The Godmother of House and TechnoDas große Steffi-Interview

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Fotos: Stephan Redel

Es ist 2017 und Techno und House drehen frei. Die Sponsoren-Listen der alles bestimmenden Festivals sind länger als das Lineup, was früher Pop hieß, ist heute Deephouse und ob eine Nacht gut war oder nicht, belegen die Likes auf Instagram. Einige haben das kommen sehen, andere schon lange das Interesse verloren. Und wieder andere nehmen Platten auf, die beweisen, dass trotz aller Kommerzialisierung, Kritik und Irritation die Geschichte noch längst nicht auserzählt ist. Steffie Doms ist eine von ihnen. Mit „World Of The Waking State“ legt sie dieser Tage ihr drittes Solo-Album auf Ostgut Ton vor. Ohne Vocals und ohne die immer gleichen Sounds, die für die Historisierung als so wichtig erachtet werden. Befreit vom schon lange nichts mehr zusammenhaltenden 4/4-Diktat, verwandelt diese Platte nutzlose Dunkelheit in tief und farbenfroh schimmernde Melancholie. „Viel persönlicher geht es nicht“, sagt sie im Interview, und das stimmt. Warum wir uns um unsere Musik kümmern müssen, Festivals nicht alles sind, und wie man sich trotz allem immer wieder aus Neue motiviert, weiter zu machen: Im Gespräch mit Ji-Hun Kim redet Steffi Klartext.

Gratulation zu deinem neuen Album! Es ist sehr Steffi, aber wiederum ganz anders als deine Alben zuvor. Wie siehst du das?
Das erste Album sollte ein Hybrid sein, der im Autoradio, auf der Tanzfläche, aber auch zu Hause funktioniert. Multifunktional könnte man sagen. Beim zweiten dann wollte ich etwas produzieren, was auch in meiner Plattentasche am Wochenende landen könnte. Diesmal wollte ich es bewusst offener halten. Musik, die alles sein kann, keine thematische Vorgabe. Ich habe einfach mal los gelegt. 2015 hatte ich ja das Virginia-Album co-produziert – eine sehr Vocal-lastige und poppige Angelegenheit. Es gab sogar eine gemeinsame Tour. Als die fertig war, habe ich mich sechs Wochen lang im Studio isoliert. Das war im Oktober 2016. Ich hatte Lust auf etwas Unkompliziertes. Ich habe mein Hirn ausgeschaltet. No restrictions, einfach mal kommen lassen. Ich wollte auch weg von der Vierviertel-Bassdrum. Weniger Bummbumm, keine Gedanken über BPM – es durfte einfach alles passieren. Ich habe bewusst die klassischen Drumcomputer weg gelassen.

Keine 808 oder 909?
Hier und da habe ich mal einen Kickdrum-Sound damit aufgenommen.

Wieso das?
Ich brauchte eine neue Arbeitsweise. Ich bin viel im Studio, produziere viel und finde es immer spannend, sich selber auf ein höheres, neues Level zu bringen. Ich liebe Technik, bin ein richtiger Gear-Freak und habe mich in Drum-Synthesizer verliebt. Jetzt bastele ich meine Drumsounds selber zusammen.

Zum Beispiel?
Der Klassiker ist Syncussion. Ansonsten habe ich gerade einen Liebling aus Japan: der ULT Sound von Toyo Gakki. Der Drum-Synthesizer stammt noch aus den 70ern, hat vier Oszillatoren und ist vom Konzept her unglaublich spannend. So habe ich mit der Zeit einige Instrumente gesammelt, mit denen die Rhythmen und Grooves des neuen Albums produziert wurden. Das war schon mal ganz anders, als mit Roland-Drummachines zu arbeiten.

Deine Jugend in Eindhoven war von einer diversen elektronischen Szene geprägt. IDM, Breakbeats und Elektronik haben mindestens eine genauso große Rolle gespielt wie House und Techno. Mir kam dein neues Album wie eine Heimreise vor. Ohne natürlich Details aus deiner Jugend zu kennen …
Sowohl als auch. Mir fällt auf, dass Leute ja immer nach einer Referenz suchen. Zumindest war das bei mir immer so: „Das hört sich an wie das. Das wiederum wie jenes. War das so gedacht?“ Für mich war einfach wichtig, vom Viervierteltakt weg zu kommen. Klar spielen Labels wie Warp und Rephlex eine Rolle. Ich finde aber, dass die bei weitem nicht so linear klingen wie „World of the Waking State“. Es gibt durchaus Zusammenhänge und Bezüge zu der Musik von früher. Es hätte aber auch ein Detroit-Electro-Album werden können. Ich habe nicht darüber nachgedacht und mich einfach mal gehen lassen. Das ist halt dabei rausgekommen.

Das ist aber schon eine Reaktion auf den Techno von heute.
Ja! Unbewusst ganz bestimmt. Ich brauche gerade eine Herausforderung. Man wird auf allen Kanälen zugeknallt von dieser geraden, uninspirierten Musik – da fehlt mir im Regelfall sowieso schon die Melodie. Ich empfinde da Langeweile. Meine Musik war schon immer melodiös. Ich hatte voll Bock drauf, mich von diesem Techno-Diktat zu befreien.

Ich habe ja auch meine Probleme mit Techno gerade.
Ach … echt?! (lacht laut)

Ich frage mich tatsächlich, wo bei den Clubgängern und jungen DJs und Produzenten die Emotionen geblieben sind.
Genau! Das frag ich mich auch.

Konsumgesellschaft Techno

Hast du etwa eine Antwort?
Es fällt mir schwer, bei vielen Sounds von heute einen Wiedererkennungswert zu finden. Techno-Klassiker gibt es häufig ja deshalb, weil ein Wiedererkennungswert vorhanden ist, in der Regel durch eine prägnante Melodie. Ich habe den Eindruck, als wäre es uncool, heute eine melodiöse Techno-Platte zu produzieren. Jetzt sage ich vielleicht was Böses: Manchmal habe ich einfach das Gefühl, dass die Leute das auch nicht können. Es ist leicht, einen Drone-Sound zu basteln, dann einen fetten übersteuerten Beat, bisschen Tzz-Tzz-HiHat und fertig. Ich empfinde die meisten Sachen auch nicht als ausproduziert – total schade.

Deine Einschätzung läuft mir runter wie Öl. Ich habe auch die Beobachtung gemacht, dass im Bereich PA und Sound schon größer und vielleicht auch professioneller gedacht wird – Techno wird immer häufiger zu einem Art HiFi-Dolby-Surround-Event. Musik, so wie wir beide Musik denken, spielt aber in der Tat eine sekundäre Rolle.
Für DJs und Producer, die heute total angesagt sind, ist die Herausforderung einfach nicht mehr wichtig. Wenn du ein bekannter Künstler bist, dann hast du ja eigentlich den Luxus, den Leuten auch mal anderes anzubieten als funktionale, abgefertigte Stangenware. Aber nein: Je einfacher, desto besser. Damit befördert man eine gewisse Mentalität: Ich esse es und scheiß es aber auch umgehend wieder aus. Das erinnert mich stark an unsere überfütterte Konsumgesellschaft und hat meiner Ansicht nach gerade keinen positiven Einfluss auf House und Techno.

Ich habe mal versucht, das Ganze positiv aufzufassen. Vielleicht ist das, was gerade passiert die klassische subkulturelle Revolte – sprich Verweigerung. In den letzten Jahren ist mit EDM, David Guetta und Coachella Clubmusik ja wieder voll im Mainstream angekommen. Dort strotzt es ja nur vor kitschigen Hooks und schlechten Melodien. Kann es sein, dass die düstere, schwarz-uniformierte, nihilistische Techno-Haltung von heute auch eine Reaktion auf Tomorrowland und EDM ist? Eine vermeintlich undergroundige Anti-Haltung? So könnte man wenigstens ein bisschen was Euphemistisches aus der Sache herausholen.
Meinst du?

„Ich bin noch lange nicht fertig. Ich höre nicht auf zu lernen.“

Könnte ja sein. Ich finde es nur halt schwach, immer darauf zu schimpfen, dass alles so viel schlechter geworden sei. Man muss auch die guten Seiten suchen.
Es hängt von vielen Faktoren ab. Mittlerweile spielen ja Festivals eine so wichtige Rolle. Auf einer großen Bühne ist es schwierig, Tiefe zu erreichen. Das geht schon, aber man muss sich bewusst dafür entscheiden, und es ist auch nicht gerade der leichteste Weg. Wenn aber alle nur noch die sichere Nummer schieben, wird es gängig und nicht mehr inspirierend. Auch Techno kann ja einen breiten Horizont haben.

Dein Album hat mit dem Festival-Szenario ja gar nichts zu tun. Mich hat die Intimität, die Offenheit ein bisschen an The Other People Place erinnert.
Echt? Das seh ich ja gar nicht so. Ehrlich?

Mir geht's um den Vibe und die Attitude. Aber gut. Wir wollten das mit den Vergleichen ja sein lassen. In diesem Jahr sind mir in dem Kontext qualitativ die Alben von – ich sag mal – arrivierteren Künstlern hängengeblieben. Da wäre zum einen „The Final Experiment" von Shed, „Work“ von Nick Höppner, aber auch deine neue Platte. Es entwickelt sich meiner Ansicht nach die Kategorie des „erwachsenen“ Techno heraus. Gehst du da mit?
Das kann gut sein. Du nennst Shed und Nick Höppner. Das sind beides Leute, die sich viel Mühe machen, wenn sie im Studio sind. Wenn du Wert auf gute Produktionen legst und gerne Zeit im Studio verbringst – gerade Shed produziert wahnsinnig viel und ist darüberhinaus super talentiert –, dann gibt es automatisch Output und somit auch etwas, das man erzählen will. Am Ende ist es subjektv, ob etwas gefällt oder nicht. Aber ich mag auch Nicks Ansatz, nicht 20.000 Gigs hintereinander zu spielen, weil man sich als Producer sehr wohl fühlt. Ich habe in den letzten zehn Jahren an sechs Alben gearbeitet, darunter drei Soloalben. Ich bin aber noch lange nicht fertig. Ich höre nicht auf zu lernen. Mein Bedarf an Musik wird nicht kleiner. Sie treibt mich gerade richtig an. Ich finde das wirklich toll. Ich liebe die Arbeit im Studio.

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Fokus

Wäre Erwachsenen-Techno für dich ein Schimpfwort?
Nein. Ganz und gar nicht. Ich sehe das als Kompliment. Das heißt, dass es Leute gibt, die auf ähnliche Qualitätskriterien Wert legen. Man kann ja auch ein Album machen, indem man sich fragt: Okay, was ist gerade angesagt?

Paar BPM schneller schrauben, damit man auch auf Festivals gespielt wird …
Exakt. Wenn jemand ein Techno-Album machen will, in dem fünf, sechs funktionale Tools den Kern ausmachen, dann will ich überhaupt nichts dagegen sagen. Ganz im Gegenteil: Hau rein! Aber wenn ich doch die Gelegenheit bekomme, ein Album zu machen, dann will ich Diversität zeigen. Das siehst du bei Shed, Nick, aber auch Martyn genauso. Die nehmen sich Zeit, um zu zeigen, dass es es um mehr geht, wenn man sich nur die Mühe macht.

Du hast gerade von Erzählung gesprochen. Wie sieht sie bei dir aus?
Gute Frage. Das Album spiegelt schon meine Persönlichkeit wider. Es gibt diesmal keine Vocals – eine bewusste Entscheidung. Die Platte bildet mein gegenwärtiges Mindset ab. Das alles geht in meiner Seele gerade ab. Viel persönlicher geht es nicht.

Manchmal hat es was Therapeutisches.
Ich habe mich sehr wach und präsent gefühlt. Ich kam gerade von der Virginia-Livetour, bei der ich eine unterstützende Rolle gespielt und viele Erfahrungen gemacht habe. Da gab es das Bedürfnis zu sagen: Jetzt geht es nur um mich. Kleine Melodien, komplexere Beats, schauen, wie man Produktionen noch weiter ausfeilen kann.

Du hattest als kleines Mädchen mal Klavierunterricht.
Ich habe es gehasst.

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Bei einer Nonne, die von Popmusik keinen Schimmer hatte.
Das stimmt. Das war ziemlich steif. Jetzt finde ich es natürlich schade, dass ich es damals nicht weiter vertieft habe. Meine Mutter hat sehr gepusht, aber meine Motivation war nicht groß. Wenn man zehn Jahre alt ist, weiß man ja nicht, dass man zwanzig Jahre später mal Musik machen will. Trotzdem war meine Musik schon immer melodiös. Jedesmal, wenn ich versuche, einen Funktionstrack zu machen, habe ich erst eine gute Basis und finde, es ballert gut. Aber wenn es dann ans Arrangement geht, habe ich immer das Gefühl, dass noch etwas fehlt: die Melodien, natürlich. Das lässt sich nicht vermeiden.

In meiner ganzen Diskografie findet sich kein reiner Baller-Track. Das kann man dann auch Handschrift nennen.

Warum ist das so?
Ich steh einfach drauf. Aber wenn ich Musik gut finde, dann meistens, weil Melancholie mitschwingt und eine gute Melodie vorhanden ist. Das sind auch die Platten, die mich persönlich umhauen.

Eine Bassdrum alleine kann keine Erinnerung wecken.
So kann man es auch sagen. Eine Bassline schon!

Keine Frage!
Aber Bummbummbumm kennen wir alle schon auswendig. Ich glaube, dass die 80er auch deshalb eine so große Rolle spielen. Da gab es viel Melancholie in der Musik und viele verbinden tiefe Erinnerungen damit. Womit wir wieder bei dem Thema Wiedererkennungswert wären. Den schafft man eben vorwiegend mit Melodien.

Jammen, hören, ordnen

Wie arbeitest du eigentlich, hast du dein Studio in deiner Wohnung?
Nein. Ich brauche diese Phasen, wo der Kalender freigeschaufelt wird und ich an nichts anderes denken muss, als an Musik. Vielleicht mache ich noch meine Residency in Berlin, aber Rumfliegen und das ganze Zeug gibt es dann nicht. Ich brauche diesen Raum und die Luft zur Konzentration, so war es auch bei diesem Album. Ich gehe morgens ins Studio, mache erstmal einen Jam. Mittlerweile arbeite ich zu 95 Prozent mit Hardware. Nicht, dass das in irgendeiner Form wichtig wäre. Aber es ist eine Umgebung, mit der ich mich wohl fühle. Ich arbeite mit einem Hardware-Sequenzer, der Computer dient als Multitrack-Aufnahmegerät. Wenn sich ein Jam gut anfühlt, dann lege ich die Basis an. Lege die Effekte auf eine gesonderte Spur, damit ich in der Post-Production noch mal dran kann. Dann pack ich das weg, mach Pause, gehe was essen und wenn ich zurückkomme, gehe ich da nochmal dran. In den Wochen Studiozeit sammle ich erst mal alles zusammen. Am Ende gibt es einen Tag, an dem ich alles durchhöre. Lass mich überraschen, was so entstanden ist – das funktioniert gut. Weil man sich so nicht an einem Loop festbeißt und nach zwei Tagen nicht mehr weiß, ob es nun gut oder schlecht ist. Auf die Aufnahmen kann ich immer wieder zurückgreifen. Manchmal ist es ein bisschen frickelig, weil das alles Audiospuren sind. Aber dann kommt die Feinarbeit: editieren, anpassen, die Arrangements, Spuren ergänzen. Ich habe gemerkt, dass die gesammelten Ideen aus so einer Phase dennoch einen ähnlichen Vibe haben und ganz gut zusammenpassen.

Du jammst viel?
Der Jam ist immer die Basis. So ganz unberührt lassen, ist aber auch nicht mein Ding. Im Nachhinein wird zum Teil viel bearbeitet.

Du meinst wie bei Lucretio und so.
Die machen das gerne. Die haben zum Glück aber auch das Händchen, live Songstrukturen schaffen zu können. Das finde ich auch toll. Ganz früher ist Techno nur so entstanden. Ich mag aber die Arbeit, später an Songstrukturen zu arbeiten. Das ist noch mal eine eigene Kunst für sich. Vielleicht hört sich das bei mir nicht immer so an. Den Gedanken gibt es aber (lacht).

Wie viel Geld hast du in Modular-Synthesizern verbrannt?
Null! Ich mache den Modular-Hype nicht mit. Ich finde es super und auch begeisternd, was da geht. Ich freu mich, dass das Thema präsent ist. Ich glaube aber, das ist eher was für Gear-Freaks, die ein Betätigungsfeld suchen, unmögliche Sachen miteinander zu verbinden. Für mich ist das zu weit weg vom tatsächlichen Musik machen. Man erzieht eher Klänge. Ich schau mir so was gerne auf Messen an und es fasziniert mich. Aber ich brauche das Hands-on. Ein Keyboard, etwas zum Rumdrücken.

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Auch auf Instagram zeigen immer mehr große DJs ihre kühlschrankgroßen Doepfer-Monster.
Soll jeder so machen, wie er will. Es braucht einfach viel Wissen, um mit solchen Geräten gut umgehen zu können. Es ist nicht ohne, was man alles wissen sollte, bevor man wirklich Sounds machen kann. Dabei kann man zwar eine Menge lernen, ich komme so aber nicht zum Musik machen. Ich brauche einen Sound, dann einen anderen, die kommunizieren miteinander – super – nächster Schritt. Zack, zack. Sonst sitz ich den ganzen Tag vor einem Bleep, da kommt kein Stück bei raus.

Vielleicht klingt Techno so langweilig, weil keiner mit seinen Modular-Synthesizern klarkommt?
Kann durchaus sein (lacht).

Wenn du fünf Maschinen auf eine einsame Insel mitbringen kannst, um für den Rest deines Lebens damit Musik zu machen. Was wäre deine Entscheidung?
Der Cirklon von Sequentix ist dabei. Der Drum-Synthesizer ULT Sound, Memorymoog, Minimoog … (zögert) Boah, darf ich echt nur fünf? Das sind ja schon vier. Einer noch. Einen schönen digitalen Synthesizer: ein Waldorf-Synth.

Eine Liste ganz ohne Roland. Respekt!
Ich liebe Roland, die Geräte sind aber keine Priorität für mich.

Ist ja mittlerweile auch ein bisschen wie Red Bull, gibt es an jeder Ecke.
Das finde ich gar nicht schlimm. Musik mit Hardware zu machen, kostet viel Geld, und solche Geräte wie die neuen Boutique-Modelle ermöglichen einen Zugang zu diesem Sound. Wieso nicht? Moog hat auch den Minimoog neu herausgebracht und mein Gott bin ich ich froh darüber! Finde ich geil, habe ich sofort geholt. Da ist MIDI dabei, alles halt – was für ein geiles Teil. Mich freut, dass die Firmen diese Hardware-Szene wieder bedienen. Das ist grandios. Die Diskussion zwischen kleiner, neuer 808 und dem Original – wenn du dich darüber aufregen möchtest, fein. Aber wenn du eine TR-8 nimmst und durch einen fetten Moog-Filter jagst, hast du einen amtlichen Drumcomputer. Man kann mit allem Musik machen.

Ich gehöre auch gar nicht zur Nörglerfraktion. Ich sage immer: Nimm zehn Leute und die gleiche Gitarre und du wirst zehnmal komplett unterschiedliche Musik hören.
Alleine in der Zeit, die man für solche Diskussionen verschwendet, könnte man schon gute Musik machen. Auf der Tour mit Virginia hatten wir auch den Roland JX-03 dabei, und das war toll. Zwar haben wir für die Aufnahmen das Original, also den 3P, benutzt, aber auf Tour willst du so was nicht mitschleppen.

Und wenn’s kaputt geht, ist's auch nicht so schlimm.
Eben. Das ist alles bezahlbar. Teilweise kosten alte Originalstücke 20.000 Euro. Wenn dann angebliche Fans monieren: Mimimi, das ist jetzt nicht das Richtige. Dann sag ich: Mach doch einfach Tracks. Scheißegal. Make it work.

Handwerk

Lass uns übers Auflegen sprechen. Heute gehören zur DJ-Kultur CDJs und Boiler Room.
Boiler Room? Muss das sein?

Aber diese Entwicklung hatte schon einen Impact, oder nicht? DJs gehen heute zum Beispiel viel seltener in den Plattenladen als früher.
Das stimmt.

Heute mit Platten auflegen ist ja auch ein Himmelfahrtskommando. In den wenigsten Clubs stehen funktionstüchtige Technics. Und Sets mit Rekordbox und digitaler Promo vorzubereiten, fühlt sich bei mir musikalisch wie ein gänzlich anderer Zugang an. Ich sag jetzt nicht, dass es per se schlechter ist.
Ich weiß genau, was du meinst. Ein Trend, der mich seit Jahren beschäftigt, ist: Jeder möchte ein großes Festival organisieren, aber bietet keine Möglichkeit, beide Arten des Auflegens zu unterstützen. Klar kann man mit vier CDJs tolle Sachen machen. Es gibt Funktionen, die es früher nicht gab. Mit Loops kann man langweilige, aber auch sehr spannende Sachen machen. Ich finde das interessant. Ich muss sagen, dass ich die CDJs auch nicht in- und auswendig kenne. Ich ärgere mich aber darüber, dass große Festivals heute die DJs dazu nötigen, mit CDJs zu spielen.

Das ist dir in der Form also untergekommen?
Das passiert. Dann wird dir gesagt: Das wird nichts mit Vinyl. Ich bin keine, die sagt: Ich spiel ausschließlich mit Vinyl, weil Credibility und der ganze Bla. Aber ich ärgere mich, wenn Festivals gleichzeitig auf dicke Hose machen, viel Geld in Pressearbeit und Social-Media-Marketing stecken. Dann werden auch noch teure Promofilme vor Ort produziert, dazu gibt es die Boiler-Room-Stage mit zig Kameras. Keine Ahnung, was da heute alles aufgefahren wird. Wenn es aber um die Soundtechnik geht: eine gute Anlage, ein guter Platz für den DJ – da bekommt man das Gefühl, dass solche Punkte ganz am Ende der Liste stehen, wenn überhaupt. Das hat keine Priorität mehr und das macht mich traurig.

Ich hab gestern auf Instagram spaßeshalber #burningman2017 eingegeben. Da gibt es kein Foto, bei dem Musik auch nur ansatzweise eine Rolle spielen würde. Stattdessen knapp bekleidete Influencerinnen mit Fellbesatz, Gepose, teures Essen in VIP-Zelten. Mad-Max-Autos, aber weder DJs noch irgendwas Musikbezogenes.
Ich bin ja nicht auf Instagram. Aber Fakt ist, dass heute überall zu viele Kameras da sind. Ich finde es schon nervig, wenn man während der Arbeit die ganze Zeit von Fotografen, Selfie-Fans und Filmleuten umwimmelt wird. Ich würde gerne ungestört und konzentriert meine Arbeit machen. Weil am Ende bin ich ja immer noch DJ, und mein Job ist es, gute Musik mit einem guten Sound zu spielen. Aber ja, trotz des Fortschritts ist im Bereich Technik viel vernachlässigt worden. Anlagen sind schlecht abgestimmt, Plattenspieler gibt es nicht. Das versteh ich nicht. Man fängt doch zuallererst mit der Akustik an und dann kommt alles andere. Das würde den Künstlern auch so viel mehr Freude bereiten. Klar gibt es Leute, denen ist das scheißegal. Die knallen ihren Stick rein und machen dann sofort Party. Aber es gibt doch DJs, die vielleicht diese eine Platte mal wieder spielen möchten, weil es sie nicht digital gibt oder was auch immer. In Clubs ist das nicht anders. Man braucht als erstes ein großes DJ-Pult mit Vinyl und CDJs, dazu genügend Platz für ein Liveset – so schwer ist das eigentlich nicht.

„Ich finde es schade, auf ein Festival zu gehen und die Musik kommt nicht gut rüber, weil die Technik nicht ausreichend ist.“

Woher das allgemeine Desinteresse?
Es geht um allerlei andere Dinge. Es geht ums Image in der digitalen Welt. Es geht immer weniger um den einen Moment. Ich werde vielleicht mittlerweile ausgelacht und für rückständig gehalten, weil ich darin immer noch ein Problem sehe. Aber ich finde es schade, auf ein Festival zu gehen und die Musik kommt einfach nicht gut rüber, weil die Technik nicht ausreichend gut ist. Das hat man doch früher auch hingekriegt und so schwierig ist es nicht, einen Plattenspieler zu warten, in Ordnung zu halten und im Notfall reparieren zu lassen.

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Wenn Radiohead sagen, wir wollen dieses Schlagzeug und diese Gitarrenverstärker für den Festival-Auftritt, dann zickt ja auch keiner herum.
Exakt. Ich kann gut verstehen, wenn DJs sagen, dass sie keine Lust mehr haben, mit Vinyl zu spielen und auf Stick umstellen. Das ist eine logische Reaktion. Mir geht es gar nicht so um die Digital-Vinyl-Diskussion. Die ist nicht wichtig. Ich finde nur diese Abfertigung bei den meisten Organisatoren nicht gut. Ich habe auf großen Festivals gespielt, die sich alle damit rühmen, das beste der Welt zu sein – wenn auch noch nicht beim Burning Man. Aber es verschlägt es einem die Sprache, so schlampig wie die Technik teilweise ist. Auch bei vermeintlichen Underground-Großevents, die zwar einen auf mega-glaubwürdig machen und Plattenspieler hinstellen – aber dann ist einfach mal der Tonarm kaputt. Stattdessen geht es denen darum, dass so ein Festival nach Rio de Janeiro expandiert und der Boiler Room noch mehr Sets live überträgt. Aber die Basics kriegen die einfach nicht hin. Schlechte Produktionen, das nervt total. Irgendwann fliegt der Schwindel doch auf. Es gibt so viele Festivals. Wer soll da hin?

Ich will das gar nicht romantisieren. Aber früher wurden DJs gebucht, weil beispielsweise nur sie bestimmte Platten überhaupt hatten und so für einen besonderen Sound standen. Heute müssen hochdotierte DJs wie Dixon damit hausieren gehen, dass sie extra Edits von ihren Tracks basteln, die sie spielen, um überhaupt noch eine Form der Exklusivität zu schaffen. Bei bis zu sechsstelligen Gagen für ein CDJ-Set frage ich mich auch, wann die Blase platzt.
Es ist aber auch kaum noch Widerstand vorhanden. Es gibt wenige, die sich heute noch für so etwas stark machen. Was darunter leidet, ist vor allem die Clubkultur. Es gibt immer mehr Festivals, selbst im Winter kann man mittlerweile dauernd auf Festivals gehen. Dann kauft man für 20 DJs ein Ticket, geht aber auch nicht mehr in den Club. Ich kriege bei Club-Gigs immer öfter von Veranstaltern zu hören, dass heute ein schwieriger Tag sei, weil woanders gerade dieses oder jenes Festival stattfindet und die meisten dann dorthin gehen, weil zwei DJs mehr auflegen, als an einem normalen Clubabend. Da geht die Intimität verloren, das Zusammensein, das gemeinsame Erleben im Raum.

Gilt das nicht auch für Musikfans? Wenn auf jedem Festival Ben Klock, Marcel Dettmann und Nina Kraviz spielen, dann geh ich auch nicht mehr auf sieben Festivals im Sommer.
Absolut.

Kann man da noch irgendeine positive Zukunftsvision erarbeiten?
Da bist du bei mir bei der falschen Adresse gelandet (lacht).

Dafür machst du das Ganze aber auch zu lange mit. Es gibt viele, die ausgestiegen sind.
Aber auch, weil sie vielleicht mittlerweile andere Ideale haben. Sie lernen etwas Neues kennen, das sie dann komplett einnimmt.

Ideale

Was sind deine Ideale?
Was mich immer noch inspiriert und nie langweilig wird, sind meine Platten-Labels. Junge Leute zu entdecken, die super viel draufhaben. Die melden sich bei dir und schicken dir Tracks, die dich umhauen. Diesen Leuten eine Plattform zu bieten, das macht wahnsinnig viel Spaß. Ich beschäftige mich noch immer gerne mit Musik. Das Entdecken von Talenten und spannender Musik nimmt kein Ende. Als ich kürzlich meine Fabric-CD gemacht habe, hatte ich ein komplett anderes Konzept als sonst. Statt eine Liste mit Tracks zu lizenzieren, habe ich Songideen von mir an befreundete Musiker geschickt, die daraus jeweils einen neuen Track produziert haben. Daraus ist der Mix entstanden. Das war spannend und es hat ausschließlich positives Feedback gegeben. Da gab es viel Begeisterung von der Produzentenseite. Die fanden es super, mal was anderes machen zu können. Dann mit diesem Rohmaterial einen Mix zu produzieren, war eine tolle Herausforderung. Man darf nicht faul werden, man muss auf der Suche bleiben. Wenn du das Ziel am Horizont erreicht hast, entsteht ein neuer Horizont und dahin geht die Reise weiter. Es gibt also immer was zu tun.

Bei Steve Aoki und Konsorten frage ich mich schon, was sie inspiriert.
Vergiss nie, dass diese Leute auch auf ihre Musik stehen. Denken wir vielleicht nicht. Aber für die ist es das Geilste der Welt.

Wenn Bands wie Arcade Fire kommerziell und größer werden, oder Pink Floyd früher, die konstant an ihrer Maximierung gearbeitet haben, dann kam erst live der Background-Chor, dann die Orgel, ein choreographiertes Hupkonzert, irgendwas Abgefahrenes. Das fällt bei einem klassischen CDJ-Festival-Setup, so weit ich das beurteilen kann, weg.
Vielleicht denken wir, dass sie sich nicht weiter entwickeln. Aber frag die Leute mal direkt. Die erzählen dir bestimmt was anderes. Das ist eine Frage der Perspektive. Aber man darf auch solchen Leuten nicht absprechen, wenn sie behaupten, sie hätten gerade den Lauf ihres Lebens und sind total kreativ und geil drauf. Und vergiss nicht, dass Geld eine Riesenrolle spielt. Wenn du dir aussuchen kannst, wo du spielst und dafür verrückt viel Geld bekommst, dann ändert das deine Mentalität und das ist bei jedem Menschen so. Das steckt in uns drin. Geld macht einfach süchtig. Das ist Fakt. Aber wenn man am Ende des Horizonts neue Ziele entdecken kann, dann bleibt man motiviert. Es gibt immer gute und schlechte Phasen. Aus diesen Momenten das Beste zu machen, darum sollte es doch im Leben gehen.

Steffi, World Of The Waking State, erscheint am 22. September auf Ostgut Ton.

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