Music, Makers & MachinesAusstellung, Plattform und Archiv zu elektronischer Musik und Clubkultur eröffnet online

electric love

Illustration: Dorothy

Mit „Music, Makers & Machines“ öffnet die bis zum heutigen Tag wohl umfassendste Ausstellung zur Geschichte und kulturellen Signifikanz der elektronischen Musik, als virtuelle Schau im Internet begeh- und erfahrbar. Zugleich pusht Google mit der Eröffnung seine Arts & Culture-Plattform. Über 50 Akteur*innen aus der Musikszene (Labels, Künstler*innen, Pionier*innen) und kulturelle Institutionen (Museen, Galerien, Initiativen) aus 15 Ländern haben sich für das lange unter Verschluss gehaltene Projekt zusammengetan. Steffen Korthals a.k.a. Dash durfte bereits vorab durch die Online-Hallen skippen und bringt exklusive Bilder, Videos und erste Eindrücke mit.

„Music, Makers & Machines“ begreift sich nach Eigenaussage inhaltlich selbst als Versuch, einen Zeitstrahl der Entwicklung und das Vermächtnis von elektronischer Musik zu dokumentieren. Die dafür gewählte Form sei eine Immersion, um die virtuellen Besucher*innen in Pandemiezeiten zurück in Clubs, Institutionen und Musikstudios zu bringen. Zugleich will die Online-Schau als Archiv und Quelle für zukünftige Recherchen dienen. Für die Vermittlung der Ausstellungsinhalte bietet man zudem Unterrichtsmaterial für Universitäten und Schulen an. Neben dem Wunsch, dass Ausstellung und Archiv dokumentieren und vermitteln sollen, wünscht man sich einen kommunikativen Austausch mit Musiker*innen und kulturellen Institutionen. Dafür schickt „Music, Makers & Machines“ z. B. die Initiative „Art Zoom“ mit FKA twigs und Grimes virtuell ins Rennen. Was die Begeisterung einiger Musikfans bremsen könnte: Finanziert und unterstützt wird das umfangreiche Projekt von Google in Form von Google Arts & Culture, das seit 2011 nicht-kommerzielle, virtuelle und interaktive Touren durch Museen und Ausstellungen von zurzeit 2.000 Institutionen aus 80 Ländern anbietet, sowie durch YouTube.

Zu sehen gibt es im Rahmen der Ausstellung u. a. über 10.000 thematisch geordnete Fotos und Videos. Mit dabei sind auch vier Street Views und 360 Grad-Touren sowie eine große Anzahl an Texten. Viele der ausgestellten Objekte sind interaktiv. Zum Beispiel 22 in 3D gescannte Synthesizer und Instrumente, die die elektronische Musik und Clubkultur geprägt haben. Manche der reziproken Ausstellungsstücke verweisen auf Orte wie die schon zuvor durch die Medien- und Kunstwelt geisternde Original-Tür zum Berliner Club Tresor. Über 200 Exponate wurden von verschiedenen Player*innen der elektronischen Musikwelt für die Schau kuratiert.

Wie repräsentativ die getroffene Auswahl an Entscheider*innen ist, wie umfassend die gezeigten Objekte auf komplexe Wechselwirkungen zwischen Musik, Clubkultur und Gesellschaft überhaupt verweisen können und was thematisch unter den Tisch fällt, das bleibt zu diskutieren. Unter den Mitwirkenden sind aus Deutschland dabei u.a. das ZKM Karlsruhe, das Deutsches Museum, das Magazin Groove, der WDR, die Labels Kompak, Kitsuné und Innervisions, sowie die Clubcommission Berlin. Dazu kommen internationale Institutionen wie das Barbican Centre London, das Black Cultural Archives, das Moogseum, das Chicago History Museum, die Philharmonie de Paris, Amsterdam Dance Event, African Artists‘ Foundation und das Sydney Opera House.

Worrell

Bernie Worrell (c) Brian Diescher / Bob Moog Foundation

Ciani

(c) Suzanne Ciani

Elektronische Musik und Clubkultur in vielen Facetten

Thematisch konkreter dreht sich „Music, Makers & Machines“ um Technik, Orte, Personen und Musikstile in ihrer Relevanz für elektronische Musik und Clubkultur in globalen und gesellschaftlichen Verstrebungen. Unter dem Titel „The iconic machines“ werden sowohl Soundproduktion und das Verhältnis Mensch-Maschine diskutiert, es werden Instrumente von Roland, Elka, Oberheim über Ensoniq und Co. bis Fairlight Synthesizer als auch vielleicht weniger bekannte Instrumente wie Telharmonium, Subharchord, Buchla und Theremin vorgestellt. Einige der Kultgeräte können auch selbst online gespielt werden. Legendäre Clubs werden unter „Where the magic happens“ besucht. Dazu zählt die Ausstellung u.a. das Berghain und den Tresor aus Berlin und den Salon des Amateurs in Düsseldorf.

Den globale Aspekt von Clubmusik spannt „The night is young“ anhand von virtuellen Trips nach Detroit, Chicago, Bristol, Tiflis, San Francisco, Hamburg, Tel Aviv und ins Berlin der 1990er-Jahre auf. Clubs als Orte des Übergangs, als safe spaces, als Räume utopischen Potentials und des Körpers sowie Soundsystem-Kultur, illegale Raves und die marktwirtschaftliche Seite von Clubkultur sind Thema in „Dancing in the dark“. Dass Techno nicht von auf Schwarzweiß-Pressefotos grimmig dreinschauenden weißen Männern in Berlin und House nicht als schickes Freizeitvergnügen in Ibiza erfunden wurde, sollte in der Sektion „Electronic music is black music“ klar werden. Neben Detroit Techno finden sich hier eine Auswahl von 30 Künstler*innen, die den Sound von Black Britain geprägt haben sowie eine, die 25 Pionier*innen englischer Jugendkultur zeigt (Siouxsie Sioux, Viv Albertine, Grace Jones, Sade, PJ Harvey, Kemistry & Storm etc.). Zudem akzentuiert eine Sektion die Geschichte von Electronica als eine von people of color (Moor Mother, Elizabeth Baker, Antipop Consortium, Christina Wheeler etc., kuratiert von King Britt. „Black Lives Matter“ hat einen eigenen Archiv-/Ausstellungsraum. Die Rolle von marginalisierten Gruppen für die Clubkultur unterstreicht „Queer pioneers“ u.a. mit Disco, LGBTQ+- und FLINT-Raver*innen, Ballroom und Psytrance. Des Weiteren widmen Passagen der Ausstellung Designaspekten, Kunst, Flyergestaltung und anderen visuellen Aspekten der Clubkultur.

Ravers

Raver vor dem Astoria London, 1988. Foto: Marcus Graham / Museum of Youth Culture

Clubber

Clubber, 1996. Foto: Tristan O'Neill / Museum of Youth Culture

Das Handling der Plattform ist niederschwellig und intuitiv. Die Präsentationen sind übersichtlich, leicht verständlich und haben einen guten Flow, leiten mit Kameraführungen oder Zooms auf Details oder erklärende Texte. Manchmal poppen Audios auf, z. B. mit einem Interview zum ikonischen Club Factory in Manchester. Alle Audiospuren gibt es auch als Text. Viele der präsentierten Fotos sind rar und werden hochauflösend gezeigt. Möchte man tiefer eintauchen, so finden sich Links zu weiterführendem Material, zu Videos usw. Viele der Seiten oder Ausstellungs-/Archivräume sind ins Deutsche übersetzt. Während manche Sektionen auf übersichtliche Information setzen, die sich nach und nach beim Scrollen, meist nach unten, entfaltet, so setzen andere Ausstellungsbereiche auf Assoziatives, flashige Bilder, oral history und den Versuch, Clubmomente festzuhalten. Fotokünstlerin Marie Staggat, die gerade das Buch „Hush: Clubkultur in Zeiten der Stille“ auf dem Markt hat, zeigt in der online-Ausstellung ihre Sicht auf Detroit in „313ONELOVE – Eine Liebesaffäre mit Detroit“. Überhaupt ist die visuelle Kraft und Qualität der meisten Fotos in den einzelnen Plattformbereichen herausragend. Da es dem Projekt um einfache Vermittlung der Inhalte geht, stehen das visuelle und auditive Erleben im Vordergrund. Wie beschrieben, gibt es aber zumeist die Möglichkeit in Texten noch mehr zu erfahren.

Ein Tag im virtuellen Museum

Tatsächlich ist es einfach, einen kompletten Tag in der Ausstellung zu verweilen. Selbstredend muss man nicht zwangsläufig selber lange im Archiv graben, sondern kann sich auch einfach – nur durch das Bewegen der Maus – die Geschichte von Grime in drei Minuten erzählen lassen. Die einzelnen Sektionen sind sehr gut recherchiert und bieten häufig noch nie gesehenes Material, wie bei „NACHTS. Clubkultur in München“. Nicht emotional gecatched zu werden, wird für viele Fans (zum Glück) schwierig werden, wenn es in anderen Ausstellungsräumen z.B. zum Dubplate-Cutten nach Bristol geht oder in den legendären Hamburger Club Front. Manche Darstellungen wirken sehr nah und, ja, immersiv. Alle Inhalte können von den User*innen bei Interesse in den Sozialen Medien einfach geteilt werden. Natürlich gibt es auch eine Menge zu hören. In manchen Räumen geht es speziell um Sound. So z. B. um Aphex Twins Klangästhetik in seinem Remix von Meat Beat Manifesto „Mindstream“. Einzelne Künstler*innen werden vorgestellt, welche die Ausstellung als aktuell die Szene prägend sieht. Mit dabei sind u.a. Honey Dijon, Muthoni Drummer Queen, Sophie, Gabber Modus Operandi, Ellen Allien, Marcel Dettmann und Ben Klock. Zu entdecken gibt es reichlich bei den virtuellen Clubtouren in verschiedenen Städten der Welt in unterschiedlichen Epochen. Auch kommen Aspekte des körperlich-psychologischen, wenn nicht bisweilen spirituellen Cluberlebens keineswegs zu kurz. Einführungen zu Techno-Kapitalismus oder temporären Clubs geben Menschen außerhalb der Clubkultur-Blase einen ersten Einblick.

Ein besonders smarter Move von „Music, Makers & Machines“ ist es, nicht zu offensichtlich die Geschmackspolizei zu spielen. Es gibt einen sehr ausführlichen Bereich zu Popmusik und ihrer Verwobenheit mit elektronischer Musik und Clubkultur. Ebenso clever und erhellend ist eine Sektion über Rude Bwoys/Rude Girls in der Musikgeschichte, über Synth Pop und New Romantics sowie über Funk und R&B. Video Game Music und Filmmusik haben ausführliche Bereiche und was es über Klangkünstler*innen und Producer*innen, wie es u.a. Pierre Schaeffer, Daphne Oram, Harold Faltermeyer oder Suzanne Ciani zu erfahren gibt, das wäre woanders eine eigene Ausstellung. Spannend sind auch die Charts der zwölfbesten Songs, die von Künstlicher Intelligenz erschaffen wurden. Technik-Nerds können die historischen Studios von Can, WDR, Siemens, RAI uvm. virtuell besuchen.

Mehr als eine reine Geschichtsstunde

Als Ausstellung betitelt, könnte bei User*innen von „Music, Makers & Machines“ das Museale des Projektes als vordergründig assoziiert werden. Was mit dem Gefühl einhergehen könnte, dass etwas Abschließendes gezeigt wird. Auch wenn ungewiss ist, wie es mit der Clubkultur nach der Pandemie weiter geht, so dürfte klar sein, dass die gezeigten Musikgenres nicht nur in den Spiralen der Erinnerung nostalgisch ihre Runden drehen, sondern in Retro-Schleifen und regelmäßigen Abständen in kontemporären Musiktrends auftauchen. Erfreulicherweise leistet die Ausstellung dabei an vielen Stellen eine Anknüpfung an aktuelle Sounds und ist mehr als nur reine Geschichtsstunde. Historie zu vermitteln, ist dennoch eine der selbstgestellten Aufgaben der Schau. Den Fehler, diese als komplett dargestellt zu behaupten, macht „Music, Makers & Machines“ zum Glück nicht und betont stattdessen die kulturelle und gesamtgesellschaftliche Signifikanz der Entwicklungen und Interdependenzen von Clubkultur. Genderthematiken und oftmals ins Abseits geschobene Communitys werden dabei ausführlich diskutiert und nicht als Sonderthema, sondern als eine der determinierenden Konstanten der Club- und Musikgeschichte gesehen.

Auch wenn Techno als Genre die Ausstellung dominiert und ein noch tieferes Eingehen auf andere Musikstile elektronischer Musik begrüßenswert gewesen wäre (ausführlicher dargestellt werden im Vorbesuch der Ausstellung Grime, Dubstep, Detroit Techno, House, Gabber und Dangdot), so ist „Music, Makers & Machines“ ein großer Wurf, der neben seinem Ausstellungscharakter als Archiv gut dienen kann. Dass die zu findenden Quellen auch immer zugleich eine subjektiv getroffene Auswahl sind (ähnlich wie bei Wikipedia, Zeitungs- und Magazinartikeln etc.), darf nicht vergessen werden. Eine größere Einbindung von mehr Künstler*innen aus der Clubkulturbasis wäre optimaler, aber schwerer umzusetzen gewesen. Für einen produktiven Diskurs eignet sich die Materialiensammlung allemal. Die Plattform wird online gratis zugänglich bleiben und von den Projektpartnern nach und nach um weitere Sektionen und Themen ergänzt. Ein Gewinn des Großprojektes ist es, elektronische Musik und Clubkultur ernst zu nehmen, im Kunstkosmos zu verankern und sich gegen eine Rezeption zu positionieren, die Ballern als einziges Potential von Clubkultur versteht. Zugleich ist die Plattform auch ein Zeichen dafür, wie sehr sich in Zeiten des Overloads eine Art Kanon elektronischer Musik gewünscht wird, der Komplexität glaubwürdig reduziert, selbst wenn dieser Kanon selbstredend subjektiv gefärbt sein muss.

„Music, Makers & Machines“ kann ab sofort über die Google Arts & Culture App (iOS und Android) oder online besucht werden.

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