Plattenkritik: Lee Gamble - KochDer Rückbau der Clubmusik

Lee Gamble Koch

Was bisher geschah: Vor zwei knapp Jahren verwandelte Lee Gamble seine Jungle-Mixtape-Sammlung zu ambienten Retromanie-Stücken und veröffentlichte nur wenig später ein quirliges Technoalbum, zu dem man nicht recht tanzen konnte.

Seitdem steht Gamble in der ersten Reihe jener ProduzentInnen, die man wohl progressiv nennt, klänge dieses Adjektiv nicht so schrecklich altbacken. Leute, deren Stücke dem Clubkontext längst entwachsen sind. Das gilt auch für die 16 Tracks auf „Koch“. Wenn gleich nach einem schillernden Intro eine recht massive Bassdrum einsetzt (beim schon vorab veröffentlichten „Motor System“), dann nur als Signatur. Und damit man überhaupt weiß, dass es sich hier im weiteren Sinne noch um Clubmusik handelt. Schon kurz darauf nämlich, bei „Nueme“, ist von der Bassdrum nur noch ein Hauch übrig, der freudlos unter porösen Sounds herumpocht. Wenn nach einigen Minuten eine klanglich halbwegs intakte HiHat einsetzt, kann einem fast schon leidtun, wie sie da auf verlorenem Posten ihren Dienst verrichtet. Auf die Spitze treibt Gamble seinen Rückbau von Clubmusik bei „Oneiric Contur“, einem perkussiven Stück, das mehrere Male gleich gänzlich zu versiegen droht. „Head Model“ ist dagegen eine Art Nabelschau: Eine Bassline wird hier zum Soloinstrument umfunktioniert und genießt die neue rhythmische Freiheit. Noch später, bei „Yehudi Lights Over Tottenham“ tauscht Gamble den Club endgültig gegen einen Eno'schen Flughafen.

Lee Gamble Portrait

Auch wenn Gambles verwaschener Sound nun schon ein paar Jahre in der Welt und vielleicht nicht mehr ganz so aufregend ist, so ist „Koch“ doch noch offener als sein Vorgänger, wirkt dabei aber nie prätentiös oder dient allein als Platform zur Demonstration bloßen Experimentierwillens. Man soll solche Vergleiche ja nicht anstellen, aber „Koch“ ähnelt zumindest strukturell dem letzten Actress-Album „Ghettoville“: Nicht nur wegen der vielen Skizzen und der beeindruckenden Spieldauer (Täuscht es oder werden zunehmend wieder Alben mit monumentalistischem Anspruch gemacht, seit das Format für endgültig tot erklärt wurde?). Auch weil ihre Produzenten inhaltlich ausschweifender und diverser werden, während ihre Arrangements dagegen wieder minimaler ausfallen. Geblieben ist hingegen Gambles bedingungslose Liebe zum Grundrauschen und der störrische Unterton, der seinen warmen Produktionen entgegensteht. Man braucht tatsächlich ein paar Anläufe, um der kargen Schönheit von „Koch“ zu verfallen. Wer es einfacher mag, für den hat Gamble gerade erst eine EP namens „Kuong“ veröffentlicht, auf der es wesentlich konventioneller zugeht.

Lee Gamble, Koch, ist auf Pan erschienen.

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