Plattenkritik: Lackluster – Alley (Hymen, 2023)Ravetronica

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Eine Woche, bevor der Aphex Twin mal wieder eine EP veröffentlicht, ist es an der Zeit, sich einem anderen Helden der elektronischen Musik zu widmen: Esa Ruoho aka Lackluster.

Es gibt Platten, die verlassen einen nicht. Lacklusters „Container“ ist so ein Album. Einen Indikator dafür findet sich sogar im Archiv unseres Magazins, als ich im Oktober 2014 die LP in den Wochenend-Walkman steckte. Auch in den vergangenen achteinhalb Jahren hat „Container“ nichts von seiner Faszination bei mir eingebüßt, im Gegenteil. Die Tracks wirken so einfach und wunderbar geradeaus. Ich erinnere mich genau, wie ich nach dem Release im Jahr 2000 versuchte, selbst etwas in dieser Art zu produzieren, dabei aber krachend scheiterte. Denn wie Ruoho die nur wenigen Sounds und Spuren gegeneinander antreten lässt und sie immer weiter verschachtelt, ist so komplex wie unerreicht. Das gilt auch für die aufblühende Musikalität dieser Vignetten. Aus der Zeit gefallene Kleinode der außer Atem geratenen Backroom-Raver:innen. Es war die Zeit von Rephlex und Warp. Von Musiker:innen wie Richard D James oder Bochum Welt. Mir ging mit jeder neuen 12" das Herz auf.

Warum ich das alles schreibe? Lacklusters aktuelles Album „Alley“ (erschienen im April 2023) knüpft für mich nahtlos an diese Zeit und sein Album „Container“ an. Das mag eine steile These sein. Denn natürlich habe ich nicht die gesamte Diskografie von Ruoho aus den 23 Jahren auf meiner MP3-Festplatte. Das Speichermedium mit den rund 1,5 TB Musik habe ich in den vergangenen Jahren ohnehin nur selten angeschlossen. Mit anderen Worten: Ich weiß gar nicht, was Lackluster in Gänze so produziert und veröffentlicht hat, auch wenn ich sicher bin, immer wieder mal ein Album oder eine EP gehört zu haben. Ganz schön eigentlich, nun wieder mit Begeisterung dabei sein zu können.

„Alley“ glitzert in Teilen weniger. Ruoho nimmt neben dem altbekannten Strahlen und seiner inhärenten Schönheit auch dunkle Erinnerungen aus der großen IDM-Zeit in den Blick. Herrlich angetäuschte Moog-Bässe, dystopisches Sound-Design: Tracks, bei denen man sich auf den ersten Blick unwohl fühlen kann, aber keinesfalls muss. Denn so wie es damals im Club war, ist es nach wie vor auch in den Gassen, durch die wie alle in den Jahren gewandert und gelaufen sind: ruhig, entspannt, hektisch, gestresst – bei Tage oder bei Nacht. Und dann, ganz plötzlich, finden sich auch hier diese unfassbar großen Melodie-Momente. Einfach hingestellt. Einfach Herz ausgeschüttet. Mit ein bisschen Hall drauf, unterlegt mit klappernden Beats, zu denen man das Tanzen erst lernen muss. Lackluster macht Musik für Momente, die uns nicht oft zu Teil werden. Für das große Eingeschüchtertsein und die schiere Freude. Das wird immer dann besonders magisch, wenn beides irgendwie miteinander zu tun hat, voneinander abhängig ist. Dann entsteht eine pastorale Brüchigkeit im Unbewussten. Dieses Kribbeln hält uns am Leben. Dass „Alley“ auf Hymen veröffentlicht wurde, scheint so zufällig wie kongenial. Ich kann mich an wenige Labels erinnern, die in ihrer Hochzeit ein derart dicht getaktetes Output hatten. Das war fordernd für den Musikjournalisten, der ich damals war. Aber auch wunderbar. Ein Blick auf Lacklusters Bandcamp zeigt, dass ich viel nachzuholen habe. Darauf freue ich mich sehr. Bitte weitermachen.

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