„Wir wollen den Sound Berlins neu beleben“DJ Spit im Interview

DJ Spit Portrait

Fotos: Nick Androbik

DJ Spit verfolgt eine klare Vision: eine Zukunftsmusik, bei welcher der Fokus auf bestimmte Genres obsolet ist. Raus aus dem Loop immerwährender Neuauflagen in Sachen House und Techno, rein in eine fluide, immer wieder überraschende Sound-Ästhetik. Seine Sets mäandern gekonnt durch Styles und schlagen oft Brücken zu interkulturellen Dance-Music-Sounds, beziehen sich auf UK Garage und scheuen sich nicht vor ballerndem Rave.

Es ist Wochenende, ein Nieselregentag. Im Café in Berlin-Friedrichshain ist es proppenvoll. Ich sitze mit DJ Spit in der hintersten Ecke. Zügig wird bestellt und schon beginnt der musikalische Deeptalk. Wie sich schnell herausstellt, war Paul schon immer musikversessen. So sehr, dass er schon früh an Plattenspielern rumfingerte und stundenlang Musikdokus verschlang. Jetzt hängt DJ Spit schon seit einer Weile als dicke Hausnummer über Berlins Nachthimmel und „zockt Platten“, wie er es nennt. Und wie klingen seine Sets? Detailverliebt und futuristisch – mit Breaks und Bass. Seit ungefähr fünf Jahren spielt der 27-Jährige regelmäßig Gigs – erst im deutschsprachigen Raum, dann kamen Länder wie Polen und Frankreich und natürlich Städte wie London dazu. Die Pandemie kappte die Entwicklung. Nach diesem Standby-Modus nahm die Karriere von DJ Spit jedoch erst richtig Fahrt auf. Mittendrin finden sich Gigs in Tiflis, Hongkong und Melbourne. Der Kaffee ist ausgetrunken – die Erlebnisse und Visionen sprudeln aber weiter. Dazu eine klare politische Haltung zu subkulturellen Entwicklungen insgesamt. Reden ist wichtig. Dinge umsetzen, noch besser. Was das konkret bedeutet? Lernen wir. Es geht um nichts weniger als einen Entwurf für einen neuen Berliner Sound.

Lass uns vorne anfangen. Wie wurdest du musikalisch sozialisiert?
Zu Hause lief vor allem Rock und Metal: Black Sabbath, Deep Purple, Led Zeppelin. Mein Vater hat mich damals zu Konzerten mitgenommen, ich habe die Intensität und Message der Musik sehr gemocht. Diese Community ist super. Und ehrlich gesagt total unterschätzt. Der Dreh zur elektronischen Musik kam aber über meine Mutter, die ich regelmäßig in Köln besucht habe. Wir waren zum Beispiel gemeinsam auf den Pollerwiesen. So richtig gecatched hat mich Techno mit 16 Jahren, als ich auf einer Party war und Jeff Mills lief. In meinem Heimatort habe ich in einer Bar gearbeitet und bin immer mehr mit der Musikrichtung in Kontakt gekommen. Mit 18 bin ich dann nach Berlin gegangen.

Wie bist du dann DJ geworden?
Ich habe viel fotografiert und über meine Arbeit Club-Menschen, Promoter:innen und DJs in Berlin kennengelernt. Ich habe Kontakte geknüpft, hing in Plattenläden rum und habe mich sehr viel mit Musik beschäftigt. Ich wollte das einfach auch machen, es mir und anderen zeigen, dass ich auch Platten zocken kann. 2017 habe ich dann das erste Mal im About Blank und in der Griessmühle reinen Techno aufgelegt. Das war ein toller Einstieg. Wir haben uns immer getroffen und alle hatten neue Platten dabei, so wie man das auch schon vor 20 oder 30 Jahren gemacht hat. Wenn du mich fragst: Ich spiele lieber sechs Stunden Platten als CDJs, obwohl der Mehrwert von CDJs enorm ist.

Ich weiß, dass Künstler:innen nicht gerne in Genres gepackt werden. Dennoch: Wie beschreibst du selbst deinen Style?
Einzeln betrachtet kann man die Musik, die ich spiele, natürlich verorten. Aber es ist nicht mehr meine Aufgabe zu definieren, was ich daraus mache. Es passiert halt auch nie, dass ich ein Set zweimal spiele. Leute beschreiben meinen Style auch immer anders, als ich ihn selbst empfinde. Ich habe mir Ordner angelegt, in denen ich Musik sortiere: Future Base, perkussive Geschichten und so weiter.

Wie bereitet sich DJ Spit auf einen Gig vor?
Das ist ganz unterschiedlich. Manchmal habe ich drei oder vier Tracks, die ich einfach unterbringen möchte. Ich höre mir aber auch immer die Artists an, die vor mir, nach mir und auf anderen Floors spielen. Dabei ist es auch egal, wie bekannt die sind. Es gibt aber auch Sets, bei denen ich eine klare Linie verfolge und wo viel Zeit für die Vorbereitung drauf geht. Generell spiele ich allerdings sehr impulsiv, je nachdem wie der Vibe der Nacht ist.

Ich möchte als DJ nicht auf einem Podest stehen und mein Zeug runterspielen.

Und wenn dein Plan nicht aufgeht?
Wenn das, was ich ursprünglich vorhatte, nicht funktioniert, bin ich schon sehr flexibel. Dann spiele ich Evergreens oder eigene Tracks, von denen ich weiß: Die kennen vielleicht nicht alle, funktionieren aber auf jeden Fall. Ich möchte als DJ nicht auf einem Podest stehen und mein Zeug runterspielen. Ich werde dafür bezahlt bzw. habe ich das Glück, die Musik, die Leute mögen, in neuen Varianten zu spielen, so wie sie sie vielleicht noch nicht kennen. Und natürlich versuche ich auch, neue Musik unterzubringen. In gewisser Weise haben wir alle einen ähnlichen Musikgeschmack. Meine Aufgabe ist es, eine Verbindung herzustellen. Ich stelle mich nicht höher, gehe aber immer mit einer klaren Haltung an den Gig ran. Ich mache da schon meine Hausaufgaben. Die Interaktion mit den Gäst:innen ist für mich Geben und Nehmen. Dazu zählen auch Überraschungsmomente. Mein Augenmerk liegt mehr in der Vorbereitung und wie ich mich in der Nacht gebe. Ich kann mich zwar anpassen, ziehe aber auf jeden Fall auch mein Ding durch.

Bist du also gerne auf der sicheren Seite?
Manchmal geht das in die Hose, weil ich so unterschiedlichen Kram zocke. Es geht mir aber um den Respekt vor den Leuten und dem Club. Ich will da ja auch eine gewisse Substanz reinbringen. Ich mag es total gerne, Neues zu spielen und nur zwischendrin auch mal Tracks, die vielleicht etwas einfacher sind. Es gibt verdammt viele gute DJs da draußen, und natürlich möchte ich hervorstechen – ein bisschen um die Ecke denken. Ich will die Leute oder meine Freunde damit nicht educaten, aber ich möchte, dass der Eintritt von 10 oder 15 Euro auch etwas wert ist. Ich bin niemand, der besoffen hinterm DJ-Pult rumspringt und jede Woche die gleichen Tracks spielt. Eher jemand, der selbst von der Tanzfläche kommt, und das Glück hat, auf den coolsten Partys zu zocken. Meine Arbeit möchte ich so futuristisch und so authentisch wie möglich machen.

Was muss ein Track haben, damit er in deine Sammlung kommt?
Ich stelle mir immer vor, dass du einen neuen Track bei offenem Fenster im Auto hören willst. Dann ist er gut. Es gibt aber auch Stücke, die du lieber bei geschlossenem Fenster nur für dich hörst. Auch okay. Ich beschäftige mich 24/7 nur mit Musik. Ob ich mit 50 Jahren noch hinter den Decks stehen werde? Keine Ahnung. Vielleicht eher nicht. Ich möchte viel lieber in Richtung Kuration gehen. Es ist schön zu sehen, dass das alles keine Raketenwissenschaft ist, auch wenn du selbst natürlich eine Wissenschaft daraus machen kannst. Es geht darum, Details zu perfektionieren.

Du musst ein guter DJ sein, aber auch ein guter Mensch.

Dj Spit Portait 02

Dein Kalender ist voll mit Gigs. Die Events könnten größer werden und es könnte auch mehr Geld fließen. Wie gestaltest du deine Karriere?
Ich versuche eine Balance zu finden, wann ich in etwas mein Herzblut reinstecke und wann ich auf Distanz gehe. Klar könnte ich Gigs annehmen, bei denen ich mehr verdiene. Es gibt ja auch viele DJs, die unglaublich viel Geld verdienen. Ich möchte mich in einem Rahmen von Festivals, Künstler:innen und Communitys bewegen, in dem gewisse finanzielle Grenzen gesetzt sind und die Leute trotzdem glaubwürdig sind. Das ist an sich schon eine große Aufgabe. In diesen Kreisen kannst du dir nämlich nicht erlauben, ein Pisser zu sein. Das sind einfach tolle Szenen mit netten Leuten. Du musst ein guter DJ sein, aber auch ein guter Mensch. Authentisch sein, gerade als DJ. Ich will jemandem zuzuhören, mit dem ich Bock hätte, auch noch auf der Afterhour rumzuhängen und den ganzen Abend über Musik zu philosophieren.

Wie siehst du das Thema Booking und Gleichberechtigung?
Wir sind noch lange nicht da, wo wir sein müssten, es ist aber auch nicht alles schlecht. Bei den Events, auf denen ich spiele, ist es oftmals ausgeglichen. Es kommt aber auch darauf an, in welchem Land du spielst und in welcher Szene du dich bewegst. Ich bin öfters in Armenien und Georgien – dort dauert alles einfach etwas länger. Auf unseren Partys achten wir sehr auf Ausgeglichenheit. Wir geben uns da echt Mühe. In den wirklich großen Agenturen eine Riege über uns ist das egal – da spielen bei Veranstaltungen mit mehreren tausend Leuten dann wieder nur Typen und eine FLINTA DJ.

Du hast dich sehr viel mit der Geschichte elektronischer Musik beschäftigt und alles aufgesaugt, wie du mir vorher erzählt hast. Wie unterscheidet sich die Clubszene heute von früher?
Mein Vater sagte mir mal: Früher hat man auf die Schnauze gekriegt, wenn man die falsche Musik gehört hat. Wenn du aber heute Leute auf der Straße fragst, kennen viele ihre Lieblingsmusiker:innen nicht, selbst wenn sie totale Musikliebhaber:innen sind. Heute gibt es so viel Musik im Internet. Die Wege zwischen Genres, aber auch zwischen verschiedenen Jugendkulturen, werden kürzer.

Was verbindet dich eigentlich mit Marcel Dettmann? Ihr habt ja denselben Manager.
Marcel kommt ja aus der Generation, in der alles explodierte. Als ich die ersten Male im Berghain war, wurde er international gerade richtig groß. Am Anfang hatte ich natürlich etwas Berührungsängste, aber mittlerweile ist es einfach cool. Jetzt mit solchen Schwergewichten Clubs und Line-Ups zu teilen zeigt, dass man auf dem richtigen Weg ist.

Ist für dich ein Traum in Erfüllung gegangen?
Es ist ein traumhaftes Leben, was ich gerade führe. Ich stehe jeden Morgen auf und bin einfach nur glücklich. Das meine ich total ernst. Am Anfang war das schon utopisch für mich, auch mal auf der anderen Seite der DJ-Booth zu stehen. Mit Musik zu arbeiten, heißt konstanter Fortschritt. Jedes Jahr ist anders.

Hast du manchmal Sorge davor abzuheben?
Ich habe eine gute Freundin (lacht). Im Ernst, ich bespreche das ganz offen mit meiner Partnerin und meinen Freunden. Aber da sind wir wieder beim Thema, dass man nicht auf den Kopf gefallen sein darf. Es gibt einfach so unglaublich viele gute Leute in der Szene, die nicht nur gute DJs sind, sondern auch gute Menschen. Reality-Checks sind wichtig. Zu schauen, ob noch alles in Ordnung mit uns ist, ob wir uns verändert haben. Es ist schon schön, wenn dir Leute Komplimente machen. Aber ich mag es auch nicht, wenn sie dich auf ein Podest heben.

Wie sehen deine Zukunftspläne aus?
Ich möchte mit meinen Leuten unsere Plattform „Explorers“ aufbauen. Es dabei vor allem um eine musikalische Brücke zwischen UK und Berlin. Mir geht es dabei besonders um den Community-Gedanken. Dafür möchte ich einstehen und durch meine Arbeit auch der nachkommenden Generation eine Plattform geben. Wir wollen den Sound Berlins wieder neu beleben.

Klingt spannend. Aber welcher Sound ist damit gemeint?
Ich glaube, Berlin wird soundmäßig gerade nicht so ernst genommen. Wir hatten nämlich in den letzten zehn Jahren einen sehr definierten Berlin-Sound. Für diese Zeitspanne kann ich zumindest mitreden. Das ist mittlerweile wieder abgeebbt. Aus meiner Sicht werden in den internationalen Clubs heute wieder mehr Sounds aus New York, aus UK natürlich, Kiew oder Mexiko-Stadt gespielt. Musik aus Berlin ist da weniger dabei. Trotzdem ist Berlin natürlich immer noch die Techno-Hauptstadt der Welt, und wir haben nach wie vor die besten Clubs, zumindest, was die Bandbreite angeht. Aber soundmäßig dominieren auf Festivals wie Dekmantel gerade andere Sachen. Wir müssen also unsere Möglichkeiten nutzen und frische Musik in die Clubs bringen. Dazu zählt auch, dass wir uns musikalisch wieder mehr öffnen.

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