Plattenkritik: Cristian Vogel – Fase Montuno (Mille Plateaux)Dickicht der Sounds

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Seit den 1990er-Jahren arbeitet der Chilene Cristian Vogel an seinen Vorstellungen der elektronischen Musik. Über diese drei Dekaden waren die Forschungsergebnisse praktisch immer unvorhersehbar: Techno, IDM, Sub-Genres mit den verschiedensten Präfixen, die eh nie etwas bedeutet haben. Seine Diskografie ist beeindruckender als alles, was auf dem Hollywood Boulevard als Stern in Beton gegossen wurde. Sein neues Album „Fase Montuno“ schließt nahtlos an die Tradition dieses Reingrätschens an.

Die vergangenen Wochen waren interessant. Das ist der kleinste gemeinsame Nenner aus Begrifflichkeiten wie „deprimierend“, „irritierend“ und „frustrierend“. Held:innen erreichen das Rentenalter. Kündigen ihren Rückzug an. Von den Plattenspielern oder aus dem Studio. Oder werden so krank, dass eine Zwangspause unabdingbar ist. Ob Kirk DeGiorgio, Claude Young oder Steven Tang: Dass eine neue Generationen von Musiker:innen 2023 endlich übernimmt oder zumindest gleichzieht, ist so unabdingbar wie logisch. Und doch bleibt bei einem Techno-Rentner wie mir ein schaler Beigeschmack, eine gewisse Trauer, dass bestimmte Menschen, deren Musik mir immer die Welt bedeuteten, sich zurückziehen aus dem „Business“. Ich habe größten Respekt dafür. Weil, ganz ehrlich: Wie lange kann man überzeugend das alte Erbe noch vor sich hertragen? Auf Disocgs kosten die Platten ein paar Cent – wer will, kann sich ein vortreffliches Retro-Wochenende für wenige Euro zusammenkaufen.

In den vergangenen Wochen habe ich viel über Cristian Vogel nachgedacht. Einen spezifischen Grund gab es dafür nicht. Regelmäßig kreise ich um mein Expedit im Allgemeinen und das Fach im Speziellen, in dem sich die Force-Inc-Releases finden. Dann ziehe ich mal eine 12" von Biochip C. raus, dann Space Cube, immer wieder natürlich auch von Alec Empire, von Dr. Walker (und allen Kumpels) oder eben von Cristian Vogel. Ich kann mich kaum erinnern, welche 12" dieses Produzenten ich zuerst kaufte und in mein Herz schloss. Vielleicht tatsächlich die „Intersync EP“ auf dem Force-Inc-Sublabel „Virtual Science“. Gerade drei 12"s erschienen hier. Die von Russ Gabriel war in meiner damaligen Wahrnehmung grandios, die von Cristian angenehm obskur. Das mag auch genau andersherum gewesen sein. Meine Erinnerung an diese Zeit Mitte der 1990er-Jahre ist fuzzy. Und ich habe bislang noch nicht die Eier gehabt, einen kostenpflichtigen Newsletter aufzusetzen, um all dies aufzuarbeiten. Dazu kamen seine Releases auf Magnetic North, die 12" auf Ferox (dem Label, auch dem auch der „Soundtrack 313 von The Detroit Escalator Co. erschien), Veröffentlichungen auf Mosquito. Vogel war überall. Und sein Projekt „Super_Collider“ mit Jamie Lidell war zu diesem Zeitpunk noch nicht mal erfunden. Genug mit der Vergangenheit. „Fase Montuno“ ist das aktuelle Album von Cristian Vogel.

Dass der Titel im gesamten Internet – von Hardwax bis zu Apple Music – falsch („False Montuno“) geschrieben wird, ist eigentlich ganz schön. Zur Hölle mit den Metadaten. Auch dieses Detail ist wieder ein Throwback auf die Zeiten, in denen das Layout von 12"-Labeln von überarbeiteten Grafiker:innen in der Mittagspause erstellt wurde – ohne Rücksicht auf Verluste. Geändert hat sich daran ja bis heute zu gut wie gar nichts. Wichtiger ist die Musik. Und die ist wunderbar.

Vogel gräbt sich auf acht Tracks durch die von Drum-Machines getriebenen Groove-Konstrukte längst vergangener Zeiten, über denen so gut wie alles passieren kann – und auch passiert. Die dringliche Fluffigkeit ist unerreicht. Es pulst, windet sich, steigert sich, reduziert sich, changiert zwischen ungewöhnlich und gefällig, nimmt Sounds mit an Bord, die wir so noch nie gehört haben, paart sie mit gelernten Strukturen und Geräten, die aus dem Kanon nicht wegzudenken sind. Um als Ergebnis etwas zu präsentieren, das so vertraut wie ungeheuerlich unerwartet ist. Hier geht es nicht um den Dancefloor. „Fase Montuno“ ist eine pure Forschungsreise durch die Bausteine, die die Schaltkreise alternder Klangerzeuger im intensiven Braindance mit aktuellen Sound-Apps ausspucken. Und sich dabei immer an den Strukturen orientieren, die jüngeren Generationen nicht mehr vertraut sind. Das ist ein großes Statement. Und ein Brückenschlag, der hoffentlich in den ravigen Zwischentönen auch verfängt. Wer sich in diesem Dickicht zurechtfindet, hat mit der Zukunft kein Problem. Auch wenn sie von der Vergangenheit getrieben wird.

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