Jeden Samstag haben wir drei Platten für euch – zumeist drei Tipps, mindestens aber drei Meinungen. Nicht immer neu, doch immer die Erwähnung wert. Heute mit Nine Inch Nails, John Coltrane und Gang Gang Dance.
Nine Inch Nails – Bad Witch
Susann: Als ich das monochrome Plattencover der neuen NIN-EP sah und „Witch“ las, dachte ich unmittelbar an das letzte Radiohead-Album „A Moon Shaped Pool“, darauf folgend an die 1990er Jahre, als Genrebezeichnungen noch unfassbar wichtig waren und die Welt aus mancher Sicht ein klein bisschen besser war. „Bad Witch“ reiht sich da zeitlich wunderbar ein und klingt vertraut im Nine-Inch-Nails-Universum. Es scheppert wütend, zerrt nihilistisch und lässt im oldschooligen Industrial-Sound auch mal Drum and Bass durchklingen („Ahead of Ourselves“). Am schönsten neben dem aggressiven Opener „Shit Mirror“ der depressive Ausklang mit Marimba-Tönen in „Over and Out“: „Time is running out“ lässt Trent Reznor verlauten. Nach sechs Liedern ist auch schon Schluss und einige Rezensenten beschwerten sich über die als Album vermarktete EP. Ein Umstand, der den digitalen Hörer/innen ziemlich schnuppe sein kann. Aber was lässt sich in dreißig Minuten erzählen? Das große Narrativ mag fehlen, aber 2018 greift es sich so schön nach jedem nostalgischen Strohhalm.
John Coltrane – Both Directions At Once: The Lost Album
Ji-Hun: Zuallererst muss man sich fragen, wie es überhaupt sein kann, dass so eine Aufnahme über 50 Jahre in irgendeinem Studiokeller verstaubte. Ist John Coltrane ja nun nicht irgendwer und wenn man sich das sonstige Postmortem-Labelgebaren vieler Industrieteilnehmer anschaut, ist die Veröffentlichung von „Both Directions At Once: The Lost Album“ nicht viel weniger als eine Sensation. Im März 1963 entstand diese Session in Rudy Van Gelders Englewood Cliffs Studio in New Jersey mit Coltranes wohl bester Band, dem sogenannten Classic Quartet. McCoy Tyner am Piano, Elvin Jones am Schlagzeug, Kimmy Garrison am Bass und Meister Coltrane himself natürlich am Saxophon. Alteingesessene Fans fühlen sich wie Indiana Jones, der gerade die Bundeslade ausgebuddelt hat und auch für Nichtauskenner könnte das ein wunderbarer Einstieg sein. Denn wohl auch zu Coltranes Lebzeiten wäre die nun in exzellentem Sound erschienene Platte alles andere als eine B-Seiten-Kollektion gewesen. Da man heute spätestens seit Kamasi Washington sowieso wieder über Jazz sprechen muss, ist das verloren gegangene Album von John Coltrane daher ein großes Glücksmoment und beweist die Zeitlosigkeit und unerreichte Klasse jener Ära.
Gang Gang Dance – Kazuashita
Benedikt: In Zeiten des „Alles-schon-mal-da-gewesen“ – böse Zungen ergänzen: nur besser – ist das bislang Ungehörte selten. Aber es ist immer noch möglich. Wenn Zeitgenössische Pop-Strömungen zu einer Melange verrührt werden, die doch wieder neue Geschmacksnuancen zu entfalten vermag. „Kazuashita“ ist so ein Album, mitnichten das erste der Band Gang Gang Dance, aber das erste nach sieben Jahren. Mit dem bisherigen Werk der New Yorker Band bin ich gänzlich unvertraut, die Einordnung des Albums in den bisherigen Katalog erspare ich mir an dieser Stelle. Nicht zuletzt deshalb, weil die auf 4AD erschienene Platte es auch gar nicht nötig hat. Im schillerndsten Licht brechende Synthies, Shoegaze-Verzerrungen und die ins kindlich-bizarre veränderte Stimme der Sängerin Lizzi Bougatsos auf einem ständig variierenden Perkussion-Unterbau. Mal in Richtung K-Pop getrimmt, dann wieder in die Mitte des Dancefloors geschubst, oder mit dem Hall des Dub ausgestattet. Versierte Spurenleser finden sogar Funktionalitäten von Trap. Kurzum: Ein echtes Erlebnis. Heutzutage eine Seltenheit.