Plattenkritik: The Other People Place – Lifestyles Of The Laptop Café (Warp, 2001)Post-Electro für die Post-Everything-Welt

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Drexciya waren die Helden des Electro. Sind die Helden des Electro. Mit „Lifestyles Of The Laptop Café“ setzte James Stinson, einer der beiden Musiker, dieser Idee der elektronischen Musik ein Denkmal, das auch 22 Jahre später noch unerreicht hell strahlt.

Ich erinnere mich ziemlich genau. Ich hatte eine Promo-CD dieses Albums bekommen, und es war mal wieder De:Bug-Party im Berliner WMF. In der Lounge machte ich den Anfang hinter den Decks. So intimidating. Ich konnte weder mixen, noch hatte ich eine Idee von Flow – ich spielte einfach die Tracks, die ich spielen wollte. Ohne Rücksicht auf alles. Während die ersten Gäst:innen im Club ankamen und sich ein Bier an der Bar holten, droppte ich „Let Me Be Me“ und drehte auf. Vollkommen unangemessen, denke ich heute. Vielleicht aber auch genau richtig. Ich wollte niemanden zum Tanzen bringen, nur Musik auf einer tollen Anlage zum Singen bringen. Der Track lief, Skanfrom tappelte auf mich zu und fragte, was das denn wohl Geiles sei. Ich zeigte ihm den Waschzettel und wusste genau, dass er dieses Album kaufen würde, wenn es wenigen Wochen später in den Handel kommen sollte.

James Stinson

James Stinson | Foto: Warp

Electro. Das ist der kleinste gemeinsame Nenner für alle, die elektronische Musik schon länger verfolgen, sich mit der Geschichte des Dancefloors auseinandergesetzt haben. Von „Planet Rock“ bis zur Detroiter Realität von Juan Atkins et al: Der Proto-Beat von damals befeuert im besten Fall immer noch die Kreativität von heute. Swing und Deepness, bestimmt von Maschinen, die heuer so viel kosten wie ein Gebrauchtwagen. Im Zentrum: Rolands TR-808, ein Drumcomputer, der der technologischen Entwicklung zum Marktstart 1980 mit seinen komplett analog erzeugten Sounds bereits hinterherhinkte. Die Welt wollte Samples, „akustische“ Sounds. Bei Roland packte man stattdessen nicht ganz so fitte Transistoren auf ein Motherboard in einem großen Gehäuse und feierte das Analoge. Aus der Rücksicht nicht schade, sondern umso toller. Ich habe in der letzten Zeit mal wieder viel über den ganz besonderen Swing dieser Maschine nachgedacht – jetzt, da meine eigene 808 endlich ein neues Zuhause gefunden hat. Was habe ich es geliebt, den internen Sequenzer zu programmieren. 16 bzw. 32 Steps für die Zukunft. Drexciya, also auch James Stinson, haben den Klang des Drumcomputers für sich entdeckt, perfektioniert, kontextualisiert – eine Musik erschaffen, die es so heute nicht mehr gibt.

„Lifestyles Of The Laptop Café“ ist ein einladendes Album – egal wie abstrakt und/oder entrückt die Sounds und Tracks wahrgenommen werden. Der ikonische Groove – die flatternden HiHats – fliegt entspannt über allen anderen Elementen und gibt den Takt der Rezeption vor. Easy, locker, fluffig – voller Bounce. Darüber entfaltet Stinson die Dringlichkeit, die es in der elektronischen Musik braucht – ganz egal wie das am Ende klingt. Denn „Lifestyles Of The Laptop Café“ ist eine stille Platte, eine Sammlung von musikalischen Miniaturen, die mit den Referenzen der großen Momenten spielen, für sich selbst aber zurückgezogen – still und fast heimlich – nach vorne gehen. Verpackt in viel Soul und Pop – das sind alles viel mehr Songs und weniger Tracks, ob nun mit Vocals oder nicht. Auch Drumcomputer brauchen mal Urlaub. Und wenn in ein Aluminium-Chassis verbaute Schaltkreise eine Auszeit bekommen, glänzen umso stärker.

Es gibt vergleichsweise wenige Alben aus diesem Kosmos, die wirklich als Album funktionieren. „Lifestyles Of The Laptop Café“ funzt perfekt. Eingebettet ist das nicht minder wundervolle Artwork von The Designers Republic. Die Mensch/Maschine-Diskussion war schon 2001 wirklich von vorgestern. Ein Pismo-PowerBook im Wald zu shooten ... das war der inhaltliche Stichwortgeber der Zeit. Denn: Wer braucht schon Laptop-Cafés?

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