Bilder im KopfMichael Ballhaus schreibt über sein Leben

Michael Ballhaus

Michael Ballhaus, Foto: Mara Eggert

Wenn Margit Carstensen und Karlheinz Böhm sich in Fassbinders Martha erstmalig begegnen, scheint die filmische Zeit urplötzlich still zu stehen. Die Kamera umkreist die beiden Protagonisten komplett, es entwickelt sich eine starke Sogwirkung. Am Ende der Einstellung sind nicht nur die beiden Charaktere voneinander gefangen genommen, der Regisseur Fassbinder hat auch einen weiteren, für ihn so typischen, paradoxen Kinomoment erschaffen, der das Publikum in einen Zustand von reflexiver Distanz bei gleichzeitiger direkter Involviertheit versetzt.

Der Mann, der neben Fassbinder als Co-Autor dieser Szene genannt werden muss, ist Michael Ballhaus, jener Berliner Kameramann, der gemeinsam mit Fassbinder fünfzehn Filmprojekte verwirklichte und der im Anschluss an die Dreharbeiten zu Martha die 360-Grad-Kreisfahrt quasi zu seinem filmischen Markenzeichen machte.

Ballhaus, der bereits 2002 gemeinsam mit Tom Tykwer das Interview-Buch Das fliegende Auge veröffentlichte, hat nun seine Autobiographie Bilder im Kopf vorgelegt. Es sind die Erinnerungen eines Mannes, der mit seinen Augen gelebt und gearbeitet hat, wie Ballhaus im Prolog des Buches schreibt, und der nun im verdienten Ruhestand seine Sehkraft aufgrund einer tückischen Augenerkrankung tragischerweise größtenteils verloren hat.
Geboren 1935 in Berlin als Sohn zweier Schauspieler, zieht Ballhaus mit seiner Mutter Lena 1943 nach Coburg in Oberfranken. Als der Vater Carl aus dem Krieg heimkehrt, gründen die Eltern dort einen kleinen Theaterbetrieb, und so verbringt Ballhaus die Zeit seiner Adoleszenz fernab von der sittenstrengen, verklemmten Realität im Rest des Nachkriegsdeutschlands im Kreise eines Theaterensembles, dem ein Schloss als Spielstätte und Herberge dient. Mit den Fantasiewelten des Kinos kommt er erst recht spät in Berührung. Doch als sein Vater ihn 1954 zu den Dreharbeiten von Max Ophüls Film Lola Montez mitnimmt, ist es um ihn geschehen. Die technischen Finessen, die Ophüls und sein Kameramann Christian Matras aufwenden, um die Handlung des Films optimal in Szene zu setzen, üben eine solche Faszination auf den jungen Ballhaus aus, dass in ihm der Wunsch entsteht, selbst einmal für die Bildgestaltung eines Kinofilms verantwortlich zu sein.

Die Gnade der frühen Geburt lässt ihn teilhaben an einem Fernsehen, das noch relativ frei ist von konfektionierter Massenware und auf die Quote schielenden Themenfilmen.

Doch bevor ihm dies gelingt, muss er sich zuerst in einer anderen Welt beweisen: dem Deutschen Fernsehen. Beim SWR in Baden-Baden lernt er den Regisseur Peter Lilienthal kennen, mit dem er gemeinsam einige Projekte realisiert, bevor dieser dem öffentlich-rechtlichen Arbeitsalltag den Rücken kehrt und auch Ballhaus davon überzeugt, seine gesicherte Existenz beim SWR aufzugeben, um im 68er Berlin eine Dozentenstelle an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (dffb) anzunehmen, an der er unter anderem Wolfgang Petersen, Helke Sander und Holger Meins unterrichtete.
Ballhaus’ Schilderungen aus dem Inneren dieser beiden Institutionen gehören zu den stärksten und interessantesten Passagen des Buches. Die Gnade der frühen Geburt lässt ihn teilhaben an einem Fernsehen, das noch relativ frei ist von konfektionierter Massenware und auf die Quote schielenden Themenfilmen. Außerdem beschreibt er einen Akademiealltag, der geprägt ist von politischen Diskussionen und ästhetischen Diskursen und der die Studenten nicht, wie es heute üblich ist, ausschließlich auf den nächsten Pitch oder die Verfilmung des sonntäglichen Tatorts vorbereitet.
Über Ballhaus’ Zeit mit Fassbinder und die Arbeit in Hollywood, wo er mit Regie-Legenden wie Martin Scorsese und Mike Nichols zusammenarbeitete, erfahren besonders die Leser von Das fliegende Auge dahingegen wenig Neues. Eine detaillierte Analyse seiner eigenen Arbeit und seines Lebenswegs scheut der Autor und konzentriert sich zumeist auf Anekdotisches. Dem Leser bietet sich dabei ein Blick auf eine für einen Deutschen nahezu einmalige Karriere im internationalen Filmgeschäft, geschildert mit sympathischer Nüchternheit und nie aufgesetzt wirkender Bescheidenheit, die ihren vermeintlichen Höhepunkt in dem Musikvideo zu Madonnas „Papa Don’t Preach“ findet, einem Clip, von dem Ballhaus selbst schmunzelnd vermutet, dass ihn mehr Menschen gesehen haben als alle seine Kinofilme zusammen.

Michael Ballhaus mit Claudius Seidl
Bilder im Kopf. Die Geschichte meines Lebens
erschienen bei DVA, München 2014
320 Seiten
Preis: 22,99 Euro

10 Erkenntnisse zur re:publica 2014Fruchteis, Louis Vuitton und LOVE

Live aus dem WeltallErstmalig HD-Stream von der ISS