Review: Lenovo Yoga BookTablet? Digitale Kladde zum analogen Vollschreiben!

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Mit dem Yoga Book hatte Lenovo Anfang September auf der IFA einen der diesjährigen doch eher raren Aufmerksamkeitsvögel abgeschossen. Ein Tablet, verpackt in ein Laptop-Design. Doch da, wo im klassischen Notebook die Tastatur untergebracht ist, hat die Lenovo-Crew nur ein opulentes, 10“ großes schwarzes Loch untergebracht. Eine berührungsempfindliche Oberfläche, die sich je nach Anwendung in ein Keyboard oder eine digitale Leinwand verwandelt, auf der mit dem Stylus gemalt, gezeichnet oder geschrieben werden kann. Und wem das Digitale nicht taugt, legt Papier drauf und holt den Kugelschreiber raus. In der Wolke landen Doodles, Kunstwerke und Notizen so oder so.

Das Tablet als Produktivitätsmaschine? Ein Versprechen, das noch längst nicht eingelöst ist. Das Tippen längerer Texte auf dem glasversiegelten Display ist für Viele zu ermüdend, die Autokorrektur zu zickig, das virtuelle Keyboard nimmt zu viel Platz auf dem Screen ein, was die Arbeit an einem längeren Text wiederum zu unübersichtlich macht. Ein Tablet zieht Zubehör magisch an. Digitale Stifte für Künstler, Grafiker und Illustratoren, echte Tastaturen für Vielschreiber. Das funktioniert alles, zerstört aber oft genug eines der größten Versprechen eines Tablets: leicht, portabel, immer bereit zu sein. Zudem: Der Kern und Ausgangspunkt für kreative Arbeit, der persönliche Urknall sozusagen, ist für die meisten Nutzer immer noch an gelernte Prozesse geknüpft. Macht man sich Notizen, kommen Papier und Stift zum Einsatz, das Gleiche gilt für Bilder und Zeichnungen. Unser Gehirn mag analoge Gerätschaften, der Weg von der Idee zur Umsetzung ist schneller, nachhaltiger. Es bleibt mehr hängen, es ermöglicht ein assoziativeres Arbeiten. Und Schreiber brauchen ein Keyboard, ein echtes, so eins mit richtigen Tasten.

Dieses analoge Gefühl in die digitale Welt zu integrieren, das wollte bislang nicht recht klappen. Genau an dieser Stelle grätscht Lenovo mit dem Yoga Book rein. Ziemlich heftig, ziemlich geil.

Yoga Book 02

Tablet(iger)

Womit haben wir es hier nun genau zu tun? Das Yoga Book ist also ein Tablet. Trotz des Notebook-Designs ist es zugeklappt immer noch Tablet-dünn, konkret 9,6 Millimeter. Das ist wichtig, weil zu dicke und zu schwere Tablets doof und unpraktisch sind. Auch das Gewicht von knapp 700 Gramm ist Tablet-gerecht. Das Yoga im Book kommt vom Scharnier, das beide Teile zusammenhält und erlaubt, das Gerät in den unterschiedlichsten Verrenkungen zu nutzen und aufzubocken. Sprich: Das Display lässt sich einmal komplett umklappen. Dieses Prinzip hat Lenovo vor ein paar Jahren erfunden und ist ziemlich erfolgreich damit durchgestartet und vielerorts auch kopiert worden. Das Scharnier wurde über die Jahre ein Identifikationsmerkmal dieser Geräte mit immer mehr Bling-Faktor. Sieht schon speziell aus, Understatement geht anders, aber in einer Branche (are you listening, laptop makers?), die wirklich alles andere als hip daherkommt, ist es gut, ab und an mal auf den Tisch zu kloppen.

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Das Yoga Book gibt es in zwei Version: mit Android oder mit Windows. Beide Betriebssysteme greifen dabei auf die gleiche Hardware zu: einen Atom-Prozessor von Intel, 4 GB RAM, 64 GB Speicher (erweiterbar) und einen monströsen Akku mit 8.500 mAh. Die Android-Version kostet 500 Euro, die mit Windows 600. Wer eine SIM-Karte in das Tablet einstecken will, legt jeweils 100 Euro mehr auf den Tisch. In der Box befindet sich neben dem Yoga Book noch ein Stift (der „Real Pen“), in den sich sowohl normale Kugelschreiberminen als auch ein Stylus-Kopf für den digitalen Betrieb einsetzen lassen. Ah: Ein Schreibblock mit magnetischer Unterseite (das „Book Pad“) ist auch dabei. Wichtig. Denn bis hierhin ist das Yoga Book ja nur ein Tablet im Laptop-Design. Aber genau das ist nur die halbe Geschichte.

Dieser Text basiert auf zwei Wochen Ausprobieren der Android-Version. Lenovo und Android: Das war in der Vergangenheit immer wieder ein ziemlich trauriges Trauerspiel. Eine sinnfreie Oberfläche, überflüssige, vorinstallierte Apps und das eine oder andere „Alleinstellungsmerkmal“ führten zu eher mittelmäßiger Performance und Updates mit Verspätung auf Bundesbahn-Niveau. Auch beim Yoga Book greift Lenovo in Android ein. Anders als bei anderen Geräten jedoch bleibt dem Hersteller hier jedoch gar nichts anderes übrig: Design und Feature-Umfang des Geräts erfordern die eine oder andere Extrazeile Code. Da ist zunächst der neue Homescreen, für den sich Lenovo der Logik von Windows bedient. Am unteren Rand des Displays ist eine Taskbar integriert mit allen offenen Apps, die sich wiederum durch zweimaliges Antippen verkleinern bzw. in die Vollansicht überführen lassen. Das ist gut gelöst, angemessen performant und für so eine Art von Gerät auch ausgesprochen praktisch. Alle klassischen Tablet-Aufgaben erledigt das Yoga Book schnell und verlässlich. Schön, dass man ein Häkchen dahinter machen kann, aber eigentlich geht es beim Yoga Book ja um etwas ganz anderes, um die Verzahnung des Digitalen und Analogen, also den Schreibblock. Dass der wichtig ist, hatten wir ja bereits gelernt.

Stift(iger)

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Der Stift, mit dem wir zukünftig unsere Notizen und Mitschriften auf echtem Papier wie durch Zauberhand automatisch digital speichern sollen, ist angenehm leicht, liegt gut in der Hand und bedarf trotz magischer Schnittstelle ins Digitale keiner Batterie. Möglich wird das durch „EMR“, kurz für „Electromagnetic Resonance“. Der untere Teil des Yoga Book, also der, wo sich keine Tastatur befindet (das „Create Pad“) ist mit Sensoren ausgestattet, die die Bewegung des Stiftes erkennen, analysieren und in Grafik umsetzen. Papier oder direkt auf dem „Create Pad“? Vollkommen egal. Entscheidender der Hinweis, dass diese Technik von Wacom stammt. Das schafft Vertrauen. Der Stift selbst erinnert irgendwie an einen Lamy-Klassiker, leicht angepasst an die Bedürfnisse der Brooklyner Hipster. Will sagen: schwarz und robust. Wichtiges Detail: Mit einem normalen Kugelschreiber können keine Notizen digitalisiert werden. Dafür braucht es den Real Pen. Was wiederum bedeutet, dass man im Zweifelsfall immer zwei Minen dabei haben muss – eine mit Tinte und die mit dem Stylus. Das Wechseln der Minen ist, naja, etwas unkonventionell gelöst: Die Mine wird in einer Vertiefung der Stiftkappe eingehakt, dann drückt man die Kappe nach unten, was die Mine aus dem Stift löst. Das könnte eine Sollbruchstelle werden, während des Testzeitraums ging es jedoch immer gut.

Die Notizen landen in einer Lenovo-eigenen App: „Note Safer“. Die kann im Prinzip das, was andere Notiz-Apps auch können und funktioniert in der Version 1.0 schon sehr robust und überzeugend: Die Latenz zwischen händischem Schreiben und der Anzeige auf dem Display ist kaum merklich, das garantiert flüssiges Arbeiten. Wer die Windows-Version kauft, arbeitet mit dem Stift übrigens in OneNote.

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Klingt alles super, entpuppt sich aber auch als ein klein wenig unpraktisch.

Aber wie funktioniert das nun genau? Yoga Book aufgeklappt, Book Pad auf das Create Pad gelegt und losgeschrieben. Achten muss man darauf, dass der Block richtig ausgerichtet ist: Die Wulst oben kommt der schreibenden Hand sonst in die Quere, zumindest dann, wenn man das Yoga Book wie ein Laptop vor sich hat. Aber das ist ja ohnehin ein eher ungewöhnliches Format, wenn man etwas aufschreiben will, hochkant funktioniert das viel besser. Doch dann liegt das Gerät wie ein aufgeschlagenes Buch vor einem, und auch das will man ja vielleicht gar nicht haben. Wer in ein Notizbuch schreibt, braucht ohnehin keinen Bildschirm. Dankenswerter Weise hat Lenovo auch die Möglichkeit vorgesehen, das Yoga Book wirklich wie einen Block zu verwenden. Display umklappen (Bildschirm liegt also auf dem Tisch) und los geht’s. Ist die Seite des Blocks voll, schnell eine Taste gedrückt zum Speichern, umblättern und weiter. In der App können die verschiedenen Seiten später dann zu einem Dokument zusammengefügt und in alle Richtungen exportiert werden.

Das klingt alles super, entpuppt sich aber als ein klein wenig unpraktisch, denn: Das Display rutscht auf glatten Oberflächen spürbar. Also lieber entspannt in den Schoß mit dem Yoga Book. Dann funktioniert’s. Dann haben alle, die ihre handschriftlichen Notizen digitalisieren wollen und/oder müssen mit dem Yoga Book ein wirklich verblüffend gutes Werkzeug an der Hand. Dass das noch keinem anderen Hersteller eingefallen ist – fast schon irritierend. Erfreulicher Weise muss man übrigens weder Papier noch Ersatzminen bei Lenovo nachkaufen. Die Tintenminen sind Standard, und in das Book Pad lässt sich beliebiges Papier einspannen.

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Was hingegen nicht wirklich gut funktioniert, ist das Schreiben mit der Stylus-Mine direkt auf der berührungsempfindlichen Oberfläche. Das fühlt sich irgendwie ein bisschen lost an, funktioniert nur bei aktivem Bildschirm und auch wenn sich der Hintergrund linieren oder karieren lässt, entgleitet einem die Handschrift trotz der 2.048 Druckpunkte des Stifts. Diese Mitschriften lassen sich eher als experimentelle Kunstdrucke verkaufen. James Joyce wäre stolz, ganz bestimmt. Das unmittelbare Verwenden des Create Pads empfiehlt sich eher für Zeichnungen, entweder in der Note-App oder eben in anderen Zeichenprogrammen.

Yoga Book

Android

  • Display: 10,1“ (1.920 x 1.200)
  • Prozessor: Intel Atom
  • 4 GB RAM
  • 64 GB Speicher (erweiterbar)
  • Anschlüsse: microUSB, HDMI
  • Batterie: 8.500 mAh
  • Android 6
  • Farben: grau und gold

Preis: 499 Euro (WiFi) / 599 Euro (+ LTE)

Yoga Book 11

Yoga Book

Windows

  • Display: 10,1“ (1.920 x 1.200)
  • Prozessor: Intel Atom
  • 4 GB RAM
  • 64 GB Speicher (erweiterbar)
  • Anschlüsse: microUSB, HDMI
  • Batterie: 8.500 mAh
  • Windows 10 Home
  • Farbe: schwarz

Preis: 599 Euro (WiFi) / 699 Euro (+ LTE)

Keyboard(iger)

Und wie steht es um die auf Wunsch einblendbare QWERTZ-Tastatur auf dem Create Pad, sodass wir nicht nur handschriftliche Schlachtpläne machen und dabei blühende Landschaften malen können? Vorweg: Wenn man dieses „Halo Keyboard“ aktiviert (ein Knopfdruck, super easy), fühlt sich das schon mindestens genauso super futuristisch an. Wie das vertraute Layout eines Keyboards auf dieser schwarzen, vollkommen nondeskriptiven Fläche entgegen kommt, komplett mit Trackpad und Funktionstasten, ist reine Science Fiction. Man hat das Gefühl, als sei irgendwo ein hochpräziser Beamer oder Laser Pointer über einem installiert. Ziemlich sensationell. Und dann fängt man an zu tippen.

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Das eingeschaltete „Halo Keyboard“

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Das Keyboard ist ausgeschaltet und bereits für den Stylus

Die ersten zehn Minuten sind die Pest. Danach wird es schnell besser.

Es ist eine gute alte Android-Tradition, dass das Drücken einer virtuellen Taste mit einer Vibration quittiert und bestätigt wird. Eine gute alte Tradition ist auch, diese Werkseinstellung immer als erstes auf so einem Telefon auszustellen. Auf der Tablet-großen Tastatur des Yoga Book bringt dieses (ebenfalls deaktivierbare) Feature jedoch einen gewissen Mehrwert und Sicherheit. Bei jedem Buchstaben brummt das Tablet. Was auf dem Telefon immens stört, hilft hier bei der Orientierung der Synapsen. Und nach wenigen E-Mails bekommt man schnell ein Gefühl dafür, wie sich das Halo Keyboard beherrschen lässt. Kleinere Fehler macht man schon eine ganze Weile, das Einfuchsen ist dennoch möglich. Längere Texte? Im Leben nicht. Aber wer schreibt schon längere Passagen auf dem virtuellen Keyboard? Da ist er wieder, der Kampf des Analogen gegen das Digitale. Das Halo Keyboard, sagt Lenovo, lernt zudem stetig dazu, erkennt Muster, passt die Autokorrektur an usw. Blöd nur, wenn Apps wie Gmail diese Autokorrektur nicht unterstützen. Das Halo Keyboard ist sehr gut benutzbar, das ist wohl das Fazit, allein schon aufgrund der Tatsache, dass das Keyboard nicht auf dem Display wertvollen und wichtigen Platz mopst, sondern seinen ganz eigenen Bereich jenseits des Bildschirms einnimmt.

Yoga Book 10

Zukunft(iger)

Was will uns Lenovo mit dem Yoga Book sagen? Das wissen die Entwickler wahrscheinlich selbst nicht. Das Yoga Book ist ein merkwürdiger, gleichwohl sehr sexy daherkommender Hybrid aus Tablet und ... tja, was eigentlich? Laptop? Auf keinen Fall. Wirklich auflösen lässt sich das aktuell noch nicht. Lenovo hat tief in die Glaskugel geschaut und einfach mal vorgelegt. Wer nur ein Android-Tablet will, ist beim Yoga Book komplett falsch aufgehoben. Für den Startpreis von 500 Euro gibt es bessere und praktischere Alternativen. Die Art und Weise aber, wie hier das Analoge und das Digitale verheiratet wird, ist so beeindruckend wie nischig. Das Design ist sensationell, die Ideen sind brillant. Und wer auf der Suche nach einer digitalen Kladde ist, die sich analog vollschreiben lässt, bekommt mit dem Yoga Book die fast schon perfekte Lösung aller Probleme präsentiert.

Ob das jedoch eine Zielgruppe ist, mit der man nachhaltig Geld verdienen und wachsen kann, ist fraglich. Das ist aber ohnehin a) nicht unser Problem und b) viel zu früh für ein finales Urteil. Dass Lenovo beim Yoga Book bewusst auf die Wertschätzung und Integration gelernter und tradierter Techniken setzt, lässt tief blicken. Digital ist nicht alles. Ganz egal, wie alt und vermeintlich überholt Traditionen und Kulturtechniken sind: Das Eine schließt das Andere nie aus. Im Gegenteil: Disruption muss nicht schmerzhaft sein. Je sanfter und versöhnlicher Alt und Neu zusammenwachsen, desto versöhnlicher wird die Zukunft. Wie auch immer die aussehen mag.

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