Plattenkritik: Dusky - Love Taking OverSo geht die neue britische Breitbeinigkeit

Dusky Love Taking Over

Das britische Duo startet ein eigenes Label. Mit den besten Tracks, die die beiden seit langer Zeit veröffentlicht haben.

Der englische Dancefloor verändert sich. Gut, diese Nachricht hat nun nicht wirklich Überschrift-Charakter, morpht das britische Königreich doch sowieso, zumindest in seiner perfekt inszenierten Außenwahrnehmung, stetig. Was man aber konstatieren kann, ist ein neues Selbstbewusstsein. Die schlägt sich vor allem in einer fulminanten Breitbeinigkeit nieder. Wir produzieren für den Big Room, und immer für die Peak Time. Mit anderen Worten. Techno ist zurück. Keine melancholische Rolle rückwärts, es geht einfach nur vorwärts. Laut und schnell und geradeaus. Einfach, schnörkellos und direkt.

##Historizität jenseits von House
Eine der zahlreichen Speerspitzen dieses new brutalism sind Dusky. Alfie Granger-Howell und Nick Harriman pflegen diesen Stil in ziemlich einzigartiger Weise und sind dabei eigentlich alles andere als new and brutal. Und doch brachten sie mit ihren letzten Veröffentlichungen - vor allem auf Aus Music - einen Ansatz auf den Punkt, der schon seit längerem in den Startlöchern auf den großen Durchbruch, die breite Akzeptanz wartet: Historizität jenseits von House. Die drei Tracks ihrer neuen EP, gleichzeitig Startschuss für ihr eigenes Label „17 Steps“, feiern die britische Dance-Music-Geschichte in ihrer breitgefächerten Fulminanz und stellen sie für die Neuzeit frisch auf: Rewind. Und damit sind wir schon mitten im Thema.

Denn der Eröffnungstrack - „Love Taking Over“ - wächst einem vor allem deshalb so schnell ans Herz, weil die Melodie fast schon ein Gassenhauser ist, bzw: aus zwei Gassenhauern adaptiert ist. Erkennt ihr die Melodie?

These: Das ist zum einem inspiriert von „Amenity“ von Link. Einem dieser Tracks von Mark Pritchard, der sich tief in das Gedächtnis aller mittlerweile alten Raver eingebrannt hat. Zig mal veröffentlicht, geremixt, gradegerückt. Und dann ist da natürlich „At Les“ vom großen und gar nicht britischen Carl Craig.

Dusky brennen diesem unwiderstehlichen Dreiklang mit deutlich mehr Tönen, diesem Klingelton alles Bassdrum-Mönche, mit dem Verzerrer eine neue Nachhaltigkeit in die Sinuskurve. Hier sitzt jeder Move. Das muss auch so sein, denn dieses versinnbildlichte Rave-Signal ist lediglich Anker für beiden Produzenten, um noch zahlreiche andere Phänomene der Vergangenheit mit in dem Track unter zu bringen. Garage zum Beispiel, gespielt mit vier unterschiedlichen Bassdrums. Da können die Heavy-Metal-Zombies einpacken.

Dusky 2014

Alfie Granger-Howell und Nick Harriman aka Dusky

Die Macht der Erinnerung schlägt sich auch im zweiten Track der Platte deutlich nieder. „Inta“ kokettiert mit und bedient sich bei Grooverider, Ikone des Drum and Bass, Gallionsfigur einer Zeit und Bewegung, in der Großbritannien keinen Techno mehr importieren musste, plötzlich etwas ganz Eigenes hatte.

Aber zurück zu diesem moody Dreiklang, der eigentlich keiner ist. Der geht einem nicht nur nahe, sondert er windet auch kalt und distanziert. Und mit eben diesem Trick beenden Dusky die EP in „Expectations“. Erwartungen haben wir jetzt mehr denn je an die beiden Produzenten. Dieses unbestimmt-ungestüme Flirren beherrscht unser Innenohr. Und hoffentlich bald auch das eure. Eine sehr überzeugende, aber auch sehr wichtige EP. Für den Fortschritt.

Dusky, Love Taking Over, erscheint auf 17 Steps.
Bei iTunes kaufen

„Meinen Eltern war egal, ob ich lesen kann.“Analphabetismus in Berlin

Auf dem Highway nach Iran: TürkeiEine Kamera, ein Bild und seine Geschichte