Rewind: Klassiker, neu gehörtFennesz – Black Sea (2008)

Rewind-Fennesz-lede

Auch der „Endless Summer“ ist mal vorbei. Mit dieser Platte hatte der Wiener Christian Fennesz sich selbst und der Gitarrenmusik ein Denkmal gesetzt, die Frippertronics erst angezählt und dann hinter der Granularsynthese zu Staub zerfallen lassen. Sieben Jahre, zwei Solo-Alben und zahlreiche Kollaborationen (zum Beispiel mit David Sylvian und Ryuichi Sakamoto) später entfaltet sich auf „Black Sea“ eine Art ästhetisches Best-of eines Musikers, der zwischen Drones, Ambient, Field Recordings und sinfonischen Anleihen die Tiden des verbrieften musikalischen Status Quo am Schlick packt. Martin Raabenstein und Thaddeus Herrmann kippen auf ihrer Reise nach Drone-City zunächst rein symbolisch alte Plug-Ins in den Ausguss der Geschichte, um schließlich im Fahrstuhl des Schlussakkords ein paar Vorstadttränen zu verdrücken.

Martin Raabenstein: Die Kombination Gitarre/Computer ist ureigenstes Fennesz-Feld. Ist der Komponist mit seinem vierten Studioalbum „Black Sea“ auf der Suche nach dem sinfonischen Drone?

Thaddeus Herrmann: Zunächst ist die Musik von Fennesz ja der einzige Heavy Metal, den ich mag. Ich hatte das Album wirklich lange Zeit nicht mehr gehört und zog dann in der Vorbereitung den direkten Vergleich mit dem Vorgänger – „Venice“ – von 2004. In diesen Jahren ist tatsächlich viel passiert im granulierten Nirgendwo zwischen MAX/MSP und Fender. Die Tracks wirken auf mich ... durchdachter? Zumindest unaufgeregter und mit weniger Spitzen. Bis auf das Intro natürlich, aber danach entsteht eine fein wogende See der Stille. Die ganz viel von dem beinhaltet, was in den Jahren zuvor durch die Musikgeschichte gerauscht war und Eindruck hinterlassen hatte. „Black Sea“ wirkt wie ein Schlussakkord für diese Phase. The End.

Martin: Also mal wieder das Ende einer Ära. Ich habe für dieses Album keine romantischen Erinnerungen. Fennesz war damals nicht auf meinem Teller, obwohl „Cendre“ von Fennesz & Sakamoto schon ein Jahr früher erschien und bei mir am äußeren Rand der Aufmerksamkeit auftauchte. Zehn Jahre später finde ich nur noch eine leise Ahnung vor, warum mich das damals bewegt haben könnte, aber immerhin – das Werk taugt noch wunderbar als musikalische Untermalung für nebenbei. Eigenartigerweise empfand ich diese steigende Distanz gerade vor kurzem schon einmal – zu dieser Art Musik, der Zeit und allem, was sich daraus entwickelte. Mein neuerlicher Versuch, Fluid Radio zu hören, war wohl wirklich der letzte. Vieles davon hat sich für mich zu einer Art intelligenter Fahrstuhlmusik entwickelt. Gar nicht schlecht im eigentlichen Sinne, ein nicht unangenehmes Grundrauschen.

„Wir hören hier die Essenz eines über Jahre entwickelten und verfeinerten Ansatzes, der nicht zuletzt dank der stetig besser werdenden Technologie zu etwas Großem gewachsen ist.“

Thaddeus: Na, in dem Fahrstuhl würde ich ja gerne stundenlang cruisen. Mein Verhältnis zu Fennesz und seiner Musik ist aber auch ein bisschen atypisch. „Endless Summer“ hat mich nie interessiert. Die ganze Wiener Blase hat mich nie interessiert. Das war für mich zum Großteil immer genau die PowerBook-Musik, die die Welt nicht gebraucht hat. Aber dankenswerter Weise legte sich im Kopf von Fennesz irgendwann ein Schalter um, der mich dann ins Boot holte. Auch die Zusammenarbeit mit Sakamoto halte ich für mehr oder weniger belanglos. Wir hören hier meinem Empfinden nach die Essenz eines über Jahre entwickelten und verfeinerten Ansatzes, der nicht zuletzt dank der stetig besser werdenden Technologie zu etwas Großem gewachsen ist. Auf der Welle kann man schon mal ein paar Jahre reiten. Oder eben im Fahrstuhl fahren. Auf und ab, auf und ab, auf und ab: Die Metapher passt ja sowohl zur See als auch zum Hochhaus.

„Mir fehlt das Dialogische. Das verwischt sich zu einem unpersönlichen Tool.“

Martin: Da muss ich dir widersprechen, gerade die Zusammenarbeit mit Sakamoto zeigt doch im Kern genau das Problem des Mannes punktgenau auf. Ihm fehlt einfach etwas, die größere Idee, oder eben ein Tastenmann wie der Ryuichi. Am auffälligsten ist das auf „Manofon“, dem 2009er-Album von David Sylvian. Wenn der Ex-Japan-Sänger sauber und leise seine Crooner-Spuren absingt und der Christian sich an seinen Instrument vergeht, da fängt es wieder an, für mich interessant zu werden. Dieses Dialogische fehlt mir auf „Black Sea“, da könnte auch Jóhannsson die Finger mit im Spiel gehabt haben, oder irgendein anderer – verwischt sich zu einem unpersönlichen Tool, hat zu wenig Schärfe. Das ist dann auch genau der Zeitpunkt, von dem an sich viele Produktionen derart entwickelten. Spiel mir einfach zwei Piano-Chords im langsamen Wechsel dazu, schon taut mein eingefrorenes Ohr wieder auf.

Fennesz 01

Bild: Lorenzo Castore

Thaddeus: Ah, du willst den Fennesz bashen! Das hättest du ja auch gleich sagen können. Lass mich versuchen, das zu dechiffrieren. Du empfindest die Formel als zu eindimensional und zu diesem Zeitpunkt auf der Fennesz’schen Zeitachse bereits zu auserzählt, verwaschen und dünnhäutig. Die Ecken und Kanten früherer Produktionen sind verschwunden und es regiert der unreflektierte Wohlklang. Liege ich bis hierher richtig?

Martin: Ja, und ich muss den Mann nicht bashen, ein jeder darf mal die Hand im Klo baden, den Lorbeerkranz des Ersten setze ich ihm dafür aber bestimmt nicht auf.

Thaddeus: Gut. Gitarre raus, Fäkalien ran. Auch schön. Während ich die Platte gestern unterwegs hörte, kackte mir übrigens ein Vogel auf den Kopf. Das fühlte sich in diesem ambienten Griesel an wie eine Bassdrum. Kurz und pointiert. Womit wir beim Tool-Vorwurf sind. Diese Drehung lasse ich dieses Mal schlicht und einfach nicht zu – auf etwaiges Nachbohren werde ich nicht reagieren, gerade wenn hier schon die eine oder andere Hand in die Kloschüssel gelangt hat: Alles hat Grenzen. Wo war ich? Ach ja! Die Sache mit dem wuchernden Flow. Ich bin kein Auskenner in Drone-City, meine Vergleiche, die ich hier ziehen könnte, lasse ich mal lieber außen vor. Im Gegensatz zu den klassisch-dronigen Drones empfinde ich Fennesz’ Ansatz als sehr erfrischend, weil er klangästhetisch Anschluss an eine Szene sucht, die sonst in diesem Genre nicht so oft präsent ist. Alle Daumen hoch dafür.

Martin: Ich bin heute noch Fan von „Endless Summer“ und „Venice“, da ist Leben drin. Dies hier wirkt wie der ungewünschte Wiedergang einer angejahrten Idee, zu weißlich, zu durchsichtig und etwas zu hoch schwebend, um noch die leiseste Bodenhaftung vortäuschen zu können. Ein Tool eben. Lass mich dir erklären, was ich unter diesem Begriff verstehe. Ein Tool ist ein wunderbarer Grundstein, ein Element auf das man aufbauen kann, in einen Mix als Bridge mischen oder Tracks daraus entwickeln. Das ist grundsätzlich nichts schlechtes, aber eben nur eine Matraze ohne Laken, ein Einer beim Lego.

Thaddeus: Abgehoben ist das neue Abgefahren! Ja, ich lass das schon alles gelten – du musst die Platte ja nicht mögen, und die Unterschiede zu „Endless Summer“ liegen auf der Hand. Wenn dir der Künstler in die falsche Richtung abgebogen ist, ist das betrüblich, aber nicht zu ändern. Ich komme im Folgenden mit Lichtgeschwindigkeit auf dich zu – Achtung! Mir ging dieses PowerBook-Gewichse der Nuller-Jahre so derartig auf die Nerven, dass ich mich damit überhaupt nicht mehr auseinandersetzen wollte – ganz egal ob nun Techno, IDM oder eben droniger Ambient. Austauschbar bis in das letzte synchron flatternde Tape-Delay aus Pluggo. Hier killte sich eine ganze Generation selbst und war auch noch stolz drauf. In diesem Moment zerfiel diese Szene für mich in zwei wiederum für mich sehr bemerkenswerte Lager: das der Musiker und das der Daddler. Fennesz ist für mich Musiker.

Martin: Wie war der Witz mit der Fuchsmama nochmal? „Wenn’s die Kleinen glücklich macht?“ Das war der Siegeszug der Plug-In-Presets, auch für junge Hände geeignet. Aber zurück zum Material: Mike Harding, der Chef von Touch, hat diesen Player 2008 beurteilt und für release-fähig abgesegnet. Das muss also in dieser Zeit überzeugt haben, insofern gebe ich dir recht. Mancher Tonic-Flasche gelingt es eben nicht, über die Jahre die Bubbles zu halten. Und ob Pluggo eine Mitschuld an der aktuellen Musikschwemme zukommt? Der Urahn vieler zeitgenössischer Bearbeitungsinstrumente, da könntest du schon recht haben. Das hilft dem Fennesz aber auch nicht zurück aufs Sofa.

Thaddeus: Aber Pluggo hatte ja schon zuvor gebrandschatzt. Ich will Fennesz auch gar nicht die Verwendung dieser Plug-In-Sammlung unterstellen – der setzt sich glatt ins Auto und kommt vorbei, das wäre mir ein bisschen unangenehm. Es geht mir eher um eine ästhetische Grundstimmung, die damals herrschte und deren Verfallsdatum man schon roch. Diesen Leichengeruch fegt Fennesz mit bestimmt damals sehr ernster, aber nicht besorgter Mine bewusst oder unbewusst aus genau dem Fenster, das er auf „Endless Summer“ aufmachte. Musikalisch wie auf dem Cover.

Martin: Nö. Du kannst Haltbarkeit aus deiner eigenen Zeit heraus nicht einschätzen, das macht auch insofern keinen Sinn, als dass du dann auf jegliche Form von Experiment verzichten würdest. Fennesz probiert hier etwas aus, das eben noch nicht mal ein Jahrzehnt überlebt. Das hat, glaube ich, nichts mit einem möglichen Verspüren eines Endes welcher Ära auch immer zu tun. Eher damit, dass man sich zugestehen sollte, auch mal scheitern zu können.

Fennesz Black Sea GIF

Thaddeus: Blicken wir doch einen Moment auf das Cover von Jon Wozencroft, in die Ferne und sinnieren darüber, was uns inhaltlich noch fehlt, um das Album angemessen zu verhandeln, im Positiven wie Negativen. Ich finde interessant, wie die Musik einerseits hier sehr homogen daherkommt – du empfindest das als eher langweilig –, andererseits aber auch ganz bewusst mit Brüchen gearbeitet wird, also die beiden Welten, Elektronik und Gitarre, an bestimmten Stellen wieder voneinander getrennt werden und ihnen eine ganz eigene Dynamik zugestanden wird. Und wie dann auf dem Höhepunkt der Platte – „Glide“ – uns hier eine imaginierte Zusammenarbeit zwischen Fennesz und Jóhannsson entgegenweht, bei der Mark Harding bestimmt eine Londoner Vorstadtträne weggedrückt hat.

Martin: Ach Thaddi, das ist einfach rührend. Du kannst noch so viele Fischstäbchen ins Wasser werfen, sie werden alle nicht mehr schwimmen können. Gleiches gilt für das Coverfoto. Hier ist Ebbe, kein Wasser drin und auch nach der dritten Zwangsverhörung der Scheibe will es einfach nicht wiederkommen. Den Touch-Fotografen und seine Arbeiten mag ich übrigens sehr gerne.

Thaddeus: Gut, einen Versuch war es wert. Dann kann ich dir zu Weihnachten ja immerhin den Bildband von Wozencroft schenken, wünsche schonmal schöne Feiertage mit den tollsten Rumpelbeats made in the internet und freue mich auf die erste Folge unserer Kolumne im kommenden Jahr. Bis dahin haben die Fischstäbchen auch genug Wasser gezogen, die Panade ist angemessen labbrig und wir können wieder in die Dekade zurückkehren, die ich besonders spannend finde: die 60er.

Martin: Sollte uns der Weihnachtsbaum abbrennen, lasse ich „Black Sea“ laufen, wenn die Feuerwehr löschen kommt, Deal?

Thaddeus: Darauf noch einen Bitcrusher aus Pluggo 1.0.

Martin: Haunting!!!

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