Rewind: Klassiker, neu gehörtThe Housemartins – The People Who Grinned Themselves To Death (1987)

Housemartins lede

Eine komische Band, manchmal auch im wahrsten Sinne des Wortes. Nur zwei Jahre lang – von 1985 bis 1987 – veröffentlichten The Housemartins Musik. Vier Jungs aus Hull im Nordosten Englands – Paul Heaton, Stan Cullimore, Hugh Whitaker (hier schon nicht mehr dabei und ersetzt durch Dave Hemmingway) und Norman Cook. Was vorne heraus zum Großteil wie La-La-Gitarrenpop wirkte, hatte textlich Biss und gerade auf den B-Seiten ihrer EPs auch musikalische Tiefe und Überraschungsmomente. Wer in der Zeit aufwuchs, in der das englische MTV plötzlich in deutsche Kabelnetze eingespeist wurde und die Popkultur einen visuellen Ruck machte, erinnert sich noch gut an das Video zu „Caravan Of Love“, einem Cover der Isley Brothers. A Capella vorgetragen, im Mittelgang der Kirche kriechend und predigend von der Kanzel hinab: der einzige Nummer-1-Hit der Band, die sich schon mit dieser zweiten LP wieder von der Bildfläche verabschiedete. Sänger Heaton gründete „The Beautiful South“, Norman Cook machte erst „Beats International“ und wurde dann zum Fatboy Slim. Herrmann & Raabenstein setzen ihre leicht angestaubten Indie-Brillen auf und drehen vorsichtig laut. Denn in der Lounge des britischen semi-detached house sind die Wände dünn, das Bier ist warm und das Acid knapp.

Martin Raabenstein: Ohne Vorbereitung heute, höre das Album zum ersten Mal wieder seit den Achtzigern. Sofortige, positive MTV-Memories. Das hier sind deine Pop-Wurzeln?

Thaddeus Herrmann: Auf jeden Fall. Ich habe die Band wie viele andere damals in meiner Hood auch bei MTV entdeckt, „Caravan Of Love“ lief da ja rauf und runter, „Happy Hour“ auch, da habe ich mal die LP gekauft. War super. Leider habe ich damals das Konzert in Berlin verpasst. Das fand im Loft statt, diesem Indie-Club im damaligen Metropol. Ich war am gleichen Abend genau dort, im Metropol, weiß aber nicht mehr, wer da gespielt hat. Das war der einzige Gig der Housemartins ever in Berlin, wenn mich nicht alles täuscht. Egal. Wir wollen ja über die zweite LP sprechen. Die ist ja schwierig, sagt die Pop-Kritik.

Martin: Dazu müsste man sich noch "London 0 Hull 4" reintun, können wir gerne später machen. Das Video zu „Happy Hour“ schien aussagekräftig genug für mich, diesen Style als Happy Music über mich rieseln zu lassen, ganz nett, darum die positiven Erinnerungen. In der zweiten Hälfte der 80er hatten die Engländer ja eine ganze Menge an schubbeliger Wohlfühl-Mucke am Start. Fine Young Cannibals, Boy George, George Michael etc. Das schien so schön langsam und süffig den Tresen runter zu tropfen.

Thaddeus: Ich weiß nicht, ob man die alle in einen Topf werfen sollte. Das ist so eine Wahrnehmung von Pop, die mir widerstrebt: „Ich find so alles schön, was im Radio läuft.“ Das habe ich nie wirklich verstanden. Dein Punkt ist dennoch valide. Interessant bei den Housemartins finde ich, was sich hier auf zwei LPs so ereignet und wie sich die Wege der Musiker danach so wahnsinnig schnell getrennt haben. Und was dann kam! Norman Cook mit „Dub Be Good To Me“ und heute immer noch einer der größten Bigbeat-Stinker und Dance-Missversteher. Und Heaton als Gründer und Sänger von „The Beautiful South“. Puh, da muss man wirklich dankbar sein, dass sich die Band zu diesen zwei Platten zusammengerauft hat. Denn auch, wenn gerade auf dieser zweiten Platte hier doch viel Quatsch drauf ist: Einige Songs sind sensationell.

Das ist Schöntrinken pur, darauf ist diese Musik perfekt zugeschnitten, die Zeiten waren hart.

Martin: Memorabiles Schunkeln, zart besaitete Punk-Riffs in netter Umgebung und zurück zum Anfang. Ich komme immer wieder auf das Video zu „Happy Hour“ zurück, so flirteten sich Anne und Michael damals zutraulich in eine gemeinsame britische Reihenhaushälfte, mit all den kommenden Kindlein in einer rosa Blase, und noch ein Pint, bitte! Das ist Schöntrinken pur, darauf ist diese Musik perfekt zugeschnitten, die Zeiten waren hart. Margaret Thatcher hatte zwei Jahre zuvor den britischen Gewerkschaften endgültig die Kehle durchtrennt. Die Texte waren entsprechend ziemlich kritisch und links, wofür die konservativen Kreise die Band immer wieder heftig angingen. Eben jene Texte verstehe ich aber erst heute im richtigen Sinne, die sitzen knackig auf der Zwölf, dafür die Daumen weit hoch.

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Wie jung dieser Fatboy Slim mal war ...

Das ist schon eine sehr britische Mischung.

Thaddeus: Ja, das ist was für die Lads und die Ladies. Wir müssen auch nicht über die Platte per se sprechen, sondern können auf die Band als solche umschwenken. Ist eh spannender. Das ist schon eine sehr britische Mischung. Ein bisschen Indie, sehr viel Groove in den Vocals, irgendwie Northern Soul, toller Gesang, dafür aber etwas schwach bei der Instrumentierung, schwach schrammelig sozusagen. Ist aber auch nicht schlimm. Was für Radio 1, die B-Seiten für mich. Vor dem ersten Album gab es ja schon ein paar Maxis, praktisch Mini-Alben mit wirklich guten Tracks, oft auch A Capella, obskurem Rap oder Gospel. Das fügte sich schon zu etwas Kohärentem zusammen. Die Lads in ihren Strickjacken auf der Bühne, in ihren Stone-Washed-Jeans, in den Docs – stimmiges Konzept.

Martin: Versteh mich nicht falsch, aus den UK kam und kommt immer noch großartige Musik, nur eben für mich nicht aus dieser Richtung. Und erklär’ mir doch bitte, wo hier der Begriff „Soul“ zu seinem Brüderchen „Northern“ findet. Schöne Stimme, ja. Die hatte aber Rick Astley auch.

Thaddeus: Also Rick Astley klang wie Kermit, nur schlimmer. Die Housemartins kommen aus dem Norden, also machen sie Northern Soul. Bähm! Nein, Quatsch. Ob es in dieser Richtung heute noch interessante Bands in England gibt, ist eine Frage, die ich schlicht nicht beantworten kann. Ich hoffe ja eigentlich, dass das nicht so ist. Und die wichtigste Gegenfrage: Du hattest gesagt, du seist Fan der Housemartins. Das scheint eine Finte gewesen zu sein. Was denn hier los, ey!?

Martin: Ich wollte mal lieb sein, da siehst du, was dabei herauskommt. War ein Scherz. Die Platte hört sich heute einfach anders an. Ich glaube, dass das Ende der Achtziger auch das Ende für sehr viele Styles bedeutete, für den Funk und eben auch für diese Art weißer Musik. Die Electronica der kommenden Jahrzehnte hat das alles weggeschwemmt. Nun ja, bis auf Phil Collins, aber, nochmal, da schunkelt die Anne eben gerne dazu, oder?

Thaddeus: Dinge kommen, Dinge gehen, und dass es bestimmte Styles nicht mehr gibt, ist ausgesprochen zu begrüßen. Auch wenn das ja nicht stimmt, soweit ich weiß, spielen die Ärzte immer noch ihren dämlichen Punkpop. Wenn John Peel noch leben würde, könnten wir ihn jetzt anrufen und fragen, ob es seiner Meinung nach eine große Tanz-Wanderung von den Housemartins in Richtung Black Dog gab – ich wage das zu bezweifeln.

Martin: Ich hätte ja meinen Arsch verwettet, dass diese Band bei John Peel GANZ BESTIMMT NICHT MAL DAS KLO NACKT REINIGEN DURFTE, aber so kann man sich seine musikalische Haltung auch schönreden. Jetzt schau mal da rüber, meine Biografie vom besten DJ der Welt schiebt sich ganz langsam aus dem Regal, Jesses.

Thaddeus: Und knallt volle Kanne auf den Smiley-Aufkleber, der hier schon seit 1988 auf dem Parkett klebt. Denn das hat UK damals doch umgedreht. Techno, Acid, Summer Of Love. Das hat auch John Peel schnell eingesehen, wenn auch nicht so schnell wie andere. Und ja, auch Norman Cook. Ist leider so. Bei dem hat es geschnackelt, bei den anderen eher nicht. Auch wenn das natürlich nur auf den ersten Blick bemerkenswert ist, dass ein Bassist einer Indie-Band nun plötzlich ein dubbiges Cover macht mit „Dub Be Good To Me“. Ska, Reggae, Dub – immer wichtig in der britischen Jugend- und Arbeiterkultur.

Martin: Beats International, Fatboy Slim, schmeiß’ den „souligen“ Sänger aus dem Norden raus und du bist fat? Mein Punkt. Fast so wie bei Dee-Lite, lass den Bootsy an den dicken Saiten rupfen und die Girlschaft swingt.

Thaddeus: In deiner Generation vielleicht, Alter.

Martin: Ich habe noch „Die Zwei“ im Original gesehen, oder, um es dir mit Jack Nicholson elegant zurück zu schieben, schamponier mir doch den Schritt, Baby.

Thaddeus: Von „seine Lordschaft“ zur Girlschaft, macht Sinn. Okay, zurück zu den Housemartins aus Hull, dieser wundervoll runtergerockten Quasi-Küstenstadt, in der nichts ging. Das erste Album „London 0 Hull 4“ zu nennen ist, ist natürlich auch ein Arschtritt, pardon, ein Schrittschamponierer, gen Süden, gegen das Establishment. Kleiner Zicker, immerhin.

Housemartins 03

Martin: Jeder kriegt den Schnitt, den sein Rasierer so hergibt. Ich denke, dieses Hauptstadt-gegen-den-Rest-des-königlichen-Ländles funktionierte noch in den 60er und 70ern. Dann ist Schluss. Etwas Eigenes in der Geburtsstadt aufzubauen, ist seit der Eisernen Lady doch obsolet. Schau mal „Synth Britannia“, da fällt dir doch nix mehr zu ein. Oder nimm Warp Records, das werden doch die einzigen mit einem originär eigenen Sound in den nach den Achtzigern kommenden Jahrzehnten sein, oder?

Thaddeus: Steile These, die die Housemartins aber schon vorher kannten und schön stichelten. Ich komme auf die Band zurück, ich versuch’s einfach nochmal: Vier Typen hinterlassen uns zwei Alben, die man aus der heutigen Sicht zwar auch auf ein Stück Vinyl hätte kürzen können, aber dennoch Eindruck gemacht haben. Bei mir. Bei dir nicht, ich weiß.

Martin: Die gestichelten Kater. Themawechsel, sagt Sylvester zu dem Vogel: „Krähe, zerteile die Maus in zwei Teile und das Maisfeld ist dein!“

Thaddeus: Wiederhören!

Housemartins 04

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