Wirtschaftsfaktor NachtlebenInterview: Stadtplaner Jakob Franz Schmid über das Forschungsprojekt „Stadtnachacht“

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Foto: Nachttiere via Shutterstock

Die einen wollen in Ruhe schlafen, die anderen einen draufmachen, womit wiederum Dritte ihr Geld verdienen: In der Nacht wird ordentlich Umsatz gemacht. Das ist lukrativ für alle Beteiligten, aber auch Basis für Konflikte, Ärger, Beschwerden, Klagen und Schließungen. Ein Spannungsfeld, über das es viele Diskurse, viele Meinungen, aber wenig quantitatives Wissen gibt. Was kommt eigentlich dabei rum, wenn in Städten von Berlin bis Karlsruhe die Nacht beginnt? Was ist das eigentlich wert?

Das soeben abgeschlossene Pilotprojekt „Stadtnachacht“ versucht, ein erstes Licht ins Dunkel zu bringen: Anhand von explorativen Analysen, Auswertung von Sekundärmaterial und vertiefenden Fallstudien für einzelne Städte formuliert das Forschungsprojekt, das an der „HafenCity Universität Hamburg“ entstand, knapp 30 Handlungsempfehlungen für eine neue Art der Stadtentwicklungspolitik - von Grundlegendem wie Wissenstransfer und Kommunikationsmanagement bis zur Infragestellung von Sperrstunden und der „Multicodierung“ von Straßenräumen (tagsüber Autostraße, nachts Fußweg z.B.). Ziel ist eine Stadtentwicklung, „die die Belange eines attraktiven, sicheren und sozial inklusiven Nachtlebens mitberücksichtigt und zur Entfaltung positiver ökonomischer, kultureller und stadträumlicher Effekte der Urbanen Nachtökonomie beiträgt“.

Wozu, könnte man einwenden. Soll jetzt auch noch das Nachtleben, eines der letzten urbanen Refugien, von oben herab geplant und geregelt werden? Kann das nicht aus sich selbst heraus entwickelt werden? Es reicht doch, wenn die Akteure des städtischen Nachtlebens, im Tages- bzw. Nachtgeschäft Mitbewerber, sich zusammenschließen und wie in Berlin („Clubcommission“), Hamburg („Clubkombinat“) oder Köln (Clubkomm) für ihre lokalen Interessen eintreten, zum Beispiel mit der Erstellung eines „Clubkatasters“ in Berlin. Oder?

Der entscheidende Satz der Pilotstudie dazu fällt gleich am Anfang:

„Ungeachtet der Frage ob das Nachtleben steuerbar ist oder nicht (oder sein sollte) muss festgestellt werden, dass es in diesem Themenkontext sowohl an grundsätzlichem Wissen als auch an praktischem Know-how mangelt. Für die Stadtentwicklungspolitik bedarf es hier zunächst einer grundsätzlichen Auseinandersetzung mit dem Phänomen Nachtleben und der Urbanen Nachtökonomie. Hierfür sollen die vorliegenden Ergebnisse des Pilotprojekts "Stadtnachacht – Management der Urbanen Nachtökonomie" einen Beitrag und Impuls liefern.“

Ein Impuls, der vor allem in den Amtsstuben die Drehstühle leicht anhüpfen lassen soll, denn Adressaten sind vor allem diejenigen, die hier über zukünftige Entwicklungen im Stadt- und Innenstadtgebiet entscheiden. Und in der Regel nicht dieselbe Sprache sprechen wie diejenigen, die sich aktiv - vor oder hinter den Tresen, Pulten und Bühnen - am Nachtleben beteiligen. Eine gemeinsame Diskussionsgrundlage fehle völlig, konstatiert die Studie. Die Ökonomie könne diese Grundlage werden, nach dem Vorbild der „night-time economy“ aus Großbritannien, dort bereits ein etablierter Forschungsbereich. Mit Jakob Franz Schmid, der als freiberuflicher Stadtplaner und wissenschaftlicher Mitarbeiter der HafenCity-Uni das Projekt geleitet und durchgeführt hat, haben wir über die „Stadt nach acht“ gesprochen.

Jakob Franz Schmid

Hat die Stadt nach acht untersucht: Jakob Franz Schmid

Herr Schmid, wie kam es eigentlich zu der Projektidee?
Um das Nachtleben gibt es viele Diskurse und Konnotationen. Positive wie Erlebnis, negative wie Lärm. Wissen gibt es hingegen wenig: Welchen wirtschaftlichen, touristischen Wert hat die Nachtökonomie? Da gibt es nur vereinzelte Schlaglichter, aber bislang keine quantitativen Erhebungen, die das Thema für die Kommunal- und Stadtplanung verständlich macht. Mit „stadtnachacht“ wollen wir einen ersten Schritt machen, die Nachtökonomie ganzheitlicher zu betrachten.

Warum Nachtökonomie, warum nicht Nachtkultur? Das klingt sehr nach Verwertbarkeit. Geht es darum in erster Linie?
Es ist eine Ökonomie, es wird ja Geld verdient. Nicht nur in Locations, auch in Kiosken, im ÖPNV, in der Taxibranche und so weiter. Uns geht es darum, genau das zu verdeutlichen: Die Nachtökonomie ist wichtig, sie ist Bestandteil der lokalen Wirtschaft. Das gibt den Akteuren die Möglichkeit, quantitativ zu argumentieren. Ansonsten bleibt der Mehrwert diffus.

Ist dieses Diffuse nicht auch gut und schön?
Es geht darum, den Menschen, die in der Kommunalverwaltung tätig sind und über Projekte entscheiden, verständlich zu machen, um welchen Wert es geht. Man spricht hier nicht immer über das gleiche Thema. Für einen 60 Jahre alten Verwaltungsangestellten im Bauordnungsamt ist „Nacht“ etwas anderes als für uns beide vielleicht, und auch wir haben vermutlich unterschiedliche Auffassungen. Jeder hat eine eigene Besetzung des Themas. Der Mythos der Nacht ist ja schön. Aber wenn man es systematisiert, dann redet man über dasselbe.

Und was macht eine „gute“ Nachtökonomie aus, über die man gemeinsam reden sollte?
Nachtökonomie muss erst einmal Platz und Raum in der Stadt finden können. Ein gutes Nachtleben, das ist attraktiv, sicher und sozial inklusiv. Mit einer Diversität bei den Betriebskonzepten. Wenn alles sehr teuer ist, Mieten sind da nur ein Bestandteil, dann werden auch nur sehr kommerzielle Angebote geschaffen werden können. Will man das?

Geht es überhaupt immer nur um kommerzielle Angebote, will man überhaupt immer konsumieren? Gastronomie und Nachtgastronomie sind ja nur ein Teil der Nacht, die ist ja an und für sich er erstmal ein Zeitraum, ein Teil des Tages. In vielen Gegenden der Welt ist es völlig normal, nachts auch alte Menschen und Kinder draußen anzutreffen, bei uns nicht.
Wir haben es hier mit einem sozialen Bereich zu tun, der sich gerade erst öffnet. Die Nacht wird erst langsam zur gesamtgesellschaftlich akzeptierten Zeit, der nächtliche Raum wird noch erobert. In der Arbeitswelt sowieso, da geht es weg von der Nine-to-Five-Taktung hin zur 24-Stunden-Gesellschaft. Die sind wir noch noch nicht, aber es entgrenzt sich. Jetzt dringt es auch in anderen Bereiche als Arbeit und dem tradierten Abend- und Nachtleben vor, man denke an Kulturevents wie die „Lange Nacht der Museen“, an Bildungsangebote spät am Abend oder an Fitnessstudios. Zugleich, das ist dann mehr ein gastronomisches Phänomen, hat das Bedürfnis, draußen zu sitzen, stark zugenommen. Das gab es früher nicht in der Menge. Jetzt sitzen die Leute nachts draußen am Brüsseler Platz in Köln, rund um den Münchner Gärtnerplatz, auf der Admiralsbrücke in Berlin. Das Phänomen heißt „Mediterranisierung“.

Unter dem Stichwort Mediterranisierung wird – oft in Bezug auf die Innenstadtthematik – die dynamische Entwicklung alter und neuer Formen der Freiraumnutzung in den vergangenen 15-20 Jahren diskutiert. Hierzu zählen der Ausbau der Außengastronomie, eine zunehmende Anziehungskraft öffentlicher Freiräume auch in den Abendstunden sowie neuere Erscheinungsformen wie spontane Freilufttanzveranstaltungen.
(aus der Studie „stadtnachacht“)

Berlin

Berlin hat kein typisches Zentrum, man erkennt die Ballungen in Friedrichshain, Kreuzberg/Nord-Neukölln und leuchtet es etwa noch im Prenzlauer Berg?

Bochum

So leuchtet die geballteste Gastroballung: das „Bermuda3Eck“ in Bochum, rechts: Dortmund

Mannheim

Mannheim. Das neue Quartier „Jungbusch“ ist der schwach leuchtende Bereich nördlich der City.

Leipzig

Die Leipziger Nachtwirtschaft spielt sich von der südlichen Stadtmitte an, die Karl-Liebknecht-Straße hinab Richtung Connewitz-Süd ab.

Im Rahmen des Projekts „Stadtnachacht – Management der Urbanen Nachtökonomie“ wurden für 13 ausgewählte deutsche Großstädte Kartierungen vorgenommen. Ziel war eine möglichst umfassende Erhebung und Kartierung der Betriebe der Abend- und Nachtökonomie auf Basis georefenzierter Standortdaten.

Clubkataster

Das Clubkataster, ein Projekt des Musicboard Berlin, verortet Räume und Flächen der Berliner Musik- und Kreativwirtschaft.

Es wurde viel kartografiert, dabei sind „nightlife heatmaps“ entstanden, die zeigen, wo sich in Städten wie Hamburg, Frankfurt oder Karlsruhe besonders viele Orte der „Nachtöknomie“ befinden. Meist ziemlich dicht am Zentrum. Keine Überraschung.
Man darf die Aussagekraft auch nicht überbewerten. Aber amtliche Statistiken geben zu wenig her, weil die Klassifizierung das Bild verzerrt. Manche Musikclubs landen da unter „Beherbergungsbetriebe“, das gibt keinen Überblick. Durch die Mappings können wir zeigen: Die Orte der Nachtökonomie grenzen immer direkt an die City. Strukturell sind da alle untersuchten Städte gleich. Von Berlin abgesehen, das kein typisches Zentrum hat.

Was sagt uns diese strukturelle Ähnlichkeit?
Dass der Nutzungsdruck überall steigt und mit ihm das Konfliktpotential, weil auch das Wohnen immer mehr in der Innenstadt stattfindet. Besonders junge Menschen zieht es in die Zentren.

Dann gibt´s Anwohnerbeschwerden.
Ja, und dann ist das Kind eigentlich schon in den Brunnen gefallen. Es geht auch anders. Das sehen wir am Beispiel des Stadtteils „Jungbusch“ in Mannheim (hier befindet sich u.a. die „Popakademie“, d. Red.). Unter dem Begriff „Ausgehstadt“ …

… man hat das in Mannheim wirklich so benannt …
… ja, den Begriff liest man sogar auf den Druckvorlagen der Stadtverwaltung. Diese Positionierung wurde von Seiten der Stadt angestrebt, man wollte diese Art von Urbanität in der Stadt fördern. Mannheim ist eine Unistadt, die kluge junge Menschen anzieht, die nach solchen Angeboten suchen. Bei der Stadtplanung für Jungbusch (ehemals ein so genannter „Problembezirk“, d. Red.) hat man die Entwicklung antizipiert: Die Stadt hat die Ansiedlung von Gastronomie in diesem Stadtteil mit seinen günstigen Mieten und lärmtoleranten Bewohnern wohlwollend begleitet.

Getränkegeprägte Gastronomie

Lärmtolerant müssen auch die zukünftig ins Bochumer „Bermuda3Eck“ ziehenden Menschen sein. Mit einem Betrieb aus der „getränkeorientierten Gastronomie“ pro 1.000 Einwohner und mit einem Pro-Kopf-Umsatz bei Getränken von 620 Euro ist die Ruhrgebietsstadt Spitzenreiter in Deutschland. Zahlen, bei denen die Stadtverwaltung einer nicht gerade als attraktiv geltenden Stadt wie Bochum Leuchten in den Augen bekommt und für die Ausgehmeile 2013 eine Art Bestandsschutz auf die Bahn gebracht hat.

»Mit der Aufstellung des Bebauungsplanes 930 soll die Zulässigkeit von Wohnen beschränkt werden, um Immissionskonflikten zwischen Wohnen und szenetypischen Nutzungen wie Gastronomie, Discotheken und Kinos vorzubeugen und das Bermuda3Eck mit seinen typischen Nutzungen zu erhalten und zu entwickeln.«
(aus der Studie „Stadtnachacht“, Stadt Bochum 2013)

Letzte Frage: Was wäre eine Dystopie der Nacht?
Eine Gettoisierung: Hier Kultur und Genuss, dort Saufen und Gewalt. Evident ist, dass alle den grundsätzlichen Wert für eine Stadt anerkennen, Nutzer, Betreiber und Anwohner. Trotz unterschiedlicher Interessen.

Die Ergebnisse des Pilotprojekts „Stadtnachacht“ stehen auf der Webseite zum kostenlosen Download bereit.

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