Haben und SeinÜber das Shoppen im Netz

Konsum

Foto: Martin Raabenstein

Je einfacher das Einkaufen im Netz ist, desto weniger Erinnerungen knüpfen wir an unseren Besitz. Das Verhältnis von Mensch und Ware verändert sich. Das Filter-Autor Martin Raabenstein hat sich Gedanken dazu gemacht.

Jeder hat sie in seinem Schrank, die guten alten Dinge, die man liebt und deren Präsenz man unmittelbar mit dem eigenen Leben verbindet. Gemeint ist hier alles von der Hose bis zum Buch, möglicherweise auch der Schrank selbst: Dinge, die, sich schon immer im persönlichen Besitz zu befinden scheinen. Im Gegensatz zu allen anderen Gütern, die saisonbedingt das Ego begleiten und dementsprechend relativ zügig wieder entsorgt werden, haben diese Oldies um ein vielfaches mehr den Duft, die Essenz des Besitzers eingesogen. Obwohl in der Regel schon länger nicht mehr getragen, betrachtet oder angefasst worden, käme deren Verlust einem tieferem Drama gleich, das nur mit dem unerklärlichen Entschwinden des heiß geliebten Kuscheltiers der Kindertage zu vergleichen wäre. Das T-Shirt aus Amsterdam oder die Vase von der Ex, diese Gegenstände haben nicht nur eine Gebrauchs-, sondern auch eine Erwerbsgeschichte.

Die Frage ist, ob die heute gängige „Click and Buy“-Kaufpraxis überhaupt zu einer tieferen Identitätsbildung des Käufers beitragen kann, ob nicht durch die räumliche und zeitliche Verkürzung des Vorgangs „Ware/Bildschirm/Konsument/Kauf“ die subtile Schönheit des Erwerbs im Draußen verloren geht und das individuelle, haptische Be-greifen und Wählen des gewünschten Objektes nicht eigentlich für eine engere Subjekt-Objekt-Bindung zwingend notwendig ist.

Die Entwicklung des Konsums liest sich in Kurzform so: Schon im 15. Jahrhundert bildet sich der Begriff der Konsumgesellschaft heraus, der sich unter anderem dadurch auszeichnet, dass hier nicht nur gekauft wird, was man unmittelbar zum Leben braucht, sondern darüber hinaus auch Waren erwirbt, die das Leben schöner und angenehmer machen sollen. Drei Jahrhunderte später emanzipiert sich das Bürgertum und kann mit seiner erstarkten Kaufkraft diesen neuen Reichtum auch nach außen darstellen. Eine kleine, aber nicht zu unterschätzende Änderung des Warenerwerbes tritt dann im 19. Jahrhundert ein: Die Preise werden nicht mehr frei verhandelt, sondern sind durch den Auftritt der ersten Konsumhäuser nun fest gebunden. Die Industrialisierung zieht neue und stabile Produktions-, Transport- und Handelsstrukturen nach sich. Mit der Globalisierung der Märkte Mitte des letzten Jahrhunderts entwickelt sich in den 80er-Jahren ein wahrer Konsumrausch, die Shopping-Sucht wird gesellschaftsfähig. Aktuelle Strömung im Kaufverhalten ist die Politisierung des Konsums. Nachhaltigkeit, Umweltverträglichkeit und ein fairer Handel mit den Rohstoffländern rücken in den Fokus der Konsumenten.

Pepsi neben Pop Art und H&M neben Hergé

Ullrich Cover

In seinem bei Wagenbach erschienenen Werk „Alles nur Konsum. Kritik der warenästhetischen Erziehung“ stellt Dr. Wolfgang Ullrich, Professor für Kunstwissenschaft und Medientheorie an der Hochschule für Gestaltung Karlsruhe, eine sehnsuchtsstützende Markenwelt dar, die er in seinem Untertitel mit Schillers „Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen“ zu verbinden sucht. Im Gegensatz zu Schiller, der in seinen Briefen seine Enttäuschung über den Verlauf der Französischen Revolution zum Ausdruck brachte, und darin unter anderem vertrat, dass man nur über die Schönheit und die Kunst zur Freiheit gelangen kann, will der Karlsruher Professor die Ware selbst zum Kunstgleichen erheben. Wer so zukünftig seine Freiheit zu erlangen sucht, stellt sich also, so wie auf dem Buchtitel abgebildet, das bevorzugte Produkt neben den Kunstfolianten in das Bücherregal. Am besten alphabetisch geordnet, Pepsi neben Pop Art und H&M neben Hergé. Das kann man schon so machen, der Kaiser freut sich immer über vermeintlich neue Kleider. Doch die Erforschung des Marktes hat eine weit längere Tradition.

Schon seit den 60ern untersuchen amerikanische Unternehmen, wie sich das Selbstbild des Konsumenten im Vergleich zum Image der zu erwerbenden Ware verhält. Hierbei ließ sich feststellen, dass gerade dieses Selbstbild durch einen Kauf unterstützt, oder noch weiter ausgreifend, der Unterschied zum gewünschten Idealbild der eigenen Person damit abgebaut werden kann. Der Drang zur Selbsterhöhung scheint hier nichts eigentlich Neues zu sein, schon das angesprochene Bürgertum des 18. Jahrhunderts war mit ebensolchen Inszenierungen beschäftigt.

Die Mechanismen ähneln sich auf verblüffende Art und Weise. Wiewohl man sich damals dem Adel gleichsetzen wollte, stöbert heute die identitätsdurstige Käuferschaft in den entsprechenden Foren, um es den je nach Orientierung gewählten VIPs gleichzutun. „Auf den Trend spring ich auf“ oder „Das hol ich mir“ sind Überschriften zu endlosen Warenstrecken, denen das unerfüllte Ego die dringend notwendige Füllmenge entnehmen kann. Dies kann unter Umständen zu entsprechenden Verzerrungen führen. Dass sich derzeit die Mehrheit der in Hot Pants gezwängten Trägerinnen eher zu einer unglücklichen Persiflage von Hot Dogs verwandeln, scheint das beglückte Ich anscheinend wenig zu bekümmern. Die Vorstellung der erfolgreichen Aneignung übersteigt das reale Bild.

Und das Ende der Fahnenstange ist noch längst nicht erreicht. Google Glass z.B. ist nur der erste Schritt in ein Zukunftsszenario, in dem Bürgern auf Schritt und Tritt individuell auf Kaufverhalten zugeschnittene Werbung präsentiert wird, wie in „Minority Report“ 2002 vorweggenommen. Diese Vision ist schon jetzt annähernd Realität in japanischen Zügen, die zwar das Individuum noch nicht als solches erkennen, aber mithilfe von in den Werbeträgern eingebauten Kameras das Gegenüber demografisch grob erfassen, und die entsprechende Message dazu in Verbindung bringen können. Das Ganze kann man noch weiter zuspitzen wie bei einer anderen amerikanischen Filmproduktion: „Surrogates“. Hier vegetiert der User auf seiner Datenmatte dahin, um im überidealisierten Avatar, direkt mit der Matte verbunden, in der bösen realen Welt draußen individuelle Traumwelten auszuleben.

Kehren wir aber noch einmal zurück zur eingangs gestellten Frage über die haptische und sinnliche Notwendigkeit von Konsum. Man wird die angesprochenen Entwicklungen nicht stoppen können. Was der Mensch erst einmal erdacht hat, wird umgesetzt. Dass es hierzu wieder Gegenströmungen geben wird, ist klar. Jede kulturelle Welle hat ihre entgegengesetzte Reaktion. Dennoch, erst wenn es nur noch Onlineshopping gibt, werden wir es genauer wissen. Alle diejenigen, die sich dann noch wehmütig an den Wochenmarkt um die Ecke erinnern können, werden dann voraussichtlich zum Ziel wohlmeinenden Spottes, durchaus damit vergleichbar wie wir heute kopfschüttelnd Kinder beobachten, die verständnislos an einem Telefon mit Wählscheibe versagen. Aus genau dem gegenteiligen Grund.

Wer weiß, was er/sie/es will, hat mit all dem natürlich nichts zu tun. Ist die Psyche gesättigt und die Erweiterung des Egos durch die Warenwelt unnötig und nur ein dezentes Lächeln wert, wohldenn. Dann klickt man auf das, was man schon hat und kennt. Mehr nicht.

Dieser Kopfhörer hat eine Videokamera und streamt live ins NetzWarum? Weil das geht, stupid!

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