„Wir sollten über Eskapismus 2017 reden“Das Filter hat ein Live Escape Game gespielt

Sherlock Escape

Um sogenannte Live-Escape-Games ist in Deutschland gerade ein großer Hype entstanden. Für die einen der ultimative, analoge Thrill im digital dominierten Gaming-Zeitalter, für andere eine solide, amüsante Methode für Teambuildings. Das Filter wurde eingeladen, bei einem Escape-Game in Berlin dabei zu sein. Da lässt man sich nicht zweimal bitten und das passende Thema wurde auch schnell gefunden: Sherlock Holmes. Das Filter-Ermittlerteam musste in Holmes' Wohnung, um den vermissten Star-Detektiv zu finden. Eine knifflige, dunkle und teils klaustrophobische Angelegenheit. Aber wie gut fanden es die Beteiligten? Susann Massute, Ji-Hun Kim und Thaddeus Herrmann lassen das Spiel noch mal Revue passieren.

Ji-Hun: Also ich fand es eigentlich überraschend gut.

Thaddeus: Ging mir auch so. Interessant: Auch wenn man weiß, dass man jederzeit abbrechen oder um Hilfe bitten kann: Wenn die Tür zu ist, ist sie zu. Das war doch überraschend. Zugzwang. Zeitdruck.

Susann: Bei einer kleinen Gruppengröße von vier Leuten spürt man auch direkt mehr Verantwortung und einen größeren Drang konstruktiv zu handeln. Mit größeren Gruppen stelle ich mir das konfuser vor.

Ji-Hun: Hattet ihr Schiss?

Thaddeus: Nö, ich fand die Idee eher skurril, aber spannend. Games, egal ob mit Karten, auf dem Brett oder am Rechner, sind nichts, womit ich mich beschäftige, auch andere Indoor-Zeitvertreibe wie Paintball oder so, reizen mich gar nicht. Bei Adventures am Computer war ich zudem immer sauschlecht. Lieber schnell den Walkthrough runterladen. Aber: Ich kann mich gut erinnern, dass ich in den 90ern dieses Übergame „Myst“ sehr gemocht habe. Und das Prozedere ist ja eigentlich genau gleich: Rätsel lösen.

Susann: Viel seltsamer war es ja, sich die ganze Zeit bewusst zu sein, dass man beobachtet wird. Da überlegte ich schon dreimal, bevor ich eine Idee laut aussprach. Die Rätsel erinnerten vom Design schon sehr an Point-and-Click-Adventure und wer das kennt, hat dabei durchaus einen Vorteil. Ji-Hun, du hast ja ein, zwei Mal wirklich mit hilfreichen Eingebungen brilliert …

„Berechtigter Hype oder in drei Jahren so out wie Schwarzlicht-Golf? Ich meine, ein Escape-Game spielt man einmal und dann kennt man ja die Geschichte. Das ist bei Bowling und Go-Kart noch mal was anderes.“

Thaddeus: Justus Jonas!

Ji-Hun: Danke, danke. Ich fand es auch ein bisschen wie im Computerspiel aber in echt halt. Hatte mir vorgestellt, dass auch VR durchaus in die Richtung gehen könnte. Um Escape-Games wird ja gerade ein großer Bohei gemacht. Allein in Berlin gibt es dutzende Veranstalter und das Thema scheint ja gerade in Firmen als Teambuilding-Ding extrem angesagt. Wie habt ihr das gesehen? Berechtigter Hype oder in drei Jahren so out wie Schwarzlicht-Golf? Ich meine, ein Escape-Game spielt man einmal und dann kennt man ja die Geschichte. Das ist bei Bowling und Go-Kart noch mal was anderes.

Thaddeus: Das ist ja das Problem bei jedem Adventure, oder? Es braucht immer wieder neue Ideen, neue Welten, neue Ansätze. Einige Menschen, die das zum ersten Mal mitmachen, haben danach bestimmt keine Lust mehr auf weitere Ausflüge. Andere sind aber vielleicht erst recht Feuer und Flamme und wollen immer mehr. Ich kann den Teambuilding-Aspekt natürlich nachvollziehen. Hilfst du mir hier, dann auch, wenn es im Büro auf alles ankommt. Ich kann aber nicht einschätzen, wie „echt“ dieses Vertrauen, das man hier vermeintlich aufbaut, wirklich ist. Vielleicht bleibt es ja beim kurzen und knappen Thrill. Auch nicht schlecht.

Sherlock Escape Game 2

Susann: Generell fühlte ich mich nach diesem Erlebnis wieder daran erinnert, dass man irgendwie mehr spielen sollte. Fernab von der alltäglichen Arbeit kreative Lösungen zu finden und sich auch mal in einer anderen Rolle (sei es als Sondereinsatzkommando des Scotland Yard oder einfach nur mal als „Gruppenführer“) zu versuchen, hat schon etwas sehr Reizvolles. Und nach einer Stunde ist der Zauber auch schon wieder vorbei – in seiner Konzentriertheit hat das eher etwas von unterhaltsamer Alltagsflucht anstatt von nachhaltigem Teambuilding. Vielleicht muss das ja gar nicht durch so eine Optimierungsbrille betrachtet werden.

Thaddeus: Absolut richtig. Wir sollten lieber über Eskapismus 2017 reden.

Ji-Hun: Genau mein Gedanke. Der erste Escape Room in Deutschland hat August 2013 in München aufgemacht. Heute gibt es mindestens 277 Anbieter mit über 700 Escape-Rooms. Mich interessiert die Psychologie dahinter. Eskapismus kann eine Sache sein. Teambuilding die andere. Ich frage mich, ob Leute bei dem Spiel das Gefühl bekommen, was anderes, besonderes zu sein. Dabei aber wiederum im voll überwachten, abgesteckten und auch durchgeskripteten Rahmen. Kaum „Open World” also. Irgendwie signifikant für unsere Zeit. Ich fände so was outdoor, Blair-witch-mäßig nicht unspannend, auch wenn ich dann es bestimmt mit der Angst zu tun bekomme. Und? Irgendwann mal wieder?

Thaddeus: Klar, ich mag Suspense-Hygge. Der kontrollierte Rahmen ist das richtige Stichwort. Wir haben uns ja im Vorfeld problemlos auf das Thema geeinigt. Sherlock Holmes. Den DJ kennen wir alle, haben wir schon mal gehört und bestimmt auch gut gefunden. Wir hätten uns ein anderes Spiel aussuchen sollen, es werden ja mehrere angeboten. Weniger Komfortzone, mehr „Risiko“.

Susann: Etwa so risikoreich wie bei David Finchers „The Game“? Jahre zu spät habe ich erst kürzlich diesen großartigen Film gesehen, indem Michael Douglas als skrupelloser Banker in einem haarsträubenden Spiel gefangen ist. Das ist dann vielleicht die Zukunft des Escape-Games: Ohne abgesteckte Räume, ohne zu wissen, wann es losgeht.

Thaddeus: In diesen zunehmend unscharfen Zeiten dürfte das ja kein Problem sein.

Escape Berlin
Escape-Game.org

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