Wie fair ist Pop?Reportage: Wie Deezer das Musik-Streaming umkrempeln will

Deezer-Illustration

Mit dem Hashtag #MakeStreamingFair rührt der französische Streaming-Anbieter Deezer die Werbetrommel für ein neues Abrechnungsmodell: UCPS. Das User-Centric Payment System soll sicherstellen, dass die Künstler*innen, die man für seine zehn Euro pro Monat hört, dieses Geld auch wirklich bekommen. Genau das ist im Moment nämlich weltweit nicht der Fall, außer man hört sowieso den ganzen Tag nur Drake oder Kollegah. Diese Superstars bekommen auch dann Geld, wenn im eigenen Stream nur die B-Seiten von längst vergessenen Indie-Bands aus den frühen 80ern laufen. Thaddeus Herrmann war in Paris und hat sich die Gemengelage von Alexis de Gemini – dem CEO von Deezer France – und Alexander Holland, seines Zeichens Chief Content and Strategy Officer, erklären lassen. Und wollte danach gleich sein eigenes Streaming-Abo kündigen und wieder LPs kaufen.

Eigentlich ist das ja ein Nobrainer. Kaufte man früher eine LP oder eine CD, dann konnte man sich sicher sein, dass die Künstler*innen dafür auch einen angemessenen Teil Tantiemen bekamen – je nach Arschloch-Grad des Knebelvertrags, den das Label ausgehandelt hatte. Doch die Musikwelt hat sich verändert. Physische Tonträger sind zwar noch nicht tot – von CDs werden jedoch seit Jahren immer weniger Exemplare hergestellt, und der Vinyl-Hype hat sich als Finte entpuppt. Es sei denn, man steht auf Sammelboxen von Herbert Grönemeyer. Es wird gestreamt – längst nicht mehr nur, wenn man bekopfhörert im Alltag unterwegs ist. Dass genau hier aber das Prinzip „Künstler*in X hören, Künstler*in X bekommt Geld“ nicht mehr gilt, hat kaum jemand auf dem Zettel. Daran können auch Radiohead oder Taylor Swift nichts ändern, die in der Vergangenheit immer wieder öffentlich angeprangert haben, von den Streaming-Plattformen zu wenig Geld zu bekommen, Künstler*innen also, die von der existenten Ungerechtigkeit a) nicht sonderlich betroffen sein dürften und die b) finanziell ohnehin ausgesorgt haben. Fakt ist: Gerecht wird im Streaming-Geschäft nicht vergütet. Bei Deezer will man das ändern.

Pro-Rata: der Status Quo

Pro-Rata heißt das derzeit weltweit gültige Abrechnungsmodell. Verteilt wird nach dem Gießkannenprinzip. Hört man also den ganzen Monat für seine zehn Euro zum Beispiel ausschließlich Robag Wruhme, bekommen Gabor, sein Label und sein Verlag davon zwar einen Teil ab, Drake, David Guetta und die Erben von Avicii aber auch. Dafür analysieren die Anbieter zunächst den Marktanteil aller Künstler*innen, also die Zahl der absoluten Streams. Und dann wird verteilt. Bezahlt werden keine konkreten Streams, sondern Umsatzanteile. Von dieser Methode profitieren also vor allem diejenigen, die ohnehin schon beliebt sind und am meisten gehört werden. Und das bedeutet, dass mit den zehn Euro von User XY auch solche Musiker*innen vergütet werden, denen man nicht mal im Traum auch nur einen Cent gönnen würde, aus welchen Gründen auch immer. Als Deezer-Abonennt*in kann man sich jetzt anhand des persönlichen Hörverhaltens ein Bild davon machen. Ein ziemlicher Wahnsinn, der aber doch von allen Rechteinhaber*innen irgendwann mal abgezeichnet wurde – ganz egal ob Major oder Indie, Aggregator oder Einzelkämpfer*in.

Über die Gründe, warum das damals so lief, kann Alexander Holland, der Chief Content and Strategy Officer von Deezer heute nur spekulieren. Der Deutsche ist seit 2015 bei Deezer tätig und arbeitete zuvor für zahlreiche andere weltweit tätige Medienunternehmen. Er sagt: „Die Musikindustrie war vor zwölf Jahren (Deezer ging im August 2007 online, Anm.d.Red.) nach wie vor mit Piraterie konfrontiert. Es brauchte einfach eine schnelle Lösung. Die Insights, auf die Labels und Verlage heute zugreifen können, um sich ein Bild davon zu machen, wie das Geld wo lang fließt: Die gab es damals schlicht und einfach noch nicht. Hier hat sich mittlerweile viel Wissen angesammelt. Und das führt auf allen Seiten zu einer Neubewertung der Situation.

Aus der Piraterie von früher ist heute ein perfides System der Gewinnoptimierung geworden

Denn das Pro-Rata-Modell hat zu mitunter merkwürdigen Auswüchsen geführt, die selbst hartgesottenen Mitarbeiter*innen der Branche zu viel werden können. Da im Streaming-Geschäft die tatsächliche Länge eines Songs oder Stücks keine Rolle bei der Vergütung spielt (ein großer Kritikpunkt der Klassik-Labels), werden die Tracks im Pop- und Urban-Bereich immer kürzer, damit noch mehr konsumiert wird. Und für ein paar Dollar kann man eine Streaming-Farm in Asien buchen, die mit 500 Handys immer wieder nur bestimmte Künstler*innen abrufen, um Umsatz zu generieren. Clever platzierte Playlisten mit catchy Titeln und in ultrakurze Snippets verpackter Hintergrundmusik namenloser Producer verzerren das Bild zusätzlich. Und dass ein „???“-Hörspiel heute in durchschnittlich 40 „Songs“ unterteilt ist, hat genau den gleichen Grund. Justus, Peter und Bob sollten das mal untersuchen – aus der Piraterie ist ein perfides System der Gewinnoptimierung geworden, das die Musiklandschaft nachhaltig verändert und einige Genres und deren Urheber*innen mehr und mehr in der finanziellen Bedeutungslosigkeit verschwinden lässt. Zumindest bei Deezer ist man davon überzeugt.

UCPS: die Zukunft?

Das User-Centric Payment System (UCPS) soll diese (und andere Ungerechtigkeiten) nun aus dem Weg räumen. Seit rund zwei Jahren arbeitet man bei Deezer an diesem neuen Abrechnungsmodell. Und betreibt nebenher Lobby-Arbeit, um alle beteiligten Parteien davon zu überzeugen, dass es langfristig keine andere Alternative gibt, um die Musikindustrie am Leben zu erhalten, vor allem jedoch die Vielfalt zu garantieren und zu fördern. Hierbei geht es auch um ein Generationsproblem. Die Analyse von Nutzerdaten, die Ludovic Pouilly – SVP of Institutional & Music Industry Relations –, in einem Konferenzraum im Pariser 9. Bezirk an die Wand beamt, spricht eine klare Sprache. Streaming wird heute immer noch vor allem von jungen Menschen genutzt, und die haben einen klaren und eindeutigen musikalischen Geschmack und jede Menge Zeit. Urban und HipHop ja, Indie, Jazz und Heavy Metal nein. Hört User A für seine zehn Euro 900 Mal Taylor Swift, User B für das gleiche Geld jedoch nur 100 Mal AC/DC, bekommt Taylor 90 % der Einnahmen – im Falle von Deezer 12,60 Euro – und AC/DC nur 1,40 Euro. Würde man UCPS implementieren, bekämen Pop-Ikone und Heavy-Metal-Stars bei der selben Anzahl von Streams (100 vs. 900) jeweils sieben Euro.

Deezer-Pro-rata

Die Tantiemen-Verteilung nach dem aktuellen Abrechnungsmodell

Deezer-UCPS

Und die neue Verteilung mit UCPS. Grafiken: Deezer

Es ist noch vollkommen unklar, ob UCPS jemals global zum neuen Standard werden wird.

Und genau das ist eines der Probleme, die sich auf dem Weg zu mehr finanzieller Gerechtigkeit auftun. Denn dass Taylor Swift plötzlich 5,60 Euro weniger verdienen würde, kommt bei Taylor selbst und ihrem Label natürlich nicht gut an. Daher ist auch noch vollkommen unklar, ob UCPS jemals global zum neuen Standard werden wird. Bei Deezer ist man dennoch hoffnungsvoll. Im Frühjahr 2020 soll ein erster Testballon steigen, in Frankreich. Die Gespräche mit den Labels und Verlagen laufen, viele zeigen Interesse, zum Beispiel Because Music, Wagram, Outhere oder Believe Distribution. Die französische Regierung gibt zusätzlich Rückendeckung. In trockenen Tüchern ist hier jedoch noch gar nichts.

Nichtsdestoweniger: Deezer hat es sich auf die Fahnen geschrieben, zum disruptiven Player zu werden. Als faktischer Underdog im globalen Streaming-Geschäft kann man es sich leisten, den Status Quo in Frage zu stellen und neue Konzepte auf den Tisch zu legen. Das hat nicht nur Image- und Marketing-Gründe, sondern spricht auch Bände darüber, wie große Industrien heute funktionieren und immer wieder daran erinnert werden müssen, dass im Digitalen nichts in analogen Stein gemeißelt ist. Ein Großteil der Künstler*innen werden es ihnen danken. À propos Underdog: In Frankreich sieht die Situation anders aus, dort ist das Unternehmen Marktführer – vor Spotify. 14 Millionen aktive Usern nutzen das Angebot jeden Monat weltweit und hören einen Katalog von 56 Millionen Tracks und 40.000 Hörbüchern, Hörspielen und Podcasts. Dass eine solche Initiative auch auf die Marke einzahlen kann, ist dem CEO von Deezer France, Alexis de Gemini, durchaus bewusst. Und er hebt den Stinkefinger gegen das popkulturelle Establishment. Denn: Wenn das Problem nicht jetzt angegangen wird, könnte es schon bald zu spät dafür sein.

Alexis de Gemini Portrait

Alexis de Gemini, CEO Deezer France

Alexander Holland Portrait

Alexander Holland, Chief Content and Strategy Officer. Fotos: Yann Stofer

Herr de Gemini, ordnen wir die Situation zunächst ein. Wo steht Deezer global und in Frankreich?
Unser Marktanteil liegt hier in Frankreich bei rund 35 %, gefolgt von Spotify mit 25 %. Apple Music liegt bei 15 %, Napster bei 12 %. Wir sind ein französisches Unternehmen und wollen das neue System natürlich zunächst auch hier testen. Als Marktführer investieren wir besonders viel in die Musikförderung. Die gesamte Branche in Frankreich hat 2018 rund 575 Millionen Euro umgesetzt, Deezer steuerte rund 15 % dazu – mit den Tantiemen, die wir an die Rechteinhaber und Urheber ausgezahlt haben. Da entwickelt sich ganz automatisch ein gewisses Verantwortungsgefühl, eine Mission oder sogar eine Vision. Als Deezer vor zwölf Jahren gegründet wurde, war das Ziel, Musik ganz einfach teilen zu können, ohne dabei illegal zu handeln. Das nächste Ziel war es dann, dieses Prinzip zu monetarisieren und den Künstler*innen Geld zurück zu zahlen. Heute werden 50 % aller Einnahmen in der französischen Musikindustrie im Streaming erwirtschaftet. Wir sehen es als unsere Verpflichtung an, daran zu arbeiten, dass dieses Geld auch gerecht verteilt wird. Denn der Markt hat sich in den vergangenen Jahren dramatisch gewandelt. Urban Music bringt die größten Umsätze.

Urban ist fantastisch, ich möchte hier nicht falsch verstanden werden, aber es gibt eben auch noch andere Genres: Jazz, Klassik, etc. Da geht es um Zielgruppen. Die Jugendlichen sind digital-affin, haben viel Zeit, hören vor allem Urban Music und lenken die Einnahmen also in Richtung dieser Musiker*innen. Nach dem derzeitigen Abrechnungsmodell werden genau solche Künstler*innen also bevorzugt. Das ist das eine. Das andere: Wir glauben an Vielfalt, die sich auch auf unserer Plattform widerspiegeln muss. Es kann nicht sein, dass die Musiker*innen, die eher von älteren Menschen gehört werden – also den über 35-Jährigen –, weniger Geld verdienen als noch im CD-Zeitalter. Also haben wir uns damit auseinandergesetzt, wie man diese Gerechtigkeit wieder herstellen kann. Wichtig dabei: Es wird nicht weniger Geld ausgeschüttet, sondern lediglich gerechter verteilt. Das ist wichtig für die Zukunft der Kreativität. Wir müssen langfristig denken, bzw. heute damit anfangen.

Sie sprechen von einer gerechteren Verteilung. Sie haben das ja bestimmt durchgerechnet: Mit welchen Einbußen bzw. Zugewinnen rechnen Sie?
Ich gebe Ihnen ein ganz einfaches Beispiel. Die, die heute ganz oben stehen, werden rund 10 % ihrer Einnahmen verlieren. Und die kleineren Musiker*innen etwa 30 % dazu gewinnen. Was faktisch bedeutet, dass ihre Einnahmen aus dem Streaming erstmals überhaupt eine wirtschaftliche Relevanz erreichen. Das heißt: Sie können weiterhin Musik machen. Wenn ich mir heute auf Deezer einen noch relativ unbekannten Producer anhöre, der elektronische Musik macht, dann weiß ich, dass sie oder er dafür praktisch keinen Cent bekommt. Das Geld geht an Drake oder vergleichbare Urban Artists. Das ist einfach nicht fair.

Sie arbeiten mittlerweile seit rund zwei Jahren an der Implementierung von UCPS. Wie war das Feedback, als Sie auf die Lizenzgeber*innen zugingen?
Es gab Interesse, aber auch Widerstand. Um das besser einordnen zu können, muss man sich die Musikindustrie im Ganzen anschauen. Die großen Produktionsfirmen und Labels haben sich von der Krise erholt. Die Umsätze steigen wieder, der Markt wächst, allein in Frankreich um rund 30 % jedes Jahr. Natürlich gibt es kein gesteigertes Interesse bei den Gutverdienern, das bestehende Modell zu verändern. Auch, weil die Garantien und Vorschüsse wieder üppiger ausfallen: Das ist Geld, was man erst mal wieder reinholen muss. Und natürlich will man sich vor erfolgreichen Künstler*innen auch keine Blöße geben und ihnen mitteilen, dass sie unter Umständen zukünftig weniger Geld verdienen werden. Dazu kommt ein Desinteresse, über die Zukunft nachzudenken. Jetzt, hier und heute läuft es doch.

Alexander Holland: Wenn ich hier kurz einhaken darf: Es ist ja auch kurzsichtig gedacht von den heute erfolgreichen Künstler*innen. Heute ist ihr Publikum jung und streamt sehr viel, generiert also viel Einkommen. Aber was ist in 20 Jahren? Fans werden mit den Stars älter. Von UCPS werden also langfristig auch die profitieren, die heute in den Top 10 sind.

Alexis de Gemini: Ein wichtiger Punkt, Alexander. Auf der anderen Seite spreche ich mit Indie-Labels – erfolgreichen Indie-Labels – und höre, wie sich deren Katalog durch das Streaming zwangsläufig verändert hat. Das macht Producer müde. Denn sie wollen nicht nur Urban Music veröffentlichten und den profitablen Markt bedienen, sondern auch andere Arten von Musik, genau das, was ihren Backkatalog so besonders macht. Und das rechnet sich nicht mehr. Solche Labels unterstützen uns in Frankreich. Die Verantwortlichen merken, dass die musikalische Vielfalt unter dem derzeitigen Abrechnungsmodell leidet. Ich bin davon überzeugt, dass diese Haltung auch in unserer Herkunft begründet liegt. Frankreich war immer ein musikalischer Schmelztiegel mit langer Tradition und den unterschiedlichsten Einflüssen. Gleichzeitig haben wir aber nicht die globale Stellung, wie sie die anglo-amerikanische Musik hat.

„Die finanziellen Einbußen der Großen werden sich im Rahmen halten, weil aktuell ohnehin jedes Jahr noch mehr verdient wird. Irgendwann wird die Wachstumskurve abflachen, der Markt gesättigt sein. Dann ließe sich so eine Initiative nicht mehr umsetzen.“

Streaming ist mitunter kein „sauberes“ Geschäft. Es gibt systemimmanente Schlupflöcher, mit denen sich das bestehende Abrechnungsmodell ganz hervorragend nutzen lässt, um Einnahmen zu generieren. Stichwort Streaming-Farmen.
Auch dieses Phänomen wird durch UCPS an Bedeutung verlieren. Ganz eindämmen können wir es nicht, so viel Geld wie bisher lässt sich mit dem neuen System so aber nicht verdienen. Aber dieser Betrug ist ein gutes Stichwort. Im Zuge von UCPS wollen wir auch aufklären. Ich bin davon überzeugt, dass die meisten Streaming-Nutzer*innen davon überzeugt sind, dass ihr Geld genau den Künstlern zugute kommt, die sie hören. Das ist aktuell nicht so. Es ist wichtig, hier Aufklärungsarbeit zu leisten. Unsere Branche wächst, und damit sie weiter wachsen kann, braucht es Transparenz und Verständnis. Sonst schlägt das auf uns und die Musikindustrie zurück. Und die Tatsache, dass unsere Branche nach wie vor wächst, ist auch der ausschlaggebende Grund dafür, warum wir den Umschwung jetzt angehen. Die finanziellen Einbußen der Großen werden sich im Rahmen halten, weil ohnehin jedes Jahr mehr verdient wird. Irgendwann wird die Wachstumskurve abflachen, der Markt gesättigt sein. Dann ließe sich so eine Initiative nicht mehr umsetzen, der Widerstand wäre einfach zu groß. Wir haben also jetzt die Chance, etwas zu ändern. Und, da bin ich ganz ehrlich: Wir sind ein vergleichsweise kleiner Anbieter. Wir können es uns leisten, die Branche herauszufordern. Ich glaube fest daran, dass es eine europäische Streaming-Plattform braucht, mehr Gerechtigkeit, und wir sind auf einem guten Weg, UCPS im kommenden Jahr in Frankreich zu testen.

Alexander Holland und Ludovic Pouilly

Alexander Holland und Ludovic Pouilly bei der UCPS-Präsentation in Paris

Sind die Majors schon alle an Bord?
Nein. Ich habe den Eindruck, dass man sich da intern noch nicht einig ist. Das sind oft auch unterschiedliche Sichtweisen zwischen den Niederlassungen in Frankreich und den Headquarters im Spiel. Aber auch hier geht es voran. Es ging in den vergangenen zwei Jahren vor allem darum, aufzuklären und bei unseren Partnern ein Gefühl dafür zu entwickeln, wohin die Reise gehen könnte. Wir sprechen natürlich auch mit den Indie-Verbänden wie Merlin. Wir haben in allen Gesprächen bemerkt, dass die Zurückhaltung auch mit den erforderlichen Umstellungen in der Buchhaltung zu tun hat. Da müssen die Labels natürlich ran. Wir haben bereits interne Tests gemacht und sind in der Lage, Abrechnung in beiden Formaten zur Verfügung zu stellen.

Warum lag dieses Abrechnungsmodell nicht von Anfang an auf dem Tisch? Selbst die Indie-Verbände haben das Pro-Rata-Modell ja akzeptiert. Dafür muss es doch mehr Gründe geben als die Explosion der Urban Music als Money Maker.
Ich bin jetzt seit fünf Jahren hier im Unternehmen. Seitdem rede ich mit Künstler*innen, die sich über das Streaming beschweren. Am Anfang dachte ich, okay, die beschweren sich ja immer über irgendetwas, bis ich die Dimensionen wirklich durchschaute. Unsere Branche ist dabei, sich zu einem „Winner takes it all“-Business zu entwickeln. Musiker*innen, die in den 1980er-Jahren hier in Frankreich sehr erfolgreich waren verdienen nichts im Streaming. Dabei werden sie gehört. Bis heute liest man ja in den Medien immer wieder: Ein Stream mit wird 0,00005 € vergütet – also praktisch gar nicht. Im Umkehrschluss wird dann argumentiert, dass die Anbieter einfach Geld stehlen. Mir wurde das so auch ins Gesicht gesagt. Du stiehlst mein Geld. Das war schon ein WTF-Moment. Denn es stellte sich heraus, dass sie schlicht und einfach nicht wussten, wie Streaming funktioniert – und was sie für Verträge unterschrieben hatten. Ich habe ihnen dann erklärt, wie der Hase läuft.

Ob der Hase in Zukunft wirklich in eine andere Richtung laufen wird, bleibt zunächst abzuwarten. UCPS ist heute – Stand Oktober 2019 – noch Zukunftsmusik. Der geplante Testbetrieb in Frankreich muss zunächst wirklich anlaufen, dann bewertet und als positiv angenommen werden, bevor auch andere Länder mit ins Boot geholt werden können. Und: Die Argumentation für UCPS darf keinen von nationalen oder maximal europäischen Interessen getriebenen Beigeschmack haben. An diesem Tag in Paris hat man manchmal das Gefühl, dass genau diese auch eine Motivation für UPCS sein könnten oder zumindest eine Rolle spielen. Es lebe die französische Musik. Mais oui, mag man da im ersten Moment denken und in Richtung Bastille aufbrechen, bevor man sich an die Quote für französischsprachige Songs im Radio erinnert und die Fahne schnell wieder einrollt. Dass UCPS eine praktikable Alternative zum Pro-Rata-Modell sein könnte, ist in der gesamten Branche hingegen kein Geheimnis mehr. Im Gegenteil: Es ist davon auszugehen, dass alle großen Anbieter, inklusive Apple und Spotify, eine ebenso aufwendige Datenanalyse erstellt haben wie Deezer, um gewappnet zu sein, gemeinsam mit Lizenzpartnern schnell reagieren zu können. Denn so global der Musikmarkt mittlerweile auch ist oder zu sein scheint – es gibt lokale Unterschiede, die die Entscheidung zwischen Pro-Rata und UCPS zu keinem klaren Entweder-oder machen. Dort nämlich, wo die anglo-amerikanische Musik nicht die klare Nummer 1 ist, könnten selbst die Majors, die beim UCPS um Einnahmen für Taylor Swift, Drake etc. fürchten, plötzlich dafür argumentieren, weil sie in Ländern wie Indien oder Brasilien die Underdogs sind. Mit anderen Worten: Es bleibt kompliziert, wie immer – in der Musikindustrie im Allgemeinen und dem Streaming im Besonderen.

To Be Continued.

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