Brexit? Residual-Speed!bod [包家巷], Bonaventure, Demdike Stare – drei Alben, drei Meinungen

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Ein abstraktes Narrativ der angsteinflößenden Gegenwart aus drei ganz unterschiedlichen Perspektiven ist der Ausgangspunkt des präzise rechteckigen runden Tisches der Musikkritik. bod [包家巷] aka Nicholas Zhu wirft eine nur oberflächlich ambiente Blaupause der Opposition des Virtuellen in den Ring. Soraya Lutangu aka Bonaventure punktet mit einem Grime-getriebenen und doch glattpolierten egalitären Ansatz im kulturellen Durcheinander. Und Demdike Stare versteifen sich auf eine zunehmend formalisierte post-hauntologische Breakbeat-Exegese einer Zukunft, die so nie eintreten wird. Da raucht der Schornstein des Afro-Pessimismus und pufft gräulich-weiße Wölkchen in die Hoffnungslosigkeit der Bassdrum-verliebten Hedonisten-Intelligenzia. Mit anderen Worten: Alles wie immer, nur schlimmer. Die Musik hingegen ist schlicht und einfach wundervoll. Oder doch nicht?

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bod [包家巷], The Recurrence Of Infections, erscheint am 7. Dezember auf Danse Noire

bod [包家巷] – The Recurrence Of Infections (Danse Noire)

Kristoffer: Das ist doch mal schön: 2018 ist fast rum und in einem mehr als halbstündigen Stück kommen alle dominanten ästhetischen Marker des Jahres zusammen – und das auch noch sehr konsequent. Ich mochte dieses Album mit seinem Addendum und den zwei Remixen sehr gerne. Unaufgeregt wird hier Autotune an glitchige Touch-Klangschule gereiht, erklingen Koto-ähnliche Klänge, das Piano dominiert jedoch und nervt doch nicht im Nils-Frahm-Overdrive, sondern plinkert mit Ruhepuls durch den Raum. Klar, das ist White-Cube-Musik für die digitale Gegenwart, aber wie gesagt: konsequent, auf eine lose Art und Weise. So fühlt sich vielleicht das Internet 2018 an, zumindest in seinen ruhigen Ecken. Die hat Nicholas Zhu alias bod [包家巷] wohl hierfür abgesurft und ich bin dankbar dafür.

Thaddeus: Ich höre das auch gerne. Für mich ist das Album vor allem auch ein Hörspiel, bei dem die Musik einfach in den Vordergrund gemixt wurde. Das hat ein bisschen was von so ziemlich allem. Mal blubbert es bladerunnerig durch die Klischee-Pfütze des Futurismus, dann brüllen einen wieder die Zombies an, der Bass wummert. Letztendlich geht es meinem Empfinden nach aber um die Ruhe. Also die ruhigen Ecken, die du gerade erwähnt hast. Schön.

Kristoffer: Ja, Zhu hat wohl auch einen Background in Kunst, der sich hier abzeichnet, aber nicht aufdrängt. Und ja, es ist trotz allem Knuspern und Knistern zwischendurch ruhig. Die Dynamiken wiegen auf und ab, tappen dabei aber nicht in die Falle der Dynamikinflation, in die so viele Acts auf Labels wie Posh Isolation voll reinbrettern. Doch ist das Ruhige in dieser Musik nicht unbedingt ein heimeliges Eskapismusangebot, und das finde ich erstaunlich. Welches Narrativ hört ihr eigentlich in diesem Hörspiel?

„Das klingt im schlimmsten Fall wie das digitale Update einer Sigur-Rós-Ballade.“

Christian: Ein echtes Narrativ gibt es glaube ich nicht, eher so lose Verkettungen und Variationen. Die elektronischen Passagen haben für mein Gefühl viel mit dem zu tun, was mal unter „Glacial Grime“ firmierte – und gefallen mit durchaus. Ich bekomme aber schwer Bauchweh, wenn alle paar Minuten verlässlich dieser zittrige Falsett-Gesang einsetzt. Das klingt im schlimmsten Fall wie das digitale Update einer Sigur-Rós-Ballade. Diese Art von Gesang und die Empfindsamkeit, die da mitschwingt ... abgesehen davon, dass ich das persönlich nicht leiden kann, ist das doch mindestens oll und auch nicht sehr 2018 eigentlich.

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Nicholas Zhu aka bod [包家巷] – Foto: Ana Strazicic

Kristoffer: Selbst das stört mich nicht und tatsächlich wären wir da bei einem inhaltlichen Punkt angekommen, den ich durchaus identifizieren kann – oder von dem ich zumindest denke, das zu tun. Hier und dort scheinen in den sehr distanzierten Spoken-Word-Passagen einerseits body politics und andererseits so eine Baudrillard'sche Beschäftigung mit Virtualitäten durch, beziehungsweise der (vermeintlichen) Opposition vom Virtuellen und dem Realen, was auch immer das sein soll. Zhu ist offenkundig nicht-binär, wo dieser schwer zuzuordnende Gesang vielleicht reinkommt. Jónsi von Sigur Rós ist ein gutes Stichwort, nur fehlt mir hier doch das Pathos, das du Zhu unterstellst. Ich mag den Gesang sehr gerne, weil er eher etwas Hintergründiges, Zurückhaltendes hat. Wenig Affekt, kein Heischen um Effekte.

Christian: Interessant, denn ich empfinde diese Art des Gesangs als etwas sehr Männliches. Nicht maskulin im klassischen Sinne, das nicht, aber doch ein Rückgriff auf eine spezifische wie tradierte Ausdrucksform des jungen, leidenden, meist weißen Indie-Boys. Und die wäre doch sehr binary. Sagen wir mal Thom Yorke, sagen wir Sufjan Stevens. So ganz grob diese Linie. Das Pathos sitzt da nicht unbedingt im Songwriting oder im Arrangement, sondern in der Performance: ganz brüchig, zart und angreifbar, doch dabei das ganz große Gefühl vehement einfordernd.

Kristoffer: Ich finde es zu sanft, um es als Satire, Persiflage oder den Versuch einer Subversion von tradierten Klischees aufzunehmen. Da fehlt die Überspitzung, wie dieses Album – beziehungsweise: dieser eine lange Track, dieses Hörspiel – überhaupt wenig Spitzen hat. Das gerade macht es so ansprechend. Thematisch und ästhetisch wird viel verpackt, doch bin ich weder viel zu viel mit Auspacken beschäftigt noch ziehe ich mir am Geschenkpapier Papercuts zu. Alles drin, aber nicht auf einmal. Elegant.

„Man sitzt bequem, zieht von Szene zu Szene und bevor das Brüllen losgeht oder die Bassdrum für wenige Sekunden über uns hereinbricht, leuchten die Warnblinker, man solle sich jetzt doch bitte anschnallen für den Moment.“

Thaddeus: Die Indie-Boys würden ihr Leid auch nicht so multifunktional kaschieren, sondern im Gegenteil genau dort herum das Stück aufbauen. Hier wirkt alles gleichberechtigt. Darum auch meine Assoziation mit Hörspiel, oder vielleicht auch Hörstück. Hier scheint alles im Fluss. Man sitzt bequem, zieht von Szene zu Szene und bevor das Brüllen losgeht oder die Bassdrum für wenige Sekunden über uns hereinbricht, leuchten die Warnblinker, man solle sich jetzt doch bitte anschnallen, bis die Stromschnellen passiert sind. Was hier inhaltlich verhandelt wird, finde ich tatsächlich nebensächlich. Nicht weil es nicht wichtig wäre, sondern eher ob fehlender Einstiegsmöglichkeiten. Das Stück und die Anhängsel wirken auf mich trotz der Kleinteiligkeit sehr geschlossen – und zwar ganz bewusst. Weniger Angriffsfläche für mögliche Fehlinterpretationen. Gut gelöst.

Kristoffer: Einstiegsmöglichkeiten ist für mich ein gutes Stichwort! Ich halte dieses Stück beziehungsweise diese Stücke, denn es gibt ja noch drei Boni, weniger für einen heraklitschen Fluss, sondern eher für eine Metro: Ich steige ein, fahre drei Minuten mit, steige wo aus und bin noch immer in derselben Stadt, doch sieht der Bahnsteig wieder ganz anders aus. Zappen geht mit diesem Album wunderbar. Hier Noise, da Minimal-Geklimper, da schwereloser Grime und zwischendurch mal wieder eine Vokal-Phrase. Always different, always the same, wie John Peel mal über The Fall gesagt hat. Vielleicht macht Zhu da weiter, wo Mark E. Smith aufgehört hat? Spaß beiseite: Das hier ist das, was ein anderer alter Kerl mal als Definition von Ambient vorgab. Lässt sich prima in den Hintergrund des Bewusstseins verdrängen, kommt manchmal aber von selbst wieder nach vorn.

Thaddeus: Dann schauen wir doch, was andere junge Wilde gerade so treiben, die auch nicht mehr von John Peel gespielt werden können.

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Bonaventure, Mentor EP, ist auf Planet Mu erschienen.

Bonaventure – Mentor EP (Planet Mu)

Kristoffer: Weiter zu Bonaventure, die wie Zhu mittlerweile nach Berlin übergesiedelt ist. Auch hier wird mit einer sehr zeitgenössischen Klangpalette gearbeitet, das aber sehr gut. Rhythmische Inspiration kommt aus Angola und der Côte d’Ivore und obwohl die sehr dezent eingesetzt wird, ist diese EP doch etwas Besonderes. Darüber hinaus nämlich lässt sich eine Verbindung Richtung UK ziehen, diese Weightless- oder Glacial-Grime-Nummer scheint ein Punkt zu sein. Ebenso aber Janus und der ganze andere Fundus an Musik, die unter „Deconstructed Club Music“ zwangsverschlagwortet wird, sind ebenso vertreten wie klassischer, naja, Berghain-Peak-Time-Techno. Dennoch: Sehr unangestrengt, nicht zu sehr um Aha-Effekte bemüht. Eigentlich fast ein bod [包家巷]-Update für den Dancefloor.

„Es ist noch nicht lange möglich, so etwas in der „neuen“ Dance Music zu bewerkstelligen.“

Thaddeus: Ich bin ein wenig schockiert, wie gleichförmig diese beiden Platten losgehen – könnte man glatt verwechseln beim ersten Reinhören. „Deconstructed“ ist das richtige Stichwort. Soraya Lutangu ist ja geradezu prädestiniert, auf der nächsten Red-Bull-Couch Platz zu nehmen und danach ein Endorsement von Native Instruments abzustauben. Ich habe beim Hören der EP etwas Neues gelernt. Denn ihre Musik lässt mich kühl und nicht kalt. Ich mag dieses Preset-Flimmern, dieses aalglatte und schnörkellose Arrangement. Es ist noch nicht lange möglich, so etwas in der „neuen“ Dance Music zu bewerkstelligen. Aber diese Kühle bedeutet gleichzeitig auch, dass ich mich nicht zu 100 Prozent darauf einlassen kann. Ich werde das Gefühl nicht los, dass Bonaventure in einem hippen Club spielt, der so voll ist, dass ich auf der Treppe hinab zum Dancefloor steckenbleibe und von den Massen fast erdrückt werde. Also höre ich eher aus der Distanz und der Funke will nicht so ganz überspringen. Es ist mir in letzter Konsequenz ein wenig zu trademarkig.

Kristoffer: Will es allerdings nicht unbedingt sein. Die Platte heißt ja „Mentor”: Da sollen schon Verbindungs- und Traditionslinien explizit aufgemacht werden. Ob uns das nun reicht? Andere Frage. Aber wie gesagt: Ich sehe schon etwas Besonderes drin. Und sei es nur, weil da zwischendurch ein Techno-Stück mit tatsächlich rhythmisch superspannenden Elementen drin zu hören ist.

Christian: Da kann man dann auch eine afrofuturistische Agenda hören im Perkussiven. Überhaupt funktioniert das für mich als in sich sehr bewegliche Clubmusik, und vielleicht ist die EP auch ein Ausweis dafür, dass unter „Deconstructed Club“ durchaus auch Funktionales verschlagwortet wird. Bonaventure hat übrigens auch schon bei NON WORLDWIDE veröffentlicht. Auf ihrer letzte EP war auch schon ein Feature von Hannah Black, die ich bis dato gar nicht kannte, sie ist Autorin und bildende Künstlerin. Black ist auch hier wieder dabei und der Track mit ihr ist wirklich wahnsinnig gut – und übrigens kann man im Netz lesen, das Werk von Hannah Black sei afropessimistisch – also muss man alles Utopische gleich wieder abziehen?

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Foto: Valeria Farina

Kristoffer: Guter Hinweis, denn ist es explizit afrofuturistisch, nur weil es afrikanische Rhythmen in sich aufnimmt? Das war mein Gedanke: Afrofuturismus ist zuletzt wieder stark in den Fokus gerückt. Warum, das brauchen wir kaum erklären. Allerdings weisen einige – Jamal Moss etwa – dieses Label auch explizit von sich. Zudem: Hier scheint es mir weniger um Futurismus beziehungsweise die Zukunft zu gehen als vielmehr die Gegenwart und damit Fragen der Identität. Die werden ja, und das finde ich interessant, hier wie auch anderswo 2018 überwiegend in der Rhythmik verhandelt. Denn, das meinte Thaddi ja auch schon, die Sounds klingen doch sehr glattpoliert und damit entortet. So ein angolanischer Rhythmus allerdings lässt aufhorchen. Das wiederum macht die „Mentor“-EP zu einem besseren Stück … Weltmusik? Fourth-World-Musik? Oder vielleicht einfach: Gegenwartsmusik mit Eckpunkten in der Schweiz, Angola, Berlin und darüber hinaus. Noch mehr Internet eigentlich, und auch das auf eine Art, die mir sehr gefällt. Wie bod [包家巷] haben wir einen eher egalitären Ansatz im kulturellen Durcheinander vor uns. Das mag ich.

Thaddeus: Sollten sich alle auf dem Summit in Marokko ganz genau anhören, bevor sie eine globalisierte Empfehlung zum zukünftigen Miteinander aussprechen und dann nicht einhalten.

Kristoffer: Ich will den Macron nicht dazu tanzen sehen, aber wenn du meinst. Und überhaupt: Wenn es eben doch pessimistisch ist – was dann?

Thaddeus: Dann hilft das, was uns bislang immer geholfen hat: das Kontinuum unserer EU-Brüder und -Schwestern aus UK. Nächste Platte.

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Demdike Stare, Passion, ist auf Modern Love erschienen.

Demdike Stare – Passion (Modern Love)

Kristoffer: Genau, denn eigentlich fahren Demdike Stare ebenso seit geraumer Zeit Identitätspolitik, nur aufs UK bezogen. Ist das hier ihre Brexit-Platte? Könnte ja sein, sie springt zwischendurch doch sehr abrupt. Ich bin deswegen etwas gespalten, wie von Demdike Stares Werk allgemein – mal gefällt’s mir, mal nicht. Und auf „Passion“ geht mir das so im Zweiminutentakt. Wie findet ihr sie?

„Das Tolle an DDS war früher, dass sie musikalisch weder im Library- & Soundtrack-Klischee steckenblieben noch der Versuchung erlagen, das Gegenaufklärerische ihrer Musik einfach so walten zu lassen. Stattdessen verbanden sie es mit einer politisch progressiven Figur.“

Christian: Wenn ich etwas ausholen darf? Ich stehe der gesamten Entwicklung des Projekts etwas ratlos gegenüber. History: DDS haben sich einst nach der Mother Demdike benannt, einer britischen Hexe, um den möglichen Soundtrack zu einem möglichen Horrorfilm zu produzieren. Den frühen Platten hört man das auch an. Das Tolle war damals, dass DDS weder musikalisch im Library- & Soundtrack-Klischee steckenblieben wie sie der Versuchung erlegen sind, das Gegenaufklärerische ihrer Musik einfach so walten zu lassen. Stattdessen verbanden sie es mit einer politisch progressiven Figur. Ich referiere hier auf zwei Interviews, die ich mit DDS geführt habe: Es ging ihnen zum Beispiel darum, abseits eines Kanons zu diggen, und von dort aus um eine quasi demokratische Multitude aus ganz unterschiedlichen musikalischen Ideen zu schaffen, einen Erfahrungsraum, der nicht von vornherein kulturell festgelegt war. Seit einigen Jahren höre ich unter dem Namen Demdike Stare aber eigentlich nur noch Hardcore Continuum, also einen ziemlich homogenen Klangkosmos. Da scheint irgendwie etwas verloren gegangen.

Kristoffer: Das trifft den Nagel auf den Kopf, ich habe mich über die Jahre auch immer mehr von ihnen entfremdet. Thaddi, du warst doch großer Fan – bist du es immer noch?

„Für mich wird hier die Weiterentwicklung einer Musik betrieben, die es dringend braucht. Und beide sind klug genug, das nicht an die Wand zu fahren. Wie es ja andere Protagonisten der Breakbeat-Zwei-Null-Bewegung gerne immer wieder tun.“

Thaddeus: Sagen wir so: Ich war vor dem Start des Projektes vor allem großer Fan von Miles’ Musik und schätzte Sean einfach als klugen Kopf. Ihre ersten Platten – die du hier referierst, Christian, waren mir persönlich etwas zu undurchsichtig und wollten nicht recht kleben bleiben. Die Aufarbeitung in Vergessenheit geratener Künstler und deren Veröffentlichungen, womit sich Sean ja als Teil des Labels Finders Keepers sozusagen beruflich beschäftigt, floss als tragendes Element in den Sound von DDS ein und traf auf die Dancefloor-Sozialisation von Miles. Das entschärfte zwar die Hauntology, war am Anfang in meinen Ohren aber immer noch sehr krude. Je mehr sich das von dieser Ausgangsposition Schritt für Schritt ordnete, desto mehr Sinn machte es für mich, auch wenn dadurch natürlich ein wenig des Besonderen verloren ging. Für mich war spätestens zur „Testpressing“-Serie klar, dass die beiden eine neue Richtung gefunden hatten. Die nicht nur ein paar Jahre halten würde, sondern in der sich die beiden Musiker auch besonders gut treffen konnten, um ihre Ideen weiter zu verfeinern. Es ist doch so: Je griffiger ein Stück Musik wird, desto angreifbarer macht es sich auch. Denn die Versatzstücke sind einfach besser wiederzuerkennen. Ich kann damit gut leben, weil für mich hier die Weiterentwicklung einer Musik betrieben wird, die es dringend braucht. Und beide sind klug genug, das nicht an die Wand zu fahren. Wie es ja andere Protagonisten der Breakbeat-Zwei-Null-Bewegung gerne immer wieder tun.

Kristoffer: Meine Frage, und sie ist gemein: Wieso braucht es diese Musik denn?

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Demdike Stare – Miles Whittaker (links) und Sean Canty. Foto: Modern Love

Thaddeus: Da bin ich zunächst ganz egoistisch. Ohne Breakbeats und alle angeschlossenen Beat-Kulturen kann und will ich nicht leben.

Aber: Auch der Amen ist endlich. Er bietet nur eine begrenzte Anzahl von Chop-Möglichkeiten. Und die kennen wir mittlerweile alle. Was heißt mittlerweile … die kennen wir alle seit Photeks dritter EP. Die Vermengung mit anderen Einflüssen hat sich aber tatsächlich bis zum heutigen Tage immer wieder als schwierig erwiesen. Stichwort: Special Request – durchsichtig wie ein Nachthemd aus der Russischen Revolution. Hier aber: genau austarierte Gegenüberstellung, die sich gleich als ein Miteinander erweist. Bestens.

Kristoffer: Böse gesagt beantwortet das meine Frage nun aber nur auf der persönlichen Ebene. Und andererseits: Macht das Demdike Stare nicht eigentlich „nur” zu Traditionalisten? Denn viel Neues in Hinblick auf das Continuum ist hier wahrlich nicht zu hören. Da wird eher versucht, das Kontinuum des einzelnen Tracks zu durchbrechen, beispielsweise mit obskuren Samples, die nicht zuzuordnen sind, mit rapiden Schnitten. Das hat stellenweise schon was von hängender CD. Das finde ich extrem abtörnend, weil es ein so billiges Mittel ist, die vierte Wand mit Ultraschall zu durchbrechen. Ich halte die ja auch für smart, nur diese Platte leider nicht. Da wäre es mir fast lieber gewesen, die machen einen 1992-bis-1996-Best-Of-Break-Sampler und die wenigen Leute, die noch genug Residual-Speed von damals im System haben, können endlich mal was zu etwas neuem Altem raven. So aber erscheint mir „Passion”, pardon, dann doch etwas leidenschaftslos, weil es eben diesen Verfremdungs- und Distanzierungseffekt so herausstellt, das heißt die Leidenschaft für den Klang und die Rhythmen von vorgestern eher auf den Seziertisch als auf den Dancefloor verfrachtet werden. Eigentlich versuchen Demdike Stare womöglich genau das, was Bonaventure für mich einlöst.

Christian: Sampler ist gut, so klingt „Passion“ für mich. Verfremdung, ja, auch. Obskure Samples? So obskur kommen die mir gar nicht vor – das ist ja mein Punkt. Wo sind die hin? Das müsste man nicht fragen, hätten sich Demdike Stare ab den „Testpressing“-12"s einfach einen neuen Projektnamen gegeben. Aber hier ist schon unklar, wo eigentlich die Hexe noch sitzt und starrt. Oder hat die einfach was geworfen und geht jetzt lieber tanzen? Andere Frage: Waren Nachthemden während der Russischen Revolution wirklich ein Ding?

Kristoffer: Ding, dong, the witch is dead?

Thaddeus: Ist diese Platte am Ende gar keine Demdike Stare, sondern vielmehr die lang erwartete neue Millie & Andrea? Ich verstehe eure Einwände sehr gut, lasse sie aber auch nur hier am runden Tisch gelten. Unter dem Kopfhörer kann ich das dann wunderbar ausblenden. Ich bin mir nicht sicher, ob Bonaventure das einlöst, was Demdike versprechen. Hier arbeiten nicht nur andere Generationen, sondern auch unter ganz anderen Bedingungen. Ich finde die Sample-Auswahl bei DDS alles andere als bemerkenswert, da bin ich bei euch. Wie sie aber eingesetzt bzw. verfremdet und verformt werden ist für mich entscheidend. Denn an dieser Stelle hört man die unterschiedlichen Ansätze unterschiedlicher Generationen. DDS stehen da für mich in der Source-Direct-Tradition, Bonaventure natürlich nicht. Hier wird durch unterschiedliche Fernrohre geschaut.

Kristoffer: Ich finde den Hinweis auf Millie & Andrea extrem gut. Wenn ich mir das mal hypothetisch vor die inneren Augen und Ohren halte: Ja, ich fände dieses Album besser, wenn der andere Name draufstünde. Vielleicht also doch eine Sache der Erwartungshaltung, vielleicht also mein Problem, vielleicht aber haben sie doch – wie wohl Christian ebenfalls meint – ihr eigenes Konzept im Rückwärtsgang überholt. Demdexit? Wie dem auch sei: Hörbar ist und bleibt hier vieles. Nur wirklich spannend – nein, das ist es für mich nicht.

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