Ein Interview mit dem Wu-Tang ClanHipHop-Entitäten, beste Logos und RZA als verdammt schwieriger Kunde

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Der Potsdamer Platz in Berlin ist auch im Herbst ein seltsamer Ort. Trotz der Massivität noch immer karg und steht man drin, überkommt einen das Gefühl, die mittlerweile unmodern wirkende Architektur würde zusammen mit dem graupig-grauen Himmel über einen zusammenbrechen wie ein mumifiziertes Lebkuchenhaus in einem Emmerich-Film. Dass man hier ein Interview mit zwei HipHop-Legenden führt, sagt auch einiges über den Status Quo von HipHop aus, denke ich mir noch als ich das große Blue-Man-Group-Plakat am Marlene-Dietrich-Platz sehe. Aber man ist nun selber auch nicht mehr in jenem Alter, in dem man gerne und freiwillig spät nachts auf durchgespeckten, klammen Backstage-Couches lümmelt, um irgendwelche Künstler zwischen vier Jägermeister zu sprechen.

Also: der Wu-Tang Clan – das wohl größte und bedeutsamste HipHop-Kollektiv aller Zeiten – hat ein neues Album aufgenommen. „The Saga Continues“ nennt sich der kürzlich erschienene Longplayer, bei dem erstmalig der Produzent und DJ Mathematics (Ronald M. Bean) federführend die Beats produzierte. Mathematics kennt den Clan wie kein zweiter. Ist er doch seit den Anfangstagen dabei, außerdem seit Ewigkeiten der Clan-eigene Tour-DJ und immer mehr der Mann hinter den Beats. Wu-Tang-Mastermind RZA (Robert Diggs) wird als „Executive Producer“ kreditiert. Die Idee des Wu-Tang wird ergo weitergedacht. Zepter übergeben, das Imperium weiter fortgeführt. Ich treffe beide Künstler im Hotel Grand Hyatt. Ein absurdes Gebäude. Im Foyer meine ich den früheren Bayern-Profi Jens Jeremies (im schicken Sakko und filigranem Sportgestell) zu erkennen, Norbert Röttgen schwadroniert mit jungen, straffen Anzugtypen der Marke Sebastian Kurz herum. Reiche Touristenfamilien in pastellgrünen Polohemden checken ihre WhatsApp-Nachrichten.

Oben in der sogenannten Waldorf Suite klimpern RZA und Mathematics angeregt auf dem kleinen Flügel herum, der Teil des sonst recht hoteltypisch sterilen Interieurs ist. Es wird eifrig über Harmonien und Modulationen diskutiert, obwohl man sieht, dass die Dreifinger-Handhaltung autodidaktisch angeeignet wurde. Und auch wenn der Altersunterschied zwischen den beiden nur drei Jahre beträgt, strahlt RZA noch immer die Aura des Mentors aus. Math ist sein Zögling und Schüler, der, der RZAs Fußstapfen irgendwann ausfüllen könnte. Aber man kennt das Szenario aus alten Kung-Fu-Filmen, die auch immer Blaupause für Wu-Tang gewesen sind. So groß und mächtig wie der Großmeister muss man erstmal werden. RZA wird für immer Yoda und Obi-Wan in einer Person bleiben. Dennoch sind beide gleichsam motiviert. Es gilt was zu verkaufen. RZA, der in den letzten Jahren eher durch eigene Filme wie „The Man With The Iron Fists“ kreativ tätig war, macht das gekonnt, eloquent und breitbrüstig mit einer ziemlich cleanen, katanascharfen, dennoch humorvollen Aura. Mathematics, dessen letzter Joint nicht allzu lange her sein dürfte, wirkt schüchterner und traut sich noch nicht so elaborierend aufzutreten wie sein Partner. Obwohl Math hier ist, um aus den Schatten des Wu-Tang-Dons zu treten – Große Schatten sind oft unüberwindbar, selbst für Lucky Luke. Und so verläuft auch das Interview. RZA der Mann der großen Geste und Worte. Der Analyst und Erhabene mit Hang zum spirituellen, universalistischen Sprech. Mathematics, der gute Typ mit dem man gerne eine Party organisiert und wahrscheinlich zahllose, solide Tüten im Studio baut. Ein Interview über den Status Quo der Rap-Musik, die zähe Erfindung des legendären Wu-Tang-Logos, Trumps neues Amerika und die wahre Definition des Wu. Die Geschichte von HipHop ist nämlich noch lange nicht auserzählt.

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Ich würde mit einer gegenseitigen Einschätzung eurerseits anfangen wollen. RZA, was schätzt du an Mathematics als Producer und Musiker?

RZA: Mathematics hat lange an seinen Skills und an seinem Handwerk gearbeitet. Viele Jahre hat er darin investiert. Aus jedem Samen kann eine prachtvolle Blume werden und diesbezüglich hat er viel erreicht. Wie bei einer wachsenden Blüte, hat er es geschafft, sein Potential zu entdecken und zu definieren. Diese Arbeit zahlt sich nun aus. Mit „The Saga Continues“ hat er das ausgezeichnet bewiesen. Für mich ist es von Anfang bis Ende ein Meisterwerk. Er ist ein großartiger Produzent, der sein Handwerk beflissen gelernt hat.

Mathematics, was schätzt du an RZA als Künstler?

Mathematics: Schon vom ersten Tag an hatte RZA eine ausgeprägte künstlerische Vision. Die Vision von Wu-Tang – immer unberechenbar und anders zu sein. Außerdem hat er als Produzent die Messlatte sehr hoch gelegt. Jedes der Wu-Tang-Alben, angefangen bei „36 Chambers“ ist eine Entität wie ein in sich geschlossenes Buch. Es hat einen Anfang und ein Ende. Nimm Raekwons „Only Built 4 Cuban Linx“. Das ist ebenfalls so ein Buch, eine große Erzählung. Bis zu „36 Chambers“ gab es nichts, was je zuvor so geklungen hat. Musikalisch habe ich daher eine Menge von ihm gelernt.

Mathematics, ich wusste nicht, dass du tatsächlich das legendäre Wu-Tang-Logo designt hast. Was ist die Geschichte dahinter?

Mathematics: Es fing an, als Anfang der 90er RZA (als Prince Rakeem, Anm. d. Red.) noch bei Tommy Boy unter Vertrag war. Er fragte mich, ob ich nicht Sticker für ihn machen wolle. Er wollte später dann den Schriftzug Wu-Tang als Graffiti haben. Er, sein Cousin GZA und ich diskutierten lange gemeinsam darüber. Irgendwann kamen wir darauf, das Ganze auf das W zu reduzieren. Wir sprachen über den frühen Wu-Tang-Track „Protect Ya Neck“. Was passieren würde, wenn man auf seinen Hals nicht aufpasst? Also hatte ich zunächst dieses große W mit Händen, das einen abgeschnittenen Kopf an den Dreadlocks hält. Mit viel Blut, das überall herausfloss. Das war dann allen Beteiligten ein bisschen zu „gore“ (lacht). Das W haben wir aber erstmal behalten.

RZA: Das W haben wir dann auf ein Buch platziert. Dazu gab es noch ein Schwert, das bei dem Original-Sticker auch schon drauf war. Das Interessante an dem Logo von Mathematics war, dass es so viele Metamorphosen durchgemacht hat. Bis es den Status erreicht hat, dass wir sagten: Das ist es, das ist das offizielle Logo – Wu-Tang Productions, Wu-Tang Clan. Bis es zu meinem Firmenlogo wurde, dauerte es eine Weile. Als die Single zu „Protect Ya Neck“ herauskam, gab es ja noch das Logo mit dem Buch. Als ich das sah, meinte ich nur: Vergiss das Buch. So hatten wir das W mit einem Schwert darunter. Dann haben wir schließlich noch das Schwert entfernt und so kam es zum finalen Logo: Das berühmte Wu-Tang-W.

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„Um ehrlich zu sein, ich habe Mathematics damals gerade mal 400 Dollar gezahlt, damit er das Wu-Tang-Logo macht. Zu der Zeit hatten wir alle kaum Geld. Wir alle erinnern uns daran noch gut. Die Anfänge waren bescheiden.“

War RZA ein schwieriger Kunde?

Mathematics: Hehe. Da sagst du was.

RZA: Ich war auf jeden Fall kritisch und penibel, worauf du einen lassen kannst (alle lachen). Als wir den ersten Entwurf prüfen wollten, war ich mit GZA, Ghostface Killah und noch einem Kumpel am Start. Wir waren ziemlich ungehalten und meinten nur: Rück raus! Wir brauchen das Logo heute!

Mathematics: Und ich nur: So kann ich nicht arbeiten! Wollt ihr nicht morgen noch mal vorbei kommen? Das war nicht ganz einfach. Ich war damals der Jüngste in der Runde …

RZA: … und dann tauchen vier schwarze Typen auf und machen voll Stress: Hey, wir brauchen das Logo, sofort! Aber das Schöne ist, dass es zu so einer großen Sache geworden ist. Es ist eine Marke, die weltweit bekannt geworden ist. Math hat nicht nur das Wu-Tang-Logo gestaltet. Er hat auch das G von GZA gestaltet. Er hat das Cover von „Liquid Swords“ designt. Wir sind immer zu ihm zurück gekommen, wenn es um grafische Arbeiten ging. Um ehrlich zu sein, ich habe ihm damals gerade mal 400 Dollar gezahlt, damit er das Logo macht. Zu der Zeit hatten wir alle kaum Geld, wenn auch diese eine Vision, erfolgreich zu sein. Eine Vision, wohin das Unternehmen sich entwickeln soll. Dafür habe ich auch das Risiko in Kauf genommen, diese damals für mich horrend große Summe in die Hand zu nehmen. Wir alle erinnern uns daran noch gut. Die Anfänge waren bescheiden.

Und heute ist es eines der ikonischsten Logos der HipHop-Geschichte.

RZA: So ist es.

War es euch von Anfang an klar?

Mathematics: Mir war das schon ziemlich klar. (lacht)

Aus der Designsicht. Was sind für euch noch andere wichtige, gut gestaltete Logos der HipHop-Geschichte?

Mathematics: Run DMC, Public Enemy, Death Row.

Aber Wu-Tang hat noch immer das beste Logo aller Zeiten?

Mathematics: Wenn du das so sagst. (lacht)

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Ich würde gerne über die Entwicklung von HipHop-Produktionen sprechen. Ihr seid ja jetzt seit 25 Jahren dabei. Anfangs ging es beim HipHop stark um Rekontextualisierungen von Geräten wie dem Technics MK2, Roland-Drummaschinen, die ersten Sampler. Würdet ihr sagen, dass diese Devices HipHop auf gewisse Art und Weise erst ermöglicht haben?

RZA: Zuallererst wurde uns dadurch ermöglicht, Musik auch auf engstem Raum zu produzieren. Drums, Piano-Sounds, komplexere Samples, wo teils ganze Ensembles zu hören waren. Das hat HipHop auf enorme Art und Weise weitergebracht. Ganz am Anfang gab es nur zwei Turntables und ein Mikrofon. Als HipHop-Producer aber ihre ersten Vierspur-Geräte bekamen, konnte man schon erstmal einen Beat machen, dann die Rap-Spur drüber legen und schließlich sogar ein bisschen editieren. Das war natürlich positiv. Mit Drummachines konnten wir unsere ganz eigenen Rhythmen machen. Mit dem Sampler konnten wir nahezu jeden anderen Sound auf unsere Beats legen. So haben sich ganz eigene Prinzipien entwickelt, die HipHop zu dem gemacht haben, was es heute ist. HipHop konnte so immer weiter wachsen. Ende der 90er kam der Triton von Korg heraus. Zum Beispiel ist die Karriere von Pharrell Williams aus dieser Triton-Blase heraus entstanden. Plötzlich gab es Drummachine, Synthesizer, einen 16-Spur-Sequenzer und Sampler in einer Maschine. Von Filtern und Effekten ganz zu schweigen. Das heißt, dass plötzlich, wofür Mozart früher 80 Musiker brauchte, von einer einzigen Person gemacht werden konnte. Das wiederum kann heute auf ein einziges Programm für deinen Computer eingedampft werden. Das ist fantastisch.

Absolut. Aber inwiefern glaubt ihr, dass die Digitalisierung auch die Ästhetik von HipHop mit verändert hat? Wenn wir von den ersten MPC- oder ASR 10-Beats sprechen, dann war das seinerzeit soundtechnisch revolutionär. Heute, so meinen Kritiker, scheint das Territorium von HipHop durchweg kartiert worden zu sein.

RZA: Das weißt du bei HipHop nie. Bevor Wu-Tang angefangen hat, gab es kaum noch Scratches in der Musik. DJ Premier hat zwar daran fest gehalten …

Mathematics: Oh ja, Premier …

RZA: Aber in den großen, bekannten Songs gab es keine Scratches. Als wir „Shame On A Nigga“ herausbrachten, meinten die Leute nur: Endlich, ihr habt die „Tschkitschiki“-Sounds zurückgeholt. Bis dahin waren sie gänzlich verschwunden. Scratches von DJs hat man nicht mit Platin-Hits in Verbindung gebracht. Wu-Tang hat es aber geschafft, Platin zu erreichen, ohne im Radio zu laufen. Und das trotz unserer Wurzeln, trotz der unvorhersehbaren Sounds. Aber auch wegen unserer Einflüsse der Martial Arts und der asiatischen Philosophie, die plötzlich eine große Rolle im HipHop spielten. Aber auch die Comic- und Mafiakultur waren wichtig für uns. Das war eine eigenständige neue Fusion. HipHop ist nach wie vor unberechenbar. Reggae-Elemente spielen heute eine Rolle, es gibt große Hits mit starken Dancehall-Einflüssen. Schau dir Drake, Rihanna und Beyoncé an. Latin Music wurde derweil in HipHop injiziert. Es gibt immer mehr Infusionen. Warte mal ab bzw. stell dir vor, wenn asiatische Instrumente und Sounds Einzug in HipHop haben.

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Der Zug fährt immer weiter?

RZA: Da ist immer Potential vorhanden. Lass dir eine Sache gesagt sein. Denk an HipHop: ob Wu, Dr. Dre, später Pharrell, oder jemand wie Lauryn Hill. Im Prinzip ist es immer simpel: drei bis vier Spuren, ein MC und ein Produzent. DMX arbeitete kürzlich mit House-/Breakbeats bei „Where My Dogs At“. Am Ende geht es immer darum, was der Künstler und der MC zusammen auf den Tisch legen. Deshalb kann HipHop auch heute noch immer weiter seine Grenzen ausweiten. Einfachheit ist dabei aber ein existentielles Element.

Forbes hat vor einiger Zeit bekannt gegeben, dass zum ersten Mal in der Popgeschichte Rap größer als Rockmusik ist. Aber wie ist es, plötzlich Mainstream zu sein? Der Big Player. Wie leicht ist es, Apple im Business zu sein?

RZA: Ich weiß nicht, ob es einfach ist. Aber ich finde es gesund für alle Beteiligten. Es ist deshalb gut, weil HipHop anfangs eine Kunstform war, die man gemieden hat.

Mathematics: HipHop war verpönt.

RZA: Ein Rockstar war ein Rockstar. Aber bei HipHop-Konzerten war man nicht sicher, ob man nicht doch irgendwann erschossen würde. Wenn man den Style hatte, gab es auch immer Probleme, man wurde nicht in Clubs reingelassen und so weiter. Wenn HipHop nun erwachsen geworden und zur Nummer Eins weltweit aufgestiegen ist, dann kann ich das nur begrüßen. Wu-Tang hat dabei natürlich eine Rolle gespielt. Und das neue Album „The Saga Continous“ ist diese neue Dosis Wu-Tang. Wir haben viele Alben gemacht, so viel Musik ist entstanden. Wu-Tang ist immer noch da. You know what I mean?

„Wenn HipHop nun erwachsen geworden und zur Nummer Eins weltweit aufgestiegen ist, dann kann ich das nur begrüßen.“

Heute. 2017. Was ist Wu-Tang? Ist es noch der Clan wie vor 25 Jahren? Ist es eine Marke, ist es ein Kult, eine Religion, ein Franchise? Wie definiert ihr Wu-Tang?

Mathematics: Wu-Tang is forever, man! (alle lachen)

RZA: Am Ende all das, was du gesagt hast. Es sind die zahlreichen MCs, es ist eine Firma, eine Philosophie, es ist eine Lebensart, ein Sound, es ist eine lebende Entität. Das meinen wir mit Wu-Tang forever. Wenn jemand diese Idee einatmet und weiter fortführt, dann ist das auch Wu-Tang. Wenn ich sehe, wie Mathematics als Graffiti-Artist und DJ angefangen hat und heute ein qualifizierter Producer geworden ist, der in der Lage ist, jedes einzelne Wu-Tang-Mitglied zu inspirieren und viele wieder dazu gebracht hat, an der Sache mitzuarbeiten – Das bestätigt nur die Idee, was Wu-Tang eigentlich ist. Es ist etwas, das zur nächsten Entität weitergetragen wird. Bevor ich das Mic weitergebe, möchte ich aber das noch sagen. Es gibt viele Kammern (Chambers) im Wu-Tang-Kosmos. Es ist wichtig, dass all diese Kammern erfasst und abgedeckt werden. Umso mehr zuvor entdeckt wurde, desto eher kann man fortschreiten in die nächsten Kammern. Wenn GZA beispielsweise der mit den wissenschaftlichsten Lyrics ist. Dann ist es wichtig, jemanden zu haben, der seine Schuhe, seine Chiffren weitertragen kann. Für mich gibt es noch vieles, bei dem ich spüre, noch mitmachen zu müssen. Einen Beitrag zu leisten, weiter zu denken. Mittlerweile mache ich Filme und Leute fragen mich: Wieso zur Hölle macht RZA jetzt Filme? Weil diese Wu-Tang-Energie zu einem Film werden musste. Erst haben wir mit der Musik Bilder in deinem Kopf entstehen lassen. Jetzt können wir aber auch Bilder schaffen und die Musik in deinem Kopf entstehen lassen. Das sehe ich als meine Pflicht an. In der vergangenen Zeit habe ich die Musik ein bisschen vernachlässigt, ich habe sie fast vergessen. Aber Math hat eben genau diese Kammer ausgefüllt. Ich habe mich von meinem Basis-Sound entfernt, das ist Teil der Evolution. Mathematics hat genau diese Idee wieder aufgegriffen.

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„Wir hatten im HipHop noch nicht genug Todesfälle, um zu sagen, wir hätten eine Formel, wie man damit umgehen muss. Wir haben Biggie und Pac verloren, an einen von den Medien ausgebeuteten Disput. Es hat uns alle dazu gebracht innezuhalten, einen Haltepunkt zu finden, eine Zäsur.“

Ich frage mich immer, was eigentlich aus der großen Fehde zwischen West- und Eastcoast geworden ist, ein Thema das HipHop in den 90ern mit definiert hat. Wie habt ihr die Entwicklung aus eurer Sicht gesehen?

Mathematics: Es war ein Medienhype. Ganz einfach. Es gab eigentlich nie Beef zwischen der West- und der Ostküste. So seh ich das. Was stimmt ist, dass es Probleme zwischen einzelnen Individuen gab. Ich habe es in all den Jahren aber nie als etwas gesehen, das die Szenen an sich irgendwie im Ganzen betroffen hätte.

RZA: Wenn etwas durch die Medien erschaffen wird, dann wird es auch eine Realität. Weil jeder plötzlich daran glaubt.

Eine Art selbsterfüllende Prophezeiung?

RZA: Ja. Das Schlimme ist, dass uns die Realität leider auch zwei große Helden genommen hat. Das war wirklich real. HipHop ist eine relativ junge Kunstform und bislang gab es noch nicht so viele Tode zu verzeichnen. Als Phife Dawg vor einiger Zeit gestorben ist, gab es eine Gedenkfeier im Apollo Theatre. Im HipHop gab es solche Gedenkfeiern aber noch nicht so oft. Es gibt kein Template, das dir sagt, wie ein HipHop-Memorial auszusehen hat. Bei Phifes Abschiedsveranstaltung waren Künstler, die performt haben. Da waren plötzlich Leute, die sich so ankündigten: „Ey, das ist mein neuer Song, der bald rauskommt“ (alle lachen). Ich fand das seltsam. Aber wir sind jung, Musiker, die noch immer eine Menge übers Leben lernen können. Wir hatten noch nicht genug Todesfälle um zu sagen, wir hätten eine Formel, wie man damit umgehen muss. Wir haben Biggie und Pac verloren, an einen von den Medien ausgebeuteten Disput. Es hat uns alle dazu gebracht innezuhalten, einen Haltepunkt zu finden, eine Zäsur. Natürlich gibt es immer wieder mal Beef. Aber wenn man reifer wird, lernt man, damit besser umzugehen. Man tauscht sich aus, umarmt sich danach herzlich. Damals waren alle sehr jung. Man hat kopflose und überstürzte Dinge getan. Wenn man aber eine Sekunde darüber nachdenkt, Entscheidungen besser kalkuliert, dann darf so etwas auch nicht mehr passieren. Wenn es eine Sache gibt, aus der HipHop gelernt hat, dann sollte es genau diese Geschichte sein. Wenn man sich all die Kollaborationen von heute anguckt. Das Album von DJ Khaled zum Beispiel: Da sind Future, Kendrick, Raekwon und so viele mehr mit dabei, ich habe das Gefühl, als würde die Energie dafür genutzt, gemeinschaftlicher zu denken. Gemeinsam an der Idee von HipHop zu arbeiten. Manchmal braucht es vielleicht eine Tragödie, um das Wesentliche zu erkennen.

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Eine andere harte Realität ist das neue Amerika unter Donald Trump. Vor einiger Zeit gab es den gehypten Eminem-Rap zu den BET-Awards, der viel Aufmerksamkeit erzeugt hat. Es gab Stimmen, die forderten, dass HipHop wieder politischer werden müsste.

Mathematics: Bei HipHop ging es schon immer um Ausdruck. Eminem hat die Plattform genutzt, um genau das zu machen.

Wie fandet ihr seine Aktion persönlich?

Mathematics: Ich fand das sehr gut.

RZA: Ich auch. Ich hab’s mir dreimal angeguckt.

Mathematics: Es war gut zu sehen, dass er das gemacht hat. Es gab zuvor schon viele Künstler, die etwas ähnliches getan haben. Aber sie waren in der Regel schwarz …

RZA: … Bei Schwarzen heißt es schnell, sie würden sich nur beschweren. Bei einem wie Eminem hört man offenbar anders zu. Wir lieben unser Land aus tiefstem Herzen. Unsere Gesellschaft hat viel erreicht, aber wir sind auch sehr unzufrieden im Moment. Wir finden es bedauerlich, wie der Rest der Welt gerade auf unser Land schaut. Wir sind unzufrieden, dass man als schwarzer Mann, als Hispanic von dem segregiert wird, was wir eigentlich sind. Es gibt so viele Generationen von Amerikanern mittlerweile, und kein schwarzer Mensch sollte jemals wieder der Sklave von jemand anderem sein. Let’s play it out! Das Gleiche gilt für Latinos und Asiaten. Wir sind da durch, da waren wir vor langer Zeit. Wir sind heute im Hier und Jetzt. Wir halten uns an die Gesetze, wir zahlen Steuern, wir helfen damit, unsere Wirtschaft wachsen zu lassen. Aber in unserem Land wird man noch immer von der Polizei angegangen, nur weil man nicht weiß ist. Die Sache mit den NFL-Spielern, die während der Nationalhymne in die Knie gehen. Dass der Präsident behauptet, es würde sich um Hurensöhne handeln, sie würden ihre Mütter nicht respektieren. Das ist sehr befremdlich für uns. Es gibt doch nur wenige Momente, in denen ein Mann in die Knie geht. Ich frage dich: Nenne mir zwei Momente, in denen du in die Knie gehst.

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Beim Heiratsantrag?

RZA: Wann noch?

Wenn dir jemand eine Pistole an den Kopf hält.

RZA: Unterwerfung. Was noch?

Gebet?

RZA: Genau. Auf die Knie zu gehen, ist eine sehr demütige Haltung, die man einnimmt. Sie ist doch in keiner Weise aggressiv.

Mathematics: Wie kann sich dabei jemand derart angegriffen fühlen?

RZA: Das ist doch der Punkt. Wie kann man damit ein Problem haben? Jetzt hat der Präsident aber offensichtlich ein großes Problem damit und diese Football-Profis sind muskulöse Riesen mit 120 Kilo Kampfgewicht. Sie könnten dich mit den Händen zerquetschen und dennoch tun sie es nicht. Es ist traurig und zeigt, wie zerfahren das Land ist. We need a better tomorrow!

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Ravegeschichte: 25 Jahre 1992Heute: „E*Vapor*8“ von Altern 8

Wochenend-WalkmanDiesmal mit Bibio, The Belbury Circle und Anja Schneider