„Jüdisches Essen kommt zurück nach Berlin“Interview: Laurel Kratochvila und Liv Fleischhacker über die jüdische Foodwoche „Nosh Berlin“
7.3.2017 • Leben & Stil – Interview: Jan-Peter WulfWeeks hat Berlin viele, von Art bis Irgendwas. Eine Food Week hat die Stadt auch. Nicht nur eine: Es gibt mehrere italienische Food Weeks, zwei Restaurant-Wochen, eine Bierwoche, und für diesen Sommer kündigen sich Kebap- und Cevapcici-Festivals an. Wir wünschen schon mal fröhliches Futtern. Vom 19. bis 26. März findet die Premiere einer Food-Veranstaltung statt, die aus dem ganzen Geesse heraussticht: „Nosh“, zu Deutsch Schmaus, ist Berlins erste jüdische Food-Woche. Es ist Zeit für eine solche Woche in einer Stadt, die bei jungen Israelis en vogue ist und wo jüdische Essenskultur erneut eine immer wichtigere Rolle spielt. Finden die beiden Initiatorinnen, die Food-Journalistin Liv Fleischhacker und Laurel Kratochvila, Inhaberin von „Fine Bagels“ im Buchgeschäft „Shakespeare and Sons“ in Friedrichshain. Finden wir auch. Jan-Peter Wulf hat die beiden getroffen.
Liv, Laurel, wie seid ihr auf die Idee zu „Nosh“ gekommen?
Laurel: Letztes Jahr war Jeffrey Yoskowitz aus New York in Berlin, „Master Pickler“ und Hersteller von handwerklich produziertem „gefilte Fisch“, einem typischen Gericht der aschkenasischen Küche (also der Küche der einst in Mittel- und Osteuropa lebenden Juden, Anm. d. Red.). Er ist auch Autor des Kochbuchs „The Gefilte Manifesto“, das diese Küche auf ein neues Level hebt. Ich habe ihn getroffen und vorgeschlagen, eine Lesung bei uns im Buchladen zu machen. Er fragte mich, ob man das nicht im Rahmen eines jüdischen Foodfestivals in Berlin machen könne, das sei am besten. Solche Festivals gibt es in London, in New York, in Toronto …
… aber nicht in Berlin.
Laurel: Deswegen bin ich auf Liv zugegangen ...
Liv: ... wir kennen uns, seit ich vor zwei Jahren einen Artikel für Munchies über jüdisches Essen in Berlin geschrieben habe. Wir haben uns entschieden: Lass uns das machen. Ich dachte nicht, dass es so groß werden würde, wie es jetzt ist.
Das Programm ist in der Tat recht umfangreich mit Dinner-Events, Lesungen, Kochkursen, Filmen.
Laurel: Es gibt viele Leute in der Stadt, die mitmachen wollten, die ihren Raum und ihre Netzwerke angeboten haben. Das ist großartig. Die „Markthalle IX“ zum Beispiel mit einem „Jewish Breakfast Market“ am 19. März und das Babylon am Rosa-Luxemburg-Platz.
Was passiert im Kino?
Laurel: Es wird Alexa Karolinski's Film „Oma and Bella“ gezeigt, anschließend gibt es ein „Q&A“ mit der Regisseurin. Und in der Synagoge Fränkelufer gibt es (unter dem schönen Titel „The Land of Soy Milk and Date Honey“, Anm. d. Red.) eine Diskussion über Vegetarismus/Veganismus und Judaismus – welche Verbindung gibt es da im modernen Israel? Und natürlich gibt es viele Dinner.
Jüdisches Essen boomt in Berlin. Es eröffnen ständig neue Restaurants, zum Teil Ableger von Konzepten aus Tel Aviv, auf einmal kann jeder was mit dem Begriff Shakshuka anfangen …
Liv: … und Hummus, und Sabich-Sandwiches (lacht). Ja, Essen aus dem Mittleren Osten ist trendy geworden. Es gibt dorthin jetzt eine Verbindung. Durch die vielen Israelis, die nach Berlin kommen und Restaurants eröffnen, entsteht Wettbewerb. Das hebt das Niveau.
Laurel: Ich denke, es liegt auch daran, dass die aktuelle jüdische Food-Revolution in den Staaten hierher gelangt. Dort gibt es viele jüngere Leute wie wir, die sich auf Rezepte der Großeltern zurückbesinnen, in meinem Fall ist es die Art und Weise, wie Bagels früher gemacht wurden.
Was ist denn der Unterschied?
Laurel: Der langsame Prozess, den du nicht industriell machen kannst. Handgerollte, gekochte Bagels. Viele Orte erschaffen diese Traditionen von Neuem und bewahren sie auf diese Weise. Meine Mutter sagt immer: Komm doch zurück nach Boston, du kannst doch auch hier einen Bagelshop machen. Kann ich aber nicht (lacht).
Warum nicht?
Laurel: Weil es schon so viele dort gibt. Da müsste ich schon richtig zulegen und 2.000 Stück am Tag machen. Es hat schon Vorteile, sich auf virgin territory zu begeben.
Das klingt nach Neuland, aber das ist es ja nicht wirklich. Eine große jüdische Foodkultur hatte Berlin im frühen 20. Jahrhundert schon. Die dann, aus bekannten traurigen Gründen, verschwunden ist.
Liv: Und auch heute zögern die Leute noch, die jüdische Kochtradition in die Öffentlichkeit zu tragen. So bin ich zum Beispiel erzogen worden: Man hält das privat. Entsprechend wenig Beachtung bekam das Ganze. Erst jetzt, drei, vier Generationen später, ändert es sich langsam. Man fühlt sich weniger damit behaftet.
Laurel: Wohingegen es an der US-Ostküste überall kultiviert wird. So sehr, dass ich es gar nicht richtig wertgeschätzt habe. Wie großartig Knish schmecken kann …
Liv: … was hier noch völlig unbekannt ist!
Laurel: Machen wir manchmal bei uns im Laden (lacht). Ja, es gibt eine Art negativen Raum in Stadt. Einer, der erst wieder gefüllt werden muss. Was ja auch passiert: Es gibt tolle jüdische Foodprojekte in der Stadt. Und wenn ich sehe, dass es dieses Essen sogar in nichtjüdischen Läden gibt, finde ich das einfach großartig. Babka zum Beispiel sieht man immer öfter. Selbst wenn die Leute vielleicht nicht wissen, welche Tradition hinter dem Produkt steht: Jüdisches Essen kommt auf diesem Weg zurück nach Berlin.
Glaubt ihr, dass es auch über Berlin hinaus zurück nach Deutschland kommen kann?
Liv: Ich denke schon. Den Antisemitismus mal zur Seite geschoben, könnte es wie Streetfood sein. Das hat auch in Berlin angefangen, jetzt ist es überall.
Laurel: Da fällt mir ein: Es gibt, believe it or not, ein kleines jüdisches Foodfestival in Dresden …
Liv: … vielleicht wird es nicht bis ins kleinste Dorf durchdringen. Aber generell: Ja. Warum nicht?
Es wäre schön. Food ist ja immer ein ganz gutes kulturelles Intro. Viel Erfolg euch beiden mit „Nosh“!
„Nosh“ findet vom 19. bis 26. März in Berlin statt.
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