„Zwei Plattenspieler, ein Mixer, mein Universum“Interview: Andy Rigby-Jones designt die DJ-Mixer MODEL 1 und MODEL 1.4 von Richie Hawtin

Andy Rigby-Jones Richie Hawtin Portrait lede

Andy Rigby-Jones und Richie Hawtin

Die Geschichte des DJing hat zahlreiche Facetten. Natürlich geht es vornehmlich um Musik, aber immer auch um Skills. So ist die Weiterentwicklung des Auflegens auch immer ein Stück Technikgeschichte. Von Plattenspielern und -nadeln bis zum Herzstück jedes Setups: dem Mixer. Was früher lediglich für zwei Turntables ausgelegt war, ist heute oft Soundkarte, MIDI-Controller, Effektgerät und Schnittstelle zum Laptop in einem. Wir haben uns mit Andy Rigby-Jones unterhalten. Er war viele Jahre bei Allen & Heath für das Design von DJ-Mixern verantwortlich und hat während dieser Zeit (digitale) Geschichte geschrieben. Zusammen mit und für Richie Hawtin entwickelte er zudem die beiden PLAYdifferently-Mixer MODEL 1 und den brandneuen MODEL 1.4.

2016 ging ein Ruck durch die DJ-Community. Mal wieder. Denn: Seit Final Scratch, Serato, Traktor, dem Siegeszug der CDJs und immer ausgefuchsterer Technik stand die Berufsbezeichnung „DJ“ längst nicht mehr für den Typus Mensch, der mit schwerem Metallkoffer, randvoll mit 12"s, durch die Lande zog. Schallplatten waren mehr und mehr out, das Digitale in. Richie Hawtin war von Anfang an Evangelist dieses digitalen Wandels. Er wollte weder weiter schleppen noch sich für seine Gigs auf Schallplatten begrenzen. Sample hier, Loop da, viel mehr Klangquellen: Der Laptop versprach für DJs genau die gleiche Revolution, der er wenige Jahre zuvor in Studios und auf Bühnen bewirkt hatte.

2016 also stellte Hawtin seinen ersten „eigenen“ DJ-Mixer vor: MODEL 1. Ein Biest von einer Maschine, bei dessen Entwicklung bereits jahrelange Erfahrung mit eingeflossen war. Das Ziel: Die digitale Realität des Gigs zwischen Traktor und CDJs einerseits mit analoger Wärme auszustatten und andererseits ein so offenes System wie möglich zu schaffen, das allen Anforderungen gerecht wird. Die Features sind endlos – und kosten über 3.000 Euro. Für einen 6-Kanal-Mixer heutzutage vielleicht okay, aber dann eben doch nur etwas für diejenigen, denen zwei Technics oder zwei CDJs nicht reichen, die den DJ-Gig längst als Performance begreifen, bei der die eigene Kreativität längst mehr bedeutet als die der Track-Produzent*innen. Vor kurzem erschien nun der zweite Mixer der Reihe: MODEL 1.4. Mit nur vier statt sechs Kanälen, aber dem gleichen analogen Design – und geht für rund 1.000 Euro weniger über den Tresen. Hawtin sagt, das sei für kleinere Studios bestens geeignet und perfekt für das Streaming.

Entworfen hat beide Mixer Andy Rigby-Jones. Die Legende des Mixer-Business hat das DJ-Portfolio von Allen & Heath nicht nur geprägt, sondern überhaupt erst möglich gemacht. Statt mit dem DJ haben wir uns also lieber mit dem Engineer unterhalten.

Andy Rigy-Jones

Zur Person:

Andy Rigby-Jones wuchs auf einem Bauernhof in Cornwall auf und gründete zusammen mit seinem Vater 1982 ein Geschäft für Agrarmaschinen. 1992 wechselte er zu Allen & Heath, die Firma war um die Ecke. Als Elektronik- und Audio-Nerd arbeitete er sich dort hoch – und blieb 22 Jahre. 1994 wurde er Teil der Forschungsabteilung. Während seiner Zeit in dieser Abteilung arbeitete er u.a. an den Live-Mischern der MixWizard-, GL- und ML-Serien. Nebenher legt er immer auf – dieses Hobby betrieb er seit den 1970er-Jahren. Die Leidenschaft für das DJing machte ihn schließlich ab 1999 zur entscheidenden Figur bei A&H für die Entwicklung der Xone-Mixer, die speziell für DJs konzipiert wurden. 2014 macht er sich selbstständig und gründete Union Audio Limited. Das erste Produkt war das MODEL 1, das in Zusammenarbeit mit Richie Hawtin entstand. Neben dem Design des neuen MODEL 1.4 kümmerte sich Andy Rigby-Jones in den vergangenen Jahren vor allem um neue Produkte von MasterSounds – einer Marke von Ryan Shaw. Union Audio Limited hat nicht nur zahlreiche Rotary-Mixer für ihn designt, sondern auch hergestellt.

Model 1 Model 1.4

Beginnen wir unser Gespräch doch mal anders – mit einer Geschichte von mir, dem Interviewer. Meinen ersten und bislang einzigen DJ-Mixer kaufte ich in den späten 1990er-Jahren, einen Pioneer DJM-500, zusammen mit meinem zweiten MK2. Der Mixer funktioniert bis heute, auch wenn ich mal die Fader und Potis reinigen müsste. Mein Punkt ist: Der Mixer liefert auch heute noch das, was ich von solch einem Gerät erwarte. Wenn ich nun auf die Entwicklungen der vergangenen 25 Jahre zurückblicke: Was habe ich eigentlich verpasst? Wann wurde aus dem DJ-Mixer ein Instrument und warum eigentlich? Als jemand, der seit den 1970er-Jahren auflegt, hast du dazu doch bestimmt eine Meinung.
Schön, dass der DJM-500 immer noch läuft und deine Bedürfnisse erfüllt. Der Mixer war damals ein innovatives Produkt und offenbar auch nachhaltig konstruiert. Ich empfinde billiges DJ-Equipment minderer Qualität als moralisch fragwürdig. Es funktioniert oft nicht gut und hat nur eine begrenzte Lebensdauer. Die Kosten für die Umwelt spielen einfach keine Rolle. Aber um deine Frage zu beantworten: In den vergangenen 25 Jahren hat sich die DJ-Technik wahnsinnig verändert. Dabei finde ich besonders interessant, dass das taktile Moment überlebt hat. Vor zehn oder fünfzehn Jahren waren einige davon überzeugt, dass der Touchscreen die Zukunft sei. Ich habe das immer bezweifelt. Denn man braucht einfach haptisches Feedback – und das liefert nur Hardware. Ob man nun einen Knopf am Mixer dreht und auf Start am CDJ drückt.

In den frühen 2000er-Jahren trat der Laptop seinen Siegeszug an. Meine erste Begegnung mit diesem Trend hatte ich bei Allen & Heath, als Richie Hawtin seine Xone:62 zur Reparatur einschickte. Wir waren baff – Richies Vater hatte den Mixer modifiziert, überall waren MIDI-Controller angebracht. Ich dachte nur: „Was ist denn hier bitte los?“. Ein paar Jahre später sah ich DJs in einer Hotel-Lobby in Miami mit einem Hercules-Controller auflegen. Der sah aus wie ein Spielzeug, das Potenzial dieser Technologie war aber offensichtlich. Kurze Zeit später, auf der Musikmesse in Frankfurt, war ich dabei, als Richard Devine mit Traktor auflegte und dafür nur ein ganz normales MIDI-Keyboard verwendete. Mich hat das inspiriert. Und als ich wieder in der Firma war, begann ich mit einem Design, aus dem schließlich der Xone:3D wurde.

Für ein paar Jahre schien es so, als hätten wirklich alle DJs einen Laptop dabei. Pioneer hat dieses Prinzip clever umgekehrt und den Laptop einfach in ihre CDJs integriert. Plötzlich hatte man Zugriff auf alle Möglichkeiten von Software, ohne dabei selbst Hardware mit sich rumschleppen zu müssen. Und: Dabei blieb klassische Layout mit zwei Decks und einem Mixer in der Mitte erhalten. Das war wahrscheinlich die größte Innovation der jüngeren Vergangenheit, auch wenn es sich immer noch ein bisschen wie Betrug anfühlt, wenn man nur mit einem USB-Stick zum Gig kommt.

Persönliche finde ich ja, dass der DJ-Mixer spätestens seit Grand Wizard Theodor in den 70ern ein Musikinstrument ist.

Du hast in den 1990er-Jahren begonnen, an einem dezidierten DJ-Mixer zu arbeiten, auf Basis des MixWizard von Allen & Heath. Das war ein persönliches Projekt. Wie hast du dir damals die Zukunft des DJ-Mixers vorgestellt? An welchen Punkten gab es deiner Meinung nach Luft nach oben?
Der Ausgangspunkt war damals ein VCF, also ein analoges Filter, das Teil eines Operationsverstärkers von Texas Instruments war – dem LM13700. Hier ist ein Diagramm des Schaltkreises.

Andy Rigby-Jones Schaltkreis

Heute darf ich sagen, dass ich eigentlich mit einem anderen Job betraut war – der Entwicklung eines preisgünstigen VCAs. Das Filter war aber schlicht zu interessant, um damit nicht weiter zu experimentieren. In der Firma nahm niemand Notiz, oder es wurde mir zumindest nicht gesagt. Ich fand den Sound des Filters faszinierend und wollte das in einem DJ-Mixer, wenn auch nur für mich. 1998 bat ich dann um Erlaubnis, an einer DJ-Version des MixWizard zu arbeiten. Neben dem Filter stellte ich mir auch einen besseren EQ vor. In unseren A&H-Konsolen verwendeten wir ja 4-Band-EQs. Es schien nur logisch, dieses Design auch in einem DJ-Mixer zu verwenden.

Wie sahen die ganz konkreten Herausforderungen aus?
Das Schwierigste war, das Management davon zu überzeugen, die Entwicklung eines Prototypen zu finanzieren. Damals gehörte A&H zu Harman – das Budget wurde streng überwacht. Irgendwann bekam ich jedoch grünes Licht, unter der Prämisse, nur Bauteile zu verwenden, die wir sowieso auf Lager hatten. Danach ging es darum, unsere Vertriebspartner davon zu überzeugen, Produkte für DJs in ihr Portfolio aufzunehmen. Unsere Partner hatten damals vor allem einen Rock’n’Roll-Background oder bedienten das Live-Geschäft. Das Stichwort „DJ“ stieß da nicht auf große Leidenschaft. Und letztlich mussten wir natürlich DJs für unsere Ideen interessieren. Gerade der 4-Band-EQ wurde zunächst nicht gerade begeistert aufgenommen.

Der DJ-Mixer hat sich in den vergangenen Jahren stark gewandelt – vom einem Tool mit klar definiertem Einsatzbereich zu einem immer ausgefuchsteren Gerät. Gab es in dieser Entwicklung deiner Erinnerung nach einen Tag X?
Das Auflegen mit Software, ganz klar. Sobald es die Möglichkeit gibt, mehrere, synchronisierte Klangquellen gleichzeitig zu nutzen, braucht es deutlich mehr Kanäle, um sie auch zu mixen.

Bleiben wir beim Auflegen mit Laptops. Was dachtest du damals über diese Entwicklung?
Es dauerte rund drei Monate, um vom Skeptiker zum Evangelisten zu werden. Zunächst dachte ich, das wäre kaum mehr als ein Gimmick. Je mehr ich jedoch die Möglichkeiten der Software verstand, desto überzeugter war ich. Meine ersten Erfahrungen mit dem Computer-Auflegen machte ich mit Ableton. Traktor sprach viel mehr DJs an. Ich fand es faszinierend, wie bereitwillig die neue Technologie akzeptiert wurde. Ich erinnere mich noch gut an die Auseinandersetzungen zwischen Vinyl und CDs. Diese Diskussion fang in Bezug auf den Laptop jedoch nie wirklich statt.

Wer heute einen DJ-Mixer designt und entwickelt, muss mit vielen, ganz unterschiedlichen Erwartungshaltungen umgehen und gleichzeitig zahlreiche technische Standards bedienen. Da sind die analogen Anfänge, das Digitale und schließlich die Aufgabe, das Beste dieser beiden Welten zusammenzubringen. Was sollte aus deiner Sicht heutzutage ein DJ-Mixer mitbringen, wenn es um die Melange der digitalen Offenheit und der analogen Robustheit geht?
Ehrlich gesagt haben sich die Basics eines DJ-Mixer ja gar nicht wirklich verändert. Es braucht nach wie vor Kontrolle über die Eingangs- und Ausgangs-Pegel, Monitoring und Vorhören. Die ganzen „coolen“ Features wie Filter oder hybride EQs kommen erst danach. Es gibt derzeit zahlreiche Mixer, die viele Bedürfnisse abdecken – von einem einfachen 2-Kanal-Mixer bis zu einem echten Produktions-Tool für DJs wie dem MODEL 1. Aus der DJ-Perspektive geht es ja nur darum, sich die Ausstattung auszusuchen, die ihre Anforderungen bedienen. Als Designer achte ich darauf, die Features umzusetzen, die ich für das Marktsegment, das ich bediene, aus ausschlaggebend erachte.

Model 1.4 GIF

MODEL 1.4

Technologie entwickelt sich schnell weiter. Wissen wir alle. Aber gibt es Standards, die für dich gesetzt sind? Bzw. Trends, denen du eher skeptisch begegnest und vielleicht nicht unbedingt implementieren willst? Und wie sehen deine wirklichen Zukunftsvisionen aus?
Du hast recht – Technologie entwickelt sich schnell. Was mich aktuell beschäftigt, ist die Wiederauferstehung des Vinyls – wer hätte das gedacht? Technics bestimmt nicht, die den SL1200 erst vor wenigen Jahren wieder in den Handel gebracht haben. Phono-Eingänge an Mixern sind für mich also gesetzt – und natürlich auch Line-Ins. S/PDIF vielleicht auch noch, obwohl ich eher denke, dass dieses Format ersetzt werden wird, damit auch höhere Bit-Raten abgebildet werden können. An interne Sound-Karten mit USB glaube ich für die Zukunft eher nicht. Die Möglichkeiten der Abspielgeräte machen sie redundant. Und ich kann mir schlicht nicht vorstellen, einen Mixer mit Bluetooth zu entwickeln.

Wann, wo und wie hast du Richie kennengelernt? Und an welchem Punkt wolltet ihr zusammenarbeiten?
Kennengelernt haben wir uns 1999 in New York – auf dem AES. Ich war zum ersten Mal in den USA und zeigte einen Prototypen des Xone-Mixers, als er, ich glaube zusammen mit Jeff Mills, zum Stand kam. Das war natürlich was. Eine Art Fanboy-Moment. Richie und ich blieben in Kontakt, wir begannen, uns auszutauschen. Seine Ideen haben die Entwicklung des Xone:92 maßgeblich beeinflusst. Wir bauten damals sogar fünf Exemplare nur für ihn – als CTRL:92. Ende 2013 sagte ich ihm, dass ich A&H verlassen und meine eigene Firma gründen wolle. 2014 begannen wir dann, Ideen für einen neuen Mixer auszutauschen. So entstand schließlich das MODEL 1.

Richie Andy Model 1

MODEL 1 war und ist eine technisch beeindruckende Leistung. Wird dieses Design Auswirkungen auf den Massenmarkt haben?
Als Produktions- und Remix-Tool für DJs bedient es natürlich einen Nischenmarkt. Allein schon wegen seines Preises wird das Gerät nie die breite Masse ansprechen.

Ich frage das natürlich aus einem bestimmten Grund. In deiner Firma Union Audio Ltd. bietest du auch OEM-Dienstleistungen an. Das bedeutet, du setzt Ideen und Anforderungen anderer Hersteller für deren Verwertung um. Du weißt also, wohin die Reise geht. Von preisgünstigen USB-Interfaces über High-End Rotary-Fadern bis zu analogen Designs. Wie wird sich die Branche deiner Meinung nach entwickeln?
Als ich die Firma gründete, erwartete ich, dass diese Design-Jobs den Großteil unserer Arbeit ausmachen und wir nebenher Kleinstauflagen produzieren würden. Es stellte sich heraus, dass ich mit diese Annahme falsch lag. Der Erfolg der MasterSounds-Produkte war phänomenal. In unserem Tagesgeschäft ging es immer mehr um die Herstellung von Geräten, so dass ich weniger und weniger Zeit für meinen Design-Job hatte. In der COVID-Lage wurde es zudem schwierig, neue Mitarbeiter*innen zu rekrutieren. Das vergangene Jahr war also ziemlich wild. Hoffentlich beruhigt sich die Situation bald wieder, damit ich mich erneut mit dem Design von Produkten beschäftigen kann.

Generell: Mit neuen technischen Möglichkeiten wird auch die Lernkurve kontinuierlich steiler. Beim Auflegen von Musik ging es ja schon immer um künstlerische Freiheit: Zwei Plattenspieler, ein Mixer, mein Universum. Je digitaler das Geschäft wurde, desto komplizierter wurde alles. Kann ich daraus einen Trend ableiten? Ich finde, wie schon erwähnt, die Renaissance des Vinyls interessant. Es fühlt sich fast schon wie eine Reaktion auf die Technologie an, die in den letzten 15 Jahren tonangebend war. Und: Es gibt mittlerweile eine neue Generation von DJs, die noch nie mit Platten aufgelegt hat. Für die ist das eine vollkommen neue Erfahrung.

Um deinen Punkt vom Anfang unseres Gespräches wieder aufzunehmen: Mit Vinyl zu mixen, fühlt sich sehr organisch an. Man kann der Technik beim Arbeiten zuschauen. Es braucht aber auch viel Training. Dazu kommt, dass Vinyl teuer ist. Die Praktikabilität des Digitalen und die leichte Handhabung wird also attraktiv bleiben. Und es gibt diejenigen, denen Auflegen einfach nicht reicht. Das sind die DJs, die Stems wollen, Loops, Hardware-Synths, Drumcomputer und Effekte mit in ihre Sets einbauen. Ganz egal wie das Setup jedoch aufgebaut ist und welche Technik zum Einsatz kommt: Dreh- und Angelpunkt wird immer der Mixer bleiben.

„2 turntables, a mixer, my universe“Interview: Andy Rigby-Jones on designing the DJ mixers MODEL 1 & MODEL 1.4 for Richie Hawtin

Calibre, Nur Jaber, Freelove FennerWochenend-Walkman – 05. März 2021