Party = Arbeit = Spaß = Geht's noch?Mitschnitt: Das war „The Amplified Kitchen“ zum Thema Nachtarbeit in Clubs

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Alle Fotos: Owieole

Wenn am Wochenende die Menschen in die Clubs ziehen, beginnt für Clubbetreiber, Veranstalter und die Menschen im Hintergrund des Nachtlebens erst die Arbeit. Was bedeutet das Konzept Arbeit, wenn alle anderen um einen herum Spaß haben. Geht das überhaupt?

Ende Mai fand das Event „The Amplified Kitchen“ im Berliner Club ://about blank statt. Für alle, die bei der Diskussionsrunde nicht dabei sein konnten oder den Abend noch einmal Revue passieren möchten, gibt es hier den vollständigen Audio-Mitschnitt, so wie eine editierte Transkription des Gesprächs mit Tanja Kreisz, Jan Barich, Michael von Fischbach und Judith Apt.

##Über die Teilnehmer

Tanja Kreisz: Mitbegründerin und Betreiberin des Club „Picknick“ und Veranstalterin der „Engtanz“-Events im „Prince Charles“.

Jan Barich: hat viele Jahre das „Conne Island“ in Leipzig mitbetreut, ist Labelbetreiber von „Kann Records“, legt als Map.ache auf und zusammen mit Alex Neuschulz/Sevensol als „Manamana“.

Michael von Fischbach: Programmleiter und Booker des „SchwuZ“ in Berlin-Neukölln.

Judith Apt: gelernte Veranstaltungskauffrau, arbeitet im Bereich Bar- und Kassenleitung auf Clubevents und Festivalmanagement.

Wenn Menschen am Wochenende Abwechslung suchen, dann gehen sie in der Regel nachts aus. Die Ekstase der anderen ist für euch allerdings Arbeit. Wie fing es bei euch an? Wie seid ihr zu eurem Job gekommen?

Judith: Mit drei Jahren habe ich meine Liebe zu Synthesizern und Depeche Mode entdeckt und in jungen Jahren in der Gastronomie gearbeitet. Irgendwann bin ich im Club gelandet. Ich komme ja aus Berlin, bin selbst früh ausgegangen, habe die Loveparade mitbekommen und für mich festgestellt: Das ist ein Bereich, der mir viel Spaß macht, in dem ich meine Fähigkeiten ausleben kann. Dann habe ich meine Ausbildung als Veranstaltungskauffrau begonnen.

Michael: Ich war Stammgast im „SchwuZ“, habe als Flyerverteiler angefangen und war da schon sehr engagiert. Mit der Zeit habe ich dann immer mehr Verantwortung bekommen.

Jan: Ich war schon mit 13, 14 Stammgast im „Conne Island“, habe dadurch viel Musik entdeckt. Ich wollte eigentlich nie Veranstalter sein. Aber es war für mich ein Ort, an dem ich meine Lieblingsmusik „aufs Dorf“ holen konnte, was Leipzig damals noch mehr war und immer noch ist. 1998 habe ich mein erstes Konzert organisiert, daraufhin bin auch ich immer mehr in die Sache reingerutscht.

Tanja: Wir hatten in der Brunnenstraße vier Jahre lang einen Picknick-Verleih, haben Parks beliefert und parallel am Wochenende zum Spaß Partys für Freunde gemacht. Nach der Kündigung in der Brunnenstraße sind wir in die Dorotheenstraße umgezogen und haben wieder Events gemacht. Am ersten Abend kamen bereits 800 Leute. Da war uns klar: Das ist was anderes. Wir hatten vom Club-Business keine Ahnung. Was durchaus ein Vorteil war – durch die Naivität hat man viel mehr improvisiert und gemacht, worauf man Lust hatte.

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Die Teilnehmer von links nach rechts: Ji-Hun Kim, Tanja Kreisz, Jan Barich, Michael von Fischbach und Judith Apt

Das Konzept des Nachtlebens gibt es historisch gesehen ja noch nicht so lange. Das Ganze kam erst mit der Erfindung der Elektrizität auf, die buchstäblich die Nacht zum Tage machen konnte. Mediziner warnen davor, dass ein Leben konträr zur biologischen Uhr nicht gesund ist. Das Leben auf die Nacht zu verlegen, zieht viele körperliche Konsequenzen mit sich.

Michael: Alles verschiebt sich. Man steht erst um elf auf, dann irgendwann um zwölf, dann um dreizehn Uhr. Das driftet vor sich hin und man kriegt das erstmal gar nicht mit. Nach drei, vier Jahren erst habe ich gemerkt: Das wird langsam ungesund, ich brauche einen geregelten Tagesablauf. Seitdem stehe ich wieder um elf auf.

Judith: Wenn man älter wird, merkt man, dass zwei Stunden hinlegen und wieder arbeiten gehen nicht mehr funktioniert. Ich konnte mich nicht mehr konzentrieren, konnte nicht mehr 80 Stunden und länger pro Woche arbeiten. Man findet mit der Zeit seinen Rhythmus, weil man sich in dem Business ja doch sehr wohl fühlt.

Jan: Das Aha-Erlebnis ist, wenn man Partys und Veranstaltungen plötzlich anders sieht als zuvor und merkt: Man ist kein Teil mehr davon, man kann kein Konzert mehr genießen. Ich habe das doch eigentlich gemacht, weil ich das alles geil finde, die Bands, die Musik, das Durchtanzen. Als Veranstalter musst du dir irgendwann sagen: Du bist Veranstalter und kein Gast.

Michael: Ich war wie du, Jan, auch DJ und habe mich entschieden, nur noch Veranstalter zu sein. Montag bis Freitag im Büro arbeiten und dann auch noch auflegen am Wochenende: Das geht nicht.

„Freunde kommen gerne auf deinen Veranstaltungen an und wollen mit dir feiern und verstehen nicht, dass du eigentlich arbeitest. Dann sag ich immer: Ich kann ja mal am Dienstagmittag mit Pfeffi zu dir ins Büro kommen und wir machen dann Party.“ (Jan Barich)

Wenn man einen Club betreibt, wird man mit vielen Mythen konfrontiert. Viele glauben, es ist ein Traumjob. Die Arbeit besteht nur aus Party.

Tanja: Natürlich steckt viel dahinter. Björn und ich haben zu zweit alles selbst gemacht, Einrichtung, Booking, Abrechnung, Personal, da gab es die ganze Woche viel zu tun. Auf die Dauer ist das wahnsinnig anstrengend, körperlich und psychisch. Du hast Verantwortung für 600, 700 Leute. Da darf man sich nicht zu viele Gedanken machen, sonst kannst du so einen Abend gar nicht veranstalten.

Judith: Es gibt aber durchaus Momente, wo man merkt: Alles klar, es läuft. Da kann man sich auch mal entspannen und ein bisschen Spaß haben.

Michael: Im „SchwuZ“ haben wir eine starke Arbeitsteilung. Es muss klar sein, wer die Verantwortung an einem Abend trägt. Nur so kann ich bei einer Party zwar der Gastgeber sein, kann aber dennoch einfach feiern

Jan: Die Leute kennen einen ja auch, wenn man privat mal woanders feiern geht, wo man dann (lacht) naja Spaß hat. Wenn die sich dann wundern, dass man auf der eigenen Party präsent ist, aber reservierter ist, dann sage ich immer: Ich kann ja mal am Dienstag mit Pfeffi zu dir ins Büro kommen und wir machen Party. Ich kann aber verstehen, dass das Bewusstsein fehlt. Wir können es ja selber gar nicht trennen: Wir machen Party als Beruf und wollen gleichzeitig Teil davon sein.

Judith: Für Gäste und Freunde ist es wirklich schwer, das einzuschätzen: „Du hast dein Hobby zum Beruf gemacht, ist doch gar kein richtiger Job, feier mal mit uns.“ Aber es ist doch ein harter Job.

Michael: Ich habe vorher ja auch gedacht, ein Club macht um 22 die Tür auf, die kommen ne Stunde vorher und das war’s ...

Tanja: Natürlich hat man mitgefeiert. Und plötzlich ist die Frau an der Tür weg, die selektiert, weil sie irgendjemanden getroffen hat, oder die Barfrau, weil sie mit einem Typen knutscht ... Da gibt es tausende solcher Geschichten bei uns.

Jan: Das gibt es glaube ich überall, wenn sich niemand für das verantwortlich fühlt, was gerade passiert.

Judith: Man muss zwischen Party im Club und Festival differenzieren. Eine Party geht lockerer vonstatten. Auf Festivals muss es an den wichtigen Positionen absolut funktionieren, sonst bricht das Konstrukt zusammen – alle müssen immer zu ihren Schichten da sein, zurechnungsfähig, clean und klar. Ein Event wie die Fusion, da müssen wir nicht drüber reden, das hat eine extreme Größe.

„Es steckt viel Arbeit hinter einem Club. Vor allem, wenn man alles selber macht: Einrichtung, Booking, Abrechnung, Personal, da gab es die ganze Woche viel zu tun. Auf die Dauer ist das wahnsinnig anstrengend, körperlich und psychisch. Da darf man sich nicht zu viele Gedanken machen, sonst kannst du so einen Abend gar nicht veranstalten.“ (Tanja Kreisz)

Tanja, du hast Psychologie und Sozialpädagogik studiert. Inwiefern ist Club betreiben auch Forschungsobjekt? Was lernt man über den Menschen?

Tanja: Ich bin total gerne Gastgeber. Wir waren immer Teil unserer Partys und selber Gast. Das Grundinteresse am Gast ist natürlich ein wichtiger Punkt. Man beobachtet total viel, guckt sich an, woran Leute Spaß haben ...

… ist so auch der berühmte Engtanz-Floor entstanden?

Tanja: Genau.

Beim Booking geht es um die musikalische Gestaltung, ums Arbeiten mit knappen Ressourcen. Ich glaube hier ist der Allgemeinheit am wenigsten klar: Was muss man können, worum geht es?

Judith: Je größer die Acts, desto höher die Ansprüche. Man muss sich bis ins kleinste Detail kümmern: Anreise, Hotel, Technik-Anforderungen.

Michael: Als Schwulenzentrum sind wir sehr Community-orientiert, hechten nicht nach großen Namen. Wir zahlen einen DJ-Einheitslohn und können uns große Namen gar nicht leisten. Das hilft dann in dem Sinne, dass man die Leute, die noch dieses und jenes auf dem Tech-Rider haben wollen, gar nicht da hat. DJs mit größerem Namen interessiert im „SchwuZ“ auch niemanden – außer Ellen Allien vielleicht – da kommen auch die Queer-Leute. Die Leute wollen zu der Musik feiern, die sie mögen. Im Hintergrund buchen wir natürlich schon Leute, die aus der queeren Szene kommen.

Jan: Wichtig ist ein guter Raum, gute Stimmung, gute Leute und gute Musik. Dann spricht sich das rum. Dann hast du irgendwann auch die Freiheit, Leute einzuladen, die niemand kennt, die aber super sind. Das „Conne Island“ macht auch große Shows mit viel Eintritt, auch im Clubbereich. Da kommen die Leute extra wegen DJ Koze oder Dixon. Aber eigentlich haben wir uns über die Reihe „Electric Island“ eine Freiheit fürs Booking erschaffen.

Es geht doch darum, ein gutes Programm zu kuratieren?

Jan: Interessiert keinen. Das macht man nur für sich und für ein paar Nerds. Der Füllmasse ist das scheißegal.

Tanja: Die meisten DJs bei uns, die man vorher nicht kannte, kamen mit einer anderen Energie und hatten richtig Bock aufzulegen. Bei bekannteren Leuten, die ihre Zwei-Stunden-Sets spielten und dann wieder abgehauen sind, fand ich es oft schwierig. Nach zwei Jahren hatten wir einen Booker. Da haben wir uns vielleicht auch ein bisschen bequatschen lassen und haben unsere Linie verloren. Und plötzlich kommen alle: Der muss auch bei euch spielen und dann der und jemand, der sonst in der Panoramabar auflegt – Im Nachhinein finde ich, das war unsere schwächste Zeit.

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Wie wirkt sich so ein Lifestyle am Ende auf Beziehung, Freunde und Familie aus?

Jan: Schwierig bis gar nicht. Weil man einen anderen Rhythmus hat, ist er schwer anzupassen an Leute, die was anderes machen als man selbst. Also hat man ein soziales Umfeld mit Leuten um einen, die was Ähnliches machen. Da sind ja auch nette Leute dabei (lacht). Als „Aussteiger“ bin ich seit drei Monaten „clean“. Ich bin plötzlich zu Hause, räume auf, koche. Und wenn ich jetzt privat ins „Conne Island“ gehe, muss ich mich zusammenreißen, Sachen nicht anzusprechen: Warum ist der Schirm nicht aufgespannt? Gleichzeitig lerne ich, Konzerte und Weggehen wieder zu genießen. Ist toll.

Judith: Als Club-Mitarbeiterin habe ich Feierabend, wenn ich Feierabend habe. Als Festival-Veranstalterin, als Führungsperson, klappt das Abschalten echt nicht.

Michael: Es ist schwer, bewusste Entscheidungen zu treffen. Es ist ein alltäglicher, antifaschistischer Kampf gegen sich selbst. Keinen Alkohol zu trinken unter der Woche hilft. Nicht drei Nächte feiern, nur eine, hilft. Sonst muss man irgendwann sagen: Stopp.

Was sagen die Eltern?

Tanja: Die waren einmal da. Sie haben die Schlange vor der Tür gesehen, dass alle Spaß haben und es läuft, irgendwie. Aber es ist eine komplett andere Welt. Ich wünsche mir manchmal, sie verstünden, was ich da mache. Die sehen auch die Arbeit dahinter nicht. Am ehesten noch, wenn mal ein Promi da war oder die Zeitung was geschrieben hat.

Michael: Umsatzzahlen verstehen sie auch. Was, ihr habt 90 Mitarbeiter? Meine Eltern waren tagsüber mal da und fanden: Hier sieht’s aber schäbig aus. Das tun Clubs tagsüber halt.

Jan: Meine Mama hat gesagt: Wenn du glücklich bist, ist alles gut.

Judith: Als Veranstaltungskauffrau habe ich früher Gala-Abende, Preisverleihungen, Seminare, Tagungen und Kongresse gemacht, den Teil kennen sie. Auf Partys waren sie noch nicht. Es ist auch besser, dass sie nicht wissen, was noch alles dazu gehört.

„Meine Eltern waren mich tagsüber im SchwuZ besuchen und fanden nur: Hier sieht’s aber schäbig aus.“ (Michael von Fischbach)

Wie sahen bei euch besondere Erfolgsmomente aus? Was entwickeln sich für Erwartungshaltungen?

Judith: Wenn das Festival richtig rund läuft, man einen besonderen Vibe spürt, eins wird mit den Künstlern und Gästen, das saugt man auf. So was trägt man lange in seinem Herzen mit sich.

Michael: Erfolg macht auch süchtig. Wenn du aus einem kleinen Dorf kommst und dann kommen in Berlin 800 Leute zu deiner Party und alle feiern – das kitzelt dein Ego. Man möchte, dass es immer so ist. Und das funktioniert nicht. Es ist gut, das zu lernen.

Jan: Man macht es sich total schwer damit. Irgendwann kannst du die Erwartungen nicht mehr erfüllen. Gerade, wenn man, wie wir hier alle, ganz viel persönlich davon will, dass einem die Musik Spaß macht, das ist irgendwann nicht mehr zu toppen.

Tanja: Ich kenne ja beide Seiten: Die ersten zwei Jahre der sieben war es immer voll. Es standen schon Leute vor der Tür, bevor man aufgemacht hat. Aber wir hatten auch Phasen, wo man total viel Arbeit investiert und nicht genug Leute kamen. Es ist schwierig, damit umzugehen. Das hat natürlich damit zu tun, dass Mitte damals noch Zentrum des Ausgehens war und es sich dann verlagert hat. Da fragt man sich natürlich: Wie lange macht man das noch, was muss ich ändern?

Habt ihr euch die Frage gestellt: Wie lange mache ich das noch? Wo sehe ich mich mit 55, 60 Jahren?

Tanja: Als wir 2014 mit dem „Picknick“ aus den Räumen mussten, haben wir entschieden, die Partyreihe „Engtanz“ im Prince Charles weiterzumachen. Es kommen aktuell sehr viele Leute, womit wir nicht gerechnet hätten. Da tun sich andere Perspektiven auf: Macht man das vielleicht in verschiedenen Städten? Wenn man das macht, wozu man Lust hat, dann kann man das auch weiter tun. Das ist dann vielleicht nicht mehr der Mega-Rave, sondern eher die Bar. Aber prinzipiell habe ich immer noch Lust auf Nachtleben.

Judith: Solange es einem körperlich gut geht, sollte man seiner Leidenschaft folgen. Es gibt viele Möglichkeiten und Funktionen. Man muss ja nicht nonstop nachts vor Ort sein, vielleicht mehr im Hintergrund machen.

Michael: Ich habe immer noch eine große Leidenschaft für musikalische, kulturelle und politische Inhalte. Man muss den körperlichen Raubbau in den Griff kriegen, dann lässt sich das vereinbaren.

Zum Schluss: Was ist das Geheimnis einer wirklich guten Party?

Michael: Es muss Community-basiert sein. So etwas kriegt man nicht mal eben übers Wochenende hin.

Tanja: Letztlich machen die Gäste die Party. Wenn die Lust auf den Abend haben, dann wird er gut. Tritt eine Konsumhaltung ein – hier bin ich, unterhalte, bespaße mich – dann wird es schwierig. Und es kommt auf die Leute an, die im Laden arbeiten: Die müssen Lust auf ihren Job haben und daran, den Leuten einen schönen Abend zu bescheren.

Jan: Vibe. Und dass man es auch nicht zu wichtig nimmt. Auch ne gute Party haben die Leute schnell wieder vergessen.

Judith: Auf Festivals ist es wichtig, dass die Leute sich wohlfühlen und es was für jeden Geschmack gibt. Das kann man auch auf den Club übertragen, wenn es dort verschiedene Bereiche gibt, sodass jeder die Möglichkeit hat, sich frei zu entfalten.

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Im Vorprogramm des Abends lief die Dokumentation „Passage“ über die Hamburger DJ und Musikproduzentin Helena Hauff von den Kollegen des Magazins Kaput. Zum Glück gibt es YouTube.

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