Wochenend-WalkmanDiesmal mit Shed, Rrose und Rage Against The Machine

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Jeden Samstag haben wir drei Platten für euch – zumeist drei Tipps, mindestens aber drei Meinungen. Nicht immer neu, doch immer die Erwähnung wert. Heute mit: Shed, Rrose und Rage Against The Machine.

Shed Oderbruch Cover

Shed – Oderbruch

Thaddeus: Shed, René Pawlowitz, symbolisierte für mich immer die Sorte Produzent mit weichem Kern hinter harter Schale. Die Beats und ihr inhärenter Eskapismus, der Umgang mit Sounds, die schon längst der Ewigkeit angehören und von ihm doch immer wieder neu verhandelt und kontextualisiert wurden. Dazu der meist ernste Gesichtsausdruck, das unbedingte Beharren auf technokulturellen Prinzipien und die daran angeschlossene reine Lehre einer Musik, die es so heute gar nicht mehr gibt: alles Schall und Rauch, bzw. Trockeneis und Hall. Pawlowitz hat sich im Studio schon seit längerem einer Erinnerungskultur verschrieben, in der die Bassdrum und der Breakbeat wenn überhaupt nur noch eine unterstützende Rolle spielen. Sheds Stücke sind Polaroid-Snapshots, die einzig und allein dazu da sind, Momente und Situationen auf der Timeline zu halten, damit die Geschichte auch in 50 Jahren nicht vollkommen verfälscht nacherzählt werden kann. Relikte einer Zeit, ohne die es das Hier und Jetzt so hätte nie geben können, und die doch im maximierten Überschall drohen unterzugehen. Und wer sein Fahrrad so immer nur bergauf schiebt, legt irgendwann alles ab, was ihn nach außen als jemanden erscheinen lassen könnte, dieses Spiel auch nur ansatzweise mitspielen zu wollen oder zu können. Nun hat Shed seiner Heimat ein Album gewidmet. Und projiziert sein musikalisches coming-of-age auf die Landschaft, in der sich die Beats, Chords, Bässe und Breaks erstmalig in seine DNA einfrästen und von der Natur bebildert wurden, um all das, was im Autoradio und auf dem Plattenspieler lief, irgendwie begreifbar und beherrschbar zu machen. Stücke wie „Sterbende Alleen“ machen eine ganze Generation mehr oder weniger würdevoll gealterter Raver in Millisekundenschnelle nackig. Dort, unter den gasigen Waldhorn-Samples liegt unser aller Vergangenheit, die sich auf moosigem Untergrund genauso gestaltete wie auf dem Asphalt des Flucht- und Sehnsuchtspunkts Berlin. Es sind die Harmoniefolgen, die uns angreifen, die präzise gesetzten Rhythmus-Akzente, das kollektive Rumpeln der Unwissenheit, wo das alles hinführen könnte. Diese konsequente Überforderung, gepaart mit einer euphorischen Naivität des unbedingten Sich-darauf-Einlassens, ist verloren gegangen. Das muss man nicht schlimm finden, kann man auch gar nicht, wenn man es nicht selbst erlebt hat. Konsequenzen hat es dennoch. Vielleicht wird die Gegenwart irgendwann wieder erträglich, die Zukunft aber hat keine Chance.

Rrose Hymn to Moisture Walkman

Rrose – Hymn To Moisture

Benedikt: Von Rrose erzählte mir vor einigen Jahren Felix Fleer, alter Bekannter aus Bielefeld, DJ, Produzent, Labelmacher und RINSE.fr-Host. Seitdem purzelt jedes Release des weiblichen Alter Egos von Seth Horvitz in meine Playlisten. Allein, in die hiesige wöchentliche Plattenschau hat Rrose es bislang nicht geschafft. Das lag weniger an der Musik, als vielmehr am Mangel der richtigen Worte für die durchweg faszinierenden Techno-Abstraktionen des Produzenten bzw. der Künstlerin. Aber es scheint, als käme ich bei „Hymn To Moisture“ nun nicht mehr drumherum. Dass ich letztlich doch gar nicht so spät dran bin, weil diese Platte angeblich das Solo-Debüt-Album darstellt, kann ich angesichts der musikalischen Vertrautheit kaum glauben. Aber die vorherigen Rrose-Releases auf Seth Horvitz eigenem Label EAUX waren wohl allesamt EPs. Sei es drum. Mit nahezu wissenschaftlicher Akribie werden hier die Drones und Synthies moduliert, wobei im endlosen Fluss, mit dem sich diese Tracks durch ihre Spielzeit bewegen, selten klar ist, was eigentlich Layerwechsel und was Effekt ist. Es gibt hier keine Cuts und Wendungen, es gibt nur Schwingungen, Tendenzen, vielleicht mal eine sanfte Kurve – aber nicht mehr. Drums und Bässe kommen – wenn vorhanden – als endlose, aber elliptische und sich dadurch ständig leicht verschiebende Schleifen daher. Und obwohl hier augenscheinlich Eiseskälte und bedrohliche Düsternis regieren, wird einem trotz der Außentemperaturen von knapp über 0°C ganz wohlig warm unter den Kopfhörern. Es würde mich kaum wundern, wenn Seth Horvitz im nächsten Interview droppt, dass dieser Musik binaurale Beats zugrunde liegen.

Rage Against The Machine The Battle of Los Angeles Cover

Rage Against The Machine – The Battle Of Los Angeles

Ji-Hun: Vor ziemlich genau 20 Jahren erschien das dritte und letzte Studio-Album „The Battle of Los Angeles“ von der Band Rage Against The Machine. Bis ich die Größe des Albums verstanden habe, hat es aber eine Weile gedauert. Natürlich wurden die ersten beiden Alben („Rage Against The Machine“, 1992 & „Evil Empire“, 1996) auf Schulhöfen in den Abgrund oft gehört, wie viele tausend blaue Flecken auf Abi-Feten, anderen Schulpartys und Provinz-Discos während „Killing in the Name of“ und „Bombtrack“beim Pogo produziert worden sein mussten. Als „The Battle of Los Angeles“ erschien, war ich gerade an der Uni. Jene Musik aus Teenager-Zeiten, die dann auch noch ziemlich mainstream war. Immerhin stieg „The Battle of Los Angeles“ in den USA auf Platz 1 der Billboard-Charts, verkaufte dort alleine 420.000 Langspieler in der ersten Woche (das muss man sich heute mal vorstellen), und blockierte sogar Mariah Carey das Podest. Außerdem ist in den 1990ern musikalisch viel, sehr schnell und parallel passiert. Der Anfang des Jahrzehnts so heiß gehandelte Crossover, den RATM mit erfanden, wurde durch Nu-Metal und Post-Hardcore verdrängt. Damals gab es quasi jährlich neue Hype-Genres. Die Saiten wurden eine Quart tiefer gestimmt. Refused, Korn und Deftones sorgten für neuen Input und Styles, da habe ich aber der Rockmusik schon den halben Rücken zugekehrt. Wie soll man auch noch eine „Szene“ gut finden, die durch H-Blockx, Guano Apes und Clawfinger so derart vergackeiert wurde. RATM damit zu vergleichen, ist natürlich ungerecht, aber so war es halt irgendwie.

Der Mut zur Differenz und Unvoreingenommenheit ist eine Eigenschaft des Alters. Heute ist „The Battle of Los Angeles“ das Album, das ich von der Band um Zack de la Rocha, Tim Commerford, Tom Morello und Brad Wilk am häufigsten gehört habe. Es ist auch das beste Album der Band. Zeitlosigkeit kann eben erst die Zeit beweisen. Und ich würde in einigen Belangen sogar noch weiter gehen: „The Battle of Los Angeles“ ist wahrscheinlich eines der besten Alben der 90er und RATM zeigen sich in dieser unfassbar präzis-präsenten und fetten Produktion von Brendan O’Brien als eine der besten und tightesten Bands aller Zeiten. Dann wäre da aber noch die Politik der Band, die bei aller inhaltlichen Verkürzung, die Songs eben mit sich bringen, in heutigen Zeiten so sehr fehlt wie ein echter Mensch als Präsident der USA. RATM engagierten sich damals schon pedantisch für die Freilassung von Mumia Abu Jamal und brachten Naomi Klein wie Noam Chomsky in das Bewusstsein verpickelter Hormonschleudern wie mich mit 14. Mein allererstes Band-T-Shirt war von der Band, aber hatte ich eine Ahnung wer Che Guevara war? Das musste mir erst der Hippie-Dad eines guten Freunds erklären. 2000 erschien noch das Cover-Album „Renegades“, aber dann fanden das Instrumental-Trio und Lyricist/Vocalist Zack de la Rocha nicht mehr zusammen. Politische Differenzen, sagt man. De la Rocha soll die Spannungen zwischen Major-Industrie, persönlicher Intention, Bigotterie der Branche und Rockstar-Dasein nicht mehr ertragen haben. Wer kann es ihm verübeln? Besser aufhören, wenn es sprichwörtlich am besten ist. Leider waren alle Folgeprojekte von Wilk, Morello und Commerford wie Audioslave mit Chris Cornell (möge er in Frieden ruhen) und Prophets of Rage mit Chuck D (Public Enemy) und B-Real (Cypress Hill) bei allem Highclass-Namedropping nur lausig. Für 2020 haben RATM eine Handvoll Konzerte angekündigt. Vielleicht gibt es ja doch noch ein neues Album. Dass man nicht gezwungenermaßen aus der Ära und dem Genre kommend würdelos verkacken muss, haben Tool erst kürzlich mit Grandesse bewiesen. Und selten habe ich mir eine Rock-Band so zurück gewünscht.

Plattenkritik: Richie Hawtin – Closer AppQuo vadis Techno?

Leseliste 01. Dezember 2019 – andere Medien, andere ThemenMark Fisher, 3D-Pornografie, Behrouz Boochani und Extinction Rebellion