Katzen-GIFs vom KatzenhasserHeute: der Karton

karton katze gif

Wieso postet man Katzen, obwohl man keine mag? Sie sind überall.

Ende des vergangenen Jahrhunderts, als die westliche Gesellschaft in ersten Zügen anfing, ein ökologisches und nachhaltiges Bewusstsein zu produzieren, waren Papier und Pappe jene Güter, an denen man sich als erstes abarbeitete. Wie viele Wälder müssen noch für die immensen Papiermassen abgeholzt, wie viel giftiges Chlor tagtäglich für das Bleichen des Papiers verschwendet werden? Recycling war plötzlich ein Zauberwort, zu meinen Schulzeiten wurde angemahnt, doch graue Schulhefte mit Blauem Engel zu kaufen, was aber auch dazu führte, dass meine damals schon eklatante Sauklaue noch verschmierter und meine Arbeiten für Lehrer noch unleserlicher wurden. Folge: Punktabzug. Eines der damaligen Modernitätsversprechen war, dass die Digitalisierung uns vom Zwang des Papiers wegbringen kann. Das papierlose Büro, papierlose Medien. Das Silicon Valley und die Telekom werden es schon richten, dass wir nie wieder einen Baum für die Epigonen des alt-ägyptischen Papyrus hinrichten müssen.

Vergangenen Herbst war ich in Finnland. Das kleine Land war in einer großen Krise. Die wichtigste Firma des Landes Nokia hatte kurz zuvor die Mobilfunksparte (das Aushängeschild der Finnen) an Microsoft verkauft. Man hatte den Eindruck, als wäre mit Technologie keine Zukunft mehr zu machen. Einer meiner finnischen Gesprächspartner erklärte unterdessen, dass die Finnen sich erstens nicht so leicht unterkriegen lassen und zweitens in der Nähe von Helsinki wieder Milliardeninvestitionen betätigt werden – und zwar in die Produktion von Papier und Pappe. Finnland ist ein Land voller Wälder und all die Millionen Verpackungen für Smartphones, Laptops, Kameras, Tablets, Smartwatches und Co. haben für einen weltweiten Papierboom gesorgt. Und so wie wir heute statt mit Brief, Telegramm und Fax mit E-Mails kommunizieren, Webseiten statt Zeitungen lesen und damit offenbar Papier sparen, geht der Bedarf in anderen Lebensbereichen rapide nach oben. Die Pappe ist wohl nicht totzukriegen, feiert eigentlich sogar ein Revival. Man muss sich nur vorstellen, wie viele Millionen Kartons eingespart werden könnten, wenn der moderne Mensch wieder ins Kaufhaus ginge und nicht täglich jeden einzelnen Pups mit Schleife bei Amazon, Zalando oder Asos bestellt. Apple kaufte vor einigen Wochen rund 147 Quadratkilometer Wald in North Carolina und Maine, unter dem Vorwand sich der „nachhaltigen Papierproduktion“ für all die iPhones und iPads zu widmen. Ein Wald so groß wie Freiburg im Breisgau. Darf man eigentlich so viel Wald kaufen, um ihn einfach abholzen zu lassen? Apple darf. Aber auch Google brachte im vergangenen Jahr mit dem VR Cardboard eine Virtual-Reality-Brille aus Pappe heraus – und überhaupt, slicke Design-Blogs sind voll mit Karton-Produkten: Möbel, Gadgets, fesche Alltagsprodukte, nichts, was man nicht aus der totgeglaubten Pappe machen könnte. In Frankreich wurde dieses Jahr sogar das erste Ferienhaus der Welt ausschließlich aus Pappe gebaut.

Diese akrobatische Katze hier ist die Protagonistin eines besonders schönen GIFs. Man könnte hier gar von einer Bildkomposition sprechen. Eine große Couch. Eine getigerte Decke liegt akkurat gefaltet auf dieser. Auf der, vom Betrachter gesehen, rechten Sitzfläche: zwei identisch aussehende Fußhupen, arrangiert wie in einem alten holländischen Meisterwerk, die Beobachter, die Kommentatoren, das Auge des Volkes, der reflexive Betrachter, Waldorf und Statler. Darüber auf der Lehne thront eine Katze, ihr Blick schweift nach rechts, fokussiert etwas an, das im Bild nicht zu erkennen ist. Vielleicht ist sie in Gedanken. Sie scheint das Geschehen nicht zu interessieren. Das helle Tageslicht hinter ihr reißt auf, lässt Konturen verschwimmen. Ihr schwarz-weißes Fell fusioniert mit der blendenden, gleißenden, aber auch grausamen Realität da draußen. Die Tiefe des Raumes rückt hier schreckhaft in den Vordergrund. Wie geätztes Zelluloid bei den ersten großen Filmkünstlern wie Walter Ruttmann Anfang des 20. Jahrhundert. Auf der linken Seite der Lehne ist ein weiterer Hund zu sehen. Kein lebendiger Hund, sondern ein Snoopy als Stofftier, so liegt er auch da, wie ein lebloses Drogenopfer nach der Fusion, das sich dennoch das MDMA-infizierte Grinsen nicht verkneifen kann und lieber faul Deckenpanele zählt, als sich auf die eigentliche Action zu konzentrieren. Ein Sinnbild der artifiziellen, aufmerksamkeitsgestörten, Comic-haften, aber auch trägen Moderne, das in der Symmetrie bewusst mit der Philosophenkatze auf der rechten Seite bricht.

Vor der Couch befindet sich ein Karton mit japanischen Schriftzeichen, der von der Protagonistenkatze im Bildvordergrund anvisiert wird und durch einen eleganten Kopfsprung um 90 Grad zur rechten Seite kippt. Das sieht anfangs intendiert und athletisch aus. Nur scheint die Katze nach dem Kippen die Orientierung verloren zu haben und sich zu fragen, ob sie mit einer identischen, aber invertierten Bewegung wieder aus der Rücklingsposition und somit dem Karton herauskommt. Dies hier ist bis dato eines der großartigsten Katzen-GIFs, die das Internet je hervorgebracht hat. Dass hierin der Karton, ein revitalisiertes Relikt längst vergangener Epochen trotz seiner immanenten Leere, Nutz- und Leblosigkeit eine so kongeniale Hauptrolle spielt und Handlungen wie Bewegungsabläufe schafft, die ein Mensch sich zuvor nie hätte ausdenken können. Wer hätte das gedacht?

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