„Wir verkaufen alles, was krumm ist“Im Berliner Supermarkt SirPlus gibt es gerettete Lebensmittel

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Fotos: Maja Seidel

Auf der Berliner Wilmersdorfer Straße, gleich neben einer dieser umgebauten Vorzeigefilialen von Rewe, gibt es seit September 2017 „SirPlus“. Ein kleiner Supermarkt, in dem sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über Kundschaft nicht beklagen können. Hier werden gerettete Lebensmittel verkauft. Nichts aus der Tonne, sondern das, was zu klein oder zu krumm geraten ist und in den regulären Läden keine Chance hätte. Und auch Produkte, deren Haltbarkeitsdatum fast erreicht ist, werden hier preisgünstig verkauft – an alle. Das Angebot kommt von Erzeugern, Produzenten und den Handelsketten. Was sonst weggeschmissen würde, wird so gerettet und verbraucht. Das Geschäft brummt, schon denken die Gründer schon über weitere Filialen nach. Um Profit geht es den Machern dabei nicht. Ganz im Gegenteil, wie Martin Schott im Interview erzählt.

Martin, wir sitzen hier in einem ganz besonderen Laden. „SirPlus“ heißt er. Ein bisschen eng ist es, die Kunden drängeln sich. Einer der Gründe: Hier gibt es eigentlich fast alles, nur eben viel viel preiswerter. Du hast den Laden mit gegründet. Erzähl mal, wie kam es dazu?
Ich habe einen guten Freund, der mich schon vor ein paar Jahren mit dem Thema, Lebensmittel zu retten, begeistert hat. Mit ihm zusammen habe ich SirPlus in Berlin gegründet, eine noch wachsende Firma, die Lebensmittel vor der Abfalltonne rettet und zu kleinen Preisen an Kunden weitergibt, aber auch an soziale Einrichtungen verschenkt. Ich habe einfach festgestellt: Lebensmittel retten, das ist es.

Du hast mit anderen zusammen schon eine ganze Weile vor der Firmengründung bei Foodsharing mitgemacht. Was macht ihr da eigentlich?
Foodsharing ist eine bundesweite Basisbewegung von Leuten, die Lebensmittel vor der Abfalltonne retten und an die verteilen, die sie brauchen, aber nicht immer bezahlen können. Ich war einer von diesen Gründungsleuten und bin immer noch dabei. Wir retten seit rund fünf Jahren Lebensmittel, die sonst in Abfalltonnen landen würden oder sich dort bereits befinden. Diese Retter werden immer mehr. Heute sind wir rund 33.000 Freiwillige, die in Deutschland arbeiten.

Du sagtest, dass du auch ein so genannter Mülltaucher warst.
Ich war – wie andere natürlich auch – so einer, der Lebensmittel aus Abfalltonnen der großen Supermärkte herausgeholt und verteilt hat. Eigentlich war das illegal, aber die Märkte haben meistens ein Auge zugedrückt. Diese Lebensmittel waren völlig in Ordnung, nur eben mal ein bisschen angestoßen oder das Mindesthaltbarkeitsdatum war kurz überschritten. Mir wurde dabei bewusst, dass in Deutschland die Hälfte aller produzierten Lebensmittel weggeschmissen wird. Die Konsequenz für mich: Ich rette immer noch Lebensmittel, aber jetzt innerhalb von SirPlus. Und die Rettung ist jetzt völlig legal. Keine Tauchaktionen mehr.

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Was bedeutet SirPlus?
Der Name kommt aus dem Englischen und bedeutet Überschuss. Wenn in der Wirtschaft Überschuss produziert wird, nennt man diesen Vorgang Surplus. Und Sir klingt ja umgangssprachlich auch irgendwie edel. Also: Unsere Lebensmittel, die wir retten und weitergeben, sind etwas Edles, etwas sehr Gutes, das wertgeschätzt wird. Mir persönlich und auch meinen Kollegen ist es sehr wichtig, dieses Verständnis zu vermitteln. Natürlich auch unseren Kunden.

Dieser Laden hier in Berlin-Charlottenburg ist der erste, in dem gerettete Lebensmittel verkauft werden. Alles ist da, was man so täglich braucht, um satt zu werden. Sehr viel Obst und Gemüse, Brot, Mehl, frische Sachen, Süßigkeiten, sogar Wein. Die Regale sind gut gefüllt, die Kunden sind begeistert, weil sie zu sehr günstigen Preisen einkaufen können. Wo kommen all die Lebensmittel denn her?
Beim Aufbau unseres ersten Ladens und damit der Firma haben wir sehr schnell mitbekommen, dass nicht nur in Supermärkten, sondern auch schon bei Produzenten, also bei Bauern zum Beispiel, große Mengen Lebensmittel weggeschmissen werden. Die Gurken oder Möhren sind aber einfach nur krumm oder zu klein und nicht etwa schlecht. In herkömmlichen Läden will niemand so ein Gemüse. Deshalb werden krumme Gurken gar nicht erst ausgeliefert, sondern der Landwirt schmeißt sie einfach weg oder lässt sie liegen. Genauso wie die zu klein gewachsenen Kartoffeln. Wir von SirPlus kooperieren deshalb mit den Produzenten. Wir holen alles ab oder lassen es liefern, das sonst eben unverkäuflich ist. Wir zahlen dafür einen geringen Betrag. In unserem Laden verkaufen wir jetzt alles, was krumm ist, aber auch Lebensmittel, deren Haltbarkeit begrenzt ist. Mit einem Riesenerfolg.

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Kommen zu euch überwiegend arme Menschen?
Das wissen wir eigentlich gar nicht. Unsere Kunden müssen ja nicht ihre Bedürftigkeit nachweisen, wenn sie bei uns billig einkaufen wollen. Niemand muss – wie bei der Berliner Tafel etwa – seinen Hartz-IV-Bescheid vorlegen. Ich denke, es kaufen auch Menschen unsere Produkte, denen es eigentlich finanziell gut geht, die aber durch ihren Einkauf hier ein Zeichen setzen wollen: gegen die Verschwendung von Lebensmitteln. Wenn ich mit Kunden rede, versuche ich auch klar zu vermitteln, dass man mit sehr einfachen Mitteln etwas gegen diese Verschwendung tun kann. Das finden unsere Kunden super.

„20 Prozent der Lebensmittel, die wir eigentlich verkaufen könnten, spenden wir.“

Der Laden hier ist der Anfang des gesamten Projekts. Was ist noch geplant?
Wir sind dabei, die geretteten Lebensmitteln auch in einem Online-Shop anzubieten. Es soll auch einen Lieferservice geben. Und wir wollen weitere Läden aufmachen und unsere Vision der Lebensmittelrettung bekannt machen. Ich bin als Director Operations verantwortlich für Organisation, und ich sorge dafür, dass auch neue Mitarbeiter Interesse für SirPlus finden. Wir beschäftigen zum Beispiel junge Leute, die hier im Projekt ihr freiwilliges soziales Jahr ableisten. Wir starten nun, mit geflüchteten Menschen zu arbeiten, die bei der Arbeit nebenbei auch Deutsch lernen. Der soziale Aspekt ist uns wichtig. Das bedeutet auch, dass wir 20 Prozent aller Lebensmittel, die wir eigentlich verkaufen könnten, jetzt spenden. An Hilfsorganisationen, an Obdachlosen-Initiativen, an Suppenküchen und andere.

Du hast gesagt, dass ihr mit dem Projekt nicht das große Geld machen wollt. Aber dennoch seid ihr als Unternehmen erfolgreich.
Du hast recht, wir wollen nicht reich werden mit SirPlus. Wenn wir mal Gewinne haben sollten, werden die wieder investiert in die Lebensmittelrettung oder Ähnliches. Wir hatten ja bei der Planung des Projekts überhaupt nicht das große Geld. Also haben wir über Crowdfunding im Internet für die Lebensmittelrettung geworben und Hilfe bekommen. Viele Leute haben uns großzügig unterstützt. Ohne diese Solidarität wäre es zur Ladeneröffnung im letzten September wahrscheinlich gar nicht gekommen. Uns hat das sehr geholfen, und wir hoffen natürlich auch jetzt noch auf Unterstützung, denn wir wollen ja weitere Läden eröffnen, noch mehr Mitarbeiter einstellen.

SirPlus Martin Schrott Porträt

Martin Schott ist 29 Jahre alt. Er ist in Berlin geboren und aufgewachsen, studierte nach dem Abi Maschinenbau. Erst mal, wie er sagt. Denn er wollte schon immer die Welt ein bisschen besser machen. Deshalb legte er den Fokus im Studium auf die nachhaltigen Energien. Doch das war nur der Anfang. Das Studieren ließ er dann sausen und begann stattdessen Lebensmittel zu retten.

Und einen digitalen Marktplatz soll es bald auch geben. Was steckt dahinter?
Mit einem digitalen Marktplatz, einer Internet-Plattform, wollen wir zum Beispiel Produzenten, Bauern und Lebensmittelkonzerne, aber auch Nichtregierungsorganisationen miteinander vernetzen. Wir hätten dann die Möglichkeit, noch viel mehr Lebensmittel zu retten und weiterzugeben. Aber alles nach einander. Ich habe so viele Ideen, meine Kollegen natürlich auch. Eine ziemlich neue Idee ist auch, dass die geretteten Lebensmittel direkt an andere Unternehmen preiswert verkauft werden. Wir wollen Catering-Unternehmen beliefern oder Firmen, die mit geretteten Lebensmitteln dann kochen könnten. Oder: Die krummen Gurken und das Brot, das wir retten, gehen an Firmen, die damit das Kantinenessen aufpeppen.

Euer Angebot verändert sich ständig.
Richtig. Gestartet sind wir ja überwiegend mit verpackten Lebensmitteln, dann kamen Obst und Gemüse dazu und jetzt bieten wir auch frische Sachen an, die in unseren Kühlschränken im Laden lagern. Also Butter, Milch, Joghurt oder Käse.

„Bei uns sparen Kunden wirklich Geld, tun aber vor allem viel Gutes für diese Erde.“

Wer bei SirPlus einkauft, spart viel Geld. Wie teuer oder wie billig sind die geretteten Lebensmittel?
Eine Frage, die ich oft beantworten muss. Ich sage: Grundsätzlich sind wir zwischen 30 und 70 Prozent preiswerter als der Supermarkt. Alle Kunden können bei uns also wirklich Geld sparen beim Einkauf, vor allem aber viel Gutes tun für diese Erde. Der Laden platzt aus allen Nähten, aber der nächste wird größer und gemütlicher. Eine kleine Kaffee-Ecke soll es da zum Beispiel geben, wo Kunden und Mitarbeiter ins Gespräch kommen. Wir alle zusammen werden in Zukunft hoffentlich eine Vision vermitteln, vielleicht eine ganz neue Perspektive geben, indem wir ihnen eine Arbeitsstelle in unserem Projekt schaffen, mit der sie sich identifizieren und den Gedanken der Lebensmittelrettung weitergeben.

Heißt das, dass auch die Produzenten eine andere Sicht auf ihre Arbeit und ihre Unternehmensstrukturen durch die Kooperation mit euch bekommen haben?
Auf jeden Fall. Diese andere Sicht gibt es ja schon. Mir ist auch wichtig zu sagen, dass unsere Partner – also Produzenten, Bauern, kleine Händler genau wie große Lebensmittelkonzerne – uns jetzt schon sehr unterstützen und auch an unsere Idee glauben. Wir verstehen uns nicht als Konkurrenten sondern als wirkliche Partner, die die Welt gemeinsam ein Stück besser machen wollen.

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