„Mit mir reden, das wollen die Menschen nicht.“Ein Berliner Obdachloser erzählt aus seinem Alltag

Hansaplatz

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In Berlin leben rund 10.000 Menschen auf der Straße. Sie schlafen in Parks, im Vorraum von Sparkassen oder in U-Bahnhöfen. Im Winter sogar ganz legal. Frank ist einer von ihnen. Monika Herrmann hat er erzählt, wie sein obdachloses Leben aussieht. Ein Gedächtnisprotokoll.

„Also diese Bank hier im U-Bahnhof – die ist praktisch mein Zuhause. Hier sitze ich tagsüber, beobachte die Leute und wenn ich müde bin, leg ich mich einfach hin und schlafe. Hört sich komisch an, wa? Aber iss so. Und ich finde das auch gar nicht so übel.
Ja – du lachst, alle lachen oder sie schütteln die Köpfe, wenn ich das so sage. Aber ich vermisse nichts. Guck mal, hier ist mein Rucksack. Da sind ein paar Socken zum Wechseln drin, eine Unterhose und ein Hemd. Alles Klamotten von der Bahnhofsmission. Da kleide ich mich ein von Zeit zu Zeit. Naja, ist alles gebraucht, aber sauber und es passt auch einigermaßen. Die fragen da nicht, warum und wieso ich so lebe. Ich bin einfach der Frank und basta. Ein paar Mal hat mir ein Sozi (Frank meint Sozialarbeiter) einen Platz in so einem betreuten Wohnprojekt angeboten. Aber nee. Ich brauch meine Freiheit. Guck mal, ich bin jetzt schon über 20 Jahre auf der Straße. Da gewöhnt man sich doch an den Zustand. Ich kann doch jetzt nicht in eine Wohnung. Nee.
Ja, wie bin ich überhaupt obdachlos geworden? Gute Frage. Also geboren bin ich irgendwo in Norddeutschland. Aber wo? Keene Ahnung. Ich habe keine Papiere. Und null Erinnerungen. Kommt wohl vom Alkohol. Der vernebelt ja das Gedächtnis. Aber ich weiß, dass ich schon als kleener Junge im Heim war. Irgendwie hat das zu Hause nicht hingehauen.“

„Ich heiße Frank und bin so Mitte 40. Mehr weiß ich nicht.“

„Und dann kam auch Knast dazu. So als Jugendlicher. Straßenkind, Klaukind, Jugendknast, wieder Heim. Irgendwann dann die Obdachlosigkeit. Aber ich empfinde das nicht als Katastrophe. Verstehste? Wenn du keine Papiere hast, kein Geld, keine Adresse, dann bist du ja eigentlich gar nicht vorhanden. Du kannst leben, wie du willst, keiner kennt deinen Namen. Klar, haben mich die Bullen schon ein paar Mal mitgenommen und versucht, was rauszukriegen über meine Vergangenheit. Ich sag dann immer nur: Ich heiße Frank, mehr weiß ich nicht. Nicht mal mein richtiges Alter. Also ich denke, ich bin so Mitte vierzig. Da denken die: Ach, der ist nicht richtig im Kopp und lassen mich wieder laufen. Kann ja sein, dass ich nicht richtig im Kopp bin. Etliche Male wurde ich notfallmäßig in die Psychiatrie eingewiesen. Wegen Selbstmordversuchen. Ick schnippele dann immer an meinen Pulsadern rum. Denn ehrlich: Manchmal hab ick das hier alles satt.
Aber nur manchmal. Immer dann, wenn mir der Glühwein fehlt. Wenn ick die 1,69 Euro nicht zusammen kriege für ein Liter von dem Zeug. Aber ich brauch das, als Nervennahrung, verstehste?! Guck mal hier (zeigt auf eine blaue Plastiktüte neben sich): 2 Liter Glühwein. Das ist meine Tagesration.“

„Ja und wenn ich Hunger kriege? Bahnhofsmission. Die schmieren da den ganzen Tag Stullen für Leute, die so leben wie ich. Und Kaffee gibt’s, so viel du willst. Alles Spenden von Leuten, die ein bisschen Mitgefühl haben. Manchmal kommen ja Fahrgäste, die hier ein und aussteigen und bieten mir Obst an oder Kekse oder so Sachen. Im Winter hab ich auch schon Mützen und Schals gekriegt. Aber mal mit mir reden? Nee, das wollen die nicht oder nur selten. Vielleicht weil ich immer ein bisschen stinke? Aber ich kann ja nicht jeden Tag duschen. Die Leute mit Wohnung haben auch kein Verständnis für Menschen von der Straße. Da trennen uns Welten. Umso besser, wenn mal ne Journalistin kommt und interessierte Fragen stellt. Echt, dit freut mich.
So und jetzt müssen wir uns verabschieden. Ick brauch jetzt ne Toilette und denn will ick Stullen bei der Bahnhofsmission abgreifen. Ach so, noch wat: Wenn du was schreibst über Obdachlose: nicht so negativ. Denn eigentlich fehlt uns ja nüscht. Denn was braucht man schon zum Leben? Glühwein natürlich immer.“

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