Fragmente einer GroßstadtDie Tempelhofer Freiheit

Fragmente einer Großstadt - Tempelhof - full

Ein Berliner Traum: Wie ein Militärgelände zum Feld der unendlichen Möglichkeiten wurde.

Der dieses Jahr gefühlt noch länger herbeigesehnte Frühling ist langsam aber sicher eingekehrt. Willkommen geheißen wurde er spektakulär mit einer Grillparty von tausenden von Menschen. Alle, die sich an jenem warmen Sonntag auf der 302 Hektar großen Grünfläche versammelten, hatten mindestens zwei Dinge gemeinsam: akutes Vitamin-D-Bedürfnis und die Liebe zum Tempelhofer Feld.

Ich erinnere mich an eine Aussage eines Freundes vor ein paar Jahren: „Also, ich weiß nicht, was ihr alle daran findet. Es ist doch einfach nur ein freies Feld, ohne irgendeine Besonderheit. Nicht einmal viele Bäume gibt es da.“ Er mag ja nicht der einzige sein, der so denkt und das respektiere ich, ohne Überzeugungskraft leisten zu wollen. Wenn es zufällig doch passiert, war das keine Absicht.

Dieses freie Feld jedenfalls, was annähernd so groß ist wie der Central Park, strahlt allein durch die Tatsache, dass es frei ist, eine Magie aus, die man in dieser Stadt sonst eher selten spürt. Wo kann ich sonst mitten in Berlin mal eben 2,5km weit gucken, ohne auch nur ein Haus oder ein Auto zu sehen? Und die freie Sicht wirkt besser als jedes Bier, um den Kopf frei zu kriegen. In Kombination eventuell noch besser.

Vielleicht klingt das pathetisch. Aber kann man das nicht irgendwie den Platz des Berliner Traums nennen? Als Pendant zum American Dream – vom Tellerwäscher zum Millionär. Wir Deutschen sind zwar auch ehrgeizig, aber in Berlin weht doch nochmal ein anderer Wind. Freiheit, Kreativität, Gleichheit, Andersartigkeit, Multikulturalität, Gemeinsamkeit, Selbstverwirklichung, Urban Gardening, der Genießer-Lifestyle, Low Budget, Handmade, Open Relationships, Patchwork-Familien: wo früher Militär und Flugzeuge waren, bringt heute ein Papa Ende Zwanzig auf dem Skateboard seinem kleinen Sohn einen Ollie bei. Da plant eine WG ihren Gemeinschaftsgarten mit eigenen Holzstühlen und Gemüsebeet. Da picknickt ein verliebtes Pärchen mit Korb, Decke, Wein, Trauben, Käse, Kerzen und allem Schnickschnack. Da sammelt ein ältere Dame Pfandflaschen. Da grillt eine türkische Großfamilie. Da joggen 20–80-Jährige schnell oder langsam ihre 6km-Runden. Da wohnen jetzt Flüchtlinge. Da dürfen Hunde ohne Leine mit ihren Hunde-Freunden die wildesten Sachen machen, da lässt ein Mädchen seinen Drachen steigen. Da surfen Kiter durch die Luft. Da spielen echte Cowboys Gitarre. Und Partyheimkehrer trinken in der Vormittagssonne eine Frischluft-Mate.

Gibt es einen zweiten Ort in dieser Stadt, an dem so viele Dinge gleichzeitig in Einverständnis miteinander so gut funktionieren und auch noch so schön aussehen?

Aus aktuellem Anlass gibt es hier noch einen Link zum Planungsentwurf der Stadt, zu dem man gebeten wird, Kommentare abzugeben. Wir können noch bis heute (Mittwoch, 13.04.16) aktiv mitbestimmen, was genau in Zukunft mit dem Feld passieren soll – Zögern geht also nicht.

Kristina Wedel ist freie Illustratorin und lebt in Berlin-Neukölln. Wo andere ihre Smartphones mit nie wieder angesehenen Fotos füllen, hält sie ihren Stift – vorzugsweise einen einfachen, schwarzen Muji-Pen – bereit und zeichnet jene Eigenarten des urbanen Alltags, die sich nicht so leicht ablichten lassen. Für Das Filter erzählt sie jeden zweiten Mittwoch die Geschichten hinter ihren Bildern.

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