Damals geflüchtet, im Heute gelandetBerlinale 2018: „Transit“ von Christian Petzold

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Foto: © Schramm Film / Christian Schulz

Nach längerer Zeit dreht Christian Petzold (Wolfsburg, Barbara) wieder einen Film ohne Nina Hoss. Tim Schenkl hat sich Transit angeschaut.

Über Hafenstädte wird gerne gesagt, dass sie das Tor zur großen, weiten Welt seien und man hier die besten Geschichten zu hören bekomme. Die Geschichte die Christian Petzold in seinem neuem Film Transit erzählt, spielt in einer solchen Hafenstadt: in Marseille. Es ist nur teilweise Petzolds Geschichte, denn „Transit“ basiert auf Anna Seghers’ gleichnamigen Roman, den diese kurz vor dem Ende des 2. Weltkriegs veröffentlichte.
Ein wenig fühlt es sich an, als versuche der deutsche Regisseur, mit dem Film einen persönlichen Neubeginn oder zumindest ein Reise in eine neue Welt zu wagen. Dies lässt sich vor allem an zwei Aspekten festmachen. Da wäre zuerst der Drehort, das sonnendurchflutete Marseille, das Petzolds Stammkameramann Hanns Fromm in kontrastreichen, präzise kadrierten Cinemascopebildern einfängt und welches so gar nicht an die bundesdeutsche Tristesse in Städten wie Wolfsburg oder den kühlen Charme Berlins erinnert. Der zweite Aspekt, der den vielleicht noch entscheidenderen Anteil daran hat, dass Transit sich nur bedingt wie ein Petzold-Film anfühlt, ist das Casting. Die beiden Hauptrollen besetzt Petzold mit Paula Beer (Frantz) und Franz Rogowski (Happy End), zwei noch unverbrauchten jungen deutschen Schauspielern, die sich beide hoffentlich noch möglichst lange vor den fatalen Auswirkungen schützen können, die die jahrelange Arbeit in großen Teilen der deutschen TV- und Fernsehlandschaft anscheinend unweigerlich mit sich bringt.

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Foto: © Schramm Film / Marco Krüger

Franz Rogowski spielt Georg, der sich zu Beginn des Films in Paris aufhält. Bald schon werden die deutschen Truppen die Stadt erreichen. Von einem anderen Flüchtenden erhält er den Auftrag, dem bekannten Schriftsteller Weidel zwei Briefe zu übergeben. Als Georg dessen Hotel erreicht, ist es bereits zu spät – Weidel hat sich das Leben genommen.
Gemeinsam mit einem verwundeten Flüchtenden macht Georg sich auf die Reise nach Marseille. Sein Begleiter verstirbt unterwegs, und so beschließt Georg, nachdem er Marseille erreicht hat, als erstes die Witwe seines Mitreisenden aufzusuchen, um dieser die traurige Nachricht zu überbringen. Als er an der Wohnung des Verstorbenen ankommt, trifft er zuerst auf dessen Sohn Driss. Die beiden spielen Fußball, und der Junge fasst schnell Vertrauen zu dem einsamen Fremden. Driss spricht ein wenig Deutsch. „Scheiße, Doppelpass und Borussia Dortmund“ waren die ersten Worte, die er lernte.
Da Georg im Besitz von Weidels Reisepass ist, fasst er den Plan, sich selbst als Weidel auszugeben und mit dem Visum des toten Schriftstellers nach Mexico zu fliehen. In den Straßen Marseilles trifft er wiederholt auf eine geheimnisvolle junge Frau (Paula Beer). Irgendwann findet er heraus, dass es sich um Weidels Ehefrau Marie handelt, die nichts vom Tod ihres Mannes weiß und verzweifelt nach ihm sucht. George und Marie beginnen eine Liebesbeziehung.

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Foto: © Schramm Film / Marco Krüger

Christian Petzolds Transit basiert auf einem historischen Stoff, doch der Regisseur bedient sich eines interessanten Kunstgriffs: Das Marseille des Films ist nicht das Marseille der 1940er Jahre, in dem Seghers’ Roman angesiedelt ist, sondern das Marseille der Jetztzeit. Trotzdem deuten viele Indizien auf die Vergangenheit. „Deutsches Reich“ steht auf Weidels Reisepass, die Briefe an ihn sind in Süterlinschrift geschrieben und viele Gespräche der Protagonisten verweisen eindeutig auf die Zeit des 2. Weltkriegs. Dadurch erhält Transit eine faszinierende Brüchigkeit und wird letztlich doch zum eindeutigen Petzold-Film. Denn auch die Protagonisten wirken wie Wiederkehrer aus einer vergangenen Zeit, die die französische Metropole wie Zombies heimsuchen, und reihen sich somit ein in die vielen Gespensterfiguren, die seit jeher die Filme Petzolds besiedeln.
Der Eindruck einer Geistergeschichte wird noch dadurch verstärkt, dass Petzold seine jungen Darsteller teilweise mit alten Weggefährten wie Barbara Auer und Matthias Brandt paart, deren Schauspielstil im starken Gegensatz zu dem stärker naturalistischen Spiel von Beer und Rogowski steht. Diese kurzen Auftritte haben fast schon Zitatcharakter, wirken wie ein Rückblick des Regisseurs auf sein eigenes Werk und gleichzeitig wie eine Heimsuchung aus den Tiefen des deutschen TVs.
Transit ist vieles: ein abstraktes erzählerisches Experiment, die Fingerübung eines gebildeten Filmkenners, eine Gespensterschichte, ein Kommentar zur Flüchtlingskrise und eine Verhandlung von Petzolds eigenem Werkzyklus. Doch eines ist der Film nicht, ein wirklich gelungenes und rundes Ganzes. Die unterschiedlichen Ebenen verschmelzen nicht miteinander, lassen sich auch nur schwer zusammen denken. Transit gelingt es nie, den Status eines Experiments zu verlassen, wirklich Film zu werden. Das wiederum kann man durchaus auch als Kompliment verstehen.

Transit
D 2018
Regie: Christian Petzold

Screenings während der Berlinale
Mi, 21.02., 18:30: filmkunst 66
So, 25.02., 16:45: Haus der Berliner Festspiele

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