Neue Musik für den öffentlichen RaumDas Instrument Theo 3 bringt die Menschen zusammen

Öffentliche Kunst nicht nur zum Anfassen, sondern auch zum Spielen und Musizieren: Marcel Müller hat mit Theo 3 den Prototypen für ein innovatives öffentliches Musikinstrument geschaffen. Aida Baghernejad hat Künstler und Instrument in Londons Stadtteil Hackney getroffen.

In einem von Tucholskys bekanntesten Gedichten, Augen in der Großstadt, lamentierte er in Strophen über die Anonymität in der Metropole – und das gut 80 Jahre, bevor das erste Smartphone auf den Markt kam. Heute würde der gute Kurt wahrscheinlich vor lauter Verzweiflung erst recht zusammenbrechen, sähe er wie alle Augen in der Großstadt so eingenommen sind vom kleinen bunten Screen in unserer Hand, dass nicht mal ein Augenblick (der dann vorbei ist und verweht und nie wieder geschieht) möglich ist.

Moderner Städtebau hat da auch einiges zu erklären. Man denke nur an Bausünden und leere Plätze, die zwar auf dem Papier zu bevölkerten Piazze werden sollen, aber so richtig an Sitzplätze, Schatten oder anderes Stadtmobiliar, das Konvivialität fördert, wird dann doch nicht gedacht. Abhilfe will Marcel Müller schaffen: Der gebürtige Stuttgarter hat als Abschlussprojekt seines Masterstudiums an der Royal College of Art in London ein öffentliches Instrument geschaffen, dass jede*r ohne musikalische Vorbildung spielen kann. Vier Meter lang ist der Prototyp, aus langen Eisenrohren zusammengebaut, die durch Einkerbungen schwingen können, basierend auf dem Prinzip einer Stimmgabel. „Gespielt“ wird das Instrument mit Holzschlegeln, eine Seite ist harmonischer und einfacher zu spielen, die andere etwas anspruchsvoller. Sein Traum: Das Instrument eines Tages in seiner Heimatstadt aufstellen.

Marcel Müller

„Es geht nicht nur um das Instrument an sich, sondern viel mehr um die Idee den öffentlichen Raum so zu gestalten, dass er Menschen zusammenbringt, neue Beziehungen formt – besonders in einer Zeit in der Menschen in Städte ziehen, niemanden kennen und sich manchmal sogar einsam fühlen.“

Für Marcel ist dieses völlig analoge Projekt eine neue Erfahrung: Bislang beschäftigte er sich mit digitalen Projekten, doch während seines Masterstudiengangs in Design Products begann er, handwerklich zu arbeiten. Es fing an mit kleinen Tascheninstrumenten, die er für seinen Neffen – nach dem Theo 3 auch benannt ist – baute und entwickelte sich immer weiter. „Es war nicht leicht, weil ich so etwas noch nie gemacht habe“, erzählt Marcel. Die Herausforderung hat sich aber gelohnt: „Das ist das erste Mal, dass ich ein Projekt gemacht habe und danach, während der Ausstellung und heute immer noch denke: Ja, das ist geil.“

Nun ist Theo 3 nicht das erste öffentliche Musikinstrument. Beispiele gibt es einige, doch für Marcel spielten diese Beispiele keine Rolle. Alle, die er bislang gesehen habe, seien ungenügend – sie bauen oft auf schon bestehenden Instrumenten auf, seien nicht selbsterklärend genug und oft würden sie einem Anfänger kein Erfolgserlebnis bescheren, da sie eben nicht darauf abgestimmt sind, in jeder Lage gut zu klingen. „Die denken nicht darüber nach, die bauen einfach ein Xylophon zum Beispiel, nur größer.“ Auch finden sich solche Instrumente oft auf Spielplätzen und an ähnlichen Orten. Auch Marcels Studiengangsbetreuer wollten ihn in diese Richtung bewegen, doch Theo 3 soll alle ansprechen – Kinder und Erwachsene, Freunde und Fremde.

Öffentlichkeit konstruieren

Der Willen, etwas wirklich Neues zu schaffen, hat es dem Designer allerdings auch nicht leicht gemacht: Statt auf schon bestehende Formeln zur Konstruktion des Instruments zurückgreifen zu können, musste er alles von Grund auf selbst errechnen und konzeptualisieren, von der Form bis hin zur Lage, Tiefe und Form der Einkerbungen. Deswegen ist Theo 3 auch eben nur ein Prototyp. Die Rohre sind nicht ganz perfekt glatt, sind es doch nur Gerüststangen, die Schlegel noch sehr einfach, die Einkerbungen und damit die Töne nicht ganz perfekt und die Gesamtkonstruktion auch noch nicht mit einem Betonfuß versehen, wie geplant. Doch das tut dem Spielspaß keinen Abbruch: „Das Schöne an Theo 3 ist, dass bei der Ausstellung am RCA direkt schon Fremde zusammen gezockt haben“, erklärt Marcel in seinem schwäbischen Singsang. Auch bei Testläufen in den Uniwerkstätten haben sich beim Spielen Studiengangsleiter und Studierende kennengelernt und angefreundet. Theo 3 soll nicht wie andere öffentliche Instrumente private Momente im öffentlichen Raum erzeugen, sondern Menschen zusammenbringen, eine wirkliche Öffentlichkeit konstruieren. Die Konstruktion regt dazu an, sich zu bewegen, herumzurennen, Spaß zu haben. Und das wiederum würde wahrscheinlich sogar dem alten Kurt eine Freude machen.

Marcel Müllers weitere Arbeiten kann man hier sehen oder auf Instagram. Elektronische Musik macht er auch, als Finji.

theo3gross

Leseliste 12. August 2018 – andere Medien, andere ThemenSpotify, die seltsamste Firma der Welt, Millennial Hotels und Scheibenwelt

Mix der Woche: Oskar OffermannHangover Cures 1-6