Auf dem Weg: Zuhause bei Kaspar König / Berlin, 1. April 2015Eine Kamera, ein Bild und seine Geschichte

Auf dem Weg - Kaspar - Full

Sturm Niklas wütet über Berlin. Auf meinem Fahrrad unterwegs zwischen den Hochhäusern am Alexanderplatz werde ich an diesem Tag beinahe von einer Sturmböe mitsamt dem Rad auf die Straße geweht. Ein anderer passionierter Radfahrer gerät an diesem Tag ebenfalls in das Sturmtief über der Hauptstadt. Ein berühmter Sturkopf und Vordenker des Kunstbetriebes. Skorpion und Schulabbrecher wie ich und ebenso wenig im Besitz einer Fahrerlaubnis: der legendäre Galerist Kaspar König.

Nicht ohne triftigen Grund stelle ich mich hier in diese besondere Gesellschaft, denn am folgenden Tag, dem 1. April, besuche ich den Meister in seiner neuen Wohnung, um ihn zu fotografieren. Mit gerade mal 23 Jahren kuratiert er seine erste große Ausstellung mit Werken Claes Oldenburgs in Stockholm. Später Professor an der Kunstakademie Düsseldorf, Leiter der Städelschule Frankfurt und über Jahre hinweg Leiter des Museum Ludwig in Köln.

Während die Wolken tief und schwer über Fernsehturm und Hauptbahnhof hängen, überquere ich eine Brücke in Richtung Moabit. Regen tropft von meinen Fahrradhelm, während ich das Rad vor einem grauen Betonblock anschließe. Im Hausflur begegnen mir staubige Arbeiter. Aus den Aufzugwänden hängen Kabel. Baulärm hallt von den bloßen Wänden. Kaspar König erwartet mich vor seiner Wohnungstür: „Wir sind hier noch Versuchskaninchen”, kommentiert er seine Wohnsituation und führt mich in einen hellen, großen quadratischen Raum. „Kaffee?“ Von oben schaute mich der große Mann durch seine kantigen Brillengläser an, um anschließend in Pantoffeln Richtung Küche zu verschwinden. Während seiner Abwesenheit betrachte ich ein Bild von On Kawara. Ein Datum, 26. November 1966, mit weißer Schrift auf grauem Grund hängt an einer grauen Wand.

König stellt die Tasse auf dem Tisch ab und fragt mich streng: „Wissen Sie, warum Sie hier sind?” Für ein Buch über die Minimal-Künstlerin Hanne Darboven soll ich ein Porträt von ihm fotografieren. Sie übersetzte Tage in Zahlen, gab den einzelnen Daten einen mathematischen Wert und schuf so Seite um Seite codierten Wissens über die Welt. Ein mythisches und nicht ganz zu begreifendes Wissen. „Mein Geheimnis ist, dass ich keins habe.“, hat sie einmal selbst über ihr gewaltiges Werk gesagt. Ich frage König, ob man die Werke verstehen kann, während er zwei ihrer Bilder mühsam im Bücherregal zum Stehen bringt. „Nein”, ist seine schlichte Antwort. Sehr modern sei es, gerade heute, da die ganze Welt in Algorithmen übersetzt und verwandelt wird. Während ich meine Leica den Lichtverhältnissen anpasse, nimmt er in einem tiefen, roten Sessel Platz und fragt mich, ob das meine einzige Kamera sei, die ich dabei hätte. Nein, sage ich, aber die andere Kamera, eine Rolleiflex, wirke auch nicht so viel zeitgemäßer. Später am Schreibtisch von König schenke ich ihm mein gerade fertig gewordenes erstes Buch. Von hinten blättert er es langsam durch, um anschließend wieder von vorn zu beginnen. „Ganz menschlich das Schwein auf der Bahre. Es wirkt irgendwie nackt.” Eines der Bilder findet er beinahe erotisch. „Armes Schwein!” Schließlich, nach dreimaligem Durchsehen, legt er das Buch zur Seite und bedankt sich. Er nimmt einen Bildband aus dem Regal und schenkt ihn mir. „Berlin Mitte“ von Ulrich Wüst. Er wirkt beruhigt.

Für ein paar Bilder gehen wir gemeinsam auf seine Terrasse. Wind und Licht wie am Meer. Danach begleitet er mich hinunter. Er schließt sein Rad auf, um ins Büro zu radeln. Ich mache noch ein paar Fotos. „Schöne Kamera, wirklich sehr schön!”, gibt er mir zur Verabschiedung mit auf den Weg. Dann biegt er mit seiner bunt geringelten Wollmütze um die Ecke und verschwindet im grauen Berlin-Mitte.

Fabian Zapatka ist Fotograf. Er bereist teils Orte, von denen viele von uns nicht mal wissen, dass es sie gibt. Für Das Filter öffnet er jetzt nach und nach sein Archiv. Ein neues Bild und eine neue Geschichte gibt es jeden Mittwoch, nur hier bei uns. Letztes Mal war Fabian in Bulgarien unterwegs.

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