„EDM ist doch kein Untergang“Ein Interview mit John Stanier von Battles

John Stanier Battles Start

John Stanier ist ohne Zweifel einer der coolsten und besten lebenden Drummer auf dem Planeten. Bereits in den 90ern erarbeitete er sich mit der Band Helmet den internationalen Ruf, einer der knackigsten Schlagzeuger im Alternative Rock/Metal zu sein. Heute kennt man ihn vor allem durch seine aktuelle Band Battles, in der er gemeinsam mit Ian Williams und Dave Konopka spielt. Battles hat dieser Tage ihr drittes Album „La Di Da Di“ auf Warp veröffentlicht. Ist John nicht mit Ian und Dave im Studio oder auf Tour, ist er sonst weiterhin umtriebig mit Projekten wie Tomahawk (eine Superband mit Mike Patton/Faith No More, Kevin Rutmanis/Melvins und Duane Denison/The Jesus Lizard) und The Mark of Cain. Wir trafen John Stanier im Berliner Prenzlauer Berg und sprachen mit ihm über „La Di Da Di“, gute Schlagzeugerwitze und seltsame 90er-Reunions.

Euer Albumtitel „La Di Da Di“ klingt ein bisschen dada. Wie kommt man zu so einem Namen?
Naja, so richtig tiefsinnig ist er natürlich nicht. Aber es gibt ja auch den gleichnamigen Song von Slick Rick und Doug E. Fresh. Ich glaube es war Dave, der in Berlin in einer Bar damit ankam. Für mich ist es vor allem ein gut klingender Titel. Er geht geschmeidig über die Zunge. Was ich daran mag ist, dass er nicht gestelzt ist und sich nicht um tiefe Bedeutungsebenen bemüht. Wir wollten etwas Leichtes für den Albumtitel haben.

Der Bandname Battles klingt auch nicht besonders weich und leicht.
Da ist es ähnlich. Es könnte etwas groß gemeint sein. Etwas mit einer Message, aber zugleich ist es auch seltsam, albern und so gar nicht von großer Bedeutung.

Ihr verzichtet auf „La Di Da Di“ im Gegensatz zum Vorgängeralbum auf Vocals. Die Platte klingt einheitlicher, wieder mehr wie die einer Rockband.
Es ist ja erst unser drittes Album. Und eigentlich ist bei jedem Release immer etwas radikal anders. Wir wollen uns nicht wiederholen, deshalb dauert es auch so lange, bis wir ein neues Album fertig haben. Wir haben diesmal auch anders gearbeitet. Mir kamen die bisherigen Alben immer recht intensiv vor. Wir haben in der Vergangenheit immer versucht, so viel wie möglich rauszuholen. Es war gewissermaßen maximalistisch. Jetzt erscheint mir die Musik reduzierter, minimaler. „La Di Da Di“ ist überlegter, bedachter, aber auch abgespaceter. Wir bringen es mehr auf den Punkt.

Ich war schon mit 14 großer Fan von deinen Drums bei Helmet. Auch viele andere denken, dass du einer der besten Drummer bist.
Das schmeichelt mir aber.

Lass uns übers Schlagzeugen reden.
Gut.

Wann hast du mit dem Schlagzeug spielen angefangen?
ich mache das mittlerweile mein ganzes Leben lang. An den genauen Zeitpunkt, wann ich das erste Mal gespielt habe, kann ich mich nicht erinnern. Irgendwann hab ich einfach mein College geschmissen, bin nach New York gezogen und hatte seitdem keinen geregelten Job mehr.

Ist das Schlagzeug das beste Instrument der Welt?
Selbstverständlich!

Wieso?
Es ist das einfachste, aber auch schwerste Instrument überhaupt. Man sieht das an all den verstaubten Drum-Kits, die in irgendwelchen Kellern versauern. Jemand möchte unbedingt Schlagzeug lernen, die Eltern kaufen Trommeln, dann lernt das Kind ziemlich schnell einen ersten Beat. Das dauert dann in der Regel drei Monate und dann war’s das. Dann wünschen sie sich Pro Tools (lacht).

Battles Bandfoto Grant Cornett

Battles (von links nach rechts): Ian Williams, Dave Konopka, John Stanier | Foto: Grant Cornett

Die größten Missverständnisse, wenn es ums Schlagzeug spielen geht?
Das fängt ja mit den ganzen Witzen über Drummer an.

Erzähl mir deinen Lieblingswitz!
Woher weiß man, dass eine Bühne gleichmäßig eben ist? – Der Drummer sabbert aus beiden Mundwinkeln gleichzeitig.

Hehe. Der ist gut!
Schlagzeuger sind eine eigene Spezies. Es ist vieles anders als bei anderen Instrumenten. Das fängt ja mit der Größe des Drumkits an. Alleine kannst du so ein Instrument nicht transportieren. Es passt in kein Taxi. Am Anfang ist es glamourös, am Ende, wenn du dabei bleiben willst, kann es ziemlich unglamourös werden. Man muss dafür sehr leben – und ein bisschen verrückt sein. Sänger sind egomanisch, Drummer sind einfach nur durchgeknallt.

Zeigt sich deine Durchgeknalltheit auch in anderen Lebensbereichen?
Niemand möchte Drummer sein! Sie bekommen den wenigsten Respekt und sitzen immer versteckt hinten auf der Bühne. Kein Mensch sieht dich und was du machst. Von weitem sieht es so aus, als schlage man unkoordiniert mit Holzstücken auf irgendwas herum. Es ist primitiv – wie bei einem Neandertaler. Aber für mich ist es die lohnendste und am meisten Spaß bringende Tätigkeit, die man machen kann. Also scheiß drauf, wie bekloppt ich dabei aussehe.

Worauf kommt es dir beim Schlagzeugen an? Was macht einen guten Drummer aus?
Mir ist Stil wichtig. Man sollte eine eigene Sprache entwickeln. Das ist für mich wichtiger als technische Fähigkeiten oder irgendwelche Tricks. Ich möchte lieber dafür in Erinnerung behalten werden, dass ich einen eigenen Sound hatte, einen Beitrag zur Musik geleistet habe. Ich will mich jetzt aber nicht zu ernst nehmen …

Ich erinnere mich an meine ersten Helmet-Platten Mitte der 90er. Ich dachte: Das will ich auch unbedingt können, habe deine Beats wochenlang nachgespielt und verzweifelt Bands gegründet. Es stimmt also nicht, dass niemand Drummer werden möchte.
Wahrscheinlich wollen die meisten Kinder Schlagzeug lernen. So viele Kinder meiner Freunde wollten damit anfangen. Es heißt dann: „Hey John, meine Tochter will unbedingt Schlagzeug spielen. Ist das nicht toll?“ Ich erwidere immer nur, dass sie kein Geld für ein Schlagzeug verschwenden sollen. Darauf hört natürlich keiner und nach vier Monaten steht es ungenutzt in der Ecke und die Kinder wollen lieber ein Pony oder Skateboard. Ich behaupte nicht, dass es keiner von ihnen ernsthaft will. Aber es ist hart, es richtig zu lernen.

Hast du viel geübt?
Nie.

Ehrlich?
Stell dir vor, du bist Jazz-Drummer. Dann übst du den ganzen Tag. Da geht es um Nuancen, Ausdruck, Tempo, Variationen.. Ich habe mit Rock und Hardcore angefangen. Das ist ein anderer Background. Wenn man einmal den Punkt erreicht hat, einen eigenen Sound entwickelt zu haben. Dann war’s das. Klar, gibt es die physische Komponente. Wenn ich acht Monate lang nicht mehr gespielt habe, dann braucht es eine Weile, bis man wieder reinkommt und der Körper sich daran gewöhnt.

Hat sich sonst körperlich etwas geändert? Du bist jetzt 47.
Ja. Ich bin noch körperlicher geworden. Es gehen bei mir viel mehr Sachen kaputt als noch zu Helmet-Zeiten. Meine Becken brechen öfter.

Das könnte aber auch daran liegen, dass deine Becken zwei Meter hoch hängen.
Stimmt. (lacht)

Battles Ladidadi Cover

Battles „La Di Da Di“ ist auf Warp Records erschienen.

Wo hast du den Schmäh eigentlich her?
Es war eigentlich nur ein Witz, den ich zur allerersten Battles-Show gemacht habe. Aber danach meinten alle nur: Bitte, lass es so.

Es gab eine Zeit, in der du als DJ HipHop aufgelegt hast.
Das ist gut 15 Jahre her. Da habe ich tatsächlich sechs Abende die Woche aufgelegt. Das ging knapp drei Jahre lang so in New York. Lange Zeit habe ich davon meine Miete finanzieren müssen.

Wie hat sich das damals für dich angefühlt?
Es ist ein komplett anderer Lifestyle. Was gänzlich Anderes zu dem, was ich bis dahin gemacht habe.

Gibt es Überschneidungen zwischen Auflegen und Schlagzeugen?
Kaum. Das Auflegen ist für mich eher ein technischer Beruf. Natürlich kommt es auf das Genre an, aber eigentlich bedeutet Auflegen, die Stimmung des Publikums genau zu analysieren und so zu entscheiden, welche Platte als nächste passen könnte. Dann geht es darum, wie man die Platte reinbringt, wie man wieder raus kommt.

Spielt HipHop immer noch eine Rolle in deinem Leben?
Nein.

Wieso?
Naja, sagen wir mal so. Ich musste ja irgendwas spielen. Ich habe in der Regel sechs Stunden am Stück in irgendwelchen Lounges und Clubs aufgelegt. Das waren vier volle Plattenkisten. Da gehörte es dazu, HipHop zu spielen.

Du bist jetzt über 20 Jahre dabei. Gibt es etwas, das du jungen Musikern auf den Weg geben möchtest?
Das klingt ja hochtrabend. Ich sollte der letzte Mensch sein, der irgend welche Ratschläge erteilt. Außer den einen: Lasst es! Macht etwas anderes!

Hast du je bereut Musiker geworden zu sein?
Nein. Kein Leben ist immer perfekt. Ich mache das aber nun schon so lange, ich sehe auch einfach keine Alternativen mehr für mich.

Vor einigen Jahren traf ich deine Bandkollegen Dave Konopka und Ian Williams. Wir haben über Loops gesprochen und dass das Repetitive eine so wichtige Rolle bei Battles spielt. Macht es einen Unterschied mit so vielen rechnerbasierten Samples und MIDI-Signalen zu spielen, im Gegensatz zu lupenreinen Rockbands wie Tomahawk?
Das sind komplett unterschiedliche Sachen. Battles ist speziell, weil hier der Loop die treibende Kraft der Musik darstellt. Eigentlich ist der Loop der Drummer und ich spiele zum Loop nur etwas dazu. Wir spielen alle zum Loop. Ian und Dave spielen nach mir und ich spiele nach dem Loop. Bevor ich mit Battles anfing, war ich denkbar schlecht darin, mit Click zu spielen. Ich habe es gehasst. Heute kann ich mir bei der Band kaum noch vorstellen, ohne zu spielen.

Heißt, es ist ein analytischeres Schlagzeugen im Gegensatz zum intuitiven Rockdrumming?
Das könnte man sagen. Bei Battles fühlt es sich eher wie ein mathematischer Prozess an. Aber ich finde auch, dass das Drumming melodiöser ist, weil die Loops eine Art Fundament darstellen. Das lässt mich entspannter aufspielen, einen anderen Zugang zu bekommen. Bei anderen Bands ist es meine Aufgabe, Schlagzeug zu spielen. Nicht mehr und nicht weniger.

Battles Bandfoto Grant Cornett Gelb

Was bedeutet es für dich, in einer Band zu spielen?
Durch meine Bands habe ich unglaublich viele Menschen kennen gelernt. Habe viel von der Welt gesehen. Ich würde nicht in Berlin leben. Es ist ein seltsamer Lifestyle, manchmal leichtsinnig, waghalsig und auch gefährlich.

Lass uns über die 90er-Jahre und Rockmusik reden. Die goldene Ära von Labels wie Sub Pop, Stile von Indie bis Nu Metal. Pantera und Sepultura waren Nummer 1 in den Album-Charts. Was ist heute mit Rock los? Irgendwie scheint sich kaum einer noch dafür zu interessieren.
Ja, das ist wirklich seltsam. Es hat sich in letzter Zeit viel im Bereich Marketing und Promotion von Musik verändert. Es ist komplexer und aufwendiger geworden. Es ist nicht mehr so einfach wie damals, als es genug war, ein Video bei MTV und eine Single im Radio laufen zu haben. Diese Welt existiert nicht mehr. Heute geht es plötzlich um Sachen wie Sharing und Streaming. Was Rock betrifft, gibt es heute noch immer Millionen junger Bands, von Emo bis Metal, die einfach spielen und es funktioniert. Ich höre selber nicht mehr viel Rock und finde es schwer, dazu einen Zugang zu finden. Es gibt heute aber auch zu viele Genres und Stile. Elektronische Musik spielt dabei eine wichtige Rolle. Wie viele Spielarten es da alleine mittlerweile gibt. Ich kann mich an die Zeit Ende der 90er erinnern mit Acts wie The Prodigy, Daft Punk und wie hießen die noch?

Battles JOhn STanier Drums

Aus Joke mach Markenzeichen: das meterhohe Becken bei John Stanier | Bild via Discogs

Chemical Brothers?
Genau! Diese Acts haben plötzlich große Festivals bespielt und konnten ein Mainstream-Publikum erreichen. Bis dahin war Techno für die meisten nur was für Bekloppte von Bekloppten, was im Underground stattgefunden hat. Aber auch dieser Trend war irgendwann vorbei. Heute glaubt man, dass EDM alles ruinieren wird und das Ende von allem bedeutet. Das geht vorüber. Trends sind doch dazu da, damit sie wieder abebben.

Glaubst du, dass EDM alles ruiniert?
Nein. Aber die Art und Weise, wie Musik heutzutage transportiert wird, ist schon speziell. Es ist heute ohne allgemeines, historisches Popkulturwissen möglich, sich in dieser Welt zu bewegen. Es ist einfach geworden, sich all die Sachen herauszupicken, die man mag. Man bewegt sich in einer Komfortblase. Jede News, jede neue Musik ist heute nur eine Fingerberührung von deinem Smartphone entfernt. Bei mir führt das genau dazu, dass ich immer weniger Musik hören möchte. Es bewirkt bei mir das Gegenteil. Ich will keine News von irgendwelchen Bands checken und ihren neuesten Scheiß hören, während ich auf dem Weg von A nach B bin.

Wie würdest du die Unterschiede zwischen heute und den 90ern beschreiben?
Die Unterschiede sind massiv. Wobei ich nicht sagen will, dass das eine besser als das andere ist. In den 90ern hast du ein Album gemacht, es kam raus und es war ein Riesending. Es gab keine Leaks. Du machst die Single, drehst ein Video dazu. Danach bist du um die Welt gereist und hast Tourneen gespielt. Damals kam uns das Prinzip kompliziert vor. Aber im Vergleich zu heute ist es wie aus der Steinzeit. Heute musst du viel mehr kommunizieren, ganz andere Promotion-Strategien fahren. Heute geht es doch darum, nicht die Aufmerksamkeit der Leute zu verlieren. Die Aufmerksamkeitsspannen sind kurz geworden. Aber ich vermisse die 90er nicht im Geringsten. So einfach die Zeit noch war, so langweilig war es irgendwie auch.

Was hältst du davon, dass sich zur Zeit so viele 90er-Bands wiederfinden und auf Tour gehen? Was denkst du, wenn du an einem Helmet-Konzertplakat vorbeiläufst?
Puh. Ich weiß nicht. Das kann ich nicht kommentieren. Sollen sie halt machen. Aber es stimmt, in den letzten fünf Jahren fing dieser Trend irgendwie an. Ich will das aber nicht pauschalisieren. Als die Pixies ihre Reunion hatten, war das ein großer Erfolg. Dann kommt aber der nächste Act und es floppt total. Die Chancen, dass so was funktioniert, sind 50/50. Mich kümmert es an und für sich nicht, wenn Bands meinen, wieder spielen zu müssen. Aber man möchte auch gerne fragen: „Wieso macht ihr das überhaupt? Welcher Grund bringt euch auf die Bühne zurück?“ Wenn Leute das Bedürfnis haben, ihre frühere Lieblingsband wieder live zu sehen: fair enough. Bitte. Go for it. Sollen sie ihren Spaß haben.

Ich wollte nicht, dass du jetzt darüber richtest.
Das habe ich auch nicht so verstanden. Aber ich finde es wirklich seltsam. Mir geht es nicht in den Kopf, dass Bands, die vielleicht nur mäßigen Erfolg hatten, sich teils im übelsten Streit aufgelöst und zehn oder 15 Jahre nicht miteinander geredet haben, plötzlich wieder auf die Bühne gehen und erzählen, dass sie schon immer eine „persönliche“ Verbindung gespürt haben. Dass man sich nach der gemeinsamen Chemie von damals gesehnt hätte. Also bitte.

Du wohnst in Berlin. Das habe ich bis gerade eben nicht gewusst.
Seit vier Jahren. Ich habe aber noch eine Wohnung in Brooklyn.

Leute vergleichen seit einiger Zeit gerne Brooklyn und Berlin. Wie siehst du das?
Da könnte man Stunden darüber philosophieren. New York hat sich stark verändert. Die Stadt existiert irgendwie nur noch in meinem Kopf, auch wenn ich sie noch immer liebe. Die Band kommt daher. Ich bin froh, noch immer einen Platz dort zu haben. Aber es ist eine Hassliebe. Die Stadt hat mich in vielerlei Hinsicht geprägt. Aber sobald ich einmal dort bin, bekomme ich sofort wieder Depressionen. Daher bin ich glücklich, mit Berlin einen zusätzlichen Lebensmittelpunkt gefunden zu haben.

John Stanier Portrait Oye

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