Kraut Jazz Futurism, Lost Girls, Kenny LarkinWochenend-Walkman – 26. März 2021

WWalkman-26032021-lede-gif

Jeden Freitag haben wir drei Platten für euch – zumeist drei Tipps, mindestens aber drei Meinungen. Nicht immer neu, doch immer die Erwähnung wert. Heute mit: Kraut Jazz Futurism, Lost Girls und Kenny Larkin.

Kraut Jazz Futurism 2 Cover

Various Artists – Kraut Jazz Futurism Vol. 2

Ji-Hun: Dass es in Deutschland derzeit eine interessante junge Jazz-Szene zu entdecken gibt, hat mir vor einiger Zeit Beat Halberschmidt erklärt. Fast mit Ansage kommt daher der zweite Teil der Compilation „Kraut Jazz Futurism“ auf dem Label Kryptox heraus. Hinter dem Label steckt Mathias Modica, den man als Munk kennt, aber auch durch die Labels Gomma und Toy Tonics. 15 Tracks finden sich hier, die Sounds im Spannungsfeld von Jazz, Krautrock, Psychedelic, Elektronik und LoFi-HipHop befinden. Von den allermeisten Acts habe ich noch nicht gehört, die Compilation hat indes eine hohe Qualität und es macht Spaß, sich in diese international geprägte Szene hineinzufuchsen. Ob das nun auch für die Zukunft als futuristischer Kraut Jazz gebrandet bleibt, bleibt abzuwarten. Spannend ist das allemal.

lost girls walkman cover

Lost Girls – Menneskekollektivet

Benedikt: Seit mehr als zehn Jahren arbeitet die Künsterin, Songwriterin und Autorin Jenny Hval mit Multi-Instrumentalist Håvard Volden zusammen. Jetzt erscheint das Debüt-Album des norwegischen Duos. „Menneskekollektivet“ heißt soviel wie „Menschliches Kollektiv“. Was ist mit dem Menschlichen Kollektiv bzw. der Menschheit als Kollektiv eigentlich gerade los? Aus hiesiger, bisweilen eurozentristischer Perspektive taumelt sie mehr oder weniger mit reichlich Fehltritten durch eine globale Pandemie, die ebenjene kollektiven Schwächen gnadenlos offenlegt. Und das einzelne Individuum, respektive Ich, befindet sich im physichen #Stayathome-Stillstand, und droht geistig in einer Suppe aus Nicht-Nachrichten, Hiobsbotschaften und gesellschaftlicher Total-Verdrossenheit zu versinken. Ziemlich lost das alles. Auch die Musik von Hval und Volden ist ein unschlüssiges Umherwandern, eine ständige Suche. Nach einem Sound zwischen Gitarre, House-Beat, Ambient-Synth, Pop und Orchester. Und seitens der Texte von Hval nach einer expliziten Geschichte, die fehlt, sich aber gleichzeitig aus diesem Fehlen selbst generiert. „Menneskekollektivet“ ist wie die Performance der völligen Ungewissheit. Und genau deshalb eine grandiose, musikalische Momentaufnahme.

Kenny Larkin Azimuth 2021

Kenny Larkin – Azimuth (Expanded Version)

Thaddi: Techno. Es gibt kein anderes Genre, über das ich im vergangenen Jahr mehr nachgedacht habe. Was für eine Berechtigung diese Musik überhaupt noch hat, haben wird, wenn das Virus irgendwann in die Knie gezwungen ist. Ob wir dann noch tanzen wollen. Das ist natürlich BS. Und ein Klassiker wie Kenny Larkins „Azimuth“ hilft mir dabei, eine Art von Gleichgewicht in meinem Denken zu bewahren. Dieses Album erschien 1994 auf Warp. Und gilt seither als absoluter Klassiker – aus gutem Grund. Die Art und Weise, wie Larkin hier den Dancefloor mit dem simplen Hören und Absorbieren von Sounds vereint – das hat bis heute niemand mehr so überzeugend in Musik übersetzt. Nennt mich oldschool, das ist ok. Aber die Basis, das Fundament der heute so unberechenbaren Industrie (nein, eine Szene ist das nicht mehr), klang selten besser. Mit „Azimuth“ hat sich Larkin sich selbst und seinem Umfeld ein Denkmal gesetzt. Die Virtuosität hallt tief und nachhaltig. Nun hat Larkin sein Debütalbum wieder veröffentlicht – bei sich selbst auf „Art Of Dance“. Das heißt auch, dass es nun wieder auf Vinyl erhältlich ist und man keine Mondpreise für abgegrabbelte Platten mehr zahlen muss und das Knistern in den Breakbeat-Samples wieder von denen der Rillen-Patina trennen kann. Bestens. Klassiker sollen leben. Atmen. Und vor allem gespielt werden.

Haunting und taktil – mitunter donnerndEmeka Ogboh, Alina Kalancea, Floating Points – 3 Platten, 3 Meinungen

Leseliste 27. März 2021 – andere Medien, andere ThemenSchwarzer Bourbon, Streaming-Piraten, Mittagspause, Aliens