„War das wirklich so?“Interview: Der Film „Party auf dem Todesstreifen“ dokumentiert Techno in Berlin zu Wendezeiten

Party auf dem Todesstreifen - Lead

Als vor gut 25 Jahren in Berlin die Mauer fiel, war das zugleich die Geburtsstunde der Berliner Techno-Szene. Tresor, E-Werk, Loveparade, mittlerweile legendenumrankte und mythische Orte und Zeiten. Ost und West vereint unter einer großen Bassdrum und rosa Ravewolke. Die Berliner Autoren Sven von Thülen und Felix Denk haben sich die vergangenen Jahre intensiv mit dieser Zeit und den Protagonisten beschäftigt. Ihr 2012 erschienenes Buch „Der Klang der Familie“ ist die erste große Oral History dieser Ära, für den Kritiker Jens Balzer der Berliner Zeitung handelt es dabei gar um ein „pophistorisches Monumentalwerk“.

Es wurde bereits ins Französische übersetzt, demnächst erscheint eine englischsprachige Version. Nun gibt es endlich auch einen Film der beiden zu dem Themenkomplex. Am kommenden Sonntag strahlt Arte erstmalig ihre Dokumentation „Party auf dem Todesstreifen“ aus. Ein Film voller Rückblicke, Einblicke und Bildmaterial, das es noch nie über den Äther geschafft hat. Das Filter traf Sven und Felix zum Interview. Über große Zufälle, eine Zeit voller Aufbruchstimmung und wieso ein Film nie wie ein Buch werden kann.

Ging es euch bei der Dokumentation vornehmlich um eine Adaption des Buchs?

Felix Denk: Nein, das kann so ein Film auch gar nicht leisten. Man muss Schwerpunkte setzen. Und die schälten sich bei der Arbeit am Buch sehr schnell heraus. Das Spannendste dabei: Techno ist die einzige Jugendkultur, die wirklich als deutsch-deutsche Geschichte begann. Man war in Ost wie West praktisch auf dem gleichen Stand, als die Mauer fiel. Was damit zu tun hat, dass die Musik vor allem über das Radio populär wurde und in beiden Teilen der Stadt die gleichen Sendungen gehört wurden. DJs wie Monika Dietl z.B. sind dafür verantwortlich. Das ist einzigartig und lässt sich auf den restlichen Wendeprozess nicht anwenden, auch nicht auf andere kulturelle Bereiche. Der Leitfaden für die Dokumentation sollte also sein: Was bedeutete Techno für die Jugendlichen aus den neuen Bundesländern? Dazu mussten wir natürlich beide Seiten befragen, also auch die Westler. Und viel erklären: Was ist Techno, wie wird Techno gemacht, warum ist Techno anders. Bei einer Dokumentation über Rockmusik könnte man sich das mittlerweile schenken, Arte als Sender war das aber wichtig: die Basics.

Sven von Thülen: Der andere Fokus war natürlich Berlin. Die Stadt hat sich in der Zeit, um die es im Film geht, sehr stark und nachhaltig verändert. Wie kann man das mit einarbeiten, wo es doch so gravierende Auswirkungen auf unser Sujet hat? Sowohl die Musik, aber auch und vor allem die Menschen drumherum. Berlin wird Hauptstadt, die Szene wächst, wird kommerzialisiert, treibt merkwürdige Blüten. In einer Doku kann man dabei nie so tief einsteigen wie in einem Buch. Man muss vereinfachen und auch sehr genau auf die Bilder achten, die zusätzliche Anker sein können. Loveparade. Kennt jeder. So schmeißt man Zuschauer auch wieder in den Film rein, denen er kurz zuvor vielleicht noch gerade zu nerdig wurde.

„In Berlin war Techno ein Bruch.“

Welche Rolle spielt Techno denn im Zusammenhang mit der Wende? War es ein Vehikel? Ein Symptom? Konsens? Gibt es ein Fazit von euch nach 25 Jahren? Zwischen Loveparade und dem Tresor-Keller ist ja extrem viel Raum, auch für Interpretationen.

Felix Denk: Es ist zunächst einfach ein großer Zufall. Natürlich gibt es keinen direkten Zusammenhang zwischen dem Mauerfall und Techno. Wichtig scheint mir, dass Techno gerade erst im Entstehen war und es deshalb keine großen Wissensvorsprünge gab.

Sven von Thülen: Das ist genau der Grund, warum HipHop nicht dieser Wende-Soundtrack wurde. Das gab es schon zu lange.

Aber HipHop, Skaten und vor allem Breakdance spielten doch in der DDR auch eine Rolle.

Felix Denk: Breakdance ist ein Sonderfall. Das wurde durch den Harry-Belafonte-Film „Beat Street“ in der DDR populär und die Staatsmacht hat das dann als Teil der eigenen Jugendkultur akzeptiert. Beim Techno kamen mehrere Dinge zusammen. West und Ost waren sich hier ganz nah. Es gab viele Flächen, auf denen Clubs etc. entstehen konnten, und es gab enormes „subkulturelles Wissen“, das in Westberlin gewachsen war. Von den Ostlern kam eine gewisse Dreistigkeit und auch Härte dazu.

Sven von Thülen: Acid House in Westberlin war außerdem zum Großteil eine schwule Szene. Da trafen zwei Welten aufeinander. Dann schwappten die Drogen nach Deutschland. Die Eigentumsverhältnisse blieben lange ungeklärt, die Verwaltung war überfordert. Das ist ein ganz wichtiger Aspekt. Die Stimmung gegenüber Techno war lange nicht gut, dennoch hat der Senat das laufen lassen. In anderen Städten wurde viel mehr reglementiert und verboten. Nicht nur in Deutschland, auch in England zum Beispiel, wo House schon ganz früh instrumentalisiert wurde. In Berlin war Techno ein Bruch. Deshalb waren Leute wie Westbam zum Beispiel ein Problem. Denn der war schon vorher da. Und vor allem erfolgreich. Ein Popstar. Techno und Pop kam in Berlin erst später.

Techno auf dem Todesstreifen - Hangar

##Die zweite Generation

Denkt denn der ehemalige Ostler heute noch anders als der ehemalige Westler über die Zeit damals und die Folgen?

Felix Denk: Eigentlich nicht. Da sind sich eigentlich alle einig. Gegensätze und Unterschiede spielten sehr schnell keine Rolle mehr, das gilt auch als kulturelle Leistung der Szene. Natürlich kann man hinterfragen, warum sich da alle so einig sind. Ist das nur daher gesagt oder war es tatsächlich so? Die Voraussetzungen sprechen aber dafür, dass es tatsächlich so war. Die Musik war neu, sie schloss niemanden aus, die Musik war offen, hatte keine Message, es gab keinen definierten Look. Techno hatte etwas Verbindendes. Und die, die mitgemacht haben, fanden schnell ihre Rollen.

Sven von Thülen: „Techno war wichtig für mein Leben.“ Das sagen alle, Ossis wie Wessis. Und etwaige Konflikte zwischen Ost und West tauchten wenn, dann später auf. Als Techno größer wurde und die zweite Generation der Raver dazu stieß. So „normale Leute“. Das fanden dann einige Leute schon merkwürdig. Da separierte sich viel. Aber das hatte auch nicht zwingend etwas mit Ost/West zu tun. Das war bei der Eröffnung des E-Werk eine große Diskussion, wie wir jetzt erfahren haben. „Warum lasst ihr die denn jetzt rein?“, hat da die erste Generation skandiert. Und meinten damit Leute wie uns, die sich da '94 total aufgeregt in die Schlange gestellt haben.

Party auf dem Todesstreifen E-Werk - alt

Illegale Party im Berliner E-Werk, noch vor der Eröffnung als Club

Party auf dem Todesstreifen Ewerk - neu

Der gleiche Raum heute nach der Restaurierung

##Kommerz und Scheitern

Wie bereit sind die Protagonisten von damals denn heute noch, über diese Zeit zu sprechen? Und lässt sich da eine Tendenz ausmachen, wie eure Interviewpartner heute die damalige Zeit sehen?

Sven von Thülen: Das ist ganz unterschiedlich. Einer zum Beispiel hat erzählt, dass ihn das Buch mit dieser Zeit versöhnt hat, nachdem er sich Mitte der 90er vollkommen zurückgezogen hatte, frustriert und enttäuscht über die Kommerzialisierung.

Felix Denk: Wir haben ja auch ganz konkret nach den frühen Jahren gefragt. Und da kam bei den meisten die Euphorie von damals wieder durch. Natürlich ist das alles affirmativ. Das ist auch der Grund, warum wir versucht haben, die Interviews immer wieder mit anderem Filmmaterial zu brechen. Zeitgeschichte, Zeitgeschehen. Damit auch die Zuschauer nachvollziehen können, an welcher Stelle man sich gerade eigentlich befindet und was jenseits der Clubs passierte. Warum reden die Protagonisten heute immer noch gerne darüber? Meine These ist folgende. Die Welt ist heute eine komplett andere. Die Räume werden enger, die Mieten teurer, die politischen Kräfteverhältnisse ändern sich. Damals gab es einfach mehr Autonomie, es war mehr möglich. Und das vereint dann auch die unterschiedlichen Stimmen, die wir in der Dokumentation haben. Musiker, DJs, Manager, Künstler. Deren Leben gingen ja weiter.

Sind euch denn Leute bekannt, deren Leben nicht weiter ging? Die abgeschmiert sind?

Sven von Thülen: Die gibt es natürlich, es sind aber verhältnismäßig wenige. Ich spreche jetzt bewusst nicht von Drogentoten.

Weil: Wenn man immer die gleichen Leute fragt, bekommt man auch immer die gleichen Antworten.

Felix Denk: Geschichten des Scheiterns haben aber auch immer etwas Voyeuristisches. Das wollten wir nicht. Das ist im Fernsehen noch viel gefährlicher als in einem Buch.

Sven von Thülen: Ich finde den positiven Aufbruch tatsächlich auch interessanter.

Felix Denk: Und das war ja auch der Vorteil der jungen Generation, die Techno damals angenommen hat. Da war vieles noch nicht entschieden. Job, Karriere zum Beispiel. Bei deren Eltern, und das haben wir bei den Interviews oft gehört, herrschte vor allem Angst. Arbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit.

Man könnte dieses „Scheitern“ ja auch anders auslegen. Viele der damaligen Protagonisten spielen ja heute einfach keine Rolle mehr, sind vergessen. Aber zurück zum Anfang. Welche Rolle spielt diese historische Aufarbeitung von Techno heute noch? Ist das relevant für die jungen Leute von heute oder findet das Ganze nur in einer Art Blase statt?

Sven von Thülen: Diese Frage wird uns regelmäßig gestellt bei Lesungen: „War das wirklich so“? Damals war klar: Hier gibt es eine neue Musik, davon hat die vorherige Generation keine Ahnung und das ist auch gut so. So etwas gibt es heute nicht mehr. Alles gab es schon vorher. Insofern ist die Zeit damals durchaus interessant. Immer noch. Weil es diese Perspektive einfach nicht mehr gibt. Dabei fußt ja vieles, was heute Teil des Nachtlebens ist, auf genau den Dingen, die damals eingeführt wurden.

Das muss man aber doch kontextualisieren. Wenn man genau hinschaut, war Mitte der 90er in Berlin rein gar nichts los.

Felix Denk: Der Sommer 1997. Da gab es in Berlin genau einen Techno-Club in Berlin, und zwar den Tresor. E-Werk? Zu. Suicide? Zu. WMF? Nicht am Start. Ostgut? Noch nicht erfunden.

Sven von Thülen: Die ganze Szene war bis zum Beginn der Nuller-Jahre sowieso sehr gemütlich und verschlafen. Aber: Die Clubs, die heute in Berlin bestimmend sind, allen voran das Berghain, haben ihre Wurzeln natürlich in den 90ern. Das ist keine gerade Linie, keine klare Adaption, damals wurden aber die Fundamente dafür gelegt. Mit Clubs wie dem E-Werk zum Beispiel.

Felix Denk: Und das ist der zweite Zufall bei diesem Thema. Berlin hatte zwar immer einen guten Ruf und ein Image in Sachen Techno. Wirklich erfahrbar wurde das aber erst durch die Globalisierung und EasyJet. Das greift die Szene zwar auch an, hält sie aber auch am Leben.

Party auf dem Todesstreifen läuft am Sonntag um 23.05 auf arte.

Denk Thülen

Sven von Thülen (links) lebt seit Mitte der 90er Jahre in Berlin und arbeitet als freier Journalist, Partyveranstalter, Labelbetreiber und DJ. Darüber hinaus veröffentlicht er in unregelmäßigen Abständen unter diversen Pseudonymen House- und Technoplatten.

Felix Denk lockte das Versprechen versteckter Clubs und geheimer Partys Mitte der 90er Jahre nach Berlin. Nach dem Studium an der Humboldt-Universität (Geschichte) und der Universität der Künste (Kulturjournalismus) arbeitet er heute als Redakteur des Berliner Stadtmagazins zitty und schreibt regelmäßig für die Süddeutsche Zeitung, Tagesspiegel, De:Bug und Groove.

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