Review: iPad Pro 9,7“Groß, jetzt auch in klein

iPad Pro 9,7“ lead full

Apple hat das klassische 10“ große iPad radikal überarbeitet. Mit neuer Display-Technik, Unterstützung für den hauseigenen Stylus, dem aktuellsten und schnellsten Chip, frischer Kamera und Tastatur-Anschluss. Und klebt – natürlich – den Pro-Aufkleber drauf. Was dazu wohl der Laptop-große Bruder sagt, den man gerade erst seit einem halben Jahr kaufen kann?

Ein Gedankenexperiment. Rein in den Apple Store, mit der Kreditkarte wedeln, Personal ranwinken und raunen: „Ich will das beste iPad, das es gibt. Nicht das schönste, nicht das kleinste, nicht das größte, das beste, das technisch geilste Tablet, das ihr habt.“ Was passiert dann? Eigentlich müssten die Verkäuferinnen und Verkäufer schreiend wegrennen. Und hinten an der Genius Bar wird verstört gekichert.

Es ist alles andere als einfach mit den iPads im Frühling 2016.

Bis vor wenigen Wochen war in Tablet-Hausen alles klar wie Kloßbrühe. Das iPad Pro war der König der Apple-Slates. Gigantisch groß, gigantisch schnell, vor allem aber dank des vielleicht besten Stylus überhaupt eine ernstzunehmende Alternative für Kreative und ihre Wacom-Hardware. Die schreibende Zunft freute sich über eine in eine spezielle Schutzhülle integrierte Tastatur. Zumindest freuten sich diejenigen, die damit zurechtkamen und sich nicht am US-amerikanischen Keyboard-Layout störten. Dieses iPad Pro also war das erste iPad mit 4 GB RAM. Es war auch das erste iPad, an dessen Lightning-Anschluss Daten in USB-3-Geschwindigkeit übertragen werden konnten. Zwei Mal Speed, zwei Mal Pro. Dazu der schnellste Prozessor, den Apple je entwickelt hat und ein Display, das mit 12,9“ Größe definitiv auf Laptop-Niveau ist und genug Pixel hat, um den Bildschirminhalt zweier „normaler“ iPads abbilden zu können. Nebeneinander. iOS beherrscht das ja mittlerweile, die parallele Darstellung zweier Apps Seite an Seite. Und auf dem großen Pro ist genug Platz, um dieses Feature auch ohne Augenkneifen nutzen zu können.

Das iPad Pro war also der King. Bis zum 21. März. Da begab sich Apple auf Schrumpfkurs. Mit kleinem Telefon und einem neuen, kleineren iPad Pro. Kleiner? Das bedeutet: Apple staucht das iPad Pro wieder auf erprobtes Niveau, also eine 9,7“ Bildschirmdiagonale. Gleicher Name, fast gleicher Inhalt. Jetzt wird’s ein bisschen weird.

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iPad Pro 12,9“ (2015) vs iPad Pro 9,7“ (2016)

Neuer Fokus

Dass Apple auch ein kleineres Tablet auf den Markt bringt, das sich mit dem Pencil nutzen lässt, ist zunächst natürlich begrüßenswert. Pro heißt nicht zwingend auch groß, nicht jeder braucht einen 13"-Monitor im Rucksack, Kreativität hin oder her. Steht einem diese Fläche jedoch zur Verfügung, macht das Multitasking wirklich Sinn, es ist einfach genug Platz vorhanden. Lässt sich dieses Versprechen problemlos auf einem kleineren Display um- und einlösen? Der Reihe nach.

Was im direkten Vergleich sofort auffällt: Das kleine Pro ist ein mindestens ebenso guter Zeichenblock und ein deutlich besseres Notizbuch. Ausschlaggebend dafür ist vor allem, wie wir in den vergangenen Jahren gelernt haben, mit Tablets umzugehen. Sie auf der Couch, im Sessel, in der Bahn zu nutzen und gerne auch über längere Zeit in einer Hand zu halten. Mit dem Air 2 hatte Apple es 2014 fast geschafft, ein großes Tablet so leicht zu bauen, dass das auch funktioniert. Das neue kleine Pro ist praktisch genauso schwer bzw. genauso leicht wie das Air 2: knapp 450 Gramm. Da fühlt man sich sofort zu Hause und merkt: Das Monster-Pad gehört viel eher auf den Schreibtisch als in die Freizeit, die ja auch am Schreibtisch stattfinden kann. Dort spielt das Gerät seine ganzen Stärken aus, unterwegs kann es schnell zur Belastung werden. Mit dieser wiedererlangten Leichtigkeit also sind Videos immer noch so nah dran wie auf dem großen Bruder, E-Books nicht mehr so schwer wie die Encyclopædia Britannica und der Sound zeigt sich dank der vier wirklich guten Lautsprecher auf dem gleichen vorbildlichen Open-Air-Niveau.

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Diese Leichtigkeit ist aber auch dafür verantwortlich, dass das kleine Pro tatsächlich eine ziemlich perfekte digitale Kladde ist. Nicht nur der Einsatz des Pencil funktioniert ebenso großartig wie beim ProPro (langsam werden die Umschreibungen knapp). Auch die Apps, die den Stylus unterstützen, sind in den vergangenen Monaten deutlich besser geworden, unterscheiden noch detaillierter zwischen Stift und Hand bzw. ignorieren letztere auf Knopfdruck auch kategorisch. Wer also viele „handschriftliche“ Notizen und Aufzeichnungen macht, ist mit beiden Pro-Tablets aktuell besser beraten denn je. Das kleine Modell aber ist einfach praktischer im Umgang, schnell aus der Tasche geholt und liegt besser auf dem Schoß. Man will ja nur schnell etwas aufschreiben und nichts wie Moses in Stein meißeln.

Aber auch wer eine externe Tastatur will, wird beim 9,7"-Pro bestens bedient. Apple ist es gelungen, das logischerweise kleinere Design so ergonomisch einzudampfen, dass flüssiges Tippen immer noch nicht nur möglich ist, sondern sich auch gut anfühlt und man nach kurzer Eingewöhnungszeit auf Laptop-Schnelligkeit ist. Auch das kleine Keyboard gibt es bis auf Weiteres nur mit amerikanischem Layout. Internationale Lokalisierungen sind angekündigt, wann sie jedoch wirklich erhältlich sein werden, weiß niemand. QWERTZ vs QWERTY also: Das ist Blind- und Vielschreibern ziemlich egal, wer jedoch beim Schreiben auf die Tastatur schauen muss, dürfte verunsichert sein.

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Auf der als Zubehör erhältlichen Tastatur lässt sich trotz kleinerem Layout gut tippen ...

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... auch wenn der Größenunterschied zunächst wirklich mächtig erscheint.

Wir halten also fest: Pencil auf dem kleineren Display wunderbar, Tastatur auch, Sound ebenso und Videos auf dem Display sowieso. Display? Jetzt kommt das mit dem weird, und zwar Teil 1.

True Tone oder: Das Fenster zur Welt

Das iPad Pro in der 12,9”-Variante ist seit November letzten Jahres im Handel. Sein Display ist fantastisch, etwas anderes erwartet man ja von Apple auch gar nicht mehr. Der Screen im kleinen Pro ist noch besser, deutlich besser. Dafür ist True Tone verantwortlich. Man kennt diesen Begriff schon seit einigen Jahren von den Fotolichtern der iPhones. Zwei farblich unterschiedliche LEDs sollen hier bei Verwendung des Blitzes für gut austarierte Farben sorgen. Auf dem Tablet-Display funktioniert die Technik anders. Mehrere Sensoren im Screen messen nicht nur die Helligkeit der Umgebung, sondern analysieren auch den Lichteinfall und die aktuell vorherrschende Farbtemperatur. Diese Informationen werden dazu genutzt, das Display automatisch zu justieren. Von Apple selbst ist zu hören, dass man bei der Entwicklung ein weißes Blatt Papier unter zahlreichen Lichtbedingungen fotografiert hat, um die bestmöglichen Ergebnisse zu erzielen. Denn die perfekte Abbildung des Papiers ist nach wie vor der heilige Gral all derer, die auf LCD- oder AMOLED-Displays setzen. Nur so kann ein Gefühl beim Lesen erzeugt werden, das bestmöglich an Zeitung oder Buch heranreicht.

Muss man sich leisten können, so einen Stunt.

Was nach Marketing-Gerede klingt, ist faktisch ein Unterschied wie Tag und Nacht und wird besonders deutlich, wenn man den Modus deaktiviert. Dann wirkt das Display plötzlich blau und künstlich, weird eben. Wer True Tone nicht ausprobiert, wird weiterhin mit seinem iPad-Display glücklich sein. Wer es einmal erlebt hat, kann sich nur schwerlich noch etwas anderes vorstellen. Dazu kommen mehr Helligkeit, weniger Reflexionen und höhere Kontraste. Apple bringt es also tatsächlich fertig, das Display des Flaggschiff-iPads nach einem knappen halben Jahr irgendwie antiquiert dastehen zu lassen. Muss man sich erst mal leisten können, so einen Stunt. Die gute Nachricht dabei ist, dass es sicher scheint, diese Technologie künftig auch in iPhones begrüßen und gernhaben zu können. Wer schon ein großes iPad Pro gekauft hat, fragt sich jedoch zurecht, was das soll. Weird, Teil 1.

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Daten-Messies

Bei allem Gerede über die Wolke als perfektem Parkplatz für Daten, ist und bleibt die Speicherkapazität im Gerät wichtig. iOS-Geräte, also iPhone und iPad, gab es bislang mit maximal 128 GB. Pornös viel, gerade für ein Telefon, teuer dazu, aber man kennt das ja vom heimischen Computer. Erstmal runterladen, erstmal behalten. Und schwuppdiwupp ist sie voll, die Festplatte. Bei Apple ist der großzügige Speicher besonders wichtig, weil man die Geräte nicht mit einer microSD erweitern kann. Mit dem 9,7“-Pro bietet Apple erstmals auch 256 GB internen Speicher an. Laptop-Niveau. Mittlerweile gibt es auch das große Pro mit dieser Kapazität (dann kostet das Tablet so viel wie ein solides HighEnd-MacBook, aber egal), warum diese Version im vergangenen November noch nicht zur Verfügung stand, bleibt ein Rätsel. Hätte so viel ROM nicht gerade beim noch größeren iPad Sinn gemacht, bei diesem eleganten Boliden, der, je länger er auf dem Markt ist, für ganz spezifische Branchen immer interessanter wird? Weird, Teil 2. Und weird, Teil 3: Für das kleine Pro-Modell drosselt Apple die Datenübertragungsrate am Lightning-Port wieder auf USB-2-Geschwindigkeit. Mehr Speicher, langsamerer Transfer? Ok!

Habemus iPad. Und nun?

Das war alles sehr nerdig und für viele bestimmt nicht sonderlich wichtig, aber manchmal muss man sich solche latenten Ungereimtheiten einfach von der Seele tippen. Wie macht sich das iPad nun im Alltag? Will man, braucht man, soll man – muss man gar? Ich persönlich bin dankbar, wieder ein Tablet zu haben, das mit Apples neustem Prozessor ausgestattet ist, das mit dem Pencil funktioniert und das eine feine Tastatur bietet. Verpackt in einer vertrauten Form, die deutlich beherrschbarer ist als die größere 13“-Variante. Zwar ist die Handhabung von zwei Apps im Splitscreen-Modus auf dem kleineren Display nicht mehr so komfortabel (ich, alt, schlechte Augen), darauf kommt es mir bei einem Tablet aber auch nicht vornehmlich an. Zählt man diesen Modus jedoch zu den Features dazu, die das Pro im Pro zwingend ausmachen, gibt es Abzüge in der B-Note. Wie sinnvoll das wirklich ist, Apps nebeneinander auf dem Desktop anzuordnen, sei dahingestellt. Es ist auf kleinen Laptops mitunter ebenso unpraktisch, weil unübersichtlich bzw. zu kleinteilig.

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Wer auf ein iPad im Alltag setzt und ein neues, aktuelles Modell will, wird das Gerät lieben.

Tablets sind perfekte Geräte für zwei Aufgaben: Zerstreuung und Fokus. Beides funktioniert hier bestens. Will ich einen Film schauen, sind 9,7“ vollkommen ausreichend: Ich habe sie ja direkt vor der Nase. Und will ich arbeiten, E-Mails beantworten oder einen Text schreiben, sind diese Abmaße ebenso perfekt. Je konzentrierter man sich auf eine Aufgabe stürzt, desto besser die Ergebnisse. Das gilt für kleine Laptops ebenso wie für Tablets. Benachrichtigungen ausschalten und los. All dies geht mit dem iPad Pro 9,7“ vorzüglich, bei voller Aufrechterhaltung der Pro-Vorzüge, die sich Apple ausgedacht hat, um dem schrumpfenden Markt etwas entgegenzusetzen. Wer auf ein iPad im Alltag setzt und ein neues, aktuelles Modell will, wird das Gerät lieben. Ganz egal, wie undurchsichtig die Verfügbarmachung neuer Features aktuell im Line-up ist und warum Kleinigkeiten hier aus dem technisch Machbaren gestrichen werden, um Alleinstellungsmerkmale und Unterscheidungsmöglichkeiten zu schaffen, die am Ende gar nicht wirklich wichtig oder entscheidend sind. Zwei wären da noch erwähnenswert.

Die LTE-Variante verfügt über eine integrierte SIM-Karte, mit der man Daten-Volumen buchen kann, wenn man es gerade braucht. Entweder zu Hause oder im Ausland. Letzteres wollte ich ausprobieren, es hat aber nicht funktioniert. Vielleicht mochte der Mobilfunkanbieter in England meine Kreditkarte nicht, online gehen konnte ich aber nicht mit dem iPad. Schade eigentlich, aber bestimmt nicht Apples Schuld. Und dann ist da noch die Kamera. Erstmals in einem iPad verfügt die über einen LED-Blitz und zwölf Megapixel Auflösung. Das liegt auf dem Niveau der aktuellen iPhones. Ist und bleibt aber weird.

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Das iPad Pro 9,7“ ist das Tablet mit dem aktuell besten Display überhaupt, ist portabel, bietet alle Power der Technik-Welt, die man sich wünschen kann, Unterstützung für den besten Stylus und ein großartiges Keyboard. Es ist aber dennoch nicht das beste iPad. Das technisch Mögliche hat Apple auf zwei Geräte verteilt. Warum, werden wir vielleicht nie erfahren. Es ist auch faktisch nicht wichtig. Die Themse fließt weiter die Themse runter, die Spree die Spree und in Cupertino ist schon die nächste Geräte-Generation in Planung. Das ist alles andere als weird, das ist der Lauf der Dinge. Und der lässt sich mit dem neuen kleinen Pro-iPad wunderbar verfolgen, protokollieren und archivieren.

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Leseliste: 24. April 2016 – andere Medien, andere ThemenSuperfood-Hölle, Manga-Übersetzer, Rollstuhlmode und die wahre Geschichte der Oculus Rift

Mix der Woche: DJ Spinna – Prince Wrote ItB-Seiten, Kollaborationen und andere Songs des großen Genies