Plattenkritik: Xenia Reaper – Luvaphy (INDEX:Records)IDM, mon amour
3.1.2025 • Sounds – Text: Thaddeus HerrmannScheiß auf die Bassdrums: Zwischen Breaks, Flächen und Sound-Design arbeiten sich Xenia Reaper an einer historischen Klangästhetik ab, die den Dancefloor und die Clubkultur von heute zum wiederholten Male revolutionieren könnte.
Es ist 2025, und ich arbeite mich Schritt für Schritt und Link für Link durch die Bestenlisten meiner Substack-Abos. Die „großen“ Namen der musikjournalistischen Branche haben mir wenig zu erzählen – zu berechenbar, zu Kanon-verliebt, wenn es diesen Kanon überhaupt gab. Die – zumindest mir – unbekannteren Stimmen hingegen liefern meinem 2024 immer mehr verkümmerten Musik-Gehirn derart viel Input, dass ich 2025 gar keine neuen Releases brauche. Xenia Reaper ist ein gutes Beispiel. Der erste „richtige“ Album der/des Producer:in erschien schon Ende März vergangenen Jahres, zuvor gab es bereits ein paar EPs. Wer sich hinter dem Pseudonym verbirgt lässt sich nicht recherchieren – mir ist es zumindest nicht gelungen. Das ist eigentlich eine Haltung, die ich für überholt halte, sie passt aber zur Musik, die neben ganz viel Zukunft auch mindestens so viel Vergangenheit atmet.
Damals, in dieser ominösen Vergangenheit, gab es viele Begriffe und Stichworte, um das elektronisch produzierte Genre-Labyrinth zu bezeichnen und somit greif- und fassbar zu machen. IDM, Clicks'n'Cuts, Drill'n'Bass, Knurschpel, Plinker, schießmichtot. Xenia Reaper interessieren sich für die abstrakte und doch deepe Eleganz. Flächige Endlosigkeit, flirrend und dezidiert digital, wie frischer und vorbildlich gehärteter Asphalt der neuen Überholspur ins Übermorgen, ist die Basis der meisten Tracks, die sich in kürzester Zeit auffächern und hinter kaputten Pixeln hell scheinender OLED-Displays ein rhythmisches Eigenleben entwickeln, das für ebenjene Überholspur in geheimen Laboren entwickelt wurde. Breakbeatige Artefakte, bis zur Unkenntlichkeit zerlegt und neu zusammengesetzt, artifiziell und doch fröhlich bollernd groovend, nie darauf aus, wirklich Amen-Dampf zu machen, sondern vielmehr die Verspieltheit des Digital-Möglichen ins Rampenlicht stellend. Die Chords, Flächen und Drones atmen den Geist 12-bittiger Presets von EMU-Systems. Die Produktion klingt so, als wäre sie auf einem Neve-Prototypen mit 256 Kanälen abgemischt worden. Das ist alles komplett unfassbar und sensationell. Spricht vielleicht nicht zu denjenigen, die diese Art von Musik damals, als sie neu war, nicht live miterlebt haben, bietet aber auch genug Anknüpfungspunkte, um genau das jetzt, hier und heute nachzuholen. Die Welt war früher schlicht verspulter. Unberechenbarer. Weniger strukturiert. Vielleicht freier.
Xenia Reaper erinnert mit neun Tracks an eine Zeit, die ihren Peak immer nicht nicht erlebt hat. Kommt jemand mit?