Aus der Nische, meistensWarum das Torstraßen-Festival in Berlin wichtig ist

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Foto: Tonje Thilesen / Newthinking Communications

Von 8. bis zum 11. Juni findet zum mittlerweile siebten Mal das Torstraßen-Festival statt. Diese Straße – für all die, die sie nicht kennen – zieht sich einmal quer durch Berlin-Mitte: vom elitären SoHo House an der Mollstraße bis zur ehemaligen Ständigen Vertretung der BRD in der DDR an der Ecke Friedrichstraße. Die Torstraße ist laut, hässlich, ein bisschen dreckig und mittlerweile voller Touristen aus den Hostels rundum. Die Torstraße war in den 90ern aber auch verbindende Tangente im sich gerade entwickelnden Nachtleben im Osten. Bars, Kneipen und sowas wie Clubs gibt es auch heute noch. In der Festival-Zeit wird die Straße jedes Jahr zu einer Art von Open House der Subkultur. Trotz Gentrifizierung.

Die Torstraße wird dabei Podium für vorzugsweise junge und ganz junge Künstlerinnen und Künstler. Nur ist das Torstraßen Festival eben kein Straßenfest mit einer von Bratwurstbuden umzingelten Main Stage. Gefeiert wird stattdessen in an- und umliegenden Locations. Eingerahmt wird das Festival vom Auftaktabend im gerelaunchten Traditionsclub Acud und einem Abschlusskonzert in der Volksbühne. Mit dabei sind Artists wie Carla Dal Forno, FFX, Mary Ocher, Steven Warwick, Mavi Phoenix oder ZULI. Klingt super. Trotzdem spricht man beim Torstraßen-Festival von Krise. Christian Blumberg hat sich im verflixten siebten Jahr mit einem der Kuratoren des Festivals, Norman Palm, über Chancen, Widerstände und Durchhaltevermögen unterhalten.

Das TSF hat zum siebten Geburtstag einen Untertitel bekommen: „The 7 Year Itch“. Diagnostiziert ihr eurer eigenen Veranstaltung eine Krise?
Finanziell stecken wir eigentlich immer in der Krise (lacht). Dieser „7 Year Itch“ ist aber eigentlich ein „Every Year's Itch“. Nach jeder Ausgabe fallen wir in eine Art Katerstimmung und fragen uns, was das alles soll und was die Welt davon hat. Dann wollen wir das Ding erstmal ganz anders aufziehen. Das führt zu neuen Konzepten, die wir aber anschließend verwerfen, um es dann doch wieder so zu machen wie im Jahr zuvor. Wahrscheinlich weil das schon das Richtige ist und unser kleines Pop-Festival eben doch eine gewisse Kraft hat. Momentaner Vorschlag für das Motto des nächsten Jahres ist daher: „It is what it is.“

Also doch keine Krise?
Krise ist ja leider irgendwie immer. Eurokrise, Flüchtlingskrise: Wir müssen uns überlegen wie wir aktiv damit umgehen und ob die Musik das eben auch tut. Gegenkultur ist bei uns schon immer ein Thema. Stets begleitet von der Frage: Gibt’s die noch, geht die noch, und wenn ja, wie?

Torstraßen Festival Norman Palm

Norman Palm

Und wie?
Es ist klar, dass Musik heute nicht mehr Prostestsong-mäßig mit Slogans antworten kann. Das ist auch gut so, einfache Lösungen werden genug propagiert. Musik und Kunst können aber gerade die Komplexität der Krise reflektieren, das kann auch ganz subtil passieren. „Im Zweifel für den Zweifel“ (ein Song von Tocotronic, Anm. d. Red.), haben wir in diesem Zusammenhang schon zitiert. Also die Krise annehmen und ihre Komplexität anerkennen. Nicht gleich versuchen, alles zu entknoten. Unsere Künstlerinnen und Künstler kommen immer aus Nischen, aus gelebten Alternativen. Sie thematisieren Krisen auf ihre Art, sei es gesellschaftlich oder persönlich. Wir werfen gerne mit dem Begriff „Relevanz“ um uns – wobei sich natürlich gleich die Frage stellt: Relevant für wen und was? Aber wir wollen spüren, dass sich Popmusik an ihrer Umgebung abarbeitet, sich ihr entgegen oder sie in Frage stellt. Darum haben wir wieder viele, teils noch ganz unbekannte Acts und damit neue Positionen und Haltungen eingeladen – in diesem Jahr aber eben verstärkt auf krisenrelevante Narrative geachtet.

Musikalisch war das Festival ja schon immer sehr heterogen.
Ja und das bleibt auch so. Priests aus Washington etwa machen hoch politischen, aber sehr eleganten Punk. Ilgen-Nur ist eine meiner Favoritinnen, das ist so Coming-of-Age-Schrammel-Pop aus Hamburg, ganz neu, auch tief in der Krise – natürlich. Mary Ocher präsentiert ihr neues Album „The West Against The People“ alleine am Flügel, wir haben viel mehr HipHop und Rap dabei und jede Menge schlauen Pop. Ich tue mich immer schwer, einzelne Künstler herauszustellen, weil gerade das breite Spektrum unser Festival ausmacht. Wir haben eine wahnsinnig zeitraubende Webseite gebaut, da kann man alles nachlesen! Trotzdem muss ich unbedingt noch das Kolletiv „Kairo Is Koming“ erwähnen. Das sind sechs Musiker, die als Gruppe den Club VENT betreiben, einen der wenigen progressiven Orte des Kairoer Nachtlebens. Man kann sich vorstellen, dass das keine leichte Unternehmung ist, es gibt da massive Widerstände. Westliche Erwartungen an ägyptische Clubmusik erfüllen die allerdings überhaupt nicht. Es ist eine Menge Aufwand, so eine ganze Gang von Kairo nach Berlin zu holen, das Goethe-Institut hat uns netterweise dabei unterstützt. Vor den Shows wird es ein öffentliches Gespräch geben – ich glaube, dass das ziemlich gut wird. Nein: Ich weiß es.

Ihr wollt eine offene Versuchsanordnung sein. Ihr nennt sie „ein Experiment aus Pop-Musik, Stadt und Welt“. Nun experimentiert ihr ja ausgerechnet an einer Straße, die wie kaum eine andere von Gentrifizierung und Tourismus gezeichnet ist. Gibt es da eigentlich Widerstände von Seiten der Stadt Berlin oder findet die das im Gegenteil gut, wenn ihr Leute aus ihren Neuköllner Bezirks-Bubbles nach Mitte lockt?
Ich glaube, „die Stadt“ findet gut was wir machen. Sie unterstützt uns ja auch finanziell. Ich bin unschlüssig, wie man damit umgeht. Man will natürlich kein Instrument des Stadtmarketings werden und noch dazu beitragen, dass Mieten steigen und Kulturräume verschwinden. Andererseits sind wir nun einmal hier. In Mitte ist die Gentrifizierung weit fortgeschritten, und wir können die nicht aufhalten oder sogar rückgängig machen. Dazu braucht es andere, politische Instrumente. Wir können aber mal etwas anderes veranstalten. Es ist doch erstrebenswert, dass die Viertel einer Stadt kulturell durchmischt sind. Unsere Idee war immer: Wir machen ein Programm, das zunächst uns selbst gefällt. Das kommt meistens aus den Nischen. Aber wir laden alle ein, sich das anzuschauen und mitzumachen. Das ist das Experiment. Einerseits eine Szeneveranstaltung, andererseits aber dann eben doch so ein bisschen Straßenfest, bei dem jeder mal vorbeischaut. In der Distinktion der alten Pop-Theoretiker wäre das vielleicht ein Unding gewesen, aber ich finde es super, wenn sich der hippe Neuköllner zusammen mit einer Pankower Rentnerin eine Sängerin aus Mali anschaut.

Alle Infos zum Festival auf der Webseite.

Für den Abend mit „Kairo Is Koming“ am 8. Juni im Roten Salon der Volksbühne verlosen wir zwei Tickets. Bitte schickt uns eine E-Mail mit dem Stichwort Torstraße. Einsendeschluss: 4. Juni

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