Plattenkritik: Andy Stott, Arca, ObjektDrei neue Alben im Streitgespräch

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Der eine ist der Botschafter des dunklen Rumpelns, der andere baut Beats für FKA Twigs, der dritte sucht die Emanzipation vom Techno. Drei Alben, die unterschiedlicher nicht sein könnten, aber doch unbedingt zusammen besprochen werden müssen. Tanzen kann man zu allen drei nicht so wirklich. Gebt bitte dennoch auf euch acht, auf diesen Paralleluniversum-Dancefloors.

Stott - Faith In Strangers

##Andy Stott - Faith In Strangers (Modern Love)

Michael Döringer: Ein episches Intro - der Stott weiß genau, wie gespannt der eine oder die andere darauf ist, auf welche neuen Wege er seine Musik schickt. Wie er hier Atmosphäre aufbaut und genüsslich dahinkomponiert, das deutet schon an, wie dieses Album wird. Endgültig Schluss mit rostigen Öltanker-Beats und Dub-Techno-Kaltschnäuzigkeit wie z.B. auf „Passed Me By“?

Christian Blumberg: Ich assoziiere hier bislang nur deutsche Waldhörner. Es würde mich nicht wundern, wenn gleich ein Jägerchor um die Ecke käme.

MD: Laut Info-Blatt ist das tatsächlich ein Euphonium.

CB: Ich mag wie das tutet, aber es suggeriert auch gleich so eine Bedeutungsschwere. Man merkt sofort: Dieses Album nimmt sich ziemlich ernst.

MD: Ich bemerke eher einen entspannten Gestus – ambitioniert? Ja, aber Stott schüttelt das alles auch ganz locker aus dem Handgelenk, so klingt jedenfalls „Violence“ für mich: Ganz gediegen und hübsch schleppt es sich dahin, und dann: Vocals, von seiner ehemaligen Klavierlehrerin, die schon auf der letzten Platte viel gesungen hat. Wunderschön. Ein Hauch Cocteau Twins?

CB: Nicht nur ein Hauch! Aber hier irgendwie falsch kanalisiert: Das ist doch strukturell eine Rockballade. Nach zwei Minuten hingehauchtem Intro geht der Spot über dem Drummer an und dann wummert das so hüftsteif los. Aber das eigentliche Stichwort für die Platte ist Pop.

MD: Wenn man so will, ja. Er versucht über weite Teile weder besonders komplex zu sein, noch das Rad neu zu erfinden. Das mündet in eher simpleren Songs, die aber mit einer Überzeugung daher kommen, die ich sehr authentisch finde, um mal beim Rockvokabular zu bleiben. Jetzt bei „On Oath“ wird es zwar ein bisschen vertrackter, doch dann singt wieder dieser Engel in der steinernen Kathedrale zu Manchester. Noch mal ein ganzes Stück verträumter als auf „Luxury Problems“ und weit weg vom Nihilismus der beiden EPs von 2011.

CB: Zuletzt hat Stott ja Clubmusik gemacht, die mit dem reinen Club-Business wenig zu tun hatte. Die letzten Releases haben stattdessen immer eine Außenperspektive auf den Club formuliert. Das machte sie für mich interessant, aber hier ist diese Perspektive verschwunden. Die Song-orientierten Stücke, die „Faith In Strangers“ einleiten, scheinen mir eher aktuellen, verhuschten Popentwürfen hinterherzulaufen. Mir gefällt das zwar, aber ich fand Stott schon origineller.

Andy Stott Portrait

MD: Wir wären doch alle enttäuscht, wenn noch mal eine solche Platte gekommen wäre - das hier ist eine nahtlose Weiterentwicklung des letzten Albums. An die Stelle des Meta-Clubsounds ist aber etwas anderes getreten, das in „No Surrender“ plötzlich reinplatzt wie ein Bombe, nach zwei Minuten sakralem Synthiegeknister: Jungle, oder zumindest ein deutlicher Verweis darauf. Dort liegen Stotts Wurzeln, denen er schon mit dem letztjährigen Millie&Andrea-Album zusammen mit Miles Whittaker von Demdike Stare gehuldigt hat. Nun ist das Jungle-Revival ist aber auch schon ein alter Hut, nicht? Selbst Lee Gamble klingt jetzt anders. Sind dir diese gröberen Parts lieber?

CB: Unbedingt, vor allem „Damage“, wo einfach ein massiver Loop durchläuft. Das will nicht so viel, daher kommt mir dieser Turn zum Jungle wie eine Befreiung für das ganze Album vor. Das schleicht sich ja ins Album, bleibt dann aber auch nicht zu lange. Hintenraus wird es eher elegisch.

MD: Und da kommt meine Lieblingsnummer, der Titeltrack, und der ist so warmherzig, wie es wahrscheinlich bei den Stotts zu Hause war, während Papa diese Musik gemacht und Frau, Kind und Hund im Wohnzimmer auf ihn gewartet haben. Warum werde ich jetzt so kitschig?

CB: Weil der Track stark nach Indiedisco riecht!

MD: Du warst wohl schon lange nicht mehr in einer Indiedisco. Weißt du was da mittlerweile läuft?

CB: Nein, ich vermute: Techno?

MD: Eben. Der leichte Schmusefaktor dieser tollen Platte rührt wohl daher, dass es Andy Stott ziemlich gut geht. Daran hab ich gerne Teil.

CB: Wenn du kuscheln willst, können wir ja jetzt Arca hören.

Arca - Cover

##Arca - Xen (Mute)

MD: Vorhin haben wir noch darüber nachgedacht, ob das denn ein Konzeptalbum sein könnte. Keine Ahnung! Ich fühle mich aber direkt unter Wasser. Und es tranct, das könnte anstrengend werden. Stichwort: überambitioniert. Oh, Panflöten?

CB: Ich habe auch sofort „Trance“ gedacht. Die entsprechenden Sounds ziehen sich auch über das gesamte Album. Zugleich sind die Tracks auch Anti-Trance, weil sie für die klassische Hypnose-Nummer viel zu zerfahren sind. Wow, klingt das alles gut. Ist das jetzt zu viel Zurschaustellung von Produzenten-Skills für dich?

MD: Das letzte was ich machen würde, ist, jemandem seine Skills vorzuwerfen. Ich höre hier nur jemanden der sich sehr anstrengt, etwas Besonderes zu fabrizieren – klappt auch. Der Titeltrack, der gerade läuft, ist echt beeindruckend. Hyperaktiv, irgendwie gelähmt, vollgepackt mit Referenzen, aber schön idiosynkratisch verwurschtelt. Ich habe ganz starke Aphex-Twin-Momente, im Mixer mit Shoegaze und Ketamin. Alles so schön krumm.

Arca Portrait

Foto: Daniel Sannwald

CB: Wenn man bedenkt, dass Arca der Typ ist, der die Beats für Kanye West, FKA Twigs und Björk baut, dann sind überraschend wenig Beats auf dem Album. Der tatsächliche Kern – und das war ja bei seinem gehyptem Mixtape vom letzten Jahr noch anders – sind modulierte Streicher und Pianos. Ein Track wie „Failed“ könnte auch das Fragment irgendeines italienischen Filmkomponisten aus den 70ern sein. Aber bei Arca klingt so etwas trotzdem nach Gegenwart. Genau deswegen funktioniert es so gut, oder?

MD: Ja, und wenn man sich an IDM erinnert fühlt, dann nicht, weil hier auf einen alten Sound zurückgegriffen wird, sondern weil diese Musik maximal komplex in ihren Strukturen ist. Der Sound ist modern, weil er ziemlich eigenständig ist. Ich finde kaum Vergleiche. Ein Gebräu aus allem, was man vielleicht mal irgendwo gehört hat, eine Art Mosaik. Hier in der Single „Thievery“ ist es wieder Trance, aber Arca lässt das lustigerweise total modern und cool klingen. Ok, Hype gerechtfertigt. Aber wenn da jetzt noch Björk singen würde, würden meine Synapsen platzen.

CB: Hype gerechtfertigt, stimme ich zu. Mutmaßlich könnte man „Xen“ in zehn Jahren jemandem vorspielen, um so etwas wie die klangliche Quintessenz von 2014 zu vermitteln.

MD: Schön wär’s, aus der Nischenperspektive vielleicht. An der Oberfläche ist 2014 leider Caribou-Langeweile.

CB: Vielleicht. Aber es gibt noch Hoffnung, dass sich in zehn Jahren niemand mehr an Caribou erinnert. Nächster Hype: Objekt. Auf PAN. Kreisch!

Objekt Cover

##Objekt- Flatland (PAN)

MB: Gute Kombination - PAN ist doch wirklich ein Label, das in den letzten Jahren seinen Hype nicht aus kurzlebigen Trends gezogen hat, sondern immer aufregende und vielleicht manchmal zu anstrengende Platten gemacht haben. Die letzte Maxi von Objekt auf Leisure System fand ich toll, das war aber auch ein sehr straighter, melodiöser Electro-Track. „Flatland“ klingt von Anfang an minutiös konstruiert. Und knackig. Architektur-Techno, mein neues Lieblingswort. Was kommt da jetzt?

CB: Zunächst mal Geknatter. Ganz grundsätzlich gefällt mir nicht, wie hier mit den Drums umgegangen wird. Diese scharfe Cut-Up-Ästhetik der ersten Tracks, das ist doch reines Kunsthandwerk. Vielleicht entgeht mir die Idee dahinter. Kurz: Ich kapier’s nicht, aber fühlen tue ich auch nichts. Deswegen ist mir das ein bisschen egal.

MD: Ich finde den Sound auch nicht sehr anziehend, so spontan, mir fehlt da auch etwas, um eine, Achtung, emotionale Verbindung aufzubauen. Bemerkenswert aber, dass jeder Track doch ganz abenteuerlich gebaut ist. Ich kann kein Schema erkennen, und das ist ja immer eine Leistung. Vor allem weil Objekt stellenweise sehr tanzbar wird und einen schönen industriellen Groove reinkriegt. Es klingt nicht nach Autechre, aber ihre Geister schwirren hier rum.

CB: Also schon wieder IDM-Revival? Mir fehlen klangliche Überraschungen. Es klingt satt und clean und ein bisschen langweilig. Kein einziger Sound, an dem man wirklich hängenbliebe. Trotzdem clevere Tracks. Vielleicht sind wir viel zu kritisch. Das Album ist ja viel interessanter als zum Beispiel, äh ...

MD: ... Caribou?

CB: Ja.

MD: Das ist ein schönes Schlusswort.

Andy Stott, Faith In Strangers, erscheint Mitte November auf Modern Love / Arca, Xen, erscheint am 3. November auf Mute / Objekt, Flatlands, ist auf Pan erschienen.

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