Oldenburger Münsterland, die andere hier am nördlichen Rande des Potts, um sich beim Startup „Green Farmer“ um die Finanzen und Erzeuger-Kooperationen zu kümmern.
##Digitaler Hofladen
„Green Farmer“ hat er zusammen mit fünf Gesellschaftern gegründet, die alle einen landwirtschaftlichen Background haben und/oder selbst aktive Bauern sind. Es ist die Online-Version eines bäuerlichen Hofladens. Die Menschen im Ruhrgebiet können auf der Webseite lokal erzeugte Produkte von den Kooperations-Höfen kaufen und bekommen sie nach Hause geliefert. Innerhalb von Bottrop und den angrenzenden Städten Essen und Gladbeck liefert „Green Farmer“ selbst, nach Bochum, Dortmund, Duisburg oder Düsseldorf mit DHL. Häufig bestellende Stammkunden beliefert man auch in diesen Städten nach Möglichkeit direkt – „Green Farmer“ will die Schnittstelle zwischen Bauern und Verbraucher bilden und neben Waren- und Geldflüssen auch die Kommunikation wiederbeleben: Lob, Kritik und Produktwünsche werden direkt an die derzeit rund 20 Partner-Bauernhöfe zurückgespiegelt. Verpackungsmaterial – wer online Lebensmittel bestellt, weiß wieviel Müll dabei entsteht – wird mit zurückgenommen und zentral entsorgt oder wiederverwendet.
Regional gibt es im Ruhrgebiet schon immer.
„Die Kunden wollen regionale Produkte kaufen und sie möchten genau wissen, wo diese herkommen. Sie wollen kurze Wege, frisch von der Erzeugung an ihre Haustür und das alles zum fairen Preis“, sagt Hüsing. Regional, der große Trend, der Bio immer mehr hinter sich lässt – im Ruhrpott ist er aufgrund der tiefen Verwurzelung der Menschen, immer schon da und nie richtig weg gewesen. Nur gab es bis dato keine Möglichkeit, online regionale Lebensmittel ab Hof zu bestellen – wer nicht die Möglichkeit, keine Zeit oder keine Lust hat, für seine Eier, Möhren und Kartoffeln mit dem Auto zu den Gehöften rauszufahren, blieb außen vor. Genau diese Lücke will „Green Farmer“, live gegangen Ende 2015, schließen. Und den Bauern nach dem Prinzip „je direkter, desto fairer“ ordentliche Verkaufspreise zugestehen.
Die Idee dazu entstand der Gruppe beim Junggesellenabschied von einem der späteren Gründer, Jendrik Holthusen, Milchbauer in Brake/Unterweser und Agrarwissenschaftler. Die Wut über die sinkende Milch- und Zwiebelpreise im konventionellen Handel ergoss sich nicht in Milchlachen vor dem Landwirtschaftsministerium, sondern wurde in ein Startup kanalisiert. Welches den Bauern-Kollegen, die über „Green Farmer“ anbieten, Preise über dem Niveau des LEH – Lebensmittel-Einzelhandels – zahlt. Im Falle der Milch gar das Drei- bis Vierfache, denn so viel muss Milch kosten, damit alle Spaß dran haben, und die Kunden zahlen es. Warum auch nicht. Sie kaufen auch Gemüse, dessen Form durchs Handelsraster fiele – „culinary misfits“. Einige Produkte des Warenkorbs wie die Brände und Liköre von der Brennerei „Böckenhoff“ sind exklusiv, andere exotisch, sprich nicht regional: Zitronen wachsen im Pott nicht, hier ist‘s ja nicht immer so tropisch wie heute. Warum die? Hüsing: „Die Kunden sollen mit Green Farmer schon ihren gesamten Lebensmitteleinkauf abwickeln können und nicht noch zum Supermarkt gehen müssen.“ Deswegen bezieht man über den Händler Tenhaef aus Xanten am Niederrhein unter anderem Zitronen und Paprika, die ihre Bauern in Südeuropa persönlich kennen.
##Logistikzentrum Pferdestall, bis auf Weiteres
Dreimal pro Woche werden Bestellungen ausgeliefert, zweimal pro Woche holt man die Erzeugnisse in benötigter Menge bei den Höfen ab. Mit einem Lieferwagen, der auch Air Condition hat (langsam wird es stickig in der Vintage-E-Klasse), aber gerade fürs Finale der Spargelernte gebraucht wird auf dem Hof der Familie Miermann in Bottrop-Kirchhellen, einem 1976 eingemeindeten, dörflichen Stadtteil. Da kommen wir jetzt an. Der Sohn der Familie, der wie sein Vater Johannes heißt, stößt dazu. Auch er ist einer der „Green Farmer“-Gründer und managt die Kundenbestellungen, das Zwischenlager mit Packstation ist ein alter Pferdestall. Dort werden natürlich auch die online bestellten hofeigenen Produkte – Spargel, Erdbeeren, Kartoffeln, Eingemachtes – fakturiert. Miermann junior hat aber gerade ganz andere Sorgen: Nachts kübelte es 70 Liter Regen und der Blitz ist in einen Stall eingeschlagen. Er muss weg, wir fahren weiter, vorbei an teilüberfluteten Ackerflächen. „Wenn die so verschlammt sind, kann man sie vergessen. Da kommt dann kaum noch was durch“, erklärt Hüsing. Ernteverlust, der einem überhaupt nicht auffällt, wenn man sich damit nicht auskennt.
Und dann sind wir bei den Ziegen. Großen, kleinen, süßen, weißen, braunen. 80 Stück, die sich putzmunter im offenen Stall der Familie Sondermann in Lembeck bei Dorsten tummeln. Seit 28 Jahren verkaufen die Sondermanns Ziegenkäse hier, produziert aus der eigenen und aus zugekaufter Milch, mit „Green Farmer“ jetzt endlich auch online. Eine eigene Seite hätten sie ja, aber die ist, äh, mäh. Der Ziegenkäse hingegen ist fantastisch. Eine Landwirt-Landingpage hat der Hof jetzt ja auf dem neuen Digital-Marktplatz. „Wir bieten den Höfen auch einen Werbeeffekt. Markendarstellung wird in der Landwirtschaft immer wichtiger, sie gibt dir in Preisverhandlungen eine andere Wahrnehmung“, erklärt Hüsing. Zum Vorbild nahm man sich das Onlineportal „Goodeggs“, das San Francisco und Umgebung mit lokal erzeugten Produkten versorgt, die hippe Namen wie „Sierra Nevada Cheese“ oder „Dave‘s Killer Bread“ tragen. Sieben Millionen Menschen wohnen in der Bay Area, fünf im Pott – Einzug ist ergo auch hier massig vorhanden. An der US-Westküste hat bekanntlich fast jedes Startup den Exit vor Augen bzw. zum Ziel.
Abschlussfrage daher bei frisch gebackenem Erdbeerkuchen und Kaffee: Wie sehen die Strategiepläne beim Startup tief im deutschen Westen aus? Der „proof of concept“ sei ja nun da, erklärt Hüsing. Jetzt gehe es darum, Hilfskräfte einzustellen, um die umfangreiche Logistikleistung von den eigenen Schultern zu nehmen und sich noch mehr aufs ins-Boot-holen von Investoren konzentrieren zu können. Der Pott soll nicht das einzige „Green Farmer“-Vertriebsgebiet bleiben. Er ist ja auch nicht die einzige Gegend mit Bauernhöfen in diesem Land.