Blutrausch, Nigger und BitchesFilmkritik: „The Hateful 8“

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Alle Fotos: universum film

Quentin Tarantinos mittlerweile achter Film mit dem symbolischen Titel „The Hateful 8“ ist wieder ein Western geworden. Und will doch anders sein als sein Vorgänger Django Unchained. Unser Filmkritiker Tim Schenkl hat sich den 70mm-Klopper angeschaut und weiß zu berichten: Tarantino hat durchaus zu alter Form zurückgefunden, wenn auch nicht in allen Belangen. Über gangsterhaften Tarantino-Sprech, Gewaltorgien und die analoge Wirkmacht des Zelluloids.

In seinen Interviews erzählt Quentin Tarantino gerne, dass er nicht vorhabe, mehr als zehn Filme zu drehen, und dass er plane, nach seiner Karriere als Kino-Regisseur entweder als Autor oder für das Fernsehen zu arbeiten. Mit The Hateful 8 liefert der mittlerweile 52-Jährige nun seinen achten und somit wohl vor-vorletzten Film ab. Wie schon Tarantinos siebter Streich Django Unchained handelt es sich auch bei The Hateful 8 um einen Western.

Mit einem Einspielergebnis von über 425 Millionen US-Dollar war Django Unchained Tarantinos bisher kommerziell erfolgreichster Film – leider aber auch sein mit Abstand schlechtester. Die Rache-Geschichte des schwarzen Sklavens Django Freeman war nicht nur konzeptionell dem tollen Vorgängerfilm Inglourious Basterds zu ähnlich, in dem mit der Kraft des Kinos Adolf Hitler und sein Hofstaat ein Ende bereitet wird. Der Blaxploitation-Western kam darüber hinaus einfach auch wahnsinnig langatmig und ausgesprochen unausgereift daher. Dazu fehlten dem Film wichtige Zutaten, die viele der vorherigen Tarantino-Filme zu einem Ereignis machten: originelle und witzige Dialoge, ein eklektischer, toller Soundtrack – der einen dazu verleitet, bis ganz zum Ende des Abspanns im Kino sitzen zu bleiben, um die Songtitel zu notieren – und eine einfallsreiche und ausgeklügelte Inszenierung für die Kamera, die man mit legendären Szenen wie dem „Footmassage“-Longtake mit Jules und Vincent aus Pulp Fiction oder der Eröffnungs-Sequenz von Inglourious Basterds eigentlich von diesem Regisseur gewohnt ist. Auch wenn diese Elemente alle natürlich im Ansatz vorhanden waren, so wirkte Django Unchained doch geradezu wie eine billige Tarantino-Kopie.

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See it in glorious 70mm

Fast scheint es daher, als wolle Tarantino mit The Hateful 8 nun endlich allen beweisen, dass er wirklich Western kann: Nicht nur wurde der Film auf 70mm-Zelluloidfilm mit den selben Kameraobjektiven und im selben Bildformat gedreht wie der Filmklassiker Ben Hur (Notiz für Nerds und Korinthenkacker: Eigentlich wurde The Hateful 8 auf 65mm gedreht und nur für die nicht-digitalen Vorführungen auf 70mm aufgeblasen). Große Teile des Soundtracks hat außerdem die italienische Western-Ikone Ennio Morricone komponiert. Dazu kommen tolle Original-Songs von den White Stripes und David Hess. Darüber hinaus können sich die Fans des Regisseurs über einen Tarantino-Allstar-Cast mit Samuel L. Jackson, Michael Madsen, Tim Roth und Kurt Russell freuen. So weit so gut. Aber worum geht es eigentlich in The Hateful 8?

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Der Film spielt im Wyoming der Zeit nach dem amerikanischen Bürgerkrieg. Es ist Winter. Tiefster Winter. Der Kopfgeldjäger John „The Hangman“ Ruth (Kurt Russell) ist in einer Kutsche auf dem Weg nach Red Rock. Im Gepäck hat er Daisy Domergue (Jennifer Jason Leigh), auf deren Kopf ein Belohnung von 10.000 Dollar ausgesetzt ist. John Ruth ist dafür bekannt, flüchtige Kriminelle nicht selbst zu exekutieren, sondern sie den Behörden bei lebendigem Leib zu übergeben, um sie anschließend hängen zu sehen. Unterwegs nimmt die Kutsche den schwarzen Ex-Nordstaaten-Soldaten Major Marquis Warren (Samuel L. Jackson), der nun ebenfalls sein Geld als Kopfgeldjäger verdient, sowie einen Südstaaten-Rassisten namens Chris Mannix (Walton Goggins) auf, der behauptet, der neue Sheriff von Red Rock zu sein. Ein starker Schneesturm zwingt die bunte Truppe dazu, in einer geräumigen Blockhütte Unterschlupf zu suchen.

Die Lokalität nennt sich Minnie’s Haberdashery, was auf Deutsch übersetzt soviel wie Minnies Miederwarenladen heißt. Minnie selbst ist allerdings nicht vor Ort, auch von ihrem Ehemann fehlt jede Spur. Dafür treffen der Hangman und seine Begleiter auf einen weiteren Rassisten, den ehemaligen Südstaaten-General Sanford Smithers (Bruce Dern), sowie ein äußerst zwielichtiges Trio, das aus dem Mexikaner Bon (Demian Bichir), dem Cowboy Joe Gage (Michael Madsen) und dem Engländer mit dem eher weniger britischen Namen Oswaldo Mobray (Tim Roth) besteht. Schnell schöpfen die beiden Kopfgeldjäger den Verdacht, dass sie Teil eines Plans geworden sind, an dessen Ende die Befreiung Daisy Domergues steht.

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Tarantino bleibt Tarantino

Egal ob Kriminalfilm, Blaxploitation-Flick, Martial-Arts-Epos, geschichtsrevisionistischer Kriegsfilm oder eben Western: Ein Tarantino-Film ist immer ein Tarantino-Film. Der Regisseur bedient sich auch für The Hateful 8 exzessiv bei seinen Lieblingswerken aus der Filmgeschichte sowie bei seiner eigenen Filmographie und beschwört allein durch die Besetzung von Russell, Dern und Leigh die Historie Hollywoods. Auch die typischen Tarantino-Dialoge dürfen natürlich nicht fehlen, wenngleich die verbalen Verweise auf die Popkultur settingbedingt wegfallen. Trotzdem fühlt sich der Film ein wenig anders an als Tarantinos frühere Werke. Und dies im Positiven wie im Negativen.

Zu allererst scheint Tarantino sich für The Hateful 8 deutlich mehr Gedanken über die Inszenierung seiner Geschichte gemacht zu haben, als dies zumindest bei Django Unchained der Fall war. Neben den von ihm bereits gewohnten Rückblenden und Diopter-Tricks (einem Effekt der 70er, bei dem durch eine spezielle Linse vor dem Objektiv Vordergrund und Hintergrund gleichzeitig scharf dargestellt werden), experimentiert Tarantino in The Hateful 8 mit einer Voice-Over-Narration. Außerdem inszeniert er gemeinsam mit seinem Kameramann Robert Richardson spektakuläre und teilweise ungewohnt raue Außenaufnahmen und arbeitet viel mit Schärfenverlagerungen. Auch die erstmals für einen Tarantino-Film eigens komponierte Filmmusik von Morricone ist spektakulär und erinnert eher an einen Horrorfilm-Soundtrack als an einen klassischen Western-Score. In manchen Momenten, wie z.B. in der genialen Titel-Sequenz, entwickelt The Hateful 8 eine geradezu überwältigende Wirkungsmacht, die einen gut nachvollziehen lässt, warum Tarantino weiterhin darauf besteht, seine Filme nicht digital, sondern auf analogem Filmmaterial zu drehen. Doch dies ist nur die eine Seite von The Hateful 8.

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For All My Niggaz & Bitches

Freute man sich bei früheren Tarantino-Filmen bei der Zweit-, Dritt- oder Viertsichtung immer wieder diebisch auf die nächste legendäre Dialog-Szene, wünscht man sich bei The Hateful 8 häufiger, die Charaktere würden endlich mal die Klappe halten und Signore Morricone die Tonspur überlassen. „Why do we feel it’s necessary to yak about bullshit in order to be comfortable? That’s when you know you’ve found somebody special. When you can just shut the fuck up for a minute and comfortably enjoy the silence“, philosophiert Mia Wallace in Pulp Fiction. In The Hateful 8 wird relativ schnell deutlich, dass die Charaktere diesen „Special-Someone“ innerhalb der erzwungenen Hausgemeinschaft wohl eher nicht finden werden. Der Film ist selbst für Tarantino-Verhältnisse extrem „chatty“. Nicht nur die Masse an Dialogen wird irgendwann zum Problem, auch der Inhalt.

Die Vorwürfe, er verherrliche in seinen Filmen Gewalt und nutze das Wort „Nigger“ inflationär, begleiten Tarantino seit Beginn seiner Karriere und ließen sich mit Hilfe einer eingehenderen Analyse immer relativ leicht widerlegen. In The Hateful 8 fühlt man sich aber bei all den „Niggers“ und „Bitches“ manchmal wie in einem Gangster-Hip-Hop-Video. Die Western-Kulisse und besonders Samuel L. Jacksons immer gleiche Herangehensweise an die von Tarantino geschriebenen Charaktere, die in völlig unterschiedlichen Zeiten und Milieus leben, lassen Zweifel daran aufkommen, dass es sich hier um eine zumindest ansatzweise realistische Ausdrucksweise einer bestimmten Zeitepoche handelt. Näher liegt die Vermutung, dass Worte wie „Nigger“ und „Bitch“ einfach zum typischen „Tarantino-Sprech“ dazugehören bzw. aufgrund ihrer Schockwirkung diesmal ganz bewusst eingesetzt werden. Auch die Gewaltszenen sind dermaßen drastisch und in vielerlei Hinsicht „unnötig“. So wirkt das, was vermutlich als ein zynischer Kommentar zum Zustand der Vereinigten Statten gemeint ist, häufig wie eine plumpe Provokation im Stile der Eskapaden eines Lars von Triers. Am Ende ist die Gewaltorgie in der letzten Stunde des Films nämlich weder besonders provokant noch künstlerisch wagemutig. Und macht auch nicht, wie Tarantino es gerne behauptet, besonders viel Spaß. Mir zumindest nicht. Mag The Hateful 8 auch ein deutlich besserer Film geworden sein als Django Unchained, bleibt doch zu hoffen, dass Tarantino nicht noch einen dritten Anlauf im Western-Genre startet.

The Hateful 8
USA 2015
Regie: Quentin Tarantino
Drehbuch: Quentin Tarantino
Darsteller: Samuel L. Jackson, Jennifer Jason Leigh, Kurt Russell, Tim Roth, Michael Madsen, Walton Goggins, Demian Bichir, Bruce Dern
Kamera: Robert Richardson
Musik: Ennio Morricone
Laufzeit: Roadshow-Version (187 min, inkl. 12 min Pause), reguläre Fassung (167 min)
ab dem 28.1.2016 im Kino

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