Wochenend-WalkmanDiesmal mit Portico Quartet, Liars und Ian Pooley & Alec Empire

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Drei Alben, drei Tipps, drei Meinungen. In unserer samstäglichen Filter-Kolumne wirft die Redaktion Musik in die Runde, die erwähnenswert ist. Weil sie neu ist, plötzlich wieder relevant, gerade entdeckt oder nie vergessen.

Portico Quartet – Art in the Age of Automation Cover

Portico Quartet – Art in the Age of Automation

Ji-Hun: Ich sage ja schon länger, dass Prog Rock wieder ein Thema ist. Irgendwie wird es aber nicht so kommuniziert, wie man sich das vorstellt. Beatles, Rolling Stones und David Bowie kennt man heute von Primark-T-Shirts. Aber wer weiß schon, wie der Drummer von Pink Floyd heißt? Es gibt ein neues Album vom britischen Portico Quartet, die zwischendurch ein Trio waren und nur noch Portico hießen, aber jetzt wieder zum Quartett angewachsen sind. Es ist ihr mittlerweile viertes Album und die gerade erwähnten Pink Floyd sind auch hier eine wichtige Hausnummer. Auch Floating Points, der ursprünglich eher der House-Szene zuzuordnen war, klingt heute so, als würde er eine Pink-Floyd-Coverband leiten und auch bei „Art in the Age of Automation“ klingt es teilweise so, als wäre man bei „Dark Side of the Moon“ gelandet. Selbst oder gerade das Saxophon will nicht die Referenzklammer befreien. Natürlich gibt es hier elektronisch Einflüsse und das alles hat einen modernistischen oder doch wenigstens kommentarischen Anspruch (dieses fettig angepatschte Tablet, die geglitchten Bilder und dann der Abumtitel sind schon ziemlich bold gedacht). Am Ende ist das hier aber Prog Rock. Von der Attitüde her. Atmosphärisch, bombastisch, elegisch – Anfänger würden sagen, es klingt wie Radioheads „Amnesiac“ ohne Thom Yorkes Genöle. Aber es gefällt. Es ist sympathisch, repetitiv und irgendwie auch ein bisschen Hippie. Man muss sich vom digitalen Sequenzer-Rasterzwang ja irgendwie befreien können.

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Liars TFCF Walkman

##Liars – TFCF
Benedikt: Vom Projekt Liars ist auf TFCF nur noch Angus Andrews geblieben. Nach Julian Gross hat nun auch Aaron Hemphill – in aller Freundschaft – das Projekt verlassen.Ohne die langjährigen Mitglieder hat Andrews sich ins Heimstudio in Australien zurückgezogen und ein geradezu lieblich sanftes Album geschrieben, wobei die Worte lieblich und sanft im Verhältnis zum bisherigen Outputs von Liars betrachtet werden müssen. Nach Neo-Punk und geradezu aber ganz bewusst unterträglichem Doom-Gebretter, nach Hardrock und Electronica, wird die Akustik-Gitarre neu geschätzt. Ist „Theme From Crying Fountain“ etwa geprägt von Authentizität, einem Begriff der Liars bislang bewusst abging? Keine Ahnung. Aber falls ja, hoffe ich, das dies auch für das Cover gilt. Trotz akustischer Saiteninstrumente ist TFCF kein Folk-Album. Wäre es das, würde die Review dazu wahrscheinlich auch hinter dem Namen Ji-Hun stehen. Aber elektronische Störgeräusche, Verzerrung hinterm Mic und die ab Mitte des Albums erst wirklich hervortretende Power bewahren das achte Liars-Album vor jener Zuschreibung. Angus Andrews beherrscht es nach wie vor, seine Hörer brutal in sich plötzlich auftuende Abgründe zu reißen – und man fällt liebend gern mit ihm. Eine gute, achte Platte.

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Pooley-Empire-Pulsecode

Ian Pooley & Alec Empire – Pulse Code EP

Thaddeus: Vor wenigen Tagen hingen der geschätzte Kollege Kristoffer und ich auf Twitter und redeten über Air Liquide. Passiert. Ich empfahl einen ambienten Klassiker von Dr. Walker und war sofort in der Schleife, die mich alle paar Jahre einfängt: frühe Releases von Mille Plateaux. Und zeigte dem Expedit im Wohnzimmer den Stinkefinger und fand die Platte, die ich suchte, praktisch sofort. Alec Empire, gemeinsam mit Ian Pooley, die „Pulse Code EP“. Mille Plateaux 3. 1994. Damals hatte MP noch kein starres Konzept, Clicks’n’Cuts waren noch nicht erfunden, auf dem Label wurde die Musik veröffentlicht, die auf Force Inc. irgendwie fehl am Platz gewesen wäre, sprich: kein Acid, keine 4/4, kein Highspeed und kein Techno. Was für eine Platte. Auf drei Tracks – alle natürlich „Untitled“ definierten die beiden damals auf knapp 40 Minuten alles durch, was damals jenseits des klassischen Dancefloors, mit dem beide zu diesem Zeitpunkt rein gar nichts zu schaffen hatten, möglich war. Die A-Seite ist ein dreigeteiltes Monstrum, das von bittersweet zu bitter und zu sweet zurück changiert, ein Break, der vor lauter Flanger fast kotzt, zuckelt sachte und doch bestimmt durch den Track und hält Dinge zusammen, die sonst schreiend voreinander weglaufen würden. Und auf der B-Seite zerbröselt erst Techno in seine Einzelteile, bevor das einzige Liebeslied, das in der elektronischen Musik je komponiert wurde, langsam Breakbeat-Fahrt aufnimmt und mich heuet noch zu Tränen rührt. Das ist so sweet und so Pop, dass es den beiden heute mitunter peinlich sein könnte. Muss es nicht. Auch ein Pooley und ein Empire dürfen mal kitschen. Das ist so toll. Natürlich kann man diese Platte heute nur schwer kaufen, natürlich gibt es sie nicht digital. Es ist die ewig gleiche Geschichte der besten Stücke in der elektronischen Musik. Danke.

Trademark-Rätselhaftigkeit, transhumanistische Modems und Substanz 404Hype Williams, Meemo Comma, Khalil: drei Alben, drei Meinungen

Leseliste 27. August 2017 – andere Medien, andere ThemenUngewollte Aussteuer, BER-Chronik, tote Fotografie und vor dem Internet